Als postinterventionelle Gewichtszunahme („weight regain“) bezeichnet man jenen Prozess, im Zuge dessen es nach einer Maßnahme zur Gewichtsreduktion zu einer neuerlichen Gewichtszunahme kommt. Eine Gewichtszunahme nach einer Intervention (Lebensstiländerung, psychologische Therapie, Pharmakotherapie oder chirurgische Maßnahmen) ist häufig. Sie beruht auf hormonellen und metabolischen Veränderungen, Wiederauftreten von gewichtsfördernden Verhaltensmustern, fehlender Therapieadhärenz, psychosozialen Problemen, psychischen Erkrankungen und anatomischen Adaptierungen nach operativen Eingriffen zur Gewichtsreduktion (Tab. 1; [1]). Maßnahmen zur Vermeidung und Behandlung einer postinterventionellen Gewichtszunahme (Tab. 2) sollten ein grundlegender Bestandteil jeglicher Adipositastherapie sein [2, 3].

Tab. 1 Faktoren, die einer Gewichtszunahme zugrunde liegen können und bereits in der präinterventionellen Abklärung erhoben werden sollten
Tab. 2 Empfohlene Maßnahmen zur Prävention und zum Management von postinterventioneller Gewichtszunahme

Physiologische Grundlagen der Gewichtszunahme

Gastrointestinale Hormone

Gastrointestinale Hormone konnten als zentrale Regulatoren des Energiestoffwechsels identifiziert werden. Sie regulieren homöostatische und hedonische Kreisläufe, welche das Essverhalten beeinflussen und eine adäquate Kalorienaufnahme zur Energiebedarfsdeckung gewährleisten. Die veränderte Hormonsekretion nach Gewichtsreduktion ist eine zentrale Ursache der Aktivierung von physiologischen Prozessen, welche eine neuerliche Gewichts- und Körperfettzunahme bewirken [4]. Hierbei kommt es zu kompensatorischen Änderungen im Hormonprofil mit einer reduzierten Sekretion von anorexigenen Hormonen wie „glucagon-like peptide 1“ (GLP-1), Peptide YY (PYY), Cholecystokinin (CCK), Amylin und Leptin sowie zu steigenden Spiegeln von orexigenen Hormonen wie Ghrelin und pankreatischem Polypeptid. Diese Anpassungen resultieren in einem vermindertem Sättigungsgefühl, vermehrtem Hungergefühl und einem gesteigertem Verlangen nach Nahrung [5,6,7,8].

Nach einer Gewichtsabnahme konnten im Vergleich zu einer normalgewichtigen Gruppe bei Menschen mit Adipositas niedrigere postprandiale Spiegel von GLP‑1, PYY und CCK bis zu einem Jahr nach der Intervention gefunden werden [9,10,11]. Das Ansprechen auf Veränderungen der gastrointestinalen Hormone im Zuge einer Kalorienrestriktion scheint variabel und somit mitbestimmend für das individuelle Risiko einer postinterventionellen Gewichtsabnahme zu sein [4].

Metabolische Adaptierung

Der Grundumsatz (GU) beträgt rund 60–70 % des täglichen Gesamtenergiebedarfs und ist hauptsächlich von der Körperzusammensetzung, insbesondere der fettfreien Masse (FFM) abhängig. Eine Abnahme der FFM geht mit einer Reduktion des GU einher. Allerdings kommt es nach einer Gewichtsreduktion zu einer größeren Abnahme des GU als ausschließlich durch die Änderung der Körperzusammensetzung zu erklären wäre. Dieser Unterschied wird als metabolische Adaptierung (MA) bezeichnet und kann ein klinisch relevantes Ausmaß annehmen. Es wird angenommen, dass auch hormonelle Faktoren (Leptin, Schilddrüsenhormone, Insulin) für die Reaktion des Körpers auf eine Kalorienrestriktion über Beeinflussung der Herzfrequenz, des Blutdrucks und des sympathischen Nervensystems, verantwortlich sein dürften [12,13,14,15]. Es konnte gezeigt werden, dass die MA über einen längeren Zeitraum und auch nach einer Gewichtszunahme bestehen bleiben kann [15]. Individuelle Abweichungen in der MA könnten mitverantwortlich für Unterschiede bei der postinterventionellen Gewichtszunahme sein [16].

Neurobiologische Vulnerabilität

Heißhunger und das Ansprechen auf Nahrungsreize nehmen insbesondere bei Menschen zu, die sich einer Kalorienrestriktion unterziehen. Dieser Effekt scheint bei Menschen mit Adipositas besonders ausgeprägt zu sein [17, 18]. Diese Vulnerabilität dürfte deutlichen individuellen Schwankungen unterliegen. Mittels funktioneller Magnetresonanztomographie wird versucht, prädiktive neurobiologische Marker im Belohnungssystem, die appetitanregende Kreisläufe aktivieren und so zu Hyperphagie und Gewichtszunahme führen, zu identifizieren [19]. Diesbezüglich steht die Forschung jedoch noch am Anfang.

Beurteilung einer relevanten postinterventionellen Gewichtszunahme

Da der Energiebedarf direkt mit der Körpermasse in Verbindung steht, wird die Verwendung des Nadir-Gewichts als Referenz zur Beurteilung einer relevanten Gewichtszunahme empfohlen. Sie sollte pro Zeitintervall abgebildet werden [14]. Das Ausmaß der durchschnittlichen Gewichtszunahme pro Monat, ausgehend vom Nadir-Gewicht, kann folgendermaßen beurteilt werden:

  • minimal: < 0,2 %,

  • gering: 0,2 bis < 0,5 %,

  • moderat: 0,5–1 %,

  • rasch: > 1 %.

Eine rasche Gewichtszunahme von > 1 % pro Monat führt somit zu einer klinisch relevanten Gewichtsveränderung von > 5 % innerhalb von 6 Monaten. Um einer Gewichtszunahme zeitnah entgegenwirken zu können, empfiehlt es sich, mit dem Patienten am vorläufigen Interventionsende, ein „Warngewicht“, dass sich an einer durchschnittlichen geringen Gewichtszunahme (< 0,5 % pro Monat) orientiert, zu vereinbaren.

  • Beispiel: Ein Patient wiegt nach der Intervention 100 kg (= Nadir-Gewicht). Ein Warngewicht von 5 kg, das wäre eine Gewichtszunahme von < 0,5 % vom Nadir-Gewicht über 12 Monate, wird vereinbart.

Bei Erreichen des Warngewichts sollte eine rasche Kontrolle am betreuenden Zentrum bzw. der Ordination erfolgen, um individuelle Maßnahmen zur Vermeidung einer weiteren Gewichtszunahme einzuleiten [2, 14].

Maßnahmen zur Prävention von Gewichtszunahme

Präinterventionelle Abklärung und Aufklärung

Eine sorgfältige präinterventionelle Abklärung zur Identifikation von Faktoren, welche eine postinterventionelle Gewichtszunahme begünstigen (Tab. 1), wird empfohlen. Zusätzlich sollten mit den PatientInnen die physiologischen Mechanismen einer Gewichtsreduktion bzw. -zunahme und die damit verbundenen Benefits und Risiken für die persönliche Gesundheit besprochen werden, um das Verständnis für die geplanten Maßnahmen zu stärken. Für die Gewichtsreduktion soll eine sinnvolle Geschwindigkeit und eine klare, realistische Zieldefinition (hinsichtlich Köpergewicht, Kleidergröße, Bewegungsziele etc.) vorgegeben werden [3, 20].

Postinterventionelle Vereinbarungen und Monitoring

Postinterventionelle Vereinbarungen sollen regelmäßige Gewichtskontrollen (1- bis 2‑mal pro Woche) sowie ein individuelles Warngewicht (s. oben) umfassen [2]. Im ersten Jahr nach konservativer Gewichtsabnahme und bariatrischer Operation [1] sollen regelmäßige medizinische, diätologische, sportmedizinische und psychologische Kontrolltermine, zumindest alle 3 Monate, eingeplant werden (Tab. 2, Maßnahmen 2.1). Die Kontrollintervalle sollen abhängig vom Ausmaß der Gewichtszunahme angepasst werden (Abb. 1; [14]). Bei Erreichen des vereinbarten Warngewichts wird eine umgehende Wiedervorstellung im betreuenden Zentrum/in der Ordination empfohlen [2].

Abb. 1
figure 1

Multidisziplinärer Ansatz zum Management einer postinterventionellen Gewichtszunahme

Pharmakotherapie

Allfällige medikamentöse Therapie sollte v. a. hinsichtlich möglicher gewichtssteigernder Medikamente (Tab. 1, Faktoren 1.1) evaluiert werden [21]. Zusätzlich ist die Einleitung bzw. Anpassung einer antiadipösen Pharmakotherapie (GLP-1 Rezeptoragonisten, Naltrexon/Bupropion, Lipasehemmer) zu erwägen [1, 20,21,22].

Management von PatientInnen mit Gewichtszunahme

Bei einer minimalen bis geringen Gewichtszunahme stehen die Evaluierung und Forcierung der Lebensstilmaßnahmen (Ernährung, Bewegung, Verhalten; Tab. 2, Maßnahmen 2.3–2.5) im Vordergrund. Bei den jeweiligen Kontrollterminen, deren Intervalle an die Geschwindigkeit der Gewichtszunahme angepasst werden sollten, empfiehlt sich die Erhebung von gewichtsfördernden Faktoren (Tab. 1). Bei moderater und rascher Gewichtszunahme sollte neben den Lebensstilmaßnahmen an eine Erweiterung der Therapie mit ggf. Einsatz einer Pharmakotherapie zur Gewichtsreduktion und/oder chirurgischen Maßnahmen gedacht werden [1, 20,21,22,23].

Rehabilitationsaufenthalt mit Stoffwechselschwerpunkt

Eine stationäre Rehabilitation empfiehlt sich, um Abstand von den Alltagsroutinen zu bekommen und die biopsychosozialen Umstände der neuerlichen Gewichtszunahme hinterfragen, verstehen und verändern zu können. Daran anschließend sollte dem/der PatientIn eine längerfristige multiprofessionelle Begleitung im Alltag (medizinisch, psychologisch, diätologisch) angeraten werden.