1 Einführung

Die Ermittlung des Geschiebetransports in Flüssen stellt die Wissenschaft schon seit Jahrzehnten vor große Herausforderungen (Ancey 2020a). Das Verständnis von Geschiebetransportprozessen bildet eine elementare Grundlage für verschiedene Managementfragen, wie zum Beispiel Planung von Flussbauwerken, Hochwasserschutz, Wildbachverbauungen, Wasserstraßenmanagement, ökologische Fragen und Wasserkraft (Ancey 2020b, Badoux et al. 2014). Das in Österreich durchgeführte Geschiebemonitoring trägt dazu bei, das derzeitige Prozessverständnis zu erweitern und auch geeignete Formeln für die Geschiebetransportberechnung auszuwählen und anzuwenden (Habersack und Laronne 2002). Dennoch bleibt es eine große Herausforderung den Geschiebetransport in der Natur vorherzusagen und zu überwachen (Rickenmann et al. 2012; Lagarde et al. 2021).

Messungen des Geschiebetransports weisen oft eine hohe räumliche und zeitliche Variabilität auf (Mühlhofer 1933, Bathurst 1978, Leopold und Emmett 1997, Rickenmann 2017). Die räumliche Variabilität des Geschiebetransports ist ein in der Literatur gut beschriebenes Phänomen (Einstein 1937; Habersack und Laronne 2001; Habersack et al. 2008; Vericat et al. 2006; Rennie und Millar 2004; Laronne et al. 2003; Williams et al. 2015) und das Verständnis dieses Prozesses ist ein wichtiger Faktor für die Bestimmung der Geschiebetransportrate (Lisle und Madej 1992; Recking 2013). Die Messung dieses Prozesses ist jedoch kompliziert, und in den meisten Fällen wurden die räumlichen Informationen durch einzelne Punktmessungen gewonnen, was beim derzeitigen Wissensstand eine Schwachstelle darstellt (Ferguson und Ashworth 1992). So stellte Ferguson (2007) fest, dass eine akzeptable Schätzung des Geschiebetransports durch mehrminütige Probenahmen an mehreren Stellen im Querschnitt eines Flusses gewonnen wird, das räumliche Muster jedoch nicht exakt erfasst werden kann. Informationen über die räumliche Verteilung des Geschiebetransports können durch direkte Messungen, wie Fangkörbe und Geschiebefallen (Bunte et al. 2004; Helley und Smith 1971b; Reid et al. 1980), mehrdimensionale Modellierungen (Tritthart et al. 2009, 2011; Monsalve et al. 2020) oder durch indirekte Messsysteme (Habersack et al. 2017) gewonnen werden. Indirekte Messsysteme, wie Geophone, die über ein gesamtes Querschnittsprofil verteilt sind, ermöglichen eine sehr hohe räumliche und zeitliche Auflösung des Geschiebetransports. Diese Messtechnik wurde insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten erfolgreich in Kiesbettflüssen eingesetzt (Rickenmann et al. 2014; Habersack et al. 2017; Aigner et al. 2017; Kreisler et al. 2017; Rickenmann und McArdell 2008; Wyss et al. 2016; Rickenmann 2017; Hilldale et al. 2015; Turowski und Rickenmann 2009; Rascher et al. 2018; Koshiba et al. 2018).

Im Jahr 2001 wurde das erste integrative Geschiebemonitoringsystem in Österreich an der Drau in Lienz am Falkensteinsteg errichtet (Aigner et al. 2017). Das integrative Geschiebemesssystem kombiniert mehrere Messtechniken und ermöglicht die Bestimmung der Initiierung der Bewegung von Geschiebepartikeln, der Geschiebetransportraten und der Geschiebefrachten. Darüber hinaus können mit den Messungen die Geschiebetextur sowie die räumliche und zeitliche Variabilität des Transportprozesses untersucht werden (Habersack et al. 2017). Direkte Methoden mit Geschiebesammlern, wie dem Large-Helley-Smith-Sammler (Emmett 1979; Helley und Smith 1971a; Habersack et al. 2017), und Geschiebefallen (Habersack et al. 2017; Reid et al. 1980), aber auch indirekte Methoden (z. B. Geophone, Hydrophone) können an diesen Messstationen gemeinsam eingesetzt werden (Geay et al. 2019; Krein et al. 2016). Indirekte Messsysteme erfassen, wie der Name schon sagt, den Geschiebetransport nur indirekt und müssen durch direkte Messungen kalibriert werden. Die in Österreich verwendeten Geophone zeichnen Impulse, maximale Amplituden und das Flächenintegral pro Geophon auf.

Aufgrund der hohen räumlichen Auflösung der über den Flussquerschnitt verteilten Geophone kann aus dem Auftreten von Impulsen beispielsweise auf die Querschnittsverteilung des Geschiebetransports in Abhängigkeit vom Abfluss geschlossen werden. Die kontinuierliche Überwachung des Geschiebetransports mit Geophonen hat den Vorteil, dass die Geschiebetransportprozesse über die Zeit, bei allen Abflüssen und über die gesamte Gerinnebreite erfasst werden. Die so erhobenen Daten liefern eine sehr hohe zeitliche und räumliche Auflösung für den Zeitraum von teilweise 2001 bis in die Gegenwart und ermöglichen somit ein besseres Verständnis der Geschiebetransportprozesse.

So zeigten die Analysen von einzelnen Hochwasserereignissen, dass hysteresische Zyklen aufgrund der zeitlichen Verschiebung von Abfluss und Geschiebetransport auftreten (Reid et al. 1985; Turowski und Rickenmann 2009). Eine Hysterese im Uhrzeigersinn tritt auf, wenn die Spitze des Geschiebetransports vor der Spitze des Wasserabflusses auftritt, und eine hysteresische Schleife gegen den Uhrzeigersinn ist zu beobachten, wenn die Spitze des Geschiebetransports nach der Hochwasserspitze liegt. Eine Hysterese im Uhrzeigersinn kann auf ein Aufreißen der Deckschicht (Kuhnle 1992), eine Aktivierung von Sedimentquellen (Habersack et al. 2001) oder die Tatsache, dass das Geschiebe im Gerinnebett aufgrund früherer Hochwasserereignisse noch ungeordnet ist, zurückzufuhren sein (Reid et al. 1985). Im Gegensatz dazu kann eine Hysterese gegen den Uhrzeigersinn aus einem Abbruch der Uferbefestigung oder der Sohle nach dem Scheitelpunkt der Hochwasserwelle resultieren (Kuhnle 1992; Lee et al. 2004), aus der Konsolidierung der Deckschicht im Gerinne aufgrund früherer Niedrigwasserereignisse (Reid et al. 1985), aus anthropogen bedingtem Rückhalt (Aigner et al. 2017) oder Sedimenteinstößen in das System. Eine Reihe von Laborexperimenten hat gezeigt, dass die Hysterese des Geschiebetransports im Uhrzeigersinn eine Folge des mangelnden Sedimentangebots (Hassan et al. 2006), der Dynamik der Kolkbildung und der Auffüllung von Pools (Humphries et al. 2012) und der Umstrukturierung des Flussbetts ist, was zu einer geringeren Geschiebemobilität und Sedimenttransportrate während des abfallenden Asts der Ganglinien führt (Mao 2012; Mao et al. 2014).

Bestehende Berechnungsmethoden erlauben aufgrund der großen zeitlichen und räumlichen Variabilität der Prozesse keine genaue Abschätzung der Geschiebetransportraten (Ancey 2020b). Viele Geschiebetransportformeln wurden mit Daten aus Laboruntersuchungen unter kontrollierten Randbedingungen, kontinuierliche Zugabe von Geschiebe und stabiler Sohle entwickelt (Habersack und Laronne 2002). Feststofftransport ist ein Phänomen, das nicht durch eine einzige Formel beschrieben werden kann (Gyr und Hoyer 2006). So ist z. B. die räumliche Verteilung eine Variable unter vielen, die eine bessere Schätzung des Geschiebetransports ermöglicht. In neueren Studien wurde versucht, die Komplexität des Geschiebetransports mithilfe von Data-Mining-Algorithmen zu beschreiben (Khosravi et al. 2020). Die aus dem vorgestellten Langzeitmonitoring gewonnenen Fortschritte im Prozessverständnis hinsichtlich der räumlichen Variabilität können helfen, konventionelle Berechnungsansätze zu verbessern. In diesem Artikel werden ausgewählte Ergebnisse des Geschiebelangzeitmonitorings mit Geophonen in Österreich und die daraus erhaltenen Erkenntnisse über Geschiebetransportprozesse vorgestellt. Schwerpunkte werden hierbei auf die örtliche Variabilität des Geschiebetransports, den Time-lag-Effekt zwischen dem Abfluss und dem Sedimenttransport sowie der Sedimentverfügbarkeit gelegt. An der Drau wird die örtliche Variabilität im Geschiebetransport durch die Verwendung einer effektiven Transportweite (ETW) anstelle der gesamten Flussbreite, wie sie in konventionellen Geschiebetransportformeln erfolgt, aufgezeigt. Ebenfalls an der Drau wird der Zeitversatz zwischen Geschiebe und Abfluss (Time-lag-Effekt) durch den Einfluss eines Wasserkraftwerks demonstriert. Ein Time-lag-Effekt kann nicht nur durch anthropogen verursachte Einflüsse entstehen, sondern auch in der Natur auftreten. Dieses Phänomen wird bei den Geschiebemessstationen an der Rofenache in Vent und an der Isel in Osttirol beobachtet. An der Urslau in Maria Alm wurden die Daten des Langzeitmonitorings hinsichtlich der Transporteffizienz analysiert und Ereignistypen klassifiziert. Die Beispiele verdeutlichen die Wichtigkeit von Langzeitdaten und schärfen das Prozessverständnis des Geschiebetransports.

2 Methoden

Insgesamt gibt es in Österreich 11 Geschiebemonitoringstationen, an denen integrativ gemessen wird. Was bedeutet, dass der Geschiebetransport permanent indirekt mittels Geophonen gemessen wird und diese mit direkten Messungen, wie Fangkorbmessungen und Fallenmessungen, kalibriert werden. Dadurch kennt man in jeder Minute den Geschiebetrieb pro Geophon (kg/ms) und den Geschiebetransport (kg/m) im Querprofil. Durch die Integration über die Zeit kann man zum Beispiel Ereignisfrachten sowie Jahresfrachten bestimmen. Abb. 1 zeigt eine Übersichtskarte der 11 Geschiebemessstationen in Österreich.

Abb. 1
figure 1

Übersichtskarte der Geschiebemessstationen in Österreich. (Quelle: BMLFUW 2007, überarbeitet)

Die Standorte der Stationen sind in Orange – Betreuung durch das IWA (Institut für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung, BOKU) –, in Grün – Betreuung durch das IAN (Institut für Alpine Naturgefahren, BOKU) – und in Grau – Betreuung durch die TIWAG (Tiroler Wasserkraft AG) – dargestellt. Die Standorte der BOKU werden vom BML (Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft), von den Ländern Kärnten und Tirol sowie von der WLV (Wildbach- und Lawinenverbauung) unterstützt. Die zwölfte Geschiebemonitoringstation am Habach befindet sich gerade im Bau und geht voraussichtlich im Sommer 2023 in Betrieb. Außerdem sind drei weitere Stationen in den Einzugsgebieten der Oberen Salzach bereits in Planung. Das kontinuierliche Monitoring des Geschiebetransports ermöglicht ein besseres Verständnis von Prozessen, wie der örtlichen und räumlichen Verteilung des Geschiebetransports im Fluss, oder gibt Einblicke über die Sedimentverfügbarkeit im Regime. In diesem Artikel werden prozessrelevante Ergebnisse der Messstationen Dellach/Drau, Lienz/Drau, Lienz/Isel, Maria Alm/Urslau und Vent/Rofenache vorgestellt. Abb. 2 zeigt die fünf Geschiebemessstationen.

Abb. 2
figure 2

Übersicht der Messstationen Dellach/Drau (a), Lienz/Drau (b), Lienz/Isel (c), Maria Alm/Urslau (d) und Vent/Rofenache (e)

Die Messstation Dellach/Drau befindet sich in Kärnten und entwässert ein Gebiet von 2131 km2. Ebenfalls an der Drau liegt die Messstation Falkensteinsteg in Lienz in Osttirol. Hier besitzt die Drau ein Einzugsgebiet von 680 km2. Ebenfalls in Osttirol, aber an der Isel, befindet sich eine Messstation mit einer Einzugsgebietsgröße von ungefähr 1200 km2. Im Nachbarbundesland Salzburg ist die Messstation an der Urslau in Maria Alm situiert. Die Urslau entspringt auf einer Seehöhe von etwa 1800 m. Das mittlere Gefälle zu ihrer Mündung in die Saalach beträgt ungefähr 5 %. Die Größe des Einzugsgebiets bis zur Messstation beträgt 55 km2 und weist einen alpinen Charakter auf. Der Sedimenthaushalt des Gebirgsflusses wird neben Sohl- und Ufererosion stark durch den Input der Zubringer, Mureinstöße und andere Massenbewegungen geprägt (Kreisler et al. 2017). Mit einer Seehöhe von 1891 m ü. A. ist die Messstation in Vent an der Rofenache die höchstgelegenste Station und weist eine Einzugsgebietsgröße von 98 km2 auf.

Tab. 1 gibt einen Überblick über die Messtationen, die mit Geophonen instrumentiert sind und vom Institut für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung (IWA) der BOKU betreut werden.

Tab. 1 Überblick der Geschiebemessstationen des IWA mit Geophonanlagen in Österreich und deren Einzugebietsgröße, Gefälle, Breite und dem Installationsjahr und der Anzahl der Geophone der Anlage

Ein wesentlicher Bestandteil der Geschiebemessstationen sind die Geophone. Geophone sind Schwingungssensoren (GS20DX-Vibrationssensoren), die an der Unterseite von Stahlplatten angebracht sind und in regelmäßigen Abständen über ein Querprofil installiert werden. Das über die Stahlplatte transportierte Geschiebe erzeugt Schwingungen, die vom Geophon registriert werden (Grenzkorn 10–30 mm; Rickenmann et al. 2014). Dieses Signal wird in ein elektrisches Spannungssignal umgewandelt und von einem Computersystem verarbeitet. Bei der Verarbeitung des Rohdatensignals zeichnet die Software die Anzahl der Impulse pro Minute (die einen Schwellenwert von 0,1 V überschreiten), die maximale Amplitude pro Minute und das Integral der quadrierten Mittelwerte pro Minute kontinuierlich auf (Kreisler et al. 2017; Rindler et al. 2023; Habersack et al. 2017).

3 Ergebnisse und Diskussion

Durch die hochauflösenden Messdaten der 40 Geophone an der Messstation Dellach/Drau konnte die räumliche Verteilung des Geschiebetransports analysiert und beschrieben werden. Wie in Habersack et al. (2017) gezeigt, basiert die Berechnung (Gl. 1) des Geschiebetransports Qb auf der Integration des spezifischen Geschiebetransports qb über die Fließgewässerbreite (w), wobei w0 und wn die Anfangs- bzw. Endpunkte der Fließgewässerbreite sind (Rindler et al. 2023).

$$\boldsymbol{Q}_{\boldsymbol{b}}={\int }_{\boldsymbol{w}_{\mathbf{0}}}^{\boldsymbol{w}_{\boldsymbol{n}}}\boldsymbol{q}_{\boldsymbol{b}}\boldsymbol{dw}$$
(1)

Anhand der Geophonsignale kann die Auftrittswahrscheinlichkeit des Geschiebetransports beschrieben und visualisiert werden (Abb. 3). Durch die Analyse einer Datenreihe von zehn Jahren (2010 bis 2020) wurde ersichtlich, dass der Bewegungsbeginn alternierend über eine Breite von 25 Metern im Querprofil mit einer Wahrscheinlichkeit von 5–10 % auf einem Teilabschnitt von 1,5 Metern bei einem Abfluss von 60 m3/s auftritt.

Abb. 3
figure 3

Auftrittswahrscheinlichkeit des Geschiebetransports in Prozent, in Ein-Kubikmeter-pro-Sekunde-Schritten und über den Querschnitt verteilt (basierend auf den aufgezeichneten Geophondaten von 2010 bis 2020 und dem aufgezeichneten Abfluss). Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens wird in der 2D-Darstellung anhand einer regenbogenförmigen Skalierung dargestellt, wobei 5 % hellblau und 100 % tiefrot sind. Auf der Y‑Achse ist die absolute Breite am Geophonquerschnitt in Metern angegeben, wobei die Skalierung am linken Ufer bei 0 beginnt. Auf der unteren X‑Achse ist der Durchfluss in m3/s angegeben, und auf der oberen X‑Achse sind die MQ (mittlerer Durchfluss) und HQx (Hochwasserereignisse mit variablem Wiederkehrintervall x in Jahren) Werte entsprechend aufgetragen. (Vereinfacht nach Rindler et al. 2023)

Die Auftrittswahrscheinlichkeit von Geschiebetransport beginnt in der Flussmitte in einem Abstand von 20–40 m vom linken Ufer und nimmt mit zunehmendem Abfluss im Querprofil zu. Bei einem Abfluss von etwa 175 m3/s kommt es in der Flussmitte (30 m vom linken Ufer entfernt) erstmals zu einer hundertprozentigen Auftrittswahrscheinlichkeit von Geschiebetransport. Ab einem Abfluss von 250 m3/s wurde eine 100 %ige Transportwahrscheinlichkeit über eine Flussbreite von 30 m beobachtet (15–45 m vom linken Ufer entfernt) und bei 350 m3/s erhöht sich die 100 %ige Transportkapazität nochmals um fünf Meter auf 35 m. In einigen Randbereichen wurde auch bei hohen Abflüssen kein Geschiebetransport beobachtet, was darauf hindeutet, dass in diesen Bereichen ein vollständiger Geschiebetransport (100 %) nicht über das gesamte Abflussspektrum erreicht wird. Jenseits eines Abflusses von ca. 330 m3/s, was einem 1‑jährigen Hochwasserereignis (HQ1) entspricht, besteht die Möglichkeit eines Geschiebetransports über eine Flussbreite von 40 m, was der mittleren Flussbreite im Untersuchungsgebiet und der Abflussstrecke zwischen den Brückenpfeilern entspricht (Rindler et al. 2023).

Durch die räumliche Information der Geophone kann die Breitenverteilung in Abhängigkeit vom Abfluss mithilfe der effektiven Transportbreite (ETW) beschrieben werden. Hierfür wurden die 15-Minuten-Mittel‑, Medianwerte, 25-%- und 75-%-Quantile der ETW aus den Jahren 2010 bis 2020 pro Abflussklasse (in Schritten von 1 m3/s) in Abb. 4 dargestellt. Außerdem ist die Anzahl der Werte pro Klasse dargestellt, wobei die Anzahl der Werte (Ereignisanzahl) im rechten Bereich des Diagramms aufgrund der geringeren Eintrittswahrscheinlichkeit hoher Abflüsse abnimmt. Der Scheitelpunkt dieser Kurve entspricht dem mittleren Abfluss der Drau an der Forschungsstation.

Abb. 4
figure 4

Vergleich des Durchflusses (X-Achse) und der auftretenden Transportbreite. Die Anzahl der Proben pro 1 m3/s-Abflussklasse (schwarze Diamanten) bezieht sich auf die rechte Y‑Achse. Alle anderen Daten, wie der Mittelwert pro 1 m3/s-Abflussklasse (rote Kreise), der Median pro 1 m3/s-Abflussklasse (blaue X), das 25-%-Quantil (gelbe Linie), das 75-%-Quantil (orange Linie) und die resultierende Gompertz-Kurvenanpassung entsprechend der ETW (dicke rote Linie), beziehen sich auf die linke Y‑Achse. (Vereinfacht nach Rindler et al. 2023)

Um die ETW mittels einer Formel zu beschreiben, wurde eine Kurvenanpassung nach Gompertz (1825) durchgeführt (siehe Gl. 2). Mithilfe dieser numerischen Beschreibung lässt sich somit die Einflussbreite pro Durchfluss ermitteln (Rindler et al. 2023).

$$\mathrm{ETW}\left(\mathrm{Q}\right)=40^{{e^{-e}}\left[-0{,}027\left(\mathrm{Q}-106{,}51\right)\right]}$$
(2)

Als Grundlage dieser Auswertung dienten 337.229 Messpunkte und die statistischen Parameter Adjustierte R‑Quadrat (Bestimmtheitsmaß) und reduzierte Chi-Quadrat aufgeführt lagen bei 0,7999 sowie 24,711, was eine signifikante Korrelation zwischen den Rohdaten und der angepassten Kurve bestätigt (Rindler et al. 2023).

Durch die langjährigen, hochauflösenden und kontinuierlichen Beobachtungen des Geschiebetransports an der Drau kann durch den Parameter der effektive Transportbreite (ETW) erstmals die lokale Verteilung des Geschiebetransports in einem Flussquerschnitt beschrieben werden. Dieser Parameter ist eine statistische Beschreibung der räumlichen Verteilung des Geschiebetransports und ermöglicht somit ein besseres Verständnis der lokalen Variabilität des Geschiebetransports. Die ETW zeigt beispielsweise, dass bei mittlerem Abfluss der Geschiebetransport statistisch gesehen auf nur 1,2 m des gesamten Flussquerschnitts von 50 m vorherrscht. Erst bei Abflüssen, die ein einjähriges Hochwasserereignis (HQ1) überschreiten, tritt Geschiebetransport über die gesamte Flussbreite auf. Dies zeigt, dass eine Extrapolation des Geschiebetransports (kg/m s) auf die gesamte Flussbreite nur an wenigen Tagen im Jahr, wenn ein Hochwasser vorherrscht, gerechtfertigt ist. Während die ETW nicht direkt die Intensität des Geschiebetransports darstellt, werden die Änderungen der Geschiebetransportbreite, die aufgrund von Änderungen im Sedimenthaushalt auftreten, berücksichtigt. Das Konzept der ETW trägt zu einer besseren Prozessbeschreibung der räumlichen Verteilung des Geschiebetransports in Flusssystemen bei und kann die Abschätzung der Geschiebetransportraten vereinfachen.

Der Sedimenttransport während Hochwasserereignissen zeigt oft hysteresische Muster, da der Abfluss vor (gegen den Uhrzeigersinn) oder nach (im Uhrzeigersinn) dem Spitzenwert des Geschiebes liegen kann. Die Hysterese des Sedimenttransports wird in der Literatur oft dazu verwendet, um Rückschlüsse auf den Grad der Sedimentverfügbarkeit zu ziehen. Hysteresen im Uhrzeigersinn werden mit unbegrenzter und Hysteresen gegen den Uhrzeigersinn werden mit begrenzter Sedimentverfügbarkeit beschrieben. Die Beispiele an der Oberen Drau am Falkensteinsteg und an der Isel zeigen, wie dieses These auf österreichische Flüsse angewandt werden kann (Mao et al. 2014). Am Falkensteinsteg, in Abb. 5a, erkennt man eine klare Hysterese gegen den Uhrzeigersinn, die auf ein Geschiebedefizit hinweist. Diese resultiert hier vor aus der anthropogenen Beeinflussung durch die Restwasserstrecke eines Kraftwerks und den fehlenden Nachschub an Geschiebe. Diese beiden Faktoren verursachen eine Verzögerung des Geschiebetransports am Falkensteinsteg. Im Gegensatz dazu zeigt das Beispiel der Isel in Abb. 5b eine Hysterese im Uhrzeigersinn, die aussagt, dass es an dieser Messstation im Untersuchungszeitraum keine Geschiebedefizite im Transportverhalten gab.

Abb. 5
figure 5

Hysterese gegen den Uhrzeigersinn (a) und im Uhrzeigersinn (b)

Die durch die anthropogene Beeinflussung auftretende Verschiebung der Geschiebespitzen konnten Aigner et al. (2017) gut beschreiben. Hier wurde z. B. der mittlere vorherrschende Durchfluss während eines Ereignisses der Zeitdifferenz zwischen Hochwasserspitze und Geschiebespitze gegenübergestellt. Aufgrund dieser Funktion kann nun dieser Time-lag-Effekt (Zeitversatz) beschrieben werden und die auftretende Geschiebespitze prognostiziert werden.

Ein Time-lag-Effekt ist nicht nur bei anthropogen beeinflussten Einzugsgebieten zu beobachten, sondern tritt auch infolge natürlicher Ereignisse, wie z. B. Geschiebeeintrag durch Zubringer, Murgänge etc. auf. An der Messstation Vent wurde am 13.07.2019 im Einzugsgebiet der Messstation ein Murgang von Wanderern beobachtet. Dieser war anhand der Schwebstoffdaten noch am selben Tag zu erkennen. In den Geschiebemessdaten wurde der durch den Murgang verursachte Geschiebeeintrag aber erst mit einer Verzögerung von vier Tagen registriert (Abb. 6). Dieser Time-lag-Effekt beruht vor allem auf dem selektiven Transport der Geschiebepartikel und der im Verhältnis zur Fließgeschwindigkeit langsameren Geschiebetransportgeschwindigkeit.

Abb. 6
figure 6

Time-lag-Effekt von Schwebstoff- und Geschiebetransport

Das Messsystem an der Urslau liefert seit seinem Einbau 2011 kontinuierlich Daten über den Geschiebetransport. Diese hoch aufgelösten Naturmessdaten ermöglichten in der Studie von Kreisler et al. (2017) den Autoren eine genaue Analyse unterschiedlicher Ereignisse mit Geschiebetransport. Es konnte gezeigt werden, dass die Geschiebeverfügbarkeit im Einzugsgebiet und das Vorhandensein von leicht verfügbarem Material in der Gewässersohle entscheidend für die Transporteffizienz (vereinfacht beschrieben als transportierte Geschiebemenge pro Durchflusseinheit) eines Ereignisses sind. Basierend auf einer Gegenüberstellung der Transporteffizienz eines Ereignisses und den hydraulischen Verhältnissen wurden 4 verschiedene Ereignistypen klassifiziert (Abb. 7): Typ 1 beschreibt jene Ereignisse, wo bei hohen Durchflüssen große Geschiebemengen transportiert werden; bei Typ 2 handelt es sich um Folgeereignisse von Typ 1. Hier wird Material, welches bei Typ 1 mobilisiert wurde bei geringen Durchflüssen transportiert. Unter Typ 3 werden vor allem kleine, häufig auftretende Ereignisse zusammengefasst. Bei diesen Ereignissen werden leicht mobilisierbare Sedimente aus der Flusssohle transportiert. Ereignisse während der zum Beispiel der Schneeschmelze, wo wenig Sediment verfügbar ist, werden in Typ 4 zusammengefasst.

Abb. 7
figure 7

Konzeptuelle Klassifizierung der Ereignistypen. (Vereinfacht nach Kreisler et al. 2017)

Diese Klassifizierung der Geschiebetransportereignisse stellt für die Praxis ein wichtiges Werkzeug dar, um die Geschiebetransport-Durchfluss-Beziehungen an einem Gebirgsfluss mit variierender Sedimentverfügbarkeit zu verstehen.

4 Zusammenfassung

Das umfangreiche Geschiebemonitoring in Österreich liefert einen weltweit beispiellosen Einblick in das Transportverhalten alpiner Flusssysteme und trägt wesentlich zu einem besseren Prozessverständnis bei. Geophonanlagen übernehmen hierbei die indirekte Erfassung des Geschiebetransports und liefern kontinuierliche, räumlich und zeitlich hoch aufgelöste Datenreihen über die Intensität des Geschiebetransports.

Aufgrund der langjährigen, hochauflösenden und kontinuierlichen Beobachtungen des Geschiebetransports an der Drau konnte die räumliche Variabilität des Geschiebetransports und deren Abhängigkeit vom Durchfluss mithilfe der ETW beschrieben werden. Diese statistische Beschreibung ermöglicht es, in Abhängigkeit vom Durchfluss, zu prognostizieren, über welche Breite im Querprofil Geschiebetransport vorherrscht. Die ETW zeigt z. B., dass bei mittlerem Abfluss nur auf 1,2 m des gesamten Abflussquerschnitts von 50 m Geschiebetransport vorherrscht. Geschiebetransport über die gesamte Flussbreite tritt im Fallbeispiel Drau nur bei Abflüssen auf, die ein einjähriges Hochwasserereignis überschreiten. Dies zeigt u. a., dass eine Extrapolation des Geschiebetransports (kg/m s) über die gesamte Flussbreite nur an wenigen Tagen im Jahr gerechtfertigt ist und bei der Annahme, dass Geschiebetransport immer über das gesamte Querprofil vorliegt, der vorherrschende Geschiebetransport überschätzt wird. Das Konzept der ETW trägt zu einer besseren Prozessbeschreibung der räumlichen Verteilung des Geschiebetransports bei und verbessert die Abschätzung des Geschiebetransportaufkommens.

Die Messdaten der letzten Jahrzehnte zeigen, dass das zeitliche Auftreten des Geschiebetransports oftmals nicht synchron mit der Durchflussentwicklung ist. An der Station Lienz/Isel (Iselsteg) werden regelmäßig Geschiebehystereseeffekte im Uhrzeigersinn beobachtet, bei denen das Geschiebemaximum vor dem Durchflussmaximum stattfindet. Demgegenüber kommt es an der Station Lienz/Drau (Falkensteinsteg) häufig zu einer Hysterese im Gegenuhrzeigersinn. Durch die oftmals verzögerte Geschiebenachversorgung aus der Restwasserstrecke tritt das Geschiebemaximum hier teilweise deutlich nach dem Durchflussmaximum auf. Anhand der Hystereseeffekte in den instrumentierten Flüssen kann somit auf den Sedimenthaushalt geschlossen werden. So zeigt das Fallbeispiel Falkensteinsteg eine Hysterese, die gegen den Uhrzeigersinn verläuft und somit einen gestörten Sedimenthaushalt, und das Beispiel Iselsteg eine Hysterese im Uhrzeigersinn, was auf einen entsprechenden Geschiebeinput schließen lässt.

Durch die hochaufgelösten Naturmessdaten der Geophonanlagen wurde nicht nur eine ETW abgeleitet oder eine Hysterese im Geschiebetransport erkannt. An der Messstation Urslau wurden über die Transporteffizienz und die hydraulischen Bedingungen während eines Ereignisses auch vier Ereignistypen klassifiziert, die vor allem das Verständnis über die Beziehung von Geschiebetransport und Durchfluss bei variierender Sedimentverfügbarkeit stärken. Dadurch könnten die Geophondaten u. a. dazu beitragen, dass Geschiebetransportformeln zukünftig um den Faktor „Sedimentverfügbarkeit“ ergänzt werden.

Sedimenttransportprozesse werden weltweit erforscht. Um fundierte Aussagen über das Sedimenttransportverhalten in Flüssen treffen zu können, sind Langzeitbeobachtungen der Sedimenttransportprozesse unabdingbar. Dadurch können Fehlinterpretationen vermieden und Faktoren, wie Geschiebeverfügbarkeit und der Einfluss von örtlicher und zeitlicher Variabilität des Geschiebetransports, berücksichtigt werden.

5 Ausblick

Das Geschiebelangzeitmonitoring hat sich bislang als sehr sinn- und wertvoll erwiesen. Ein weiterer Ausbau des Messnetzes ist geplant, um weitere Analysen hinsichtlich der Auswirkungen des Klimawandels auf den Geschiebetransport, der Validierung von Formeln, der Abhängigkeit des Geschiebetransports vom Durchfluss usw. durchzuführen.