Grundsatzstatement

Das Geschlecht beeinflusst das Gesundheitsbewusstsein und -verhalten in unterschiedlicher Weise. Neben den biologischen (genetisch und hormonell bedingten) geschlechtsspezifischen Unterschieden sind auch jene als Folge des Einflusses von Gesellschaft, Kultur, Geschlechterrollen und psychosozialen Faktoren zu bewerten und in der Kommunikation, bei der Prävention, der Diagnose und Therapie des Diabetes zu berücksichtigen [1].

Epidemiologie

In Österreich liegt die Lebenserwartung der Frauen 2016 bei 84,0 Jahren und bei Männern bei 79,1 Jahren mit einem gering höheren jährlichen Anstieg der Männer im Vergleich zu Frauen. Der prozentuelle Anteil der gesunden Lebensjahre ist in Österreich niedriger als im EU-Durchschnitt und bei Frauen niedriger als bei Männern. Die Diabetesprävalenz von 20- bis 79-jährigen Frauen lag 2017 bei geschätzt 8,4 %, was geringfügig niedriger ist als jene der Männer mit 9,1 %. Weltweit haben etwa 17 Millionen mehr Männer Diabetes als Frauen (IDF Diabetes Atlas eighth edition 2017). Diabetes ist bei Frauen der stärkste Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die insgesamt 45,4 % der Todesursachen der Frauen und 36,8 % der Männer in Österreich 2016 ausmachten. In einer gepoolten Analyse prospektiver Studien war die Mortalitätsrate bei Männern mit Diabetes krebsbedingt und bei Frauen mit Diabetes vaskulär bedingt besonders stark erhöht im Vergleich zu nichtdiabetischen Gruppen gleichen Geschlechts [2].

Ein niedriger Sozialstatus und schlechte Bildung sind mit einem höheren Risiko für Diabetes verbunden. Auswertungen aus der Gesundheitsbefragung in Österreich 2007 ergaben außerdem, dass der inverse Zusammenhang zwischen Bildungsgrad und Auftreten von Übergewicht und Diabetes bei Frauen stärker ist als bei Männern [3].

Klassifikation und Diagnose

Die Prävalenz von Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 ist bei beiden Geschlechtern annähernd gleich mit einem leichten männlichen Überhang. Lediglich im Kindesalter sind bis zur Pubertät mehr Mädchen als Buben von Typ-2-Diabetes (T2DM) betroffen. Generell ist T2DM im Kindesalter in Österreich jedoch selten. Männer scheinen häufiger im mittleren Lebensalter und bei niedrigerem Body Mass Index (BMI) als Frauen einen Diabetes zu manifestieren [4]. Europäische populationsbezogene Verlaufsbeobachtungen weisen auf eine zwischen den Geschlechtern vergleichbare (Bruneck Study) oder für Männer höhere (KORA S4/F4 Cohort Study) Diabetesinzidenz hin [4].

Bezüglich des Stadiums „Prädiabetes“ liegt bei Frauen häufiger das Stadium der gestörten Glukosetoleranz vor, während bei Männern die erhöhte Nüchternglukose überwiegt [4]. Bei Frauen nach Gestationsdiabetes (GDM) zeigten Studien, dass sogar bei einem Großteil eine Glukosetoleranzstörung nur anhand erhöhter 2‑h-Blutzuckerwerte im oralen Glukosetoleranztest erkannt wurde [5]. Zur höheren Rate an gestörter Glukosetoleranz (IGT) von Frauen könnten deren geringere Körpergröße und fettfreie Masse sowie eine verlängerte Darmglukoseaufnahme beitragen [6].

Metabolisches Syndrom

Adipositas betrifft häufiger Frauen als Männer, während das Vollbild des metabolischen Syndroms je nach Definition bei beiden Geschlechtern unterschiedlich häufig beschrieben wird. Während die IDF-Kriterien annähernd gleich viele Männer und Frauen mit einem metabolischen Syndrom klassifizieren, sind durch die NCEP-ATP III oder WHO-Kriterien mehr Männer als Frauen betroffen [4]. Bei allen Definitionen sind dabei die geschlechtsspezifischen Grenzwerte für HDL-Cholesterin und den Bauchumfang bzw. die „Waist-to-Hip-Ratio“ zu beachten. Unabhängig vom BMI ist ein Bauchumfang über 102 cm bei Männern und über 88 cm bei Frauen mit einer Zunahme des Mortalitätsrisikos um ungefähr 30 % bei den beiden Geschlechtern verbunden [7]. Bei Frauen ist der Bauchumfang ein besserer Prädiktor für Diabetes als der BMI.

Sexualität

Die Ätiologie von Sexualfunktionsstörungen ist multikausal und betrifft v. a. vaskuläre, neurogene, hormonelle und psychische Komponenten, deren Zusammenwirken für eine intakte Sexualfunktion Voraussetzung ist. Vaskuläre Funktionsstörungen wie endotheliale Dysfunktion bis hin zur manifesten Atherosklerose sind v. a. bei Männern als Ursache einer erektilen Dysfunktion (ED) sehr gut dokumentiert. Da in der Regel sowohl eine endotheliale Dysfunktion als auch Atherosklerose bei Gefäßen mit kleinem Lumen früher klinisch manifest werden als bei Gefäßen mit größerem Lumen, wie z. B. Koronargefäßen, wird bei Vorliegen einer ED ein umfassendes Screening auf Makroangiopathie, insbesondere auf koronare Herzkrankheit, empfohlen [8]. Die ED stellt mit hoher Wahrscheinlichkeit einen unabhängigen Marker für das kardiovaskuläre Risiko dar [4, 9]. Auch die diabetische Polyneuropathie kann zu Sexualfunktionsstörungen beim diabetischen Mann beitragen, sowohl als Manifestation im peripheren als auch im autonomen Nervensystem. Oxidativer Stress, gestörter Sorbitol-Stoffwechsel und Mangel an Nervenwachstumsfaktoren spielen unter anderem dabei eine wichtige Rolle [10]. Als hormonelle Ursache für Sexualfunktionsstörungen steht der Testosteronmangel mit entsprechenden Auswirkungen auf Libido und Erregung beim männlichen Geschlecht an erster Stelle. Viszerale Adipositas im Rahmen von Diabetes und metabolischem Syndrom sowie Adipositas sind wesentliche Faktoren eines Testosteronmangels bei diesen Patienten [4, 9].

Bei Frauen mit Diabetes liegen wahrscheinlich aus Gründen der schwierigeren Quantifizierung von Sexualfunktionsstörungen wesentlich weniger Studien zu diesem Thema vor. Die kausalen pathophysiologischen Zusammenhänge sind ähnlich wie beim diabetischen Mann gelagert. Als Pendant zur männlichen ED wird in rezenten Publikationen die ED der Klitoris genannt, deren Ursachen vielfältig sind. Ähnlich wie beim Mann werden endotheliale Dysfunktion und Atherosklerose, Störungen der genitalen Innervation und Veränderungen im Hormon- und Neurotransmittermuster beschrieben. Darüber hinaus sind bei Frauen auch noch mechanische Irritationen der Schleimhäute durch unmittelbare Auswirkungen der Glykämie mit Beeinträchtigungen der Lubrikation zu berücksichtigen [11]. Die Prävalenz weiblicher sexueller Dysfunktion ist bei Frauen mit Diabetes erhöht, wird aber meist im Diabetesmanagement nicht berücksichtigt und dementsprechend nicht diagnostiziert oder behandelt [12]. Verminderte sexuelle Appetenz („hypoactive sexual desire disorder“ [HSDD] oder „female sexual interest/arousal disorder“ – Nomenklatur nicht einheitlich) ist das am häufigsten geäußerte Problem.

Eine bescheiden wirksame medikamentöse Therapie mit Flibanserin ist möglich, jedoch ist zur optimalen Versorgung eine multidisziplinäre Vorgehensweise erforderlich [12]. Bei Verschreibung von Flibanserin muss eine Aufklärung zu möglichen Nebenwirkungen wie schwere Hypotonie, Schwindel, Synkope und Somnolenz v. a. in Zusammenhang mit Alkoholeinnahme, erfolgen [12]. Studien zur Wirksamkeit von Flibanserin bei Frauen mit Diabetes liegen bisher nicht vor, weshalb eine Verschreibung vom behandelnden Arzt in Absprache mit der Patientin hinsichtlich des geringen zu erwartenden Effekts und der möglichen schweren Nebenwirkungen und Kosten abzuwägen ist [12]. Andere Medikamente zur Verbesserung der weiblichen Sexualfunktionsstörung wie Testosteron oder Bupropion werden „off label“ eingesetzt und zeigen lediglich moderate Effekte.

Sexuelle Dysfunktion als Nebenwirkung von Medikamenten spielt sowohl bei diabetischen Männern als auch bei diabetischen Frauen eine Rolle. Dabei stehen v. a. bestimmte Antidepressiva mit Auswirkungen auf den Prolaktinstoffwechsel und reduzierter Bildung von Sexualhormonen im Fokus des Interesses. Da bei Patienten mit Diabetes bei ca. 18 % eine behandlungsbedürftige Depression vorliegt, bei diabetischen Frauen häufiger als bei diabetischen Männern, ist das jeweilige Antidepressivum sorgfältig auszuwählen, um Nebenwirkungen abzuwenden [13].

Als Screeningmethode empfiehlt sich bei diabetischen PatientInnen zumindest einmal jährlich das sorgfältige Erheben einer Sexualanamnese. Für die ergänzende Diagnostik bieten sich validierte Fragebögen wie International Index of Erectile Function-5-Score (IIEF5) für Männer [14] und Female Sexual Function Index (FSFI) für Frauen an [15]. Beide enthalten Fragen zu den wichtigen Dimensionen der Sexualität wie Libido, Erektion, Lubrikation, Orgasmus, Befriedigung und Schmerz. Bei Vorliegen einer Sexualfunktionsstörung sollte ein kompletter Status der Sexualhormone erhoben werden.

Die Therapie der Sexualfunktionsstörung orientiert sich an den Ursachen, jedoch stehen generell Lebensstilinterventionen und v. a. Tabakabstinenz im Vordergrund des Therapieansatzes. Bei vaskulärer Ursache empfiehlt sich die kontinuierliche Therapie der Atherosklerose, bei neuropathischer Ursache ist die Blutzuckereinstellung eine wichtige Maßnahme, bei hormonellen Defiziten kann die Hormonsubstitution in Erwägung gezogen werden. Der Einsatz von PDE-5-Hemmern führt bei Männern zu einer Besserung der Erektion durch Vasodilatation mit gesteigertem Blutfluss durch erhöhte Bereitstellung von Stickstoffmonoxid (NO). Der Einsatz bei Frauen zeigt kontroverse Ergebnisse und wird nur bei SSRI-induzierter Sexualfunktionsstörung empfohlen [10].

Bei psychischer Ursache der Sexualfunktionsstörung kommt psychotherapeutischen Interventionen eine wesentliche Bedeutung zu.

Bei Männern kann eine ED ein frühes Zeichen einer Stoffwechselstörung oder auch eine Spätkomplikation sein (s. auch Kapitel „Diabetische Polyneuropathie“). In Studien weist die Hälfte aller Männer mit einer ED ein metabolisches Syndrom auf. Niedrigere Testosteronspiegel kennzeichnen Männer mit Diabetes mit ED und können der Entwicklung von Insulinresistenz und Diabetes vorangehen [4, 9]. Eine ED bei Diabetes kann auf eine asymptomatische koronare Herzkrankheit (KHK) hinweisen und sogar ein deutlich gesteigertes kardiovaskuläres Mortalitätsrisiko anzeigen. Deshalb ist in der Anamnese sowohl die Frage nach Vorliegen einer ED bei allen Männern mit Prädiabetes oder Diabetes obligat als auch eine weitere vaskuläre Abklärung bei positivem Befund.

Lebensstil und Prävention

Lebensstilmaßnahmen können bei beiden Geschlechtern zu einer Reduktion der Hyperglykämie und Risikoreduktion für Diabetes beitragen [9]. Acarbose wirkte bei älteren normal- bis übergewichtigen Frauen ohne Hypertonie besser, Metformin v. a. bei jüngeren adipösen Männern mit erhöhten Nüchternblutzuckerwerten [5]. In einer Metaanalyse konnte gezeigt werden, dass eine Lebensstilintervention das Diabetesrisiko bei Männern und Frauen nach 3 Jahren gleichermaßen um etwa 40 % senkt [16]. Im Follow-up der Da-Qing-Studie nach über 20 Jahren wurde eine Reduktion der kardiovaskulären Mortalität um 70 % und der allgemeinen Mortalität um 50 % bei Frauen im Lebensstilinterventionsarm im Vergleich zu weiblichen Kontrollen ohne Lebensstilmaßnahmen gesenkt. Bei Männern konnte jedoch kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen festgestellt werden.

Bei Frauen scheinen bereits Prädiabetes und das metabolische Syndrom stärker als bei Männern mit erhöhten Inflammationsparametern, einer ungünstigeren Veränderung im Gerinnungssystem und höheren Blutdruckwerten einherzugehen [4, 17]. Dies bestätigt sich auch bei manifestem Diabetes und könnte zum besonders stark erhöhten kardiovaskulären Risiko bei Frauen beitragen [15, 18].

Des Weiteren wurde für Frauen bestätigt, dass anamnestisch erhobene reproduktive Faktoren (Parität, Zyklusunregelmäßigkeiten, Präeklampsie, frühe Menopause) sowie insbesondere eine Anamnese eines früheren GDM mit dem Ausmaß der aktuellen Stoffwechselstörung eng assoziiert sind [9]. Frauen mit einem früheren GDM konvertierten bei vergleichbarer Studienausgangslage bezüglich Insulinresistenz, Körpergewicht und Glukosetoleranzstatus fast doppelt so häufig zu manifestem Diabetes wie jene ohne GDM in der Anamnese. Durch Lebensstilmaßnahmen und Metformin kann jedoch die Progression zu Typ-2-Diabetes signifikant um fast 40 % im Vergleich zur Kontrolle langfristig reduziert werden [19].

Diese Daten unterstützen bei Frauen die Wichtigkeit der gynäkologisch/geburtshilflichen Anamnese und die Notwendigkeit regelmäßiger, engmaschiger Nachuntersuchung nach GDM (s. auch Leitlinie Gestationsdiabetes). Bei Frauen ist in diesem Zusammenhang noch das polyzystische Ovarsyndrom, das ungefähr 10 % aller Frauen betrifft und durch Insulinresistenz und erhöhte Androgenspiegel charakterisiert ist, als geschlechtsspezifischer Risikofaktor für einen Prädiabetes oder Diabetes hervorzuheben, der unbedingt bezüglich einer Glukosestoffwechselstörung abgeklärt werden soll. Demgegenüber stehen Männer mit niedrigem Testosteronspiegel, die ebenso ein erhöhtes Risiko für Diabetes aufweisen und auch in Screeningmaßnahmen einbezogen werden sollten (s. auch Leitlinie Diabetes mellitus – Definition, Klassifikation, Diagnose, Screening und Prävention) [9].

Krankheitsbewältigung

Psychosoziale Faktoren beeinflussen die Krankheitsbewältigung und Coping-Strategien bei Männern und Frauen unterschiedlich [20]. Frauen beschäftigen sich generell intensiver mit ihrer Erkrankung und sind besser über Diabetes informiert als Männer. Zusätzlich spielen bei Frauen emotionale Faktoren und der Bezug zum behandelnden Arzt/der behandelnden Ärztin eine größere Rolle. Männer wiederum profitieren besonders von strukturierten evidenzbasierten Diabetes-Management-Programmen. Diabetes verschlechtert die gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Frauen stärker als bei Männern [21].

Orale Antidiabetika, GLP-1-Analoga und Insulin

Tab. 1 Geschlechtsspezifische Unterschiede in der multifaktoriellen medikamentösen Therapie des Typ-2-Diabetes [23, 36]

Bezüglich der Effekte der antihyperglykämischen Medikamente sind nur wenige Unterschiede zwischen Männern und Frauen bekannt (Tab. 1). Vergleichbare Effekte der glukosesenkenden Wirkung bzw. das Fehlen von Interaktionen mit dem Geschlecht wurden berichtet. Frauen erreichen unter Therapie weniger häufig die HbA1c-Ziele trotz höherem Risiko für Hypoglykämien [22]. Im Nebenwirkungsprofil einiger Medikamente gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede (Tab. 1). So weisen postmenopausale Frauen unter Glitazontherapie häufiger Knochenbrüche auf. Die Ursache für diesen Geschlechtsdimorphismus ist bisher unklar. In der neuen Substanzklasse der SGLT2-Hemmer sind häufiger Ketoazidosen, insbesondere aber Harnwegsinfekte und Genitalinfektionen, v. a. Pilzinfektionen, bei Frauen beschrieben (Risiko für Frauen bereits vor Beginn einer SGLT2-Therapie 3‑fach höher als bei Männern, unter Therapie bei beiden Geschlechtern verdreifacht), v. a. wenn schon früher rezidivierend Infektionen im Urogenitalbereich aufgetreten sind. Unter Basalinsulintherapieeinsatz wurden besonders bei nur leicht übergewichtigen Frauen häufiger schwere Hypoglykämien beschrieben [22], vermutlich aufgrund höherer Insulindosen bezogen auf das Körpergewicht. Dies trifft aber auch für normalgewichtige und leicht übergewichtige Männer zu. Bei Exenatid werden häufiger gastrointestinale Beschwerden sowie tendenziell höherer Gewichtsverlust und Reduktion von Nüchternglukose und Blutdruck bei Frauen beschrieben. Sowohl bei EMPA-REG als auch bei LEADER und SUSTAIN waren weniger Frauen eingeschlossen (weiblicher Anteil jeweils 28,5 %, 35,7 %, 39,3 %), die auch weniger kardiovaskuläre Ereignisse im Beobachtungsverlauf zeigten. Die kardiovaskuläre Risikoreduktion war bei der Subgruppe Frauen in allen 3 oben genannten Studien (EMPA-REG, LEADER, SUSTAIN) nicht signifikant, obwohl keine Interaktion mit dem Geschlecht gefunden wurde und positive Trends bestätigt werden konnten [23]. Diese Unterschiede zwischen Männern und Frauen könnten natürlich durch die geringere Anzahl an Studienteilnehmerinnen und damit verbunden mit einer niedrigeren statistischen Power bedingt sein.

Multifaktorielles Risikomanagement

Frauen mit Diabetes erreichen weniger häufig die leitlinienkonformen Therapieziele für HbA1c, Blutdruck und/oder Lipide [23, 24]. Das könnte auf Unterschiede in der Rate an Komorbiditäten, an Krankheitssymptomen, in der ärztlichen Einschätzung der Gefährdung der Patientinnen und Patienten bzw. dem ärztlichen Kommunikations- und Verordnungsmodus, in der Therapieadhärenz oder aber auch in der allgemein höheren Nebenwirkungsrate in der Pharmakotherapie bei Frauen zurückgeführt werden. Allerdings reagieren Frauen auf bestimmte kardiovaskuläre Risikomarker sogar empfindlicher im Risikoanstieg für Komplikationen als Männer. Frauen haben eine höhere Salzsensitivität und reagieren auf Salzzufuhr mit einem deutlicheren Blutdruckanstieg, profitieren aber auch stärker bei Salzrestriktion. Ebenso führen hohe Serumtriglyzeride und niedrige HDL-Cholesterinwerte bei Frauen zu einem höheren Anstieg im kardiovaskulären Risiko. Rauchen ist bei Frauen mit einem um 25 % höheren Risiko für Myokardinfarkte verbunden als bei Männern und sollte bei beiden Geschlechtern bei Diabetes unbedingt vermieden werden (s. Leitlinie Diabetes und Rauchen, Alkohol).

Besorgniserregend ist, dass insbesondere Hochrisikopatientinnen mit KHK eine schlechtere Kontrolle modifizierbarer kardiovaskulärer Risikofaktoren aufweisen und weniger häufig eine intensive lipidsenkende Therapie erhalten als Männer mit KHK [23, 25].

Statine wirken bei Frauen und Männern annähernd gleich [26]. In einer rezenten und bisher größten Metaanalyse konnte für beide Geschlechter ein vergleichbarer Benefit hinsichtlich vaskulärer und nichtvaskulärer Outcomes durch Atorvastatin und Rosuvastatin in der primären und sekundären Prävention beobachtet werden [27]. Bei den Antihypertensiva ist zu berücksichtigen, dass Frauen für die Auslösung von Arrhythmien durch QT-verlängernde Substanzen empfindlicher sind und bei Betablockern oft niedrigere Dosen als Männer benötigen. ACE-Hemmer scheinen bei Frauen die kardiovaskuläre Mortalität weniger stark zu senken, dafür aber eine Nephropathieentwicklung stärker zu verzögern, während AT-Rezeptor-Antagonisten bei Frauen besser wirksam sein könnten [28].

Thrombozytenaggregationshemmer

Eine Therapie mit ASS ist bei Frauen mit einer geringeren antithrombotischen Wirkung und zudem auch mit einem höheren Blutungsrisiko assoziiert. ASS reduziert in der Primärprävention bei Frauen im Gegensatz zu Männern nicht das Myokardinfarktrisiko, wohl aber das Risiko für ischämische Insulte [29]. Viele Studien zeigen, dass Frauen mit kardiovaskulärem Risiko seltener ASS erhalten als Männer, obwohl für Frauen mit Diabetes in der Sekundärprävention ebenso wie für Männer ASS empfohlen wird (75–325 mg/Tag, Evidenzlevel A). In der Primärprävention wird neuerdings bei Frauen mit Diabetes über 50 und zumindest einem weiteren kardiovaskulären Risikofaktor und ohne erhöhtes Blutungsrisiko eine Therapie mit ASS (75–162 mg/Tag) ebenso wie für Männer empfohlen (Evidenzlevel B–C) [30, 31].

Komplikationen und Komorbiditäten

Tab. 2 Geschlechtsspezifische Unterschiede bei diabetesassoziierten Komplikationen und Komorbiditäten. (Nach [4, 37])

Makrovaskuläre Komplikationen

Während bei diabetischen ebenso wie bei den nichtdiabetischen Männern die kardiovaskuläre Mortalität im letzten Jahrzehnt abnahm, bleibt die Rate bei Frauen mit Diabetes unverändert hoch oder steigt sogar tendenziell an [4, 32]. Ein höheres Risiko für Tod durch KHK ist bei Frauen mit Diabetes bekannt (Tab. 2). Nach einem Myokardinfarkt haben Frauen eine schlechtere Prognose. Die Symptome eines akuten Koronarsyndroms sind bei Frauen oft komplex und untypisch mit stärkerer vegetativer Ausprägung (Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Übelkeit, Hals‑, Kiefer- oder Rückenschmerzen etc.) und werden deshalb häufiger fehlinterpretiert; Hypertonie ist besonders bei Frauen mit Diabetes ein wichtiger Risikofaktor für KHK, aber auch für Herzinsuffizienz. Daraus folgt, dass die Blutdruckkontrolle bei Frauen strikt verfolgt werden muss. Frauen leiden öfter unter einer diastolischen, Männer öfter unter einer systolischen Dysfunktion.

Die nichtinvasive Diagnostik der KHK hat bei Frauen eine besonders niedrige Sensitivität und Spezifität, insbesondere die Ergometrie ist wenig aussagekräftig. Oft liegen auch trotz Beschwerden blande Koronarien im Katheter vor, da v. a. bei jüngeren Frauen mikrovaskuläre funktionelle Störungen überwiegen. Provokationstests und Stresstests können pathologische Veränderungen aufzeigen.

Mikrovaskuläre Komplikationen

BMI, Alter und höhere Blutzuckerwerte scheinen bei Männern stärkere Prädiktoren für einen Nierenfunktionsverlust darzustellen. Zu beachten ist des Weiteren, dass Frauen mit Diabetes ein besonders hohes Risiko für Harnwegsinfekte haben, welche konsequent behandelt werden müssen.

Bei Retinopathie und Neuropathie sind bisher nur wenige Geschlechtsunterschiede beschrieben (Tab. 2).

Tumoren

Diabetes ist mit einem höheren Krebsrisiko verbunden, wobei Übergewicht eine zusätzliche wichtige Rolle spielt. Frauen mit Diabetes haben ein höheres Risiko für Brustkrebs und ein doppelt so hohes Risiko für Endometriumkarzinome, während bei Männern das Risiko für Prostatakarzinom etwas niedriger ist [33]. Außerdem ist bei beiden Geschlechtern das Risiko für Pankreaskarzinome, Darmkrebs und Leberkrebs deutlich erhöht. Frauen mit Diabetes nehmen seltener an Vorsorgeuntersuchungen (Mammographie) teil [34]. Bei beiden Geschlechtern ist auf die Durchführung der allgemein empfohlenen Screeninguntersuchungen unbedingt zu achten.

Osteoporose

Diabetes ist mit einem höheren Osteoporose- und Frakturrisiko assoziiert, wobei der Knochenstoffwechsel und die Knochenqualität – selbst bei erhaltener Knochenmasse – ungünstig verändert sind. Männer mit Neuropathie scheinen besonders gefährdet [35]. Männer und Frauen mit Diabetes sollen auf ihr individuelles Osteoporoserisiko untersucht werden.

Depressionen

Diabetes ist häufig mit depressiven Störungen verbunden, welche bei Frauen doppelt so häufig wie bei Männern diagnostiziert werden, aber bei Männern häufig nicht erkannt werden. Es soll deshalb bei beiden Geschlechtern regelmäßig auf das Vorliegen einer Depression geprüft werden (s. Leitlinie psychische Erkrankungen).

Zusammenfassung

Auch wenn derzeit noch viele Fragen in Bezug auf biologische und psychosoziale geschlechtsspezifische Aspekte in der Entstehung, Prävention und Therapie des Diabetes offen sind und eine wichtige Aufgabe und Herausforderung für zukünftige Forschung darstellen, muss dennoch auf Basis der derzeitigen stetig zunehmenden Erfahrungen und Erkenntnisse bereits eine geschlechtssensible medizinische Betreuung der Patientinnen und Patienten in der Praxis gewährleistet werden. Insbesondere ist auf eine konsequente leitlinienkonforme Therapie modifizierbarer kardiovaskulärer Risikofaktoren bei beiden Geschlechtern zu achten.