Grundsatz-Statement

Der Diabetesverlauf hängt wesentlich vom Umgang der Betroffenen mit ihrer Erkrankung ab. Maßnahmen, welche sie befähigen, sich aktiv mit dem Diabetes auseinanderzusetzen, sind wichtiger Bestandteil jeder Behandlung. Angebot und Finanzierung der Schulung und Beratung sowohl im niedergelassenen Bereich als auch in den Krankenhäusern sollen in diesem Sinne sichergestellt sein.

Zielsetzung

Die Diabetesschulung soll betroffene Personen zur Auseinandersetzung mit ihrer Erkrankung motivieren und ihnen Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten vermitteln, welche für eine Umsetzung der Therapiemaßnahmen im Alltag zur Behandlung des Diabetes und möglicher Begleiterkrankungen und Komplikationen nötig sind, und damit die Erreichung individueller Behandlungsziele unterstützen. Betroffene werden über Diagnostik, Therapie (Ernährung, körperliche Aktivität, Medikation), mögliche Komplikationen, Begleiterkrankungen und Risiken bei Diabetes mellitus informiert. Diese Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten werden bei der Schulung im Zusammenhang mit dem Selbstbehandlungsverhalten überprüft (Abb. 1).

Abb. 1
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Zielsetzung von Diabetes Schulungen

Moderne Ansätze in der Diabetesschulung bevorzugen dabei die Integration des Diabetes in den gelebten Alltag und bieten Bewältigungsstrategien zum Lösen persönlicher, sozialer und anderer Probleme an. Damit sollen sowohl die Lebensqualität erhalten als auch akute und chronische Folgen der Erkrankung verhindert werden. Langfristige Verhaltensänderungen im Sinne einer Lebensstilmodifikation sind damit ebenso gemeint wie das „Empowerment“ zum Selbstmanagement des Diabetes. Allgemeinmaßnahmen sind die Basis der Therapie und sollen bei Bedarf durch medikamentöse Interventionen begleitet werden. Die Definitionen von individuellen Zielen und Zielvereinbarungen sind wichtige Bestandteile im Behandlungsprozess. Jede Beratung im Sinne eines Coachings soll den unmittelbaren Vorteil – d. h. die unmittelbar erlebte Lebensqualität – einer guten Diabetestherapie täglich erkennen lassen, um langfristig ein komplikationsarmes Leben führen zu können [1,2,3].

Indikationen

Es gibt fünf kritische Zeitpunkte, um die Notwendigkeit einer Schulung für Patient:innen mit Diabetes zu bewerten:

  • Zeitpunkt der Diagnose

  • Nicht Erreichen der Behandlungsziele im Rahmen der Kontrollen

  • Umstellung von oraler auf parenterale Therapie

  • Einsatz neuer Diabetestechnologie (Insulinpumpen, Glukosesensoren)

  • Entwicklung von Komplikationen

Primär muss jeder/em Betroffenen baldmöglichst nach Diagnosestellung eines Diabetes die Teilnahme an einer strukturierten Diabetesschulung geboten werden. Bei Personen mit Typ-1-Diabetes geschieht dies üblicherweise im Rahmen des Beginns eine Insulinbehandlung stationär an einer geeigneten Krankenhausabteilung. Einige Wochen nach dieser „Grundschulung“ sollte die Möglichkeit gezielter individualisierter Information angeboten werden. Für Personen mit Typ-2-Diabetes steht die Schulung am Beginn einer Betreuung im Rahmen des Disease-Management-Programms „Therapie aktiv“, an welchem sich möglichst alle Ärzt:innen, welche Personen mit Typ-2-Diabetes betreuen, beteiligen sollten. Selbstverständlich wird eine Diabetesschulung aber auch Betroffenen angeboten, welche sich nicht in ein solches Programm einschreiben wollen. Auch spezialisierte Krankenhausabteilungen und Versicherer wie die ÖGK bieten dazu strukturierte Schulungskurse an. Bei Therapieänderung, insbesondere einer Umstellung von oraler Therapie auf eine parenterale Behandlung (wie GLP-1-Analoga und Insulin), soll unbedingt erneut eine Diabetesschulung erfolgen. Da Lebensstilmaßnahmen einer stetigen Auseinandersetzung damit bedürfen, sind wiederholte Schulungs- und Motivationsmaßnahmen notwendig und sinnvoll.

Inhalt und Umfang der Diabetesschulung:

  • Hilfestellung zur Krankheitsakzeptanz

  • Unterstützung zum eigenverantwortlichen Umgang mit der Erkrankung

  • Beschreibung und Beurteilung von Therapiezielen

  • Befähigung zur Integration der Diabetestherapie in den Alltag, insbesondere im sozialen Umfeld

  • Kenntnisse über die Physiologie des Stoffwechsels

  • Kenntnisse über die Grundlagen der Erkrankung (Ursachen, Symptome, Verlauf, Prognose), Beschreibung und Beurteilung von Therapiezielen

Interaktiv mit praktischen Beispielen unter Vermittlung von Information, Kenntnissen und praktischen Fertigkeiten:

  • zu einer gesunden Ernährung in Abhängigkeit von BMI und Therapieform, unterstützt durch Einkaufstraining und -strategie

  • zu körperlicher Aktivität und Sport

  • zur Behandlung (Lebensstil- und medikamentöse Therapie)

  • Erlernen von Selbstkontrolle und Anwendung notwendiger Maßnahmen (Blut- und Gewebszucker, Blutdruck)

  • Erkennung und Behandlung von akuten Komplikationen (Hypoglykämie, Hyperglykämie, Infekte)

  • Erkennung und Behandlung von diabetischen Folgeerkrankungen (Retinopathie, Nephropathie, Neuropathie, diabetischer Fuß)

  • Erkennung und Behandlung von zusätzlichen kardiovaskulären Risikofaktoren (Blutdruck, Blutfette, Rauchen, Übergewicht) und Komplikationen (Herzinfarkt, Schlaganfall, periphere Durchblutungsstörung)

  • zum Verhalten in besonderen Situationen (Krankheiten, Reisen, Festtage, körperliche Aktivität, Schwangerschaft, Stillzeit, Gestationsdiabetes, etc.)

  • zu regelmäßigen Vorsorge- und Kontrolluntersuchungen (Gewicht, Blutdruck, Augen, Füße, Blutfette, HbA1c, Kreatinin, Mikroalbumin/Eiweiß im Harn, etc.)

  • zu sozialrechtlichen Aspekten (Beruf, Versicherung, Führerschein, Status der Behinderung, Finanzausgleich etc.)

Zusätzlich bei Insulintherapie Vermittlung von:

  • Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Insulintherapie (Applikation, Dosisanpassung)

  • Kenntnissen zu einer gesunden Ernährung und entsprechenden Interaktion zwischen Ernährung und Insulintherapie (Grundlagen Ernährung und Diabetes, Kohlenhydrat- bzw. BE-Berechnung, etc.) unterstützt durch Einkaufstraining und -strategie

  • Kenntnissen zu körperlicher Aktivität, Sport und deren Auswirkungen auf die Erkrankung und die Insulintherapie

  • Erkennung und Behandlung von akuten Komplikationen (Hypoglykämie, Hyperglykämie, Ketoazidose, Infekte)

Eine spezielle Schulung/Beratung für Personen mit:

  • Gestationsdiabetes

  • Insulinpumpen, Glukosesensoren

  • Hypoglykämie-Erkennungsstörung etc.

  • Anderen speziellen Diabetesformen (z. B. pankreopriver Diabetes, medikamentös induzierter Diabetes)

sollte in Diabeteszentren zusätzlich angeboten werden.

Strukturelle Voraussetzungen

Um eine vergleichbare Schulungsqualität zu erreichen, sind neben inhaltlichen und methodischen auch räumliche, personelle und organisatorische Voraussetzungen nötig. Kriterien der Struktur‑, Prozess- und Ergebnisqualität sollten dazu erfüllt sein. Dies umfasst für die Struktur im niedergelassenen Bereich, Institut oder Krankenhaus die Beschreibung der Ziele, der Zielgruppe, der Art und Anzahl der Schulungseinheiten, der Teilnehmerzahl, der räumlichen Voraussetzungen, der Qualifikation der Schulenden, der Methodik und Didaktik, der Schulungsunterlagen und verwendeten Medien, der Maßnahmen zur Sicherung des Schulungserfolges und der Evaluierungsergebnisse. Die Prozessqualität muss durch ein Schulungsteam, üblicherweise bestehend aus Diabetesberater:in, Diätologe:in und Ärzt:in mit entsprechender Ausbildung gesichert werden. Die Ergebnisqualität der Schulungen sollte durch Kontrolle der Zielparameter Körpergewicht, Blutdruck, LDL-Cholesterin, Albumin/Kreatinin-Ratio im Harn, Blutzucker und HbA1c festgestellt werden. Dazu ist die Beurteilung der Lebensqualität miteinzubeziehen. Für Patient:innen mit Typ-2-Diabetes erfolgt dies am besten im Rahmen der im DMP „Therapie aktiv“ vorgegebenen Quartalsuntersuchungen. Geschlechtsspezifische und ethnisch-kulturelle Aspekte sowie Sprachbarrieren sollten in der Schulung berücksichtigt werden, um eine nachhaltige Verbesserung der Stoffwechsellage zu erreichen [4, 5].

Schulungsprogramme

Das Schulungs-Curriculum mit den oben genannten Inhalten kann dabei verschiedenen validierten Schulungsprogrammen folgen, welche an die vorherrschende Situation (Krankenhaus, Ordination, mobiles Schulungsteam) adaptiert werden können. Als Beispiel seien hier die auf dem „Düsseldorfer Schulungsmodell“ basierenden Programme „Behandlungs- und Schulungsprogramm für Typ 1 Diabetiker“, „Behandlungs- und Schulungsprogramm für Patienten, die nicht Insulin spritzen“ und „Behandlungs- und Schulungsprogramm für Typ 2 Diabetiker, die Insulin spritzen“ genannt, bei welchen die Wissensvermittlung im Vordergrund steht. Neuere Programme wie das an der MedUni Wien entwickelte DiabetesFIT Curriculum oder die in Bad Mergentheim/Deutschland entwickelten interaktiven Programme für Typ 1 „PRIMAS“ (Schulungs- und Behandlungsprogramm für ein selbstbestimmtes Leben mit Typ-1-Diabetes) und Typ 2 „MEDIAS 2“ (Mehr Diabetes Selbstmanagement für Typ 2) zielen auf das Empowerment der Patienten ab. Psychologische Aspekte des Alltagslebens untermauern diese Programme im Sinne einer Adaptierung des Diabetes an den individuellen Tagesablauf. Die Verwendung von multimedialen Schulungsmaterialien mit alltagsgerechten Beispielen unterstützt dies. Als stark interaktives Schulungsprogramm gelten die „Conversation Maps®“ („Gesprächslandkarten“) [6,7,8]. Diese sind ergebnisorientiert und flexibel auf Alltagssituationen aufgebaut. Diese Programme sind evidenzbasiert entwickelt und bauen auf internationalen klinischen Guidelines der IDF (International Diabetes Federation) auf [9]. Ein einfaches Programm zur Darstellung des Einflusses von körperlicher Bewegung auf den Blutzucker bietet z. B. DiSko („wie Diabetiker zum Sport kommen“), welches als zusätzliches Motivationsmodul in die Schulung eingebaut werden kann. Unterstützend können des Weiteren die Bewegungsbox und Ernährungsbox der ÖDG (www.ernaehrungsbox.at, www.bewegungsbox.at) eingesetzt werden. Psychologische Unterstützung sollte allen Patienten insbesondere bei Neumanifestation der Erkrankung und beim Auftreten von Komplikationen angeboten werden. Zusätzlich stehen für die Schulung von Komplikationen verschiedene Programme zur Verfügung: z. B. „HyPOS“ (Hypoglykämie – POsitives Selbstmanagement), Unterzuckerungen besser wahrnehmen, vermeiden und bewältigen. „Neuros“ (Aktiv werden – Neuropathie richtig behandeln), das neue Schulungs- und Behandlungsprogramm für Menschen mit Diabetes und Neuropathie. Programme zum Umgang mit technischen Neuerungen wie Glukosesensorsystemen und Insulinpumpen ergänzen diese (z. B. SPECTRUM für CGM, FLASH für FGM, INPUT für Insulinpumpentherapie) [10, 11].

Erkenntnisse der letzten Jahre belegen zusätzlich den Nutzen von Diabetes-Apps (z. B. MySugr) und tele-medizinischer oder internet-basierter Dienste (z. B. Diabetes Patientenfuchs) für die Diabetesprävention und das Diabetes-Selbstmanagement. Metaanalysen beschreiben dazu eine HbA1c-Verbesserung um 0,5 % [12,13,14, 27,28,29,30,31,32,33].

Evidenzlage

Metaanalysen [15,16,17,18], ein NICE-Report [19] und ein bereits älterer Cochrane Review [20] können als Referenzen herangezogen werden. Letzterer gibt signifikante Effekte einer strukturierten Diabetesschulung an: HbA1c-Absenkung nach 12 Monaten um 0,8 %, Gewichtsreduktion um 1,6 kg, Reduktion des systolischen Blutdrucks um 2,6 mmHg, deutlicher messbarer Wissenszuwachs, jeweils im Vergleich zum Kontrollkollektiv. Vergleichbare Ergebnisse zeigen die Metaanalysen. Programme, welche das Selbstmanagement gegenüber einer reinen Wissensvermittlung betonen, schneiden dabei besser ab [1,2,3, 20,21,22,23]. Dies gilt ebenso für solche mit individualisierter Betreuung, Einbeziehung psychosozialer Komponenten, alters-angepasste Programme sowie die längerfristige Betreuung in Form von Einzelberatungen oder Nachschulungen in Gruppen [1, 6, 19,20,21,22]. Ein Standard liegt dazu beispielsweise von der Deutschen Diabetes Gesellschaft und der American Diabetes Association vor [1, 2]. Im Licht der zunehmenden Diabetesprävalenz werden Betreuungsprogramme mit wiederholtem Schulungsbedarf durch medizinisches Personal alleine kaum mehr zu bewältigen sein [24]. Disease-Management-Programme sind in der Diabetesbetreuung effektiv [25]. Peer-Support-Programme, in welchen Patienten selbst initiativ werden, um das Empowerment zu fördern, können unterstützend eingesetzt werden, zeigen aber uneinheitliche Effekte [26]. Selbsthilfevereine, zuletzt verbunden im Dachverein „Wir sind Diabetes“ bieten Betroffenen Unterstützung sowohl für die Bewältigung des Alltags als auch zu spezifischen Themen wie juristische Beratung oder Fragen zum Führerschein. In der Organisation von Gruppen-Treffen bieten sie verschiedene Möglichkeiten zum Austausch von Erfahrungen (Kinder- und Jugend-Camps, Lebensmittelkauf, Kochkurs, Insulin-Pumpen-Treffen, etc.) an.