„Jeder will dahin“? Deutschrap als Instrument des Landesmarketings Brandenburg

Seit einigen Jahren wird Deutschrap als eine der zentralen Jugendkulturen der Gegenwart eingestuft (vgl. Schopper 2021). Dabei üben Rapper*innen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Werte und Ansichten von Heranwachsenden aus (vgl. Uni Bielefeld 2021). Parallel zur wachsenden Popularität des Genres kam es auch zu einer regionalen Ausdifferenzierung: So erschienen seit den 2010er-Jahren zunehmend auch Rapper*innen aus Ostdeutschland auf der Bühne des Deutschraps. Ein expliziter Bezug auf Ostdeutschland spielt damit für immer mehr Rapper*innen eine zentrale Rolle als identitätsstiftende Kategorie in ihrem künstlerischen Handeln. Der Rapper Finch (früher FiNCH ASOZiAL), der gebürtig aus Fürstenwalde in Brandenburg stammt und inzwischen in Berlin lebt, zählt zu einem der einflussreichsten Vertreter*innen. Er hat es innerhalb weniger Jahre geschafft, vom Nischenkünstler in die deutschen Charts aufzusteigen und deutschlandweite Bekanntheit als ostdeutscher Rapper zu erreichen.

Diese Bekanntheit machte sich das Land Brandenburg im August 2022 zu eigen, als sie den Rapper für ihre neue Marketingkampagne „jwd – jeder will dahin“ engagierte. In diesem Zusammenhang veröffentlichte Finch einen Track – ebenfalls mit dem Titel „jwd“ – der bereits nach kurzer Zeit als „neue Brandenburg-Hymne“ in den Medien diskutiert wurde (Tagesspiegel 02/09/2022). Als Teil einer umfassenderen, mit 260.000 € bezifferten Werbestrategie des Landesmarketings, die in besonderem Maße auf Social-Media-Beiträge und andere kreative Werbeaktionen setzte, sollte Brandenburg als eine Region vermarktet werden, die über ein besonders „hohes und dynamisches Potenzial“ verfüge (vgl. PM des Landes Brandenburg 22/08/2022). Ziel war es, einen weitreichenderen Imagewandel zu bewirken, welcher das Flächenland als Standort nicht nur für gewerbliche Neuansiedlungen, sondern auch für Zuzüge jüngerer Bevölkerungsanteile aus Berlin und anderen Regionen Deutschlands attraktiv macht (Scholz & Friends 2022). Bereits einige Monate nach der Veröffentlichung wurde das zugehörige Video auf YouTube rund 2,1 Mio. Mal aufgerufen (Stand: 06. Januar 2023). Auf den ersten Blick scheint es also, als könne Deutschrap als ein innovatives Instrument des Regionalmarketing betrachtet werden. In diesem Beitrag werden wir aufzeigen, dass es dabei jedoch nur in begrenztem Maße gelingt, ein neues und dynamisches Image von Regionen zu erzeugen. So läuft die Marketingkampagne des Landes Brandenburg Gefahr, stereotypische und klischeehafte geographische Imaginationen Ostdeutschlands zu reproduzieren und damit zu einer weiteren Stigmatisierung dieser Region als abgehängter anderer Teil Deutschlands beizutragen (vgl. Heft 2018).

Vor diesem Hintergrund untersucht dieser Beitrag am Beispiel des Rappers Finch, welches Image von Ostdeutschland im Deutschrap gezeichnet wird. Wir werden aufzeigen, dass dabei insbesondere solche geographischen Imaginationen als Marketingstrategie instrumentalisiert werden, die klischeebehaftete Vorstellungen über Ost-West-Unterschiede reproduzieren, um so eine möglichst große Anzahl an Hörer*innen zu gewinnen. An anderer Stelle haben wir bereits untersucht, wie Rap als Aushandlungsfeld von Zugehörigkeit in der ostdeutschen Migrationsgesellschaft betrachtet werden kann (Fleischmann et al. im Druck). In diesem Zusammenhang wurde deutlich, dass Deutschrap auch dazu in der Lage ist, hegemoniale geographische Imaginationen aufzubrechen und andere, inklusivere Lesarten und Narrative anzubieten. In diesem Beitrag wollen wir uns darauf konzentrieren, welche Rolle stereotypische räumliche Darstellungen des Ostens im Deutschrap spielen, die insbesondere dann sichtbar werden, wenn kommerzielle Marketingstrategien bedient werden sollen.

Methodisch beziehen wir uns auf Auswertungen der Liedtexte von Finch. Zudem wurden seine offiziellen Musikvideos, welche auf YouTube zu finden sind, mithilfe der sozialwissenschaftlichen Filmanalyse nach Akremi (2014) analysiert. Diese Analyse ergänzen wir durch Ergebnisse aus leitfadengestützten Interviews mit Mitgliedern der Rapszene (Krom, Fesas, Rasho061 und DJ RUDboy) in der ostdeutschen Stadt Halle (Saale), die wir im Rahmen einer explorativen Studie im Sommer 2021 durchführten. Sie wurden über persönliche Kontakte, das Schneeballverfahren, sowie gezielte Anfragen an Mitglieder der lokalen Rapszene über Social Media rekrutiert. In den Transkripten, die nach dem interpretativ-reduktiven Verfahren (Lamnek 2005) ausgewertet wurden, waren wiederkehrende Referenzen auf Finch zu finden.

Geographische Zugänge zu Deutschrap und Regionalmarketing

Vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung, die Deutschrap als zentrale Jugendkultur der Gegenwart erlangt hat, überrascht es zunächst einmal nicht, dass dieser Musikstil vermehrt Einzug in die sozialwissenschaftliche Debatte gefunden hat (vgl. Dietrich und Seeliger 2012; Seeliger und Dietrich 2017). Obwohl internationaler Rap und Hip-Hop durchaus auch seit Jahren ein Forschungsfeld der Kulturgeographie im deutsch- und englischsprachigen Raum darstellen (z. B. Forman 2002; Tijé-Dra 2018), sind dezidiert geographische Studien zu Deutschrap jedoch bis dato selten (siehe jedoch Mager 2007; Schopper 2021).

Dabei könnten gerade Geograph*innen einen wichtigen Beitrag zur weiteren sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Deutschrap leisten, indem sie die besondere Rolle, die geographische Imaginationen und räumliche Bezüge für Rapper*innen spielen, in den Fokus rücken (vgl. Forman 2000, 2002; Tijé-Dra 2018). Das „representen“ (repräsentieren) von Räumlichkeiten, wie der „eigenen Hood“ (Nachbar*innenschaft), oder der Lebensrealität im „Ghetto“ stellen „Ursprungserzählung[en] der HipHop-Kultur“ (Seeliger 2012, S. 168; siehe auch Diehl 2014) dar. Die Autoren Mager und Hoyler (2007, S. 46) bringen dies treffend auf den Punkt: „Deutlicher als in anderen Genres populärer Musik dienen … Räumlichkeiten im Hiphop als die zentralen Organisationsprinzipien von Bedeutungen, Werten und Handlungen“. Regionalbezüge und das Promoten von Örtlichkeiten im Sinne einer aufwertenden Inszenierung der eigenen Herkunft bei gleichzeitigem Abwerten bzw. „Dissen“ anderer räumlicher Zugehörigkeiten spielen also in Rapmusik eine vergleichsweise zentrale Rolle.

Damit finden sich zunächst einmal Anknüpfungspunkte an die Beschäftigung mit räumlichen Repräsentationen und geographischen Imaginationen, wie sie in der Sozial- und Kulturgeographie beschrieben wurde (vgl. Strüver 2015; Desbiens 2017). Solche Arbeiten widmen sich beispielsweise der Frage, wie Vorstellungen über Regionen durch alltägliche Sinnproduktionen (re)produziert werden, z. B. in Filmen (Zimmermann 2011; Plien 2017) oder Musik (Calella 2012). Geographische Imaginationen haben dabei auch einen wirklichkeitskonstituierenden Effekt, indem sie eine vermeintliche Wahrheit festschreiben und (mit)bestimmen, wie Räume wahrgenommen werden (Dzudzek et al. 2011).

Darüber hinaus schlagen wir vor, dass die räumlichen Bezüge, die im Deutschrap sichtbar werden, auch für wirtschaftsgeographische Fragestellungen von Interesse sein könnten. Hierbei handelt es sich um einen bisher eher selten eingenommenen Zugang, der unserer Meinung nach jedoch Potenzial für zukünftige Forschungsarbeiten zu Deutschrap bietet. Im Zuge zunehmenden interregionalen Wettbewerbs und der steigenden Relevanz von Außenimages für Gemeinden und Regionen nimmt die Vermarktung von Standorten über regionale und identitätsstiftende Eigenheiten zu (vgl. Mahnken 2009, S. 303). Dies betrifft vor allem Regionen, die vor Herausforderungen wie Abwanderung, demografischem Wandel oder Strukturwandel stehen, was auf die ostdeutschen Bundesländer zutrifft (Irmer et al. 2022, S. 117). Wie am Beispiel der aktuellen Werbekampagne des Landesmarketings Brandenburg ersichtlich ist, wird die gestiegene Popularität von Deutschrap jüngst auch für die gezielte Vermarktung bestimmter regionaler Images genutzt. Hier bieten sich beispielsweise Anknüpfungspunkte an wirtschaftsgeographische Arbeiten, die sich mit der Vermarktung von Region und Regionalität auseinandersetzen (z. B. Ermann 2005; Ermann et al. 2022), sowie an Arbeiten zu Region Branding bzw. Place Marketing im angloamerikanischen Kontext (z. B. Pike 2013, 2018). In der weiteren sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Deutschrap sind Vermarktungsstrategien der Rapindustrie durchaus ein wiederkehrendes Element der Analyse (z. B. Kleiner und Nieland 2007; Süß 2019). Zukünftige wirtschaftsgeographische Analysen könnte hier insofern einen Beitrag leisten, als dass sie zu einem besseren Verständnis der Vermarktung und Kommerzialisierung bestimmter räumlicher Images durch Deutschrap beitragen könnten.

Genau hier möchten wir mit diesem Beitrag ansetzen, indem wir am Beispiel des Rappers Finch analysieren, welches Image von Ostdeutschland im Deutschrap gezeichnet wird – insbesondere in Hinblick auf die Frage, welche geographischen Imaginationen dabei gezielt für kommerzielle Marketingstrategien bedient werden.

Das Phänomen Finch: Die Inszenierung einer ostdeutschen Kunstfigur

In unserer explorativen qualitativen Studie zur Deutschrapszene in der Stadt Halle (Saale) wurde Finch von unseren Interviewpartner*innen wiederholt als der kommerziell erfolgreichste Rapper, der eine ostdeutsche Zugehörigkeit repräsentiert, eingestuft. Einer unserer Interviewpartner betonte, dass Finch (bürgerlich Nils Wehowsky) es auf besonders zugespitzte Weise verstehen würde, das zu verkörpern, wofür ostdeutscher Rap stehe: Ein Stil, der generell als „ein bisschen dreckiger, ein bisschen Straße, asozialer wahrgenommen wird. Ein bisschen Plattenbau muss immer drin sein, und ein bisschen Ostalgie, hier die Blümchentapete und der Kacheltisch“ (Interview DJ RUDboy, 08.06.2021).

Für die Feinanalyse der von Finch inszenierten geographischen Imaginationen haben wir in diesem Beitrag acht Raptracks ausgewählt (siehe Tab. 1). In diesen stellt die lyrische und visuelle Verkörperung einer spezifisch ostdeutschen Identität ein zentrales Thema dar. Mit dieser Auswahl möchten wir zudem einen möglichst langen Zeitraum des künstlerischen Schaffens von Finch zwischen 2017 und 2022 abdecken. Alle ausgewählten Tracks zeichnen sich außerdem durch hohe Zugriffszahlen auf Streamingplattformen aus.

Tab. 1 Übersicht über die für die Untersuchung ausgewählten Raptracks von Finch

Im Laufe unserer Feinanalyse zeigte sich, dass Wehowsky mit Finch eine Kunstfigur schafft, in deren Optik und Habitus sich ostdeutsche Stereotypen in zugespitzter Form widerspiegeln. So trägt er z. B. in Musikvideos Anglerhüte mit der Aufschrift „Spreewald“ oder „Ostdeutschland“ (siehe Abb. 1) oder ein T‑Shirt mit der Aufschrift „UCK MRK“ für „Uckermark“, sowie einen Hoodie mit dem Satz „Danke Mama + Papa, dass ich kein Wessi bin“. Zudem findet eine Bezugnahme auf populäre Produkte mit ostdeutscher Herkunft statt: So werden Marken alkoholischer Getränke, wie Sternburg und Schierker Feuerstein, sowie Fahrzeugmarken wie Trabant und Wartburg zu wichtigen Bezugspunkten, die eine räumliche Zugehörigkeit suggerieren.

Abb. 1
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Screenshot (3:06) aus dem Musikvideo Finch (2017) – Richtig saufen

Diese stereotypischen Darstellungen zeigen sich aber auch in Texten und Videos: Wenn Finch über den Alltag und die Lebensrealität in den ostdeutschen Bundesländern rappt, dann geht es um Gewalt, Drogen- und Alkoholkonsum sowie Arbeitslosigkeit. So thematisiert Finch im Zusammenhang mit Ostdeutschland z. B. Suchtproblematiken, wenn er rappt: „Ostdeutschland – wir sind ’ne Trinkergesellschaft“ (Finch – Richtig saufen). Auch in den zugehörigen Musikvideos ist das Konsumieren von Alkohol und Drogen ein sichtbares, und als Teil ostdeutscher Lebensrealität inszeniertes, Element (Finch feat. Tarek K.I.Z – Onkelz Poster; Finch – Richtig saufen). Dies wird z. B. durch eine Szene deutlich (Abb. 2), in der Drogenkonsum angedeutet wird sowie durch das Albumcover der Band Böhse Onkelz, deren frühere Songs auch in der Rechtsrockszene beliebt waren (vgl. Steimel 2008). Bestimmte Vorstellungen über das Leben in Ostdeutschland werden zudem durch Images von Großwohnsiedlungen oder städtischen Leerstand in Kombination mit Drogen- und Alkoholkonsum erzeugt (vgl. Auge und Ringel 2021, S. 5–6). Andere Alltagsrealitäten, auf die Finch Bezug nimmt, sind Gewalt und Arbeitslosigkeit, wie in dieser Textzeile deutlich wird: „Mamas Würgemale durch ’nen Samtschal vertuscht, Hör’ die Schreie jeden Tag wenn Papas Hand mal ausrutscht, hohe Arbeitslosigkeit, hier war’s nie ganz einfach“ (Finch – Ostdeutschland). Finch ist nicht der Einzige, der diese Themen benennt, auch in den Lyrics anderer ostdeutscher Rapper*innen lassen sich diese Motive finden (z. B. Hollywood Hank feat. Dissziplin – Ostdeutschland).

Abb. 2
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Screenshot (0:36) aus dem Musikvideo Finch feat. Tarek K.I.Z (2020) – Onkelz Poster

Eine zentrale Rolle für die Inszenierung seiner vermeintlich typisch ostdeutschen Identität spielt für Finch zudem die Abgrenzung von und Gegenüberstellung zum restlichen Deutschland. So wird wiederkehrend eine klare Unterscheidung zwischen „uns Ossis“ und „euch Wessis“ etabliert. Durch das Nutzen von Dialekt, der ersten Person Plural oder bestimmten Ausdrücken – „Dit heißt ‚Viertel Drei‘ und nicht ‚Viertel nach‘“ (Finch – Am richtigsten saufen) – wird eine Identität konstruiert, in der sich Menschen, die sich diesem „wir“ zugehörig fühlen, wiedererkennen können. Die Verklärung von DDR-Zeiten, was landläufig als Ostalgie bezeichnet wird, und das Teilen dieser gemeinsamen Vergangenheit werden zu identitätsstiftenden Momenten, welche eine gemeinsame Zugehörigkeit zum Osten schaffen. Zugespitzt formuliert, erscheint die DDR-Vergangenheit damit als nicht beendet, sondern prägt fortdauernd das Zusammenleben der Menschen im Osten. Es werden bewusst nostalgische Referenzen gesetzt, indem z. B. im Hook von Songs Reden von Walter Ulbricht und Günter Schabowski zitiert werden (Finch – Richtig saufen; Finch – Am richtigsten saufen) oder klischeehafte Symboliken (wie Kacheltisch, Trabant, DDR-Fahne, Vokuhila etc.) in Texten und Videos eingesetzt werden. Mit Lines wie „Ich wünsch’ sie mir zurück, meine DDR“ (Finch feat. Tarek K.I.Z – Onkelz Poster) wird deutlich, wie romantisiert die ostdeutsche Geschichte dargestellt wird. Dabei ist anzumerken, dass der 1990 geborene Wehowsky hinter der Kunstfigur Finch die DDR selbst nie erlebt hat.

Die von Wehowsky eingesetzten stereotypischen Darstellungen Ostdeutschlands scheinen dabei nicht nur von der Kunstfigur inszeniert zu werden, sondern auch durch seine Hörer*innen. Vorstellungen über den Osten werden dementsprechend auch aktiv durch das Publikum auf Konzerten von Finch gelebt, wie unser Interviewpartner bei einem Konzert in Halle (Saale) beobachten konnte:

„Weil die Leute sind da zum Ausrasten. Die schmeißen Bierflaschen um sich, zerstören, vielleicht auch mutmaßlich irgendwelche Brüstungen, Skulpturen, es gab einen großen Polizeieinsatz davor. Ist ein sehr offensives Publikum, das sich wirklich in Ekstase läuft. Die leben das schon auch irgendwie, diese Kombination aus Durchdrehen und Rap und Schlager und ein bisschen asozial sein“ (Interview DJ RUDboy, 08.06.2021).

Der Rapper Krom teilte mit uns seine Wahrnehmung, dass es nicht nur die Menschen aus ostdeutschen Großstädten seien, die sich mit dem Rapper identifizieren können, sondern jene aus ländlichen Gebieten, durch die sich der Osten in besonderem Maße auszeichne:

„Finch ist ein Image-Produkt. … Und das wird aber nicht gepumpt in Leipzig, Dresden, sondern in Köthen, Apolda, Riesa. Das meine ich mit Flächenland, die Bundesländer in Ostdeutschland sind große Flächenländer mit wenig Metropolen. Und alles was dazwischen ist, ist natürlich unterrepräsentiert und Leute, die mit einer Schwalbe rumfahren, mit einer Simme, und ihre 30 km zum Job pendeln, die werden angesprochen. Das verkörpert der mit seiner Mucke“ (Interview Krom, 23.07.2021).

Die Begriffe Simme und Schwalbe spielen dabei auf Mopeds des ostdeutschen Herstellers Simson an, der zu DDR-Zeiten in großen Stückzahlen Fahrzeuge produzierte. Auch hier werden also wieder klischeehafte Symboliken der DDR-Vergangenheit mit dem Rapper verknüpft.

Wie wir in unserer weiteren Analyse feststellen konnten, rekrutiert Finch seine Hörer*innen jedoch nicht ausschließlich in Ostdeutschland. Die Musikstreamingplattform Spotify gibt Hamburg, München, Berlin, Frankfurt (Main) und Stuttgart als die Städte an, aus denen die meisten seiner Hörer*innen kommen (Stand: 23. März 2022). Handelt es sich dabei zwar um Großstädte, die im Vergleich zu Städten wie Köthen, Riesa oder Halle (Saale) zahlenmäßig über mehr potenzielle Hörer*innen verfügen, so fällt doch auf, dass zumindest auf dieser Plattform eher eine westdeutsche Hörer*innenschaft durch Finch angesprochen wird.

Jüngst scheint Wehowsky einen neuen Abschnitt in seiner Musikkarriere begonnen zu haben. Mit seinem 2022 bei einem anderen Label erschienenen Album (siehe Tab. 2), hat er einen Imagewandel durchgemacht, der sowohl Musikstil, Texte als auch sein Auftreten betreffen. So lässt sich in seinem neuen Album kein expliziter Verweis mehr auf Ostdeutschland finden. Auch die Änderung seines Namens von Finch Asozial zu Finch sowie der jüngst dominierende Mix von Rap mit Techno und Schlager zeigen eine Verwandlung der Kunstfigur und deuten ein Rebranding an, das möglicherweise das Ziel verfolgt, neue Zielgruppen zu erschließen. Dies legt die Vermutung nahe, dass das von uns aufgezeigte Spiel mit geographischen Imaginationen über Ostdeutschland vornehmlich als Marketingstrategie diente, die dem Künstler ein Sprungbrett in die kommerzielle Musikindustrie bereitstellte. Durch das Bedienen stereotypischer Images eines abgehängten und vermeintlich asozialeren anderen Deutschlands, scheint es dem Künstler also in besonderem Maße gelungen zu sein, eine kommerziell erfolgreiche Nische zu vermarkten.

Tab. 2 Studioalben von Finch

Alter Wein in neuen Schläuchen: Die Vermarktung stereotypischer Darstellungen Ostdeutschlands im Deutschrap

Es lässt sich festhalten, dass der Rapper Finch in seinen Videos und Texten ein stereotypisches und klischeehaftes Image des Ostens und Ostdeutschlands bedient. Wiederkehrende Elemente der inszenierten geographischen Imaginationen sind dabei ostdeutsche Produkte und Marken, Gewalt, exzessiver Drogen- und Alkoholkonsum, Darstellungen von Großwohnsiedlungen, die Gegenüberstellung von „Wessis“ und „Ossis“, sowie eine nostalgische Verklärung der DDR-Vergangenheit. Gerade das Bedienen dieser stereotypischen Images Ostdeutschlands scheint es gewesen zu sein, das dem Rapper zu kommerziellem Erfolg verhalf: So schaffte er es, eine Nische zu besetzten, die sowohl eine Hörer*innenschaft aus Ostdeutschland gewinnen konnte, die im Deutschrap so bisher selten direkt angesprochen wurde, als auch im restlichen Deutschland Anklang zu finden.

Hier zeigt sich allerdings eine deutliche Diskrepanz zwischen der Zielsetzung der Kampagne „jwd – jeder will dahin“ des Landesmarketings Brandenburg und den von Finch bedienten stereotypischen Darstellungen: Während erstgenannte auf einen positiven Imagewandel der Region zugunsten eines attraktiven und modernen Wohn- und Unternehmensstandort hinwirkt, vermarktet zweitgenannter ein generell eher stereotypisches und rückständiges Bild Ostdeutschlands. Die hohen Aufrufzahlen scheinen damit zwar einerseits zu belegen, dass Deutschrap insofern ein innovatives Instrument des Regionalmarketings darstellen könnte, als dass es in kurzer Zeit eine hohe Reichweite bei speziell jüngeren Zielgruppen generieren kann. Nichtsdestotrotz könnte die Marketingkampagne durch die Auswahl des Rappers Finch aber schlussendlich Gefahr laufen, zu einer Verfestigung abwertender Images Ostdeutschlands beizutragen.

Inwiefern es der Marketingkampagne also gelingt, die von Finch auf zugespitzte Art und Weise bedienten, vorurteilsbehafteten Klischees über den Osten zugunsten einer positiveren anderen Erzählung aufzubrechen, bleibt fraglich. Wahrscheinlicher erscheint es uns, dass sie durch den Einsatz von Finch gar zu einer Reifizierung und Tradierung eines westdeutschen Blicks auf den Osten beiträgt, indem letztendlich hegemoniale Diskurse und Unterscheidungen zwischen „uns im Westen“ und „euch im Osten“ (re)produziert und Ostdeutschland damit als das negativ konnotierte andere Deutschland hervorgebracht wird.