Zusammenfassung
Es besteht eine hohe Prävalenz an Diabetes mellitus Typ 2 bei über 70-Jährigen in industrialisierten Ländern. Dieser Artikel enthält Empfehlungen für Diagnose, Prävention und Therapieziele in der Behandlung älterer Menschen mit Diabetes anhand der aktuellen Evidenzlage.
Summary
There is a high prevalence of diabetes mellitus in the elderly population of industrial countries. The present article provides recommendations for the screening, prevention and treatment of elderly diabetic patients according to current scientific evidence.
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Demographie
Die Prävalenz an Diabetes mellitus Typ 2 liegt bei über 70-Jährigen in industrialisierten Ländern bei 20–25 %. Werden systematisch auch Formen des „Prädiabetes“ (gestörte Nüchternblutglukose; pathologische Glukosetoleranz) erfasst, steigt der Prozentsatz der von Glukosestoffwechselstörungen betroffenen älteren Personen auf annähernd 50 % [1, 2]. In der westlichen Welt ist die bis 2030 prognostizierte Steigerung der Diabetesinzidenz vor allem durch den demographischen Wandel bedingt. Der Anteil eines autoimmunbedingten Diabetes (LADA-Diabetes) ist mit weniger als 5 % bei über 70-Jährigen gering.
Screening
Generell sind zur Diagnose eines Diabetes die Bestimmung der Nüchternblutglukose, der 2 h Glukose (nach oraler Gabe von 75 g im OGTT) oder des HbA1c als gleichwertig anzusehen [3, 4]. Durch ausschließliche Erfassung der Nüchternblutglukose wird bei über 70-Jährigen häufig eine postprandiale Hyperglykämie im Sinne eines manifesten Diabetes mellitus übersehen, da mit zunehmendem Alter eine progrediente β‑Zell-Dysfunktion vorliegt [5]. Ein oraler Glukosetoleranztest wird zwar zur Abklärung der Stoffwechselsituation empfohlen, ist aber bei älteren Menschen oft technisch nicht möglich. Ein HbA1c-Wert von ≥ 6,5 % entspricht einem Diabetes mellitus und kann für ein Screening herangezogen werden. Ein HbA1c-Wert zwischen 5,7–6,4 % geht mit einem erhöhtem Diabetesrisiko einher [3, 4]. Auch Personen mit Erstdiagnose Diabetes im höheren Alter entwickeln makro- und mikrovaskuläre Komplikationen und leiden unter einer höheren Morbidität und Mortalität als gleichaltrige Personen ohne Diabetes [6], wobei dieser Effekt erst nach mehrjähriger Diabetesdauer nachweisbar ist [7]. Die Gesamtmortalität und der kardiovaskuläre Tod waren in einer Auswertung schwedischer Registerdaten in allen Altersgruppen (von < 55 bis ≥ 75 Jahren) abhängig von der Höhe des HbA1c (von ≤ 6,9 % bis ≥ 9,7 %) gesteigert. Die Hazard Ratio für Ereignisse nahm jedoch mit zunehmenden Alter ab [8].
Prävention
Laut prospektiver Diabetespräventionsstudien (DPP) vermindert Lebensstilmodifikation (Ernährungsumstellung, geringe Gewichtsreduktion, Steigerung der körperlichen Aktivität) auch bei Risikopersonen mit gestörter Glukosetoleranz über dem 60. Lebensjahr die Diabetesinzidenz [9]. Prospektive Daten für über 70-Jährige liegen dazu aber nicht vor. In einer longitudinalen Kohortenstudie mit einem männlichen Kollektiv und durchschnittlichem Alter von 70 Jahren konnte das Diabetesrisiko durch regelmäßige körperliche Aktivität deutlich gesenkt werden [10]. In einem nicht-diabetischen adipösen Kollektiv mit einem Alter von 65 Jahren und darüber konnte gezeigt werden, dass vor allem eine Kombination von Gewichtsreduktion mit Diät und regelmäßiger körperlicher Aktivität die körperlichen Funktionen verbesserte [11]. Regelmäßige körperliche Aktivität und Krafttraining (wenn nicht kontraindiziert) sind bis ins höchste Alter gesundheitsfördernd, aber aufgrund physischer Limitationen im Alter häufig im Alltag nicht umsetzbar [12].
Ernährung
Generell gelten auch für ältere und betagte Patienten mit Diabetes mellitus die gleichen Ernährungsempfehlungen wie für jüngere (s. Leitlinie Ernährung). Auf die Problematik einer iatrogenen Mangelernährung bei über 70-Jährigen wird hingewiesen. Davon sind vor allem multimorbide und pflegebedürftige Menschen betroffen. Eine Ernährung die an den kulturellen Hintergrund, persönliche Ziele und Vorlieben angepasst wird, erhöht die Lebensqualität, die Zufriedenheit mit den Mahlzeiten und verbessert den Ernährungsstatus [13]. Eine einseitige strikte „Diabeteskost“ in Pflegeheimen ist somit obsolet. Die adäquate Deckung des Energiebedarfs und die Erhaltung einer bestmöglichen Lebensqualität sind in dieser Betreuungssituation als vorrangige Ziele zu sehen. Die tägliche Aufnahme an Energie wird mit ca. 30 Kcal pro kg Körpergewicht empfohlen. Je nach Ernährungszustand, körperlicher Aktivität, Stoffwechselsituation und Toleranz muss dieser Wert individuell angepasst werden [14]. Ältere Menschen benötigen aufgrund der anabolen Resistenz und dem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Sarkopenie einen erhöhten Proteinanteil (1–1,5 g/kg/KG pro Tag) vor allem wenn sie körperliches Training (Muskelkräftigung) durchführen und sofern keine höhergradige Niereninsuffizienz vorliegt [15]. Unterschreitet die tägliche Kalorienzufuhr 1500 Kcal, ist mittelfristig mit Defiziten an Vitaminen und Spurenelementen zu rechnen. Eine entsprechende Supplementation wird empfohlen. Besonders zu beachten ist eine adäquate Zufuhr von Vitamin D und Calcium (s. Leitlinie Ernährung).
Der geriatrische Patient, Frailty und Sarkopenie
Der geriatrische Patient ist durch seine Multimorbidität charakterisiert und hat meistens aber nicht zwingend auch ein hohes biologisches Lebensalter. Die Behandlung von alten Menschen mit Diabetes ist komplex, da es sich um ein heterogenes Kollektiv handelt. Manche sind weitgehend gesund, erkranken an Diabetes im fortgeschrittenen Alter und entwickeln keine Komplikationen, andere wiederum leiden an unterschiedlichen chronischen Erkrankungen und entwickeln beträchtliche diabetes-assoziierte Komplikationen, kognitive und funktionelle Einschränkungen oder Frailty [16, 17]. Zur Definition der Behandlungsziele sollten beim geriatrischen Patienten geriatrische Syndrome – und damit funktionelle und kognitive Einschränkungen, eingeschränkte Mobilität, Sturzneigung, chronische Schmerzen, Harninkontinenz oder Depression – Berücksichtigung finden. Diese geriatrische Multimorbidität stellt für den betroffenen Menschen im Alltag eine große Beeinträchtigung und darüber hinaus ein wichtiges Risiko für verminderte Lebensqualität dar. Geriatrische Syndrome treten bei älteren Menschen mit Diabetes mellitus signifikant häufiger auf als bei Gleichaltrigen ohne Diabetes (in manchen Studien sogar doppelt so häufig!) [7, 18,19,20].
Frailty („Gebrechlichkeit“) ist ein wichtiges geriatrisches Syndrom, welches mit einem Verlust von Selbständigkeit, einer funktionellen Beeinträchtigung und Abhängigkeit, sowie einer verminderten Reserve und Widerstandskraft gegenüber Stressoren verbunden ist. Folgen sind eine erhöhte Rate an Stürzen, Pflegebedürftigkeit, Unterbringung in einer Pflegeinrichtung und erhöhte Mortalität. Die häufig verwendete Definition für Frailty nach Fried beschreibt einen physischen Phänotyp mit 5 Kriterien: ungewollter Gewichtsverlust (> 5 kg in 12 Monaten), muskuläre Schwäche (mit Handkraftmessung festgestellt), subjektiv empfundene Erschöpfung, langsamer Gang (Ganggeschwindigkeit < 0,8 m/s über mindestens 4 m), niedriges physisches Aktivitätsniveau. Frailty besteht wenn mindestens 3 Merkmale zutreffen [21, 22].
Sarkopenie ist durch einen Verlust an Muskelmasse und Muskelfunktion im Alter gekennzeichnet und kann durch Messung der Handkraft oder der Ganggeschwindigkeit erkannt werden [23]. Sarkopenie und Frailty nach Fried überlappen sich in diesen beiden Diagnosekriterien. Der Muskel spielt eine wichtige Rolle für die Steuerung des Glukosestoffwechsels. Bei älteren Menschen mit Diabetes besteht eine höhere Prävalenz für Sarkopenie, eine verminderte Muskelmasse, eine verminderte Muskelqualität, eine verminderte Muskelkraft, eine geringere Ganggeschwindigkeit und ein beschleunigter Muskelabbau verglichen mit Kontrollen ohne Diabetes [24, 25]. Es wird empfohlen bei älteren Menschen mit Diabetes ein Frailty/Sarkopenie Screening durchzuführen [22]. Für beide stehen praxistaugliche Fragebögen mit einem Aufwand von wenigen Minuten zur Verfügung (SARC‑F für Sarkopenie und FRAIL für Frailty) [26, 27]. Für die Praxis scheint die Diagnose nach den Europäischen Sarkopenie-Kriterien bzw. nach den Frailty-Kriterien nach Fried zu umfangreich und nur unter stationären Bedingungen umsetzbar [28]. Für ältere Betroffene mit Diabetes und Frailty wird neben einem HbA1c von 7,5–8 % ein altersangepasstes körperliches Trainingsprogram, das auch ein Krafttraining und eine ausreichende Aufnahme von Energie bzw. Protein als therapeutische Intervention beinhalten soll, empfohlen [29,30,31,32].
Der Behandler muss die Heterogenität des älteren Menschen bei der Wahl der individuellen Therapieziele berücksichtigen. Zur Therapieplanung können Patienten mit Diabetes im Alter in unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichem Ausmaß an funktioneller Abhängigkeit eingeteilt werden (Tab. 1 und 2) (übernommen von [28]).
Die Diagnose eines Typ 2 Diabetes erhöht das Risiko eines kognitiven Abbaus in den Folgejahren [33] bzw. das Risiko für die Entwicklung einer Demenz [34]. Eine schlechte aber auch instabile glykämische Kontrolle ist mit einem kognitiven Abbau assoziiert [35, 36]. Das erhöhte Risiko einer nachlassenden kognitiven Leistung kann aber durch Zielwerterreichung von Risikofaktoren zusätzlich zum HbA1c schrittweise reduziert werden [37]. Das Vorliegen einer kognitiven Beeinträchtigung kann das Erreichen von Therapiezielen erschweren, da komplexere Therapieumsetzungen, Selbstmanagement, Ernährungsumstellung, Dosisanpassung einer Insulintherapie oder Glukosekontrollen für den Patienten nicht durchführbar sind. Es ist daher wichtig einfache Therapiestrategien für Patienten mit Demenz zu wählen. Das Risiko einer Depression ist bei Diabetes um das 2‑fache erhöht [38]. Diabetiker mit Depressionen wiesen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Demenz auf bzw. hatten eine erhöhte Gesamtmortalität und kardiovaskuläre Mortalität [39,40,41,42]. Bei Erwachsenen mit 65 Jahren oder älter wird ein Screening zur Erkennung einer kognitiven Beeinträchtigung, Demenz und Depression bei Erstvorstellung und danach jährlich je nach Bedarf empfohlen [43]. Für das Screening der Kognition kann der Minimental State Examination (MMSE) [44], der Mini-Cog [45] oder der Montreal Cognitive Assessment Test (MOCA) [46] verwendet werden. Bei Auffälligkeiten sollte eine diagnostische Abklärung inklusive neuropsychologischer Begutachtung folgen [47].
Therapieziele (Glukose)
Generell gelten für ältere Menschen mit Diabetes die gleichen Stoffwechselziele wie für jüngere, wenn diese unter entsprechender Lebensstilführung und medikamentöser Therapie sicher und mit adäquater Lebensqualität erreicht werden können (s. Leitlinie Antihyperglykämische Therapie bei Diabetes mellitus Typ 2). In einer retrospektiven Kohortenstudie bei über 60-Jährigen kam es zu einem Anstieg der Mortalität bei einem HbA1c-Wert von < 6 % und > 8 % [48]. Eine zu aggressive Therapie bei älteren Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung und Komplikationen hat nicht zu einer gesundheitlichen Verbesserung geführt, sondern eher geschadet [49]. Je höher das Lebensalter bei Erstdiagnose eines Diabetes mellitus ist, desto geringer werden auch die Unterschiede im altersentsprechenden Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko im Vergleich zu Menschen ohne Diabetes (gezeigt für über 70-Jährige) [50]. Demzufolge können im Alter, in Abhängigkeit von individuell zu beurteilender Multimorbidität mit mehreren gleichzeitig bestehenden chronischen Erkrankungen, bei eingeschränktem funktionellen Status, funktioneller Abhängigkeit, bei Demenz und damit einhergehender verkürzter Lebenserwartung auch höhere HbA1c-Zielwerte toleriert werden (Tab. 2).
Eine optimale Diabetestherapie älterer Patienten sollte einerseits darauf abzielen, die Entwicklung dieser geriatrischen Syndrome zu verhindern und andererseits bei Vorhandensein dieser Problematik adäquate ganzheitliche Betreuungskonzepte im interdisziplinären Kontext anzubieten. Gründe für eine Anhebung der individuell festgelegten Stoffwechselziele sind: hohes Risiko für Hypoglykämien laut Anamnese (da Sturzgefahr und verschlechterte Kognition), Pflegebedürftigkeit, Multimorbidität, fortgeschrittene Demenz, funktionelle Abhängigkeit sowie begrenzte Lebenserwartung aufgrund einer konsumierenden oder progredienten Grundkrankheit (Tab. 2).
Eine chronische Erhöhung der Nüchternglukosewerte über 180 mg/dl bzw. der postprandialen Werte über 300 mg/dl erfordert jedenfalls eine Therapieintensivierung bzw. Therapieumstellung (z. B. Beginn einer Insulintherapie), da mit manifester Glukosurie und entgleister Hyperglykämie Dehydrierung, Infektionen, eine Verschlechterung der Kognition und Kachexie verbunden sind [53, 58].
Da gerade ältere Patienten nur eingeschränkt oder gar nicht auf Hypoglykämien reagieren und die dabei auftretenden Symptome oft unspezifisch (Schwindel, Schwäche, Verwirrtheit, Stürze) sind [59], sollten diese unbedingt vermieden werden. Schwere und häufigere Hypoglykämien sind mit einem erhöhten Risiko einer Demenzentwicklung assoziiert [60]. Umgekehrt führt eine schlechte kognitive Leistung zu einem erhöhten Risiko für schwere Hypoglykämien [61].
Therapieziele (Blutdruck)
Prinzipiell erscheinen im höheren Lebensalter der systolische Blutdruck und der Pulsdruck (Blutdruckamplitude) als entscheidende Risikofaktoren für kardiovaskuläre Komplikationen [62]. Prospektive Interventionsstudien, welche ausschließlich alte diabetische Patienten eingeschlossen haben, liegen derzeit nicht vor. Das mittlere Alter bei Einschluss der Patienten in der ACCORD-Studie betrug 62 Jahre. In der ACCORD-Studie brachte die Absenkung der Zielblutdrucks auf systolisch unter 120 mm Hg im Vergleich zu einem Zielblutdruck von systolisch unter 140 mm Hg keine Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte [49]. Ausschließlich über 80-jährige Patienten wurden in der HYVET-Studie inkludiert, wobei der Anteil an Personen mit Diabetes mit ca. 7 % und der Anteil an kardiovaskulärer Vorerkrankung mit ca. 12 % sehr gering war und die Patienten funktionell unabhängig waren. Die Erreichung eines Zielblutdruckwertes von < 150/90 mm Hg war mit einer signifikanten Reduktion der Gesamtmortalität um 21 % und mit einer signifikanten Reduktion der kardiovaskulären Ereignisse um 34 % assoziiert [63]. Im Vergleich zur HYVET Studie wurden in der SPRINT Studie ältere Patienten mit erhöhter Vulnerabilität und reduzierter Ganggeschwindigkeit rekrutiert. Die eingeschlossene Population hatte ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko aber keinen Diabetes. Der Anteil der > 75-jährigen lag bei 28 %. Eine stärkere Blutdrucksenkung auf 124/62 mm Hg führte zu einer signifikanten Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen, Herzinsuffizienz und Gesamtmortalität um > 30 % bei allen Endpunkten verglichen mit einer Standardbehandlung und einem durchschnittlichen Blutdruck von 135/67 mm Hg [64]. In einer Meta-Analyse konnte gezeigt werden, dass es durch eine medikamentöse blutdrucksenkende Therapie auch im höheren Alter zu einer Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen kam. Es sollte daher keine Differenzierung bei den Blutdruckzielen aufgrund des Alters vorgenommen werden [65]. Die ESC Prevention Guidelines 2021 empfehlen in behandelten Patientin > 70 Jahre einen systolischen Blutdruck generell auf < 140 mm Hg und eine weitere Senkung auf bis zu 130 mm Hg. Der diastolische Blutdruck soll auf < 80 mm Hg gesenkt werden [57]. Die American Diabetes Association unterstützt diese Ziele und empfiehlt generell einen Blutdruck von < 140/90 mm Hg. Bei multimorbiden und funktionell stark abhängigen Patienten liegt das Ziel bei < 150/90 mm Hg [43].
Die empfohlene Auswahl an Antihypertensiva entspricht jener für jüngere Patienten und orientiert sich an Komorbiditäten, Verträglichkeit, Nebenwirkungen und Kontraindikationen [55, 66].
Therapieziele (Lipide)
Generell gelten für den älteren Diabetiker die gleichen Lipidzielwerte wie für den jüngeren, wenn diese unter entsprechender Lebensstilführung und medikamentöser Therapie sicher erreicht werden können. Dies trifft insbesondere auf funktionell unabhängige, aktive und selbstständige Personen zu. Die Leitlinien der ESC und des EASD empfehlen einen zielwert-orientierten Therapieansatz [57, 67, 68], der sich nach dem individuellen Risiko richtet (je nach Risiko LDL < 100 mg/dl bzw. < 70 mg/dl oder < 55 mg/dl) (Tab. 2). In prospektiven Interventionsstudien waren die erzielten relativen Risikoreduktionen vergleichbar mit denen jüngerer PatientInnen, die absolute Risikoreduktion gemäß dem höheren Hintergrundrisiko sogar größer [69, 70]. Geriatrische Patienten im Alter > 80 Jahren profitieren von einer Statintherapie in der Sekundärprävention hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse [68, 71]. Der Beginn mit einer Statintherapie in der Primärprevention kann für Ältere > 70 Jahre in Erwägung gezogen werden, wenn ein hohes oder sehr hohes Risiko besteht [57]. Bei ausgeprägter Multimorbidität, fortgeschrittener Demenz und stark reduzierter Lebenserwartung, ist die Indikation zur lipidsenkenden Therapie auf Basis des Behandlungszieles aus Sicht des Patienten individuell und kritisch abzuwägen.
Orale Diabetestherapie
Die empfohlene Auswahl an anti-hyperglykämischen Präparaten entspricht jener für jüngere Patienten und orientiert sich an Komorbiditäten, Verträglichkeit, Nebenwirkungen und Kontraindikationen. Einmal täglich zu verabreichende Präparate sowie sinnvolle Kombinationspräparate sind Adhärenz-fördernd und erhöhen somit die Therapieverlässlichkeit [72].
Bei Metformin sind allfällige Kontraindikationen aufgrund reduzierter Organfunktionen zu beachten (Niere, Leber, Herz). Metformin darf bei Patienten mit eingeschränkter, aber stabiler Nierenfunktion bis zu einer geschätzten GFR von 30 ml/min verwendet werden. Bei einer GRF von < 30 ml/min ist Metformin kontraindiziert. Bei einer GFR von 30–45 ml/min beträgt die maximale Tagesdosis 1000 mg aufgeteilt auf zwei Dosen. Eine engmaschige Kontrolle der Nierenfunktion sollte erfolgen (alle 3–6 Monate) [73, 74]. Ein generelles Alterslimit besteht aber nicht. Metformin eignet sich nicht zur Behandlung untergewichtiger Patienten. Da es unter Langzeittherapie mit Metformin zu einem Vitamin B12 Mangel kommen kann, wird empfohlen, den Vitamin B12 Spiegel in regelmäßigen Abständen zu kontrollieren, vor allem wenn eine Anämie oder eine periphere Neuropathie vorliegt. [75,76,77,78,79].
SGLT-2-Hemmer wirken durch eine Hemmung des Natrium-Glukose-Cotransporters 2 im proximalen Tubulus des Nephrons mit nachfolgender verminderter Resorption von Glukose und vermehrter Ausscheidung über den Harn über einen insulinunabhängigen Mechanismus und führen dadurch zu keiner Hypoglykämie in der Monotherapie [80]. In Studien zur kardiovaskulären Sicherheit konnte der primäre kombinierte kardiovaskuläre Endpunkt (3-MACE) durch die SGLT‑2 Hemmer Empa- und Canagliflozin und der primäre kombinierte Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod und Hospitalisierungen aufgrund von Herzinsuffizienz durch Dapagliflozin signifikant gesenkt werden. Auch die ältere Subgruppe (≥ 65 Jahre) profitierte in ähnlichem Ausmaß verglichen mit < 65 Jährigen [81,82,83,84]. Zusätzlich konnte bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz eine Verlangsamung der Progression und bei Herzinsuffizienz ein Benefit gezeigt werden [85,86,87,88,89]. Bei Vorliegen einer chronischen Niereninsuffizienz oder Vorliegen einer Herzinsuffizienz wird daher auch beim älteren Patienten der Einsatz der SGLT‑2 Hemmer unter Abwägung von Nutzen und Risiko zur Organprotektion empfohlen (siehe auch Leitlinie Antihyperglykämische Therapie bei Diabetes mellitus Typ 2).
Aufgrund möglicher Nebenwirkungen, wie urogenitaler Infekte oder einem vermehrten Volumenverlust [90,91,92,93,94,95,96], aber auch unter laufender Diuretikagabe, sollte der Einsatz der SGLT-2-Hemmer bei älteren Patienten mit Vorsicht erfolgen. Vor größeren Operationen müssen SGLT-2-Inhibitoren wegen des Risikos der Begünstigung der Entwicklung einer euglykämischen Ketoazidose pausiert werden (siehe dazu auch das Kapitel Perioperatives Diabetesmanagement). Generell gelten SGLT-2-Inhibitoren als „Sick-Days-Off-Drugs“ und sind daher bei schweren Krankheitszuständen (z. B. fieberhaften Infekten) und bei längeren Episoden der Nahrungskarenz ebenfalls zu pausieren.
GLP-1-Analoga müssen in der Regel subkutan verabreicht werden, wodurch ein ausreichender Visus sowie motorische und kognitive Fertigkeiten vorausgesetzt werden müssen. Sie führen über eine Verzögerung der Magenentleerung und Verstärkung des Sättigungsgefühls im ZNS zu einer Gewichtsreduktion [97], welche bei älteren Menschen nicht immer erwünscht ist. In einer Reihe von klinischen Studien wurde ein kardiovaskulärer Nutzen gezeigt [98] (siehe auch Leitlinie Medikamentöse Therapie des Typ 2 Diabetes mellitus). Der Einsatz sollte somit individuell abgewogen werden und ist bei Untergewicht, ungewolltem Gewichtsverlust oder Kachexie zu vermeiden.
DPP-4-Hemmer sind für ältere Patienten prinzipiell eine gut verträgliche Medikamentengruppe und verursachen in der Monotherapie kein erhöhtes Hypoglykämierisiko. Bei Sitagliptin, Saxagliptin, Vildagliptin und Alogliptin [99,100,101,102,103] muss ab einer GFR < 50 ml/min die Dosis reduziert werden, da sie zu einem Großteil renal ausgeschieden werden. Eine Anwendung bei dialysepflichtiger Niereninsuffizienz (GFR < 15 ml/min) wird nicht empfohlen. Linagliptin hingegen wird größtenteils unverstoffwechselt über die Galle und den Darm ausgeschieden, und muss bei der Gabe nicht an die Leber- und Nierenfunktion angepasst werden [104, 105].
Bezüglich Glitazonen ist in erster Linie auf Herzinsuffizienz (NYHA 1–4) sowie auf Ödemneigung als Kontraindikation für deren Einsatz beim älteren Patienten zu achten. Weiters kann es zu einer erhöhten Frakturrate vor allem bei postmenopausalen Frauen kommen [106], weshalb eine Gabe bei bereits bekannter Osteoporose nur kritisch erfolgen sollte. Ein erhöhtes Hypoglykämierisiko liegt in der Monotherapie nicht vor. Der Einsatz der Glitazone sollte beim geriatrischen Patienten aufgrund des Nebenwirkungsprofiles stets nach individueller Abwägung erfolgen.
Sulfonylharnstoffe und Glinide sollten aufgrund des Hypoglykämierisiko bei geriatrischen Patienten nur mit Vorsicht eingesetzt werden. Da die Rate an schweren Hypoglykämien bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz zunimmt, sollte der Einsatz von Sulfonylharnstoffen generell ab einer GFR < 30 ml/min vermieden werden.
Insulintherapie
Aufgrund oben angeführter Limitierungen der derzeit verfügbaren oralen Antidiabetika sowie eines klinisch relevanten Insulinmangels ist bei betagten Personen mit Diabetes mellitus häufig der Beginn einer Insulintherapie geboten, vor allem dann, wenn eine chronische Glukosurie sowie ein ungewollter Gewichtsverlust auftreten. Die Insulintherapie sollte individuell auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten des Patienten und seines sozialen Umfeldes abgestimmt werden. In anderen Leitlinien wurde die Austestung der kognitiven und motorischen Fähigkeiten mittels Durchführung des Uhrentestes [12] oder Geldzähl-Tests [28] empfohlen, um zu erkennen, welche Patienten bei der Einschulung auf eine Insulintherapie Schwierigkeiten haben könnten. Ein Screening auf kognitive Beeinträchtigung sollte durchgeführt werden, wenn z. B. Fehler bei der Umsetzung der Insulintherapie, Schwierigkeiten bei der Berechnung der Kohlenhydratmenge auftreten, Mahlzeiten ausgelassen werden oder vermehrt Hypoglykämien auftreten [43]. Meist empfiehlt sich ein möglichst einfaches und weitgehend sicheres Therapieregime. Entscheidende Faktoren für eine erfolgreiche und sichere Insulintherapie im Alter sind vor allem alterstaugliche Insulinspritzgeräte (gute Ablesbarkeit durch große Displays; einfache und möglichst fehlerfreie Bedienbarkeit; bei Bedarf vorgefüllte „Fertigspritzen zum Einmalgebrauch“ mit fixer Vordosierungsoption). Ebenfalls erforderlich sind alters- bzw. blindentaugliche Blutzuckerselbstmessgeräte.
Diabetesschulung im Alter
Schulungsinhalte und -präsentationen müssen altersgerecht sein [107]:
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Inhalte: Hypoglykämie; Insulinspritzen; Selbstmessung; Ernährung; Füße;
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Präsentation: kompakte Botschaften, Praxisnähe, kurze Lektionen, häufige Wiederholungen, Kleingruppe oder Einzelschulung;
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Einbeziehung Angehöriger und des sozialen Umfelds.
Durch eine strukturierte geriatrische Schulung kann eine signifikante Verbesserung des HbA1c und eine deutliche Senkung der Häufigkeit von symptomatischen Hypoglykämien (ohne Fremdhilfe) um ungefähr 50 % erreicht werden [107].
Insulintherapie bei Typ 2 Diabetes
Eine Insulintherapie wird bei älteren Patienten mit Typ 2 Diabetes sowohl von ärztlicher als auch von Patientenseite oft zu zurückhaltend eingesetzt, aus Angst, sie sei zu gefährlich oder zu kompliziert. Dabei kann – unter Berücksichtigung angepasster Zielwerte – eine Insulintherapie bei entsprechender Indikationsstellung helfen, Therapieziele zu erreichen und die Zahl der täglichen Tabletten zu reduzieren. Heute sind langwirksame Insulinanaloga mit flachem Wirkprofil verfügbar (s. Leitlinie Insulintherapie), die relativ einfach als Monotherapie oder zusätzlich zu einer oralen Therapie auch bei älteren Menschen eingesetzt werden können. Die Lebensqualität kann durch den anabolen Effekt einer Insulintherapie oft deutlich verbessert werden. Viele betagte Menschen führen eine durch Hyperglykämie bedingte Müdigkeit oft fälschlicherweise auf das Alter zurück. Vor dem Beginn mit einer Insulintherapie muss geprüft werden, ob der ältere Patient physisch und kognitiv in der Lage ist, den Insulin Pen zu bedienen und die Blutglukose selbst zu kontrollieren. Gegebenenfalls muss dafür eine Unterstützung organisiert werden. Auch die Fähigkeit, Hypoglykämien rechtzeitig wahrnehmen zu können, ist von großer Bedeutung. Die Hypoglykämiewahrnehmung ist bei älteren Menschen reduziert und die gegenregulatorischen Mechanismen sind im Alter weniger wirksam als bei jüngeren Patienten [59]. Generell soll Insulin bei älteren Menschen sehr vorsichtig titriert werden, um Hypoglykämien zu vermeiden. Begonnen werden kann zum Beispiel mit einer Morgendosis eines langwirksamen Insulins oder mit einer Abenddosis eines intermediär lang wirksamen Insulins in einer Dosierung von 8 Einheiten oder 0,1 Einheit/kg Körpergewicht, in manchen Fällen auch niedriger. Von Vorteil ist bei den langwirksamen Analoginsulinen die Möglichkeit der zeitlich flexiblen Applikation. Die Dosierung kann dann zum Beispiel einmal wöchentlich mittels eines einfachen Algorithmus angepasst werden. Bei schlechter Nierenfunktion ist der Katabolismus von Insulin verlangsamt; ab einer GFR < 50 ml/min wird weniger Insulin benötigt.
Es sollte die Insulintherapie möglichst einfach gehalten werden, z. B. mit einer basal unterstützten oralen Therapie (BOT). Ist eine Basalinsulintherapie aber nicht ausreichend, so sollte zunächst die Gabe von GLP‑1 Rezeptoragonisten in Erwägung gezogen, falls sie noch nicht Teil des Therapieregimes sind. Bei Nichterreichen des Therapiezieles kann die Insulintherapie je nach individueller Situation auf eine Basis-Bolus Therapie erweitert oder auf eine Mischinsulintherapie umgestellt werden. Bei der Mischinsulintherapie sind Präparate mit einem niedrigen Anteil an rasch wirksamem Insulin (30/70, 25/75) zu bevorzugen, da im geriatrischen Setting Mahlzeiten oft nicht vollständig eingenommen werden. Bei der Basis-Bolus Therapie wird mit einer 1xtäglichen Gabe eines prandialen Insulins zur größten Mahlzeit des Tages begonnen. Wenn das HbA1c Ziel nicht erreicht wird, erfolgt eine Erweiterung auf eine 2 × oder 3 × tägliche Gabe eines prandialen Insulins.
Typ 1 Diabetes und LADA
In der Regel besteht ein Typ 1 Diabetes oder LADA bei alten Menschen seit vielen Jahren. Das Ziel der Glukoseeinstellung muss an Allgemeinzustand, Lebenserwartung, Hypoglykämieneigung und Grad der Selbständigkeit angepasst werden. Wichtig ist es, allfällige Defizite im Selbstmanagement des Diabetes rechtzeitig zu erkennen und gegebenenfalls zu komplex gewordene Insulinschemata zu vereinfachen. Zumindest jährlich sollte deshalb auf kognitive bzw. funktionelle Störungen bei älteren Patienten mit Typ 1 Diabetes geachtet werden. Eine besondere Herausforderung ist die Therapie dementer Patienten mit Typ 1 Diabetes, die oft unkontrolliert Nahrung zu sich nehmen. Wie auch bei Typ 2 Diabetes sollten Hypoglykämien dringend vermieden werden.
Deeskalation und Vereinfachung der Therapie
Individuell festgelegte Therapieziele sollten regelmäßig reevaluiert und angepasst werden, basierend auf chronischer Begleiterkrankungen, der kognitiven Funktion und dem funktionellen Status [43]. Daraus können sich Reduktionen der Dosierung, Umstellungen und ein Absetzen bei anti-diabetischen Medikamenten ergeben. Ziel ist es eine Überbehandlung zu vermeiden und eine Polypharmazie zu reduzieren. Wenn eine Insulintherapie durch die Patienten nicht mehr adäquat umsetzbar ist, muss eine Anpassung auf die Fähigkeiten und das soziale Umfeld der Patienten erfolgen. Die Reduktion der Therapieintensität kann sicher und auch ohne Verschlechterung der Betreuung für ältere Patienten umgesetzt werden [108], führt zu einer Reduktion von Hypoglykämien und nicht zu einer Verschlechterung der glykämischen Kontrolle. In der Abb. 1 sind Beispiele und Vorschläge für eine Vereinfachung der Insulintherapie angeführt [43].
Algorithmus zur Vereinfachung einer komplexen Insulintherapie. * Basalinsulin: Glargin U100 und U300, Detemir, Degludec und NPH-Insulin. ** Prandiales Insulin: Kurzwirksame Insulinanaloga (Aspart, Lispro, Glulisin), ultrakurzwirksame Insulinanaloga (Ultra Rapid Lispro, ultrakurzwirksames Insulin Aspart) oder Normalinsulin. Adaptiert von [43]
Die Leitlinie „Geriatrie“ der ÖDG
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Huber, J., Smeikal, M., Saely, C.H. et al. Geriatrische Aspekte bei Diabetes mellitus (Update 2023). Wien Klin Wochenschr 135 (Suppl 1), 307–318 (2023). https://doi.org/10.1007/s00508-022-02124-w
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Schlüsselwörter
- Geriatrische Aspekte
- Diabetes
- Therapie
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- Diagnose
- Individualisierung
- Funktionelle Abhängigkeit