Grundsatzstatement

Das Geschlecht beeinflusst das Gesundheitsbewusstsein und -verhalten in unterschiedlicher Weise. Neben den biologischen (genetisch und hormonell bedingten) geschlechtsspezifischen Unterschieden sind auch jene als Folge des Einflusses von Gesellschaft, Kultur, Geschlechterrollen und psychosozialen Faktoren zu bewerten und in der Kommunikation, bei der Prävention, der Diagnose und Therapie des Diabetes zu berücksichtigen [1].

Epidemiologie

In Österreich liegt die Lebenserwartung der Frauen 2020 bei 83,7 Jahren und bei Männern bei 78,9 Jahren. Die Diabetesprävalenz von 20- bis 79-jährigen Frauen lag 2021 bei geschätzt 10,2 %, was geringfügig niedriger ist als jene der Männer mit 10,8 %. Weltweit haben etwa 17,7 Mio. mehr Männer Diabetes als Frauen [2]. Diabetes ist bei Frauen einer der stärksten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die insgesamt 38,7 % der Todesursachen der Frauen und 32,5 % der Männer in Österreich 2020 ausmachten [3, 4]. In einer gepoolten Analyse prospektiver Studien war die Mortalitätsrate bei Männern mit Diabetes krebsbedingt und bei Frauen mit Diabetes vaskulär bedingt besonders stark erhöht im Vergleich zu Gruppen ohne Diabetes gleichen Geschlechts [5].

Ein niedriger Sozialstatus und schlechte Bildung sind mit einem höheren Risiko für Diabetes verbunden. Auswertungen aus der Gesundheitsbefragung in Österreich 2007 ergaben außerdem, dass der inverse Zusammenhang zwischen Bildungsgrad und Auftreten von Übergewicht und Diabetes bei Frauen stärker ist als bei Männern [6].

Klassifikation und Diagnose

Die Prävalenz von Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 ist bei beiden Geschlechtern annähernd gleich mit einem leichten männlichen Überhang. Lediglich im Kindesalter sind bis zur Pubertät mehr Mädchen als Buben von Typ 2 Diabetes (T2DM) betroffen. Generell ist T2DM im Kindesalter in Österreich jedoch selten. Ein zunehmendes Problem in der Jugend ist die steigende Adipositasprävalenz und damit verbunden auch ein erhöhtes Risiko für Störungen des Glukosestoffwechsels. Eine rezente Studie zeigte, dass im Kindesalter und in der Jugend mehr Buben als Mädchen in Ländern mit hohen Einkommen von Adipositas betroffen sind [7]. Interessanterweise wurde in einer rezenten Untersuchung eine höhere T2DM-Prävalenz sowie NAFLD (nicht-alkoholische Fettlebererkrankung) bei Mädchen beobachtet [8]. Im Erwachsenenalter scheinen Männer häufiger im mittleren Lebensalter und bei niedrigerem Body Mass Index (BMI) als Frauen einen Diabetes zu manifestieren [9]. Europäische populationsbezogene Verlaufsbeobachtungen weisen auf eine zwischen den Geschlechtern vergleichbare (Bruneck Study) oder für Männer höhere (KORA S4/F4 Cohort Study) Diabetesinzidenz hin [9].

Bezüglich des Stadiums „Prädiabetes“ liegt bei Frauen häufiger das Stadium der gestörten Glukosetoleranz vor, während bei Männern die erhöhte Nüchternglukose überwiegt [9, 10]. Aufgrund dessen ist die Durchführung eines OGTTs bei der Diagnostik von Glukosestoffwechselstörungen vor allem bei Frauen besonders wichtig. Bei Frauen nach Gestationsdiabetes (GDM) zeigten Studien, dass sogar bei einem Großteil eine Glukosetoleranzstörung nur anhand erhöhter 2‑h-Blutzuckerwerte im oralen Glukosetoleranztest erkannt wurde [11]. Zur höheren Rate an gestörter Glukosetoleranz (IGT) von Frauen könnten deren geringere Körpergröße und fettfreie Masse sowie eine verlängerte Darmglukoseaufnahme beitragen [12]. Eine ausgeprägtere Insulinsekretionsstörung in der frühen Phase sowie eine gesteigerte Glukoseausschüttung in der Leber kombiniert mit einer geringeren Insulinsensitivität tragen zu bei Männern häufiger vorkommenden erhöhten Nüchternglukosewerten bei [9].

Metabolisches Syndrom

Adipositas betrifft häufiger Frauen als Männer, während das Vollbild des metabolischen Syndroms je nach Definition bei beiden Geschlechtern unterschiedlich häufig beschrieben wird. Während die IDF-Kriterien annähernd gleich viele Männer und Frauen mit einem metabolischen Syndrom klassifizieren, sind durch die NCEP-ATP III oder WHO-Kriterien mehr Männer als Frauen betroffen [9]. Bei allen Definitionen sind dabei die geschlechtsspezifischen Grenzwerte für HDL-Cholesterin und den Bauchumfang bzw. die „Waist-to-Hip-Ratio“ zu beachten. Unabhängig vom BMI ist ein Bauchumfang über 102 cm bei Männern und über 88 cm bei Frauen mit einer Zunahme des Mortalitätsrisikos um ungefähr 30 % bei den beiden Geschlechtern verbunden [13]. Bei Frauen ist der Bauchumfang ein besserer Prädiktor für Diabetes als der BMI.

Sexualität

Die Ätiologie von Sexualfunktionsstörungen ist multikausal und betrifft vor allem vaskuläre, neurogene, hormonelle und psychische Komponenten, deren Zusammenwirken für eine intakte Sexualfunktion Voraussetzung ist. Vaskuläre Funktionsstörungen wie endotheliale Dysfunktion bis hin zur manifesten Atherosklerose sind bei Männern als Ursache einer erektilen Dysfunktion (ED) sehr gut dokumentiert. Männer mit Diabetes mellitus haben ein erhöhtes Risiko für erektile Dysfunktion [9]. Da in der Regel sowohl eine endotheliale Dysfunktion als auch Atherosklerose bei Gefäßen mit kleinem Lumen früher klinisch manifest werden als bei Gefäßen mit größerem Lumen, wie z. B. Koronargefäßen, wird bei Vorliegen einer ED ein umfassendes Screening auf Makroangiopathie, insbesondere auf koronare Herzkrankheit, empfohlen [14]. Die ED stellt mit hoher Wahrscheinlichkeit einen unabhängigen Marker für das kardiovaskuläre Risiko dar [9, 15]. Auch die diabetische Polyneuropathie kann zu Sexualfunktionsstörungen bei Männern mit Diabetes beitragen, sowohl als Manifestation im peripheren als auch im autonomen Nervensystem. Oxidativer Stress, gestörter Sorbitol-Stoffwechsel und Mangel an Nervenwachstumsfaktoren spielen unter anderem eine wichtige Rolle [16]. Als hormonelle Ursache für Sexualfunktionsstörungen steht der Testosteronmangel mit entsprechenden Auswirkungen auf Libido und Erregung beim männlichen Geschlecht an erster Stelle. Viszerale Adipositas im Rahmen von Diabetes und metabolischem Syndrom sowie die Gesamtfettmasse sind wesentliche Faktoren eines Testosteronmangels bei diesen Patienten [9, 15].

Bei Frauen mit Diabetes sind die kausalen pathophysiologischen Zusammenhänge ähnlich wie bei Männern mit Diabetes gelagert: endotheliale Dysfunktion und Atherosklerose, Störungen der genitalen Innervation und Veränderungen im Hormon- und Neurotransmittermuster, sowie eine ED der Klitoris wurden beschrieben. Darüber hinaus sind bei Frauen auch noch mechanische Irritationen der Schleimhäute durch unmittelbare Auswirkungen der Glykämie mit Beeinträchtigungen der Lubrikation zu berücksichtigen [17]. Die Prävalenz weiblicher sexueller Dysfunktion ist bei Frauen mit Diabetes erhöht, wird aber meist im Diabetesmanagement nicht berücksichtigt und dementsprechend nicht diagnostiziert oder behandelt [18]. Verminderte sexuelle Appetenz („hypoactive sexual desire disorder“ [HSDD] oder „female sexual interest/arousal disorder“ – Nomenklatur nicht einheitlich) ist das am häufigsten geäußerte Problem.

Ein gering höherer, möglicherweise klinisch bedeutsamer Benefit, wurde im Vergleich zu Placebo unter Flibanserin beschrieben, jedoch ist zur optimalen Versorgung eine multidisziplinäre Vorgehensweise erforderlich [18, 19]. Bei Verschreibung von Flibanserin muss eine Aufklärung zu möglichen Nebenwirkungen wie schwere Hypotonie, Schwindel, Synkope und Somnolenz v. a. in Zusammenhang mit Alkoholeinnahme, erfolgen [18]. Studien zur Wirksamkeit von Flibanserin bei Frauen mit Diabetes liegen bisher nicht vor, weshalb eine Verschreibung vom behandelnden Arzt/von der behandelnden Ärztin in Absprache mit der Patientin hinsichtlich des geringen zu erwartenden Effekts und der möglichen schweren Nebenwirkungen und Kosten abzuwägen ist [18]. Andere Medikamente zur Verbesserung der weiblichen Sexualfunktionsstörung wie Testosteron oder Bupropion werden „off label“ eingesetzt und zeigen lediglich moderate Effekte.

Sexuelle Dysfunktion als Nebenwirkung von Medikamenten spielt sowohl bei Männern als auch bei Frauen mit Diabetes eine Rolle. Dabei stehen vor allem bestimmte Antidepressiva mit Auswirkungen auf den Prolaktinstoffwechsel und reduzierter Bildung von Sexualhormonen im Fokus des Interesses. Da bei Patient:innen mit Diabetes bei ca. 18 % eine behandlungsbedürftige Depression vorliegt, bei Frauen mit Diabetes häufiger als bei Männern mit Diabetes, ist das jeweilige Antidepressivum sorgfältig auszuwählen, um Nebenwirkungen abzuwenden [20].

Als Screeningmethode empfiehlt sich bei Patient:innen mit Diabetes zumindest einmal jährlich das sorgfältige Erheben einer Sexualanamnese. Für die ergänzende Diagnostik bieten sich validierte Fragebögen wie International Index of Erectile Function-5-Score (IIEF5) für Männer [21] und Female Sexual Function Index (FSFI) für Frauen an [22]. Beide enthalten Fragen zu den wichtigen Dimensionen der Sexualität wie Libido, Erektion, Lubrikation, Orgasmus, Befriedigung und Schmerz. Bei Vorliegen einer Sexualfunktionsstörung sollte ein kompletter Status der Sexualhormone erhoben werden.

Die Therapie der Sexualfunktionsstörung orientiert sich an den Ursachen, jedoch stehen generell Lebensstilinterventionen und Tabakabstinenz im Vordergrund des Therapieansatzes. Bei vaskulärer Ursache empfiehlt sich die kontinuierliche Therapie der Atherosklerose, bei neuropathischer Ursache ist die Blutzuckereinstellung eine wichtige Maßnahme, bei hormonellen Defiziten kann die Hormonsubstitution in Erwägung gezogen werden. Der Einsatz von PDE-5-Hemmern führt bei Männern zu einer Besserung der Erektion durch Vasodilatation mit gesteigertem Blutfluss durch erhöhte Bereitstellung von Stickstoffmonoxid (NO). Der Einsatz bei Frauen zeigt kontroverse Ergebnisse und wird nur bei SSRI-induzierter Sexualfunktionsstörung empfohlen [16].

Bei psychischer Ursache der Sexualfunktionsstörung kommt psychotherapeutischen Interventionen eine wesentliche Bedeutung zu.

Lebensstil und Prävention

Lebensstilmaßnahmen können bei beiden Geschlechtern zu einer Reduktion der Hyperglykämie und Risikoreduktion für Diabetes beitragen [15]. Acarbose wirkte bei älteren normal- bis übergewichtigen Frauen ohne Hypertonie besser, Metformin vor allem bei jüngeren adipösen Männern mit erhöhten Nüchternblutzuckerwerten [11]. In einer Metaanalyse konnte gezeigt werden, dass eine Lebensstilintervention das Diabetesrisiko bei Männern und Frauen nach 3 Jahren gleichermaßen um etwa 40 % senkt [23]. Im Follow-up der Da-Qing-Studie nach 30 Jahren wurde eine signifikante Reduktion der kumulativen Inzidenz von kardiovaskulären Events um 30 % und der allgemeinen Mortalität um 41 % bei Frauen im Lebensstilinterventionsarm im Vergleich zu weiblichen Kontrollen ohne Lebensstilmaßnahmen gesenkt. Bei Männern konnte hinsichtlich kardiovaskulärer Events und der allgemeinen Mortalität eine nicht signifikante Reduktion um 20 % bzw. 15 % festgestellt werden[24], obwohl die Senkung der kumulativen Diabetesinzidenz bei Männern (39 %) und Frauen (38 %) vergleichbar war. Interessanterweise zeigte sich in der LOOK-AHEAD Studie, dass übergewichtige/adipöse Männer mit T2DM durch Lebensstilmaßnahmen innerhalb eines Zeitraums von 4 Jahren mehr Gewicht verloren haben [25]. In der rezent publizierten randomisiert kontrollierten T4DM Studie konnte gezeigt werden, dass eine Testosteronsupplementation mit 1000 mg Testosteron-undecanoate bei Männern mit niedrigen Testosteronwerten aber keinem pathologischen Hypogonadismus, IGT oder neudiagnostiziertem T2DM und erhöhtem Bauchumfang im Vergleich zu Placebo die Anzahl der Patienten mit T2DM nach 2 Jahren Behandlung signifikant um 41 % reduzieren konnte[26].

Bei Frauen scheinen bereits Prädiabetes und das metabolische Syndrom stärker als bei Männern mit erhöhten Inflammationsparametern, einer ungünstigeren Veränderung im Gerinnungssystem und höheren Blutdruckwerten einherzugehen [9, 27]. Dies bestätigt sich auch bei manifestem Diabetes und könnte zum besonders stark erhöhten kardiovaskulären Risiko bei Frauen beitragen [22, 28].

Des Weiteren wurde für Frauen bestätigt, dass anamnestisch erhobene reproduktive Faktoren (Parität, Zyklusunregelmäßigkeiten, Präeklampsie, frühe Menopause) sowie insbesondere die Anamnese eines früheren GDM mit dem Ausmaß der aktuellen Stoffwechselstörung eng assoziiert sind [15]. Frauen mit einem früheren GDM konvertierten bei vergleichbarer Studienausgangslage bezüglich Insulinresistenz, Körpergewicht und Glukosetoleranzstatus fast doppelt so häufig zu manifestem Diabetes wie jene ohne GDM in der Anamnese. Durch Lebensstilmaßnahmen und Metformin kann jedoch die Progression zu Typ 2 Diabetes signifikant um fast 40 % im Vergleich zur Kontrolle langfristig reduziert werden [29].

Diese Daten unterstützen bei Frauen die Wichtigkeit der gynäkologischen/geburtshilflichen Anamnese und die Notwendigkeit regelmäßiger, engmaschiger Nachuntersuchung nach GDM (s. auch Leitlinie Gestationsdiabetes). Bei Frauen ist in diesem Zusammenhang noch das polyzystische Ovarsyndrom, das ungefähr 10 % aller Frauen betrifft und durch erhöhte Androgenspiegel, Zyklusunregelmäßigkeiten und/oder polyzystisches Ovar charakterisiert ist und häufig von Insulinresistenz begleitet wird [30], als geschlechtsspezifischer Risikofaktor für einen Prädiabetes oder Diabetes hervorzuheben, der unbedingt bezüglich einer Glukosestoffwechselstörung abgeklärt werden soll. Demgegenüber stehen Männer mit niedrigem Testosteronspiegel, die ebenso ein erhöhtes Risiko für Diabetes aufweisen und auch in Screeningmaßnahmen einbezogen werden sollten (siehe auch Leitlinie Diabetes mellitus – Definition, Klassifikation, Diagnose, Screening und Prävention) [15].

Krankheitsbewältigung

Psychosoziale Faktoren beeinflussen die Krankheitsbewältigung und Coping-Strategien bei Männern und Frauen unterschiedlich [31]. Frauen beschäftigen sich generell intensiver mit ihrer Erkrankung und sind besser über Diabetes informiert als Männer. Zusätzlich spielen bei Frauen emotionale Faktoren und der Bezug zum behandelnden Arzt/der behandelnden Ärztin eine größere Rolle. Männer wiederum profitieren besonders von strukturierten evidenzbasierten Diabetes-Management-Programmen. Diabetes verschlechtert die gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Frauen stärker als bei Männern [32].

Orale Antidiabetika, GLP-1-Analoga und Insulin

Frauen erreichen unter Therapie weniger häufig die HbA1c-Ziele trotz höherem Risiko für Hypoglykämien [33]. Unter einer Kombinationstherapie mit Metformin- und Sulfonylharnstoffen wurde eine stärkere HbA1c Senkung bei Männern berichtet [34, 35]. Im Nebenwirkungsprofil einiger Medikamente gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede (Tab. 1). So weisen postmenopausale Frauen unter Glitazontherapie, trotz eines möglicherweise effektiveren blutzuckersenkenden Effekts im Vergleich zu Männern bei Adipositas [34], häufiger Knochenbrüche auf. Die Ursache für diesen Geschlechtsdimorphismus ist bisher unklar. In der Substanzklasse der SGLT2-Hemmer sind häufiger Ketoazidosen, insbesondere aber Harnwegsinfekte und Genitalinfektionen, v. a. Pilzinfektionen, bei Frauen beschrieben (Risiko für Frauen bereits vor Beginn einer SGLT2-Inhibitortherapie 3‑fach höher als bei Männern, unter Therapie bei beiden Geschlechtern erhöht), v. a. wenn schon früher rezidivierend Infektionen im Urogenitalbereich aufgetreten sind.

Tab. 1 Geschlechtsspezifische Unterschiede in der multifaktoriellen medikamentösen Therapie des Typ‑2-Diabetes [36, 76]

Unter Basalinsulintherapieeinsatz wurden besonders bei nur leicht übergewichtigen Frauen häufiger schwere Hypoglykämien beschrieben [33], vermutlich aufgrund höherer Insulindosen bezogen auf das Körpergewicht. Dies trifft aber auch für normalgewichtige und leicht übergewichtige Männer zu. Bei Exenatid werden häufiger gastrointestinale Beschwerden sowie tendenziell höherer Gewichtsverlust und Reduktion von Nüchternglukose und Blutdruck bei Frauen beschrieben. In allen kardiovaskulären Outcomestudien zu SGLT2-Hemmern oder GLP-1RA waren insgesamt weniger Frauen eingeschlossen, die auch im Beobachtungsverlauf weniger kardiovaskuläre Ereignisse zeigten. Die kardiovaskuläre Risikoreduktion war bei Frauen mit Diabetes in allen diesen kardiovaskulären Outcome-Studien nicht signifikant, obwohl keine Interaktion mit dem Geschlecht gefunden und positive Trends bestätigt wurden [36]. Diese Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind wohl durch die geringere Anzahl an Studienteilnehmerinnen sowie der generell niedrigeren Rate an kardiovaskulären Ereignissen im Beobachtungszeitraum bei den Frauen und der daraus resultierenden niedrigeren statistischen Power bedingt. Jedenfalls bestätigte eine gepoolte Analyse von Outcome-Studien für beide Substanzklassen eine signifikante Senkung des kardiovaskulären Risikos (primäre kardiovask. Outcomes) bei Männern wie auch bei Frauen [37]. Auch in einer systematischen amerikanischen Übersichtsarbeit erwies sich der positive Effekt auf die kardiovaskuläre Mortalität und Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz bei Männern und Frauen als vergleichbar [38]. Trotzdem wurde gezeigt, dass SGLT2-Hemmer bei Frauen mit T2DM selbst bei bekannter KHK, Nieren- oder Herzinsuffizienz, ebenso wie generell bei sozial benachteiligten Menschen seltener angewendet wurden [39]. Im Vergleich zu Sulfonylharnstoffen waren sowohl DPP4-Hemmer, GLP1-Rezeptoragonisten als auch SGLT2-Hemmer mit weniger kardiovaskulären Ereignissen (Myokardinfarkt/instabile Angina, Schlaganfall oder Herzinsuffizienz) bei beiden Geschlechtern assoziiert [40], wobei bei Frauen durch GLP1-RA signifikant bessere kardiovaskuläre Effekte erzielt wurden als bei Männern.

Multifaktorielles Risikomanagement

Frauen mit Diabetes erreichen weniger häufig die leitlinienkonformen Therapieziele für HbA1c, Blutdruck und/oder Lipide [36, 41]. Das könnte auf Unterschiede in der Rate an Komorbiditäten, an Krankheitssymptomen, in der ärztlichen Einschätzung der Gefährdung der Patientinnen und Patienten bzw. dem ärztlichen Kommunikations- und Verordnungsmodus, in der Therapieadhärenz oder aber auch in der allgemein höheren Nebenwirkungsrate in der Pharmakotherapie bei Frauen zurückgeführt werden. Allerdings reagieren Frauen auf bestimmte kardiovaskuläre Risikomarker sogar empfindlicher im Risikoanstieg für Komplikationen als Männer. Frauen haben eine höhere Salzsensitivität und reagieren auf Salzzufuhr mit einem deutlicheren Blutdruckanstieg, profitieren aber auch stärker bei Salzrestriktion. Ebenso führen hohe Serumtriglyzeride und niedrige HDL-Cholesterinwerte bei Frauen zu einem höheren Anstieg im kardiovaskulären Risiko. Rauchen ist bei Frauen mit einem um 25 % höheren Risiko für Myokardinfarkte verbunden als bei Männern und sollte bei beiden Geschlechtern bei Diabetes unbedingt vermieden werden (siehe Leitlinie Diabetes und Rauchen, Alkohol). Unterschätzte kardiovaskuläre Risikofaktoren sind ein der Gestationsdiabetes, das PCOS und eine Schwangerschaftshypertonie oder Präeklampsie, die bei Frauen mit Diabetes öfter auftreten [4]. Junge Frauen mit Zustand nach Gestationsdiabetes haben ein 2‑fach höheres Risiko für kardiovaskuläre Events [42].

Bei Frauen steigt das Risiko für Adipositas, Dyslipidämie, Hypertonie und Glukosestoffwechselstörungen nach der Menopause deutlich an, weswegen ein regelmäßiges Monitoring dieser Risikoparameter in dieser Phase besonders wichtig ist [4, 43].

Besorgniserregend ist, dass insbesondere Hochrisikopatientinnen mit KHK eine schlechtere Kontrolle modifizierbarer kardiovaskulärer Risikofaktoren aufweisen und weniger häufig eine intensive lipidsenkende Therapie erhalten als Männer mit KHK [10, 36, 44]. Eine rezente systematische Übersichtsarbeit mit randomisiert kontrollierten kardiovaskulären Outcomestudien bei T2DM zeigte deutlich ein schlechteres kardiovaskuläres Risikomanagement mit höheren systolischen Blutdruckwerten, höherem LDL-Cholesterin und höherem HbA1c bei den Frauen [45]. Frauen erhielten auch weniger häufig Statine, Betablocker oder Acetylsalicylsäure [45].

Statine wirken bei Frauen und Männern annähernd gleich [46]. In einer rezenten und bisher größten Metaanalyse konnte für beide Geschlechter ein vergleichbarer Benefit hinsichtlich vaskulärer und nichtvaskulärer Outcomes durch Atorvastatin und Rosuvastatin in der primären und sekundären Prävention beobachtet werden [47]. In der SATURN Studie konnte unter Hochdosis –Rosuvastatintherapie eine signifikant höhere prozentuelle Atheromvolumenreduktion bei Frauen im Vergleich zu Männern beobachtet werden [48]. Auch unter Evolocumabtherapie wurden ähnliche Resultate berichtet [49]. Unter einer Fenofibrattherapie im Vergleich zu Plazebo war der lipidsenkende Effekt bei Frauen mit T2DM ausgeprägter als bei Männern und mit einer – wenn auch nicht signifikant unterschiedlichen – höheren Reduktion kardiovaskulärer Events verbunden [50]. Bei den Antihypertensiva ist zu berücksichtigen, dass Frauen für die Auslösung von Arrhythmien durch QT-verlängernde Substanzen empfindlicher sind und bei Betablockern oft niedrigere Dosen als Männer benötigen. ACE-Hemmer scheinen bei Frauen die kardiovaskuläre Mortalität weniger stark zu senken, dafür aber eine Nephropathieentwicklung stärker zu verzögern, während AT-Rezeptor-Antagonisten bei Frauen besser wirksam sein könnten [51].

Thrombozytenaggregationshemmer

Eine Therapie mit ASS ist bei Frauen mit einer geringeren antithrombotischen Wirkung und zudem auch mit einem höheren Blutungsrisiko assoziiert. ASS reduziert in der Primärprävention bei Frauen im Gegensatz zu Männern nicht das Myokardinfarktrisiko, wohl aber das Risiko für ischämische Insulte [52]. Eine rezente systematische Übersichtsarbeit zeigte bei Männern in der Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse eine signifikante relative Risikoreduktion von kardiovaskulären Ereignissen (MACE) mit einer Reduktion um 11 %, wohingegen bei Frauen der Effekt nicht signifikant war [53].

Viele Studien zeigen, dass Frauen mit kardiovaskulärem Risiko seltener ASS erhalten als Männer, obwohl für Frauen mit Diabetes in der Sekundärprävention ebenso wie für Männer ASS empfohlen wird (75–325 mg/Tag, Evidenzlevel A). In der Primärprävention sind die Daten weniger klar. Für Männer und Frauen mit Diabetes kann zwischen 50 und 70 Jahren auf individueller Basis und nach entsprechender Aufklärung und Nutzen-Risiko Abwägung eine Therapie mit ASS (75–162 mg/Tag) überlegt werden (Evidenzlevel B–C) [54, 55]. In der ASCEND Studie konnte zwar eine Reduktion von vaskulären Ereignissen unter ASS 100 mg bei Menschen mit Diabetes mellitus in der Primärprävention festgestellt werden, jedoch war auch die Ereignisrate für Blutungen um 29 % erhöht. Geschlechtsspezifische Unterschiede wurden weder bei Risikoreduktion vaskulärer Ereignisse noch im Blutungsrisiko festgestellt [56].

Aufgrund des erhöhten Blutungsrisiko und des geringen Nettobenefits in rezent publizierten RCTs und Metaanalysen wird in internationalen Leitlinien die Verwendung von ASS in der Primärprävention, vor allem in höherem Alter (> 70 Jahre) und bei moderatem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (auch bei Diabetes mellitus) nicht empfohlen [57]. Bei Hochrisikopatienten kann ASS in Erwägung gezogen werden.

Komplikationen und Komorbiditäten

Makrovaskuläre Komplikationen

Während bei Männern mit und ohne Diabetes mellitus die kardiovaskuläre Mortalität im letzten Jahrzehnt abnahm, bleibt die Rate bei Frauen mit Diabetes unverändert hoch oder steigt sogar tendenziell an [9, 58]. Frauen mit Diabetes mellitus haben vor allem bei Diagnosestellung häufiger eine fortgeschrittene Atherosklerose verglichen mit Männern [34]. Ein höheres Risiko für Tod durch KHK ist bei Frauen mit Diabetes bekannt (Tab. 2). Neuere Studien konnten zeigen, dass diese geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich kardiovaskulärer Mortalität aber auch der Entwicklung einer Herzinsuffizienz bei Diabetes mellitus weiterhin bestehen und in jüngeren Altersgruppen sogar noch deutlich ausgeprägter sind [59,60,61]. Daher scheinen auch Forderungen nach intensiveren Bemühungen für Screeningmaßnahmen für Glukosestoffwechselstörungen und anderen kardiovaskulären Risikofaktoren, sowie der frühzeitigen Etablierung prophylaktischer Maßnahmen gerechtfertigt [61].

Tab. 2 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei diabetesassoziierten Komplikationen und Komorbiditäten. (Nach [9, 77])

Nach einem Myokardinfarkt haben Frauen eine schlechtere Prognose. Dabei dürfte vor allem der fehlende protektive Effekt der weiblichen Geschlechtshormone eine Schlüsselrolle einnehmen. Die Symptome eines akuten Koronarsyndroms sind bei Frauen oft komplex und untypisch mit stärkerer vegetativer Ausprägung (Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Übelkeit, Hals‑, Kiefer- oder Rückenschmerzen etc.) und werden deshalb häufiger fehlinterpretiert; Hypertonie ist besonders bei Frauen mit Diabetes ein wichtiger Risikofaktor für KHK, aber auch für Herzinsuffizienz. Daraus folgt, dass die Blutdruckkontrolle bei Frauen strikt verfolgt werden muss. Eine Metaanalyse stellte bei Frauen und Männer mit T1DM oder T2DM ein höheres Risiko für Herzinsuffizienz im Vergleich zu gesunden Frauen und Männern fest [62]. Im direkten Vergleich zu Männern haben aber Frauen mit T1DM oder T2DM das höhere relative Risiko (T1DM 47 %, T2DM 9 %). Auch das Risiko für eine Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz ist bei Frauen mit T2DM höher [45, 63]. In einer niederländischen Observationsstudie wurde eine 25 % höhere Inzidenzrate für den primären Endpunkt (Mortalität oder Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz) bei Männern mit bekannter chronischer Herzinsuffizienz beobachtet. Komorbiditäten wie Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz oder chronische Lungenerkrankungen zeigten jedoch bei Frauen mit bekannter chronischer Herzinsuffizienz stärkere Assoziationen mit dem primären Endpunkt [64].

Frauen leiden öfter unter einer diastolischen, Männer öfter unter einer systolischen Dysfunktion. Frauen leiden auch wesentlich häufiger an einer HFpEF [4, 65]. Empagliflozin konnte auch in dieser Gruppe in der EMPEROR-Preserved-Studie den primären Endpunkt, eine Kombination von kardiovaskulärem Tod und Hospitalisierung aufgrund der Herzinsuffizienz, erreichen. Eine geschlechtsspezifische gepoolte Metaanlyse ergab, dass die Effekte von SGLT2 Hemmern auf vaskuläre Risiken und Tod, ebenso wie auf unerwünschte Nebenwirkungen zwischen Männern und Frauen vergleichbar war [66]. Eine geschlechtsspezifische Analyse der TOPCAT-Studie (52 % Frauen) zeigte, dass Frauen im Gegensatz zu Männern über das ganze Spektrum der Herzinsuffizienz von einer Spironolaktontherapie profitieren [67], im amerikanischen Studienarm war die Gesamtmortalität nur bei Frauen signifikant vermindert [68]. In der PARAGON-HF Studie (52 % Frauen) wurde unter Therapie mit ARNI (Sacubitril valsartan) in einer präspezifizierten Subgruppenanalyse nur bei Frauen eine signifikante (−27 %) Reduktion des primären Endpunkts (kardiovaskulärer Tod und Hospitalisierung aufgrund der Herzinsuffizienz) erreicht, auch wenn das Ergebnis der verminderten Hospitalisierungsrate zuzuschreiben war [69, 70]. Die Frauen wiesen öfter Adipositas, weniger oft eine koronare Herzkrankheit und Diabetes (40 vs. 46 %) auf und waren stärker symptomatisch.

Die nichtinvasive Diagnostik der KHK hat bei Frauen eine besonders niedrige Sensitivität und Spezifität, insbesondere die Ergometrie ist wenig aussagekräftig. Oft liegen auch trotz Beschwerden blande Koronarien im Katheter vor (MINOCA), da v. a. bei jüngeren Frauen mikrovaskuläre funktionelle Störungen oder Spasmen überwiegen [71]. Provokationstests und Stresstests können pathologische Veränderungen aufzeigen.

Mikrovaskuläre Komplikationen

BMI, Alter und höhere Blutzuckerwerte scheinen bei Männern stärkere Prädiktoren für einen Nierenfunktionsverlust darzustellen. Zu beachten ist des Weiteren, dass Frauen mit Diabetes ein besonders hohes Risiko für Harnwegsinfekte haben, welche konsequent behandelt werden müssen.

Bei Retinopathie und Neuropathie sind bisher nur wenige Geschlechtsunterschiede beschrieben (Tab. 2). In der rezent publizierten Maastricht Studie konnte ein höheres Risiko für Nephropathie, Retinopathie und sensorische Neuropathie bei Männer mit T2DM im Vergleich zu gesunden Männern festgestellt werden. Dies war bei Frauen mit T2DM im Vergleich zu gesunden Frauen nicht der Fall [72].

Tumoren

Diabetes ist mit einem höheren Krebsrisiko verbunden, wobei Übergewicht eine zusätzliche wichtige Rolle spielt. Frauen mit Diabetes haben ein höheres Risiko für Brustkrebs und ein doppelt so hohes Risiko für Endometriumkarzinome, während bei Männern das Risiko für Prostatakarzinom etwas niedriger ist [73]. Außerdem ist bei beiden Geschlechtern das Risiko für Pankreaskarzinome, Darmkrebs und Leberkrebs deutlich erhöht. Frauen mit Diabetes nehmen seltener an Vorsorgeuntersuchungen (Mammographie) teil [74]. Bei beiden Geschlechtern ist auf die Durchführung der allgemein empfohlenen Screeninguntersuchungen unbedingt zu achten.

Osteoporose

Diabetes ist mit einem höheren Osteoporose- und Frakturrisiko assoziiert, wobei der Knochenstoffwechsel und die Knochenqualität – selbst bei erhaltener Knochenmasse – ungünstig verändert sind. Männer mit Neuropathie scheinen besonders gefährdet [75]. Männer und Frauen mit Diabetes sollen auf ihr individuelles Osteoporoserisiko untersucht werden.

Depressionen

Diabetes ist häufig mit depressiven Störungen verbunden, welche bei Frauen doppelt so häufig wie bei Männern diagnostiziert werden, aber bei Männern häufig nicht erkannt werden. Auch Angststörungen und kognitive Einschränkungen werden häufiger bei Frauen mit Diabetes mellitus beobachtet [9]. Es soll deshalb bei beiden Geschlechtern regelmäßig auf das Vorliegen einer Depression geprüft werden (siehe Leitlinie psychische Erkrankungen).

Zusammenfassung

Auch wenn derzeit noch viele Fragen in Bezug auf biologische und psychosoziale geschlechtsspezifische Aspekte in der Entstehung, Prävention und Therapie des Diabetes offen sind und eine wichtige Aufgabe und Herausforderung für zukünftige Forschung darstellen, muss dennoch auf Basis der derzeitigen stetig zunehmenden Erfahrungen und Erkenntnisse bereits eine geschlechtssensible medizinische Betreuung der Patientinnen und Patienten in der Praxis mit Ziel der Personalisierung der medizinischen Betreuung gewährleistet werden. Insbesondere ist auf eine konsequente leitlinienkonforme Therapie modifizierbarer kardiovaskulärer Risikofaktoren bei beiden Geschlechtern zu achten. Dies sollte auch bereits in jüngeren Altersgruppen konsequent umgesetzt werden.