1 Einleitung

Aufgrund der Zunahme von Starkregenereignissen werden in Städten weltweit Jahr für Jahr mehr Überflutungsereignisse registriert (DWD 2020; IPCC 2023). Dies kann durch zahlreiche Überflutungsereignisse auch in Österreich bestätigt werden (z. B. Feldbach am 22.12.2020, Kufstein und Hallein am 17.07.2021, Graz am 31.07.2021). Einer der größten Treiber dieses Anstiegs ist die Erhöhung der Lufttemperatur aufgrund des von Menschen verursachten Klimawandels, da das Wasserdampfvermögen nach derzeitigem Wissensstand um 7 % pro Grad Celsius Temperaturerhöhung zunimmt. Dies hat vor allem auf intensive Starkregenereignisse Auswirkung (ZAMG 2023). Dieser Zusammenhang wird physikalisch über die Clausus-Claperon-Gleichung beschrieben (Rogers and Yau 1996; Berg et al. 2013). Zusätzlich werden diese klimatischen Veränderungen durch die ansteigende Urbanisierung verstärkt. Durch die damit verbundene Versiegelung von Grünflächen und zusätzlich durch ein höheres Personen‑, Gebäude- und Infrastrukturaufkommen wird das Überflutungsrisiko weiter erhöht (Freddy et al. 2016; UN 2018). Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass der durch den Anstieg an versiegelten Flächen verursachte mikroklimatische Effekt der urbanen Hitzeinsel auch zum Auftreten von Starkregenereignissen in urbanen Einzugsgebieten beiträgt (Steensen et al. 2022; Torelló-Sentelles et al. 2023). Aus diesem Grund stellen die Urbanisierung sowie der Klimawandel die größten Treiber hinsichtlich der urbanen Überflutungen dar (Berndtsson et al. 2019).

Durch diese Herausforderung muss die Planung und Bemessung der urbanen Entwässerung als zentraler Bestandteil der Wasserinfrastruktur angepasst werden (Hosseinzadehtalaei et al. 2020). Dies wird auch durch die nachhaltige Entwicklung als übergeordnetes Ziel in der EN 752 als zentrale Norm für die Entwässerung in Österreich gefordert (ON 2017). Dabei ist zu hinterfragen, welche Anlagen der Begriff der urbanen Entwässerung beinhaltet. Neben der zentralen Kanalisation, welche sowohl im Mischsystem als auch im Trennsystem ausgeführt sein kann, beinhaltet die urbane Entwässerung zusätzlich alle Anlagen der dezentralen Niederschlagswasserbewirtschaftung und den Oberflächenabfluss selbst als maßgebenden Prozess (Siddha and Sahu 2022). Aufgrund dieser Definition wird ersichtlich, dass die ganzheitliche Betrachtung der urbanen Entwässerung ein komplexes System mit einer Vielzahl an bidirektionalen sowie unidirektionalen Interaktionen darstellt. Um ein solches System hinsichtlich der Belastung durch außergewöhnliche Ereignisse wie Starkregen bewerten zu können, ist zwangsläufig eine Modellierung notwendig. Dabei sind nur durch die gekoppelte 1D-2D-Modellierung alle wesentlichen Prozesse (hydrologische Abflussbildung, Kanalabfluss, Oberflächenabfluss) und Anlagen des zentralen und dezentralen Entwässerungssystems realitätsnahe abbildbar (Teng et al. 2017; Maier et al. 2021).

Hinsichtlich der zukünftigen Herausforderungen und Anpassung des urbanen Entwässerungssystems sind eine Vielzahl an unterschiedlichen zentralen (Regenrückhaltebecken und Mischwasserbewirtschaftungsmaßnahmen) und dezentralen (Blau-Grüne-Infrastruktur) Anlagen bekannt. Einen umfassenden Überblick über mögliche Maßnahmen zur Überflutungsprävention bieten Pour et al. (2020). Wobei in Österreich Regenrückhaltebecken bisher vorwiegend an den Außengebieten umgesetzt werden (z. B. Sachprogramm Grazer Bäche, Stadt Graz 2023). Die Wirksamkeit eines Rückhaltebeckens hinsichtlich Überflutungen ist durch zahlreiche Beispiele erwiesen (vergl. Jacob et al. 2019). Häufig werden für die Dimensionierung dieser Becken Jährlichkeiten von T = 100 a angesetzt. Kleine dezentrale Maßnahmen haben vor allem die Funktion, den anfallenden Oberflächenabfluss zu reduzieren, zwischenzuspeichern und in den natürlichen Wasserkreislauf zurückzuführen (Leimgruber et al. 2019). Dabei können vor allem bei hohen Implementierungsgraden auch die dezentralen Anlagen zur Reduktion von Überflutungen beitragen (Fuchs 2021), obwohl deren Bemessungsgrenzen auf Ereignisse mit geringeren Jährlichkeiten ausgelegt sind (T = 5 a bis T = 30 a) (ÖWAV 2015, 2019; ON 2016). Da all diese Anlagen auf eine vordefinierte Jährlichkeit bemessen werden, muss man sich mit der Thematik des Restrisikomanagements auseinandersetzen, vor allem wenn davon ausgegangen wird, dass sich die Belastung der Anlagen in der Zukunft erhöhen wird. Zu einer Erhöhung des Restrisikos können auch anlagenspezifische Fehlfunktionen und Störfälle führen, die die hydraulische Leistungsfähigkeit der Anlage verringern. Zum Beispiel kann es durch eine unregelmäßige Sedimententnahme bei Regenrückhaltebecken zu einer Verringerung des Einstauvolumens und damit zu einer Verringerung des Überflutungsschutzes kommen. Um das Restrisiko von Überflutungen im urbanen Raum zu verringern, bieten sich unter anderem Multifunktionale Retentionsflächen in Kombination mit Notwasserwegen an. Diese Maßnahmen werden allerdings noch sehr selten umgesetzt, weshalb auch die Wirksamkeit hinsichtlich urbaner Überflutungsprävention noch nicht abschließend geklärt ist.

In dieser Arbeit werden die drei Maßnahmen i) Regenrückhaltebecken (RRB), ii) Notwasserwege in Kombination mit Retentionsmulden und iii) dezentrale Niederschlagswasserbewirtschaftungsanlagen (NWB) hinsichtlich ihrer Wirkung bezüglich der urbanen Überflutungsprävention im urbanen Entwässerungssystem analysiert und bewertet. Zusätzlich werden für jede Maßnahme zwei Störfallszenarien untersucht, um die Vulnerabilität der Anlagen und das mögliche Versagensrisiko abschätzen zu können. Dabei wird ein 1D-2D-Modell eines kleinen fiktiven Einzugsgebiets modifiziert und an drei vordefinierten Stellen im Einzugsgebiet hinsichtlich der Wirksamkeit bewertet.

2 Methodik

2.1 Fallstudie fiktive EZG

Als Fallstudie wurde ein fiktives urbanes Einzugsgebiet entwickelt. Dabei wurde darauf geachtet, dass alle wesentlichen Elemente eines urbanen Kerngebiets abgebildet werden: i) Straßenzüge; ii) Gebäude; iii) Marktplatz; iv) Unterführung; v) städtisches Fließgewässer; vi) Fahrradweg; vii) angeschlossene Außengebiete hinsichtlich Gewässer sowie Kanaleinzugsgebiet; viii) Mischwasserkanalisation. Das erstellte Einzugsgebiet stellt daher einen charakteristischen Marktplatz mit angrenzender Bebauung, Haupt- und Nebenstraßen sowie ein Fließgewässer, eine Unterführung und eine Brücke dar. Eine solche Charakteristik kann durchaus in mittelgroßen Gemeinden und größeren Städten vorkommen.

2.2 Modellierung

Auf Grundlage des oben beschriebenen fiktiven Einzugsgebiets wurde ein Modell erstellt, welches die Möglichkeit bietet, die zentrale und dezentrale städtische Entwässerung sowie den Oberflächenabfluss realitätsnahe abzubilden. Da es sich um ein fiktives Einzugsgebiet handelt, kann auf eine Kalibrierung sowie Validierung des Modells verzichtet werden. Allerdings wird auf eine realitätsnahe Zuweisung der Modellparameter basierend auf realen Einzugsgebieten geachtet (Reinstaller et al. 2022). Ebenso werden real aufgetretene Starkregenereignisse für die Analyse hinsichtlich der Wirksamkeit von Maßnahmen verwendet, um realitätsnahe Aussagen ableiten zu können.

2.2.1 1D/2D-Modellierung

Da urbane Überflutungen durch eine Vielzahl von physikalisch basierenden Prozessen beeinflusst werden (Maier et al. 2021), muss ein Modell in der Lage sein, all diese relevanten Prozesse in ausreichender Genauigkeit abzubilden. Insbesondere der Einfluss der städtischen Entwässerungs-Infrastruktur auf urbane Überflutungsereignisse wurde in der Vergangenheit häufig diskutiert. Dabei ist aus der Literatur eine Tendenz zur Notwendigkeit der Berücksichtigung der Kanalisation insbesondere in dicht bebauten städtischen Einzugsgebieten abzuleiten (Starl 2020; Dong et al. 2021; Maier et al. 2021; Reinstaller et al. 2022). Da diese Arbeit das Ziel verfolgt, die Wirksamkeit von präventiven Maßnahmen des gesamten städtischen Entwässerungssystems zu bewerten, wird ein integriertes 1D-2D-Modell mithilfe der kommerziellen Software PCSWMM2D Professional aufgebaut (James et al. 2012).

Dieses Modell integriert räumlich und zeitlich vollständig die drei wesentlichen Modellebenen für die urbane Überflutungsmodellierung: i) hydrologische Abflussbildung inklusive aller wesentlichen hydrologischen Prozesse (Infiltration, Speicherverluste (Muldenverluste und Interzeption), Evapotranspiration); ii) zweidimensionaler hydrodynamischer Oberflächenabfluss; iii) eindimensionaler Abfluss in der Kanalisation. Einen weiteren Vorteil stellt die Möglichkeit der Modellierung dezentraler Niederschlagswasserbewirtschaftungsmaßnahmen (NWB) in der hydrologischen Modellebene mithilfe des Low-Impact-Development-Ansatzes (LID) dar (Rossman and Simon 2022). Ebenso ist es möglich, über Speicherknoten Speicherbauwerke unterschiedlichster Geometrien anhand einer Speicherfunktion zu modellieren. Dadurch können sowohl dezentrale Maßnahmen als auch zentrale Maßnahmen modellbasiert abgebildet und in das 1D-2D-Modell integriert werden. Die betrachteten Modellvariablen sind der Wasserstand, die Fließgeschwindigkeiten und das Volumen und der Abfluss sowohl an der Oberfläche als auch in der Kanalisation.

2.2.2 Datengrundlage

Die beiden wesentlichen Grundlagen für die Erstellung eines 1D-2D-Modells sind ein nachbearbeitetes digitales Geländemodell (DGM) und die digitalen Informationen zur Lage und Geometrie des Entwässerungssystems (Leitungsinformationssystem – LIS). Als Mindestanforderung hinsichtlich räumlicher Auflösung des DGM werden 1 × 1 m im urbanen Bereich empfohlen (Wang et al. 2018). Diese Empfehlung wurde auch in dieser Arbeit berücksichtigt. Alle nicht durchströmbaren Hindernisse wie Einfriedungen und Gebäude wurden berücksichtigt. Zusätzlich wurden die Gehsteige mit einem Versatz von 0,10 m im DGM berücksichtigt. Für das LIS werden ein Hauptsammler (Ei-Profil 700/1050) sowie zwei Nebensammler (Kreisprofil DN 800) inklusive Straßeneinläufe (Kreisprofil DN 200) mit einer maximalen Zuflussrate von 15 l/Sekunde für die Entwässerung im Kerngebiet angenommen. Zusätzlich wird am Ende des Einzugsgebiets ein Entlastungsbauwerk mit seitlicher Überlaufwehr in das städtische Fließgewässer angeordnet. Um ein realistisches Systemverhalten simulieren zu können wird ein reales Starkregenereignis aus der Gemeinde Feldbach vom 22.08.2020 (Abb. 1b) für die Analysen verwendet (Dauer: 60 min; Niederschlagssumme: 107 mm; maximale Intensität: 14,7 mm/5 min; maximale Jährlichkeit größer T = 100 a). Die Niederschlagsdaten sind über den webbasierten Datenexport Service der Geosphere Austria offen verfügbar (https://data.hub.geosphere.at).

Abb. 1
figure 1

Übersicht des fiktiven städtischen Kerngebiets mit 4 angrenzenden Randgebieten (EZG 1: Außengebiet des Fließgewässers; EZG 2 bis 4: angrenzende Kanaleinzugsgebiete) inklusive das für die Analyse verwendete real beobachtete Starkregenereignis am 22.08.2020 in Feldbach

2.3 Maßnahmen

Um auf prognostizierte Herausforderungen wie beispielsweise die Zunahme konvektiver Niederschlagsereignisse durch den vom Menschen verursachten Klimawandel (ZAMG 2020; GeoSpere Austria 2021; IPCC 2023) zu reagieren, können beispielsweise präventive Maßnahmen im städtischen Entwässerungssystem implementiert werden. In Österreich werden häufig Rückhaltebecken an den Gebietsauslässen der in Stadtgebiete entwässernden Außengebiete umgesetzt, um den hohen Zufluss aus den angrenzenden Flächen über die Gewässer zwischenzuspeichern und gedrosselt abzuleiten. Eine weitere allerdings noch nicht standardmäßig umgesetzte Maßnahme stellen multifunktionale Retentionsflächen dar. Diese eignen sich insbesondere in Kombination mit Notwasserwegen, um mit dem bestehenden Restrisiko umzugehen (z. B. Projekt MURIEL, STEB Köln 2017). Darüber hinaus werden Kombinationen von Blau-Grünen Infrastrukturbauwerken (Gründächer, Mulden-Rigolen-Systeme usw.) immer häufiger in internationalen Publikationen erwähnt und im Kontext der Überflutungsprävention diskutiert und analysiert.

Die folgenden Maßnahmen wurden in das 1D-2D-Modell implementiert und anschließend analysiert (Tab. 1): i) M1: Regenrückhaltebecken am Außengebiet des Fließgewässers (EZG 1); ii) M2: Multifunktionale Retentionsfläche in Kombination mit Notwasserwegen im Kerngebiet; iii) M3: Kombination aus Gründächern und nachgeschalteten Retentionsmulden im Kerngebiet sowie in allen benachbarten und direkt am Entwässerungssystem angeschlossenen Randgebieten.

Tab. 1 Übersicht über die implementierten Überflutungspräventionsmaßnahmen inklusive Kurzbeschreibung der verwendeten Modellierungsansätze (M1: Regenrückhaltebecken; M2: Multifunktionale Retentionsflächen kombiniert mit Notwasserwegen; M3: Kombination aus Gründach und Retentionsmulde)

2.4 Störfälle

Zusätzlich wurden für jede Maßnahme zwei Störfallszenarien erstellt, um abzuschätzen, wie vulnerabel die Maßnahmen gegenüber Fehlfunktionen und Störfällen sind (vgl. Tab. 2). Dabei wurden für jede Maßnahme zwei mögliche Störfälle kombiniert, z. B. für das Regenüberlaufbecken eine Verlandung des Beckens und eine Verklausung des Notüberlaufs und jeweils in einer leichten und starken Variante gerechnet. Leichte Störfallszenarios repräsentieren einen Zustand, der mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auftreten kann, die Leistungsfähigkeit der Anlage aber nur vergleichsweise gering beeinflusst, wohingegen ein starkes Störfallszenario relativ selten auftreten würde, aber deutliche Auswirkungen zeigt.

Tab. 2 Übersicht über die analysierten Störfälle und Fehlfunktionen für die Maßnahmen Regenrückhaltebecken, Notwasserwege und Blau-Grüne Infrastrukturen

2.5 Vergleichsgrößen

Zur Bewertung der Wirksamkeit der Maßnahmen werden innerhalb des Einzugsgebiets drei Standorte (S1 bis S3) definiert und anschließend die relative Abweichung zum Grundzustand berechnet (Gl. 1).

$$RA_{x}=\frac{X_{i{,}\mathrm{Ist}}-X_{i{,}\text{Ma{\ss}nahme}}}{X_{i{,}\mathrm{Ist}}}$$
(1)
RAx =:

relative Abweichung der Modellvariable X

Xi,Ist =:

Modellvariable i des Referenzszenarios

Xi,Maßnahme =:

Modellvariable i des Maßnahmenszenarios

Dabei werden unterschiedliche Zustandsvariablen für die Bewertung herangezogen, welche sich jeweils auf das unterschiedliche Anlagenverhalten beziehen (Tab. 3). Die Auswertung bezieht sich immer auf den maximalen Wert während des Simulationszeitraums. Zusätzlich wird die Differenz hinsichtlich Überflutungsflächen im Kerngebiet in die Bewertung mitaufgenommen.

Tab. 3 Übersicht zu den verwendeten Vergleichsgrößen für die gewählten Standorte und den zugehörigen Modelvariablen

3 Ergebnisse

In einer ersten Auswertung werden die relativen Abweichungen der drei Maßnahmen hinsichtlich der Überflutungsflächen bestimmt. Dabei werden nur die überfluteten Flächen gezählt, bei denen der Wasserstand in der Simulation mit dem 1D-2D-Modell größer 0,1 m ist (LUBW 2016). Für das Referenzszenario ergibt sich damit eine überflutete Fläche von 4717,94 m2. Für die einzelnen betrachteten Maßnahmen ergeben sich folgende Überflutungsflächen (Abb. 2): a) Regenrückhaltebecken: 4597,46 m2; b) Notwasserwege mit Retentionsmulde: 4485,44 m2; c) Dezentrale NWB-Maßnahme: 4567,01 m2. Wobei für die Maßnahmen der Notwasserwege sowie der dezentralen Anlagen jene Flächen, die geplant überflutet werden sollen, von den resultierenden Überflutungsflächen abgezogen werden (Flächen der Notwasserwege (b): 282,85 m2; Flächen der Versickerungsmulden (c): 890,23 m2). Daraus ergibt sich unter Anwendung von Gl. 1 eine relative Abweichung von 0,026 für das Regenrückhaltebecken, 0,109 für die Maßnahmen der Notwasserwege, 0,221 für die NWB-Maßnahme.

Abb. 2
figure 2

Resultierende Überflutungsflächen des Referenzszenarios sowie der simulierten Maßnahmen: a Regenrückhaltebecken, b Notwasserwege mit Retentionsmulde, c dezentrale NWB-Maßnahme

Weiters werden die Modellvariablen nach Tab. 3 der einzelnen Standorte (S1 bis S3) hinsichtlich der einzelnen simulierten Maßnahmen verglichen. Darauf aufbauend lassen sich wiederum die relativen Abweichungen zum Referenzszenario errechnen, wobei für die Standorte S1 sowie S2 die maximalen Werte und für den Standort S3 jeweils die gesamte Summe der Simulation für die Auswertung verwendet wird (Abb. 3). Folgende relative Abweichungen bezüglich der Standorte resultieren daraus: i) Regenrückhaltebecken: S1 = 0; S2 = 0,076; S3 = −0,016; ii) Notwasserweg in Kombination mit Retentionsmulde: S1 = 0,271; S2 = 0,012; S3 = 0,002; iii) Kombinierte NWB-Maßnahme: S1 = 0,326, S2 = 0,082, S3 = 0,015.

Abb. 3
figure 3

Simulierte Ganglinien der jeweiligen Modellvariablen an den definierten Standorten S1, S2 und S3 der Maßnahmen Notwasserweg mit kombinierter Retentionsmulde, Regenrückhaltebecken und Kombinierte NWB-Maßnahmen sowie die Ganglinien der Störfallszenarien

Anschließend werden die Maßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit basierend auf der relativen Abweichung qualitativ bewertet, wobei die höchste Abweichung die höchste Wirksamkeit und die geringste Abweichung die geringste Wirksamkeit darstellt (Abb. 4). Dadurch kann die effektivste Maßnahme hinsichtlich eines Starkregenereignisses unter gegebenen Randbedingungen identifiziert werden.

Abb. 4
figure 4

Qualitative Bewertung der simulierten Maßnahmen basierend auf der relativen Abweichung zum Referenzszenario, wobei in Gold die jeweils wirksamste Maßnahme, in Dunkelblau die mittlere Maßnahme und in Hellblau die unwirksamste Maßnahme, jeweils getrennt nach Regelzustand, leichtem und starkem Störfall, dargestellt ist

4 Diskussion

Die Ergebnisse zeigen generell eine Reduktion aller Zielgrößen im Vergleich zum Referenzszenario. Wenn alle für die Analyse herangezogenen Zielgrößen bewertet werden, stellt sich die Kombination von NWB-Maßnahmen als die wirksamste Maßnahme heraus, einzig hinsichtlich des Mischwasserüberlaufvolumens (S2) weist das Regenrückhaltebecken eine leicht höhere Wirksamkeit auf. Die Störfallszenarien zeigen aber auch, dass die hohe Wirksamkeit der NWB-Maßnahmen anfällig für mögliche Störfälle ist. Wobei die generelle Wirksamkeit aller Maßnahmen auf das Überlaufvolumen des Mischwasserüberlaufs (S2) sowie den Abfluss in der zentralen Kanalisation (S3) als gering einzustufen ist. Dies ist bei einem Regenereignis mit einer Wiederkehrzeit von > 100 Jahren aber auch nachvollziehbar und weniger relevant. Einzig die Reduktion des Wasserstands in der Unterführung (S1) ist mit 26 % (Notwasserwege) und 32 % (NWB-Maßnahme) sehr hoch. Ein ähnliches Ergebnis resultiert bei der Auswertung hinsichtlich der Überflutungsflächen. Das Regenrückhaltebecken erzeugt zwar eine durchaus hohe Reduktion im Fließgewässer selbst, hat aber auf die gesamte Überflutungsfläche und den Wasserstand in der Unterführung einen untergeordneten Effekt, da auch im Referenzszenario kaum eine fluviale Überflutung auftritt. Es kommt zu keiner Interaktion zwischen Kanalisation, Oberflächenabfluss im Kerngebiet und dem Abfluss im urbanen Fließgewässer. Die hohe Wirksamkeit der NWB-Maßnahmen wird dadurch erklärt, dass das Flächenverhältnis zwischen NWB-Maßnahmen und Flächen des Kerngebiets überdurchschnittlich hoch ist. Zusätzlich wurden in diesem Szenario NWB-Maßnahmen an den Kanal-Außengebieten angesetzt, daher wird auch der Zufluss in die Kanalisation reduziert.

Die untersuchten Störfallszenarien der einzelnen Maßnahmen zeigen für die 3 Vergleichsgrößen S1, S2 und S3 sowie für die Überflutungsfläche teilweise sehr unterschiedliche Auswirkungen. Während Störfälle im Regenrückhaltebecken keine Einflüsse auf die Vergleichsgrößen zeigen, führen Störfälle in Notwasserwegen zu einer geringen Veränderung der Vergleichsgrößen und Störfälle in NWB-Maßnahmen zu einer großen Änderung der Vergleichsgrößen (vgl. Abb. 4). Beim Regenrückhaltebecken haben die Störfälle keinen Effekt, da es durch die große Intensität des Regenereignisses trotz vorhandenem Notüberlauf zu einem Überstau kommt, der im Modell als Verlustgröße nicht mehr berücksichtigt wird. Durch die Störfälle ändert sich zwar die Menge des Überstaus, dieser hat aber keinen Einfluss auf die untersuchten Vergleichsgrößen. Die Störfälle in den Notwasserwegen führen zu einer Veränderung des Wasserstands in der Unterführung, wodurch sich die relative Abweichung zum Referenzszenario von 0,271 auf 0,174 verringert. Gleiches lässt sich für die Überflutungsfläche beobachten, wo sich die relative Abweichung von 0,109 auf 0,048 verringert. Bei den NWB-Maßnahmen zeigen die Störfälle die größten Auswirkungen mit einer deutlichen Verringerung aller Vergleichsgrößen. Dies liegt darin begründet, dass die NWB-Maßnahmen sowohl im Stadtzentrum als auch in den Außengebieten angeordnet sind und damit von allen untersuchten Maßnahmen die größte Fläche bewirtschaften.

Zusammenfassend kann aus allen Ergebnissen abgeleitet werden, dass die effektivste Maßnahme im vorgestellten fiktiven Einzugsgebiet die kombinierte Variante der NWB-Maßnahmen darstellt. Dies bestätigen die Aussagen von Fuchs (2021), wobei vor allem der hohe Implementierungsgrad der NWB-Maßnahmen entscheidend ist. Wie die Störfallszenarien gezeigt haben, birgt ein hoher Implementierungsgrad aber auch die Gefahr möglicher Störfälle und Fehlfunktionen (Marlow et al. 2013). Da auf kommunaler Ebene die Wartung, Pflege und das Management von NWB-Maßnahmen, insbesondere im privaten Raum, unzureichend geklärt sind, ist bei einem langjährigen Betrieb dieser Anlagen von einer Zunahme von Störfällen auszugehen (Langeveld et al. 2022). Im Gegensatz zu den Erkenntnissen von Jacob et al. (2019) kann die Wirksamkeit von Regenrückhaltebecken unter gegebenen Randbedingungen nicht bestätigt werden. Allerdings liegt dies zu einem großen Teil daran, dass im vorgestellten Einzugsgebiet fluviale Prozesse die Überflutung im Einzugsgebiet nicht entscheidend beeinflussen.

5 Schlussfolgerung & Ausblick

Die vorliegende Arbeit zeigt auf, dass sowohl kombinierte dezentrale Maßnahmen als auch Notwasserwege maßgeblich zur Reduktion urbaner Überflutungen beitragen. Es konnte festgestellt werden, dass die Wirksamkeit entscheidend von der betrachteten Modellvariable wie auch vom Standort im Einzugsgebiet abhängig ist. Beispielsweise kann die Beurteilung des Wasserstands im Fließgewässer oder in der Unterführung durchaus zu anderen Ergebnissen führen. Ebenso ist entscheidend, welche Systemkomponenten im urbanen Entwässerungssystem betrachtet werden. So kann für das zentrale Kanalsystem eine andere Maßnahme die wirksamste sein als für das Abflussverhalten an der Oberfläche. Es ist daher anzustreben, eine kombinierte Bewertung für das gesamte urbane Entwässerungssystem hinsichtlich der Wirksamkeit von Maßnahmen zur urbanen Überflutungsprävention durchzuführen. Diese Erkenntnisse können sich bei einer Änderung der Randbedingungen eines realen Einzugsgebiets durchaus ändern, weshalb weitere Untersuchungen in realen Einzugsgebieten sowie mit weiteren realen Überflutungsereignissen notwendig sind.