1 Erläuterungen

In diesem Fachbeitrag werden drei wesentliche Begriffe im integrativen Wasserbau unterschieden: (1) der technische Wasserbau, der aufgrund von unterschiedlichen Formen starker Gewässerkorrekturen meist singulären sozio-ökonomischen Anforderungen gerecht wird (z. B. Gewährleistung Hochwasserschutz). Ein wesentliches Element des technischen Wasserbaus ist dabei die Verwendung naturfremder bzw. standortuntypischer und nicht-erodierbarer Materialien (Büttner et al. 2013; Krüger 2013), (2) der naturnahe Wasserbau, welcher unter Verwendung naturnaher Materialien den Ansprüchen einer ökologischen Aufwertung Rechnung trägt bzw. tragen möchte und insbesondere ingenieurbiologische Maßnahmen forciert (Hauer 2016; Schiechtl und Stern 2002) und (3) die naturbasierten Lösungen (Nature-based Solutions), welche über den klassischen naturnahen Wasserbau hinaus vor allem natürliche Prozesse in die Konzipierung von Maßnahmen miteinbeziehen und natürliche Materialien präferieren. Begriffe und Begriffsdefinitionen leiten sich in der Regel von (i) begreifen/erfassen ab, bzw. kann dies auch unter „verstehen“ eingeordnet werden (vgl. Diskussion in Vater 1999) bzw. (ii) in einem übertragenen Sinne in den Naturwissenschaften in einem „Lesen“ der naturräumlichen Gegebenheiten bzw. Lesen der (Fluss‑)Landschaften, Flussmorphologien und -typen (vgl. Brierley et al. 2013; Fryirs und Brierley 2012). Exakt auf die beiden letztgenannten Eigenschaften zielen die naturbasierten Lösungen in der integrativen Wasserwirtschaft ab.

Ziel des vorliegenden Fachbeitrags ist es, die Herangehensweise an naturbasierte Lösungen im integrativen Wasserbau in Analogie zu anderen in diesem Sonderbeitrag genannten Fachdisziplinen (vgl. Pucher et al. 2023; Pitha et al. 2023) im Detail zu beschreiben, mit Beispielen aus der Wissenschaft und Praxis zu hinterlegen und diese von den beiden anderen Begriffen des „technischen“ und „naturnahen Wasserbaus“ abzugrenzen.

Als wesentliches Kernelement wurde eingangs bereits die Berücksichtigung natürlicher Prozesse genannt. Diese sind vor allem an die Abfluss- und Sedimentdynamik gebunden, welche letztendlich die unterschiedlichen Ausprägungen und Formen unserer Flusslandschaften und -morphologien, von den kleinskaligen Habitaten hin zu den breiten Überflutungsflächen bestimmt (hat!) (vgl. Hauer 2015). Die Bedeutung liegt hier vor allem in der Ko-Evolution der Gewässerorganismen mit den Flusslandschaften und der Notwendigkeit, dieser Ko-Evolution auch auf Prozessebene Rechnung zu tragen (Hauer et al. 2022; Hauer und Pulg 2018). Dabei spielt die Zoogeografie eine wichtige Rolle, die den Klimawandel, aber auch die Tektonik mit der Entwicklung der Kontinente mit Gebirgsbildungen und Flusssystemen widerspiegelt. Als Beispiel sind hier die Veränderungen ursprünglich „transportlimitierter Verhältnisse“ vieler alpiner Voralpenflüsse hin zu „Supply-limitierenden“ Verhältnissen (vgl. Montgomery und Buffington 1997; Pfeiffer et al. 2017) aufgrund von (i) Geschieberückhalt und (ii) erhöhter Transportkapazität durch Begradigung (Erhöhung Gefälle) und Einschnürung zu nennen (Hauer und Habersack 2022). Unter jenen Veränderungen sind aquatische Organismen auf allen trophischen Ebenen durch die fehlende Umlagerungsdynamik negativ beeinflusst, da ihre speziell an diesen Gewässertyp in einer Ko-Evolution angepassten Habitatbedingungen (transportlimitiert) nicht mehr vorgefunden werden (Hauer et al. 2018).

Ein Blick über den Tellerrand (Gewässerrand) zeigt aber auch, dass sehr weitreichende Managementkonzepte für den Naturraum die Prozesse und den Prozessschutz in den Vordergrund stellen. Als Beispiel sind hier Nationalpark-Konzepte zu nennen, wo in einer Erläuterung zu den Aufgaben des Nationalparks steht: „Ziel des Nationalparks ist es, die natürlichen Prozesse zu schützen und fördern …“ Auf Habitatansprüche einzelner Individuen und zu erzielende Häufigkeit und Biomasse wird hierbei nicht eingegangen. „Naturbasierte Lösungen im Wasserbau“ verfolgen exakt die gleiche Zielsetzung eines Prozessschutzes bzw. natürliche Prozesse zu fördern und grenzen sich somit neben den Zielen des technischen Wasserbaus auch zum Teil vom naturnahen Wasserbau ab, um in einer hierarchischen Betrachtung habitatbestimmender Prozesse die Lebensräume und den ökologischen Zustand zu verbessern. Für die Donau wurde z. B. ein hierarchisches Zielgebäude formuliert (viadonau 2018): (i) Förderung dynamischer geo- und hydromorphologischer Prozesse, (ii) Förderung unterschiedlicher Habitattypen und deren Verfügbarkeit, (iii) Förderung leitbildtypischer Lebensgemeinschaften und Arten (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Hierachisches Zielgebäude (viadonau 2018)

Unter dem Begriff naturnaher Wasserbau wird meist der Ausbau und Unterhalt von Fließgewässern mit naturraumtypischen Pflanzen und Baustoffen (ingenieurbiologische Bauweisen) verstanden (Patt und Gonsowski 2011). Die Umsetzung in Projekten kann sowohl „eigendynamische Entwicklung“ fördern, diese aber auch bewusst mittels ingenieurbiologischer Sicherungen unterbinden (Patt 2018). Somit können durch „Green Engineering“ auch standorttypische lebensraumbestimmende Prozesse verhindert (z. B. Seitenerosion durch Weiden-Spreitlage) bzw. auch naturnahe Materialien in Gewässerstrecken eingebracht werden, die aufgrund der Genese der Flusslandschaften so nicht vorzufinden wären (z. B. Störsteine in Tieflandflüssen).

Beispiele für „Nature-based Solutions“ in der integrativen wasserwirtschaftlichen Praxis sind vielfältig und werden in einigen Fachbeiträgen des vorliegenden Sonderhefts auch abgehandelt (vgl. Binder et al. 2023; Haimann et al. 2023) bzw. wird in Flödl und Hauer (2023) auf die weiterführende notwendige sozio-ökonomische Betrachtung der ökologischen Verbesserung der Fließgewässer durch NbS verwiesen. Bei kanalisierten, hochwasserregulierten Flüssen (technischen Lösungen) werden morphologische Veränderungen möglichst vermieden (Jüpner 2013). Außergewöhnlich hohe Abflüsse in der Vergangenheit haben jedoch gezeigt, dass auch kanalisierte Flüsse morphologisch aktiv werden können, insbesondere wenn ein Abfluss den Bemessungsabfluss überschreitet, wie z. B. bei einem Jahrhunderthochwasser (Krapesch et al. 2011; Hauer und Habersack 2009). Dabei vergrößert sich die Flussbreite z. B. auf das 14-Fache der Breite vor dem Ereignis und Objekte, die sich dort befinden, werden häufig zerstört oder erodiert. Die morphodynamischen Potenziale und kritischen Strömungen (Froude Zahl > 1) in solchen Fällen wurden jedoch kaum untersucht, und das Hochwasserrisiko für menschliche Siedlungen infolge unkontrollierter Erosion ist daher kaum bekannt. Die natürlichen Prozesse (Grundlage für NbS), die hinter diesen morphodynamischen Potenzialen stehen, basieren in alpinen Gewässern auf der sogenannten Grant-Theorie (Grant 1997), die besagt, „(…) dass natürliche Fließgewässer über einen längeren Zeitraum über längere Gewässerstrecken sich nicht im schießenden Abflusszustand (Froude Zahl >1) befinden (…)“ und Erosions‑/Umlagerungsprozesse dem entgegenwirken und somit das Gewässer in den strömenden Zustand (Froude Zahl < 1) überführen.

Am Beispiel der Flåmselva (Westnorwegen) konnte gezeigt werden, dass aufgrund des Hochwassers von 2014 große Bereiche, die sich in der Phase vor dem Hochwasser in kritischen Strömungsbedingungen befanden (Froude Zahl > 1), in der Phase nach den hochwasserbedingten Umlagerungen bei gleichem extremem Abfluss (HQ200) signifikant niedrigere Froude-Zahlen aufwiesen (Hauer et al. 2021). Es stellte sich weiters heraus, dass die künstlich geschaffenen glatten Ufer- und Sohlbefestigungen in steilen hochwasserregulierten kanalisierten Flüssen als Treiber für kritische Strömungsverhältnisse fungieren können (Hauer et al. 2021). „Nature-based solutions“ im Hochwasserschutz beziehen deshalb auch das Erosionspotenzial/die Erosionsprozesse bei Extremhochwässern mit in die integrative Planung ein (vgl. Abb. 2), was auch bereits unter dem Begriff „Flussmorphologischer Raumbedarf“ präsentiert wurde (Habersack et al. 2010). Dabei stellte sich heraus, dass ein Zusammenhang zwischen der Sohlschubspannung oder Stream Power und der zu erwartenden Breitenerhöhung bei Extremhochwasser (> HQ100) besteht. Jedenfalls ist ein Abstand vom Flussufer von der 1‑ bis 3‑fachen Flussbreite je Ufer anzustreben (Habersack et al. 2010).

Abb. 2
figure 2

Adaption des Costa & O’Connor-Konzepts in Bezug auf geomorphologisch/sedimentologische Randbedingungen als Grundlage für Nature-based Solutions im integrativen Hochwasserschutz (modifiziert aus Hauer et al. 2021)

Die Berücksichtigung von habitatbildenden Prozessen in der Planung wird in den Nature-based Solutions aber nicht nur auf die derzeitigen klimatischen und geomorphologischen Rahmenbedingungen beschränkt, sondern bezieht auch paläohydrologische/paläosedimentologische Eigenschaften (vgl. Davy und Lague 2009; Makaske et al. 2002; Tucker und Hancock 2010) des Einzugsgebiets mit in die Analyse ein. Somit können auch hier bestimmte Aspekte einer Ko-Evolution von Gewässerorganismen und Fließgewässerlandschaften abgebildet werden (vgl. Hauer und Pulg 2018; Hauer et al. 2022) (Abb. 3). Vor allem sogenannte „nicht-fluviale“ Strukturelemente, deren Transport und Ablagerung an nicht fluviale Prozesse gekoppelt ist (z. B. Massenbewegungen von Hängen, Ablagerungen der Gletscher bei Schmelzen des Eises, Seetone) werden hierbei standortspezifisch bewertet. Somit scheiden bspw. aus Sicht der prozessbasierten Betrachtung große Störsteine in mäandrierenden Tieflandstrecken als standorttypisches Strukturelement oft aus.

Abb. 3
figure 3

Paläosedimentologische Prozesse (Solifluktion) führten zu Ausbildung von historischen Seen im Bereich der letzten Flussperlmuschelhabitate an der Maltsch im Grenzbereich CZ/AT (a), welche die Flussmorphologie bis heute beeinflussen bzw. bestimmen (b) (modifiziert aus Hauer et al. 2022)

„Naturbasierte Lösungen“ und die damit verbundene Dynamisierung des Fließgewässerraums unter den gegebenen und verbesserten Rahmenbedingungen im Einzugsgebiet betreffen aber mitunter auch Bereiche, die in einer statischen und konservierenden Betrachtung aus Sicht des Naturschutzes keiner Veränderung unterliegen dürfen. Hier braucht es in Zukunft einen Abstimmungs- bzw. auch Abwägungsprozess zwischen der Bedeutung der ausgewiesenen Schutz-Biotope und ihrer Funktion in der Landschaft, und jener Vielfalt aquatischer und semi-aquatischer Lebensräume, welche sich durch die Initiierung von flusstypspezifischen Prozessen eigendynamisch entwickeln. Vor allem durch den Schritt der Europäischen Union, den Schutz der Biodiversität als prioritäres Entwicklungsziel einzustufen (Hermoso et al. 2022), rücken der Prozessschutz und die eigendynamische Habitatvielfalt in den Vordergrund und könnten somit auch richtungsweisend für die Belange des Naturschutzes sein. Vor allem aus dem Grund, dass auch ausgewiesene Schutzzonen und Biotope dem Klimawandel unterliegen (Hannah 2008) und eigendynamische Entwicklungen in einem Fließgewässer eine hohe Resilienz gegenüber klimabedingten hydrologischen Stresssituationen ausweisen (vgl. Palmer et al. 2008). Neben ökologischen Fragestellungen finden NbS-Maßnahmen auch beim Hochwasserrisikomanagement zunehmend Bedeutung. Dabei stehen vor allem der Schutz und die Wiederanbindung von Überflutungsflächen im Vordergrund (Habersack und Schober 2020). NbS-Maßnahmen finden ebenso bei der Schifffahrt und der damit in Zusammenhang stehenden Wasserstraße zunehmend Berücksichtigung in Planung und Umsetzung. Das betrifft innovative Buhnen oder neue Formen von Regulierungsbauwerken wie Kiesinseln (Binder et al. 2023). Aber auch in der nachhaltigen Wasserkraft finden NbS verstärkte Aufmerksamkeit, wenn es etwa um die Durchgängigkeit von Biota und Sedimenten geht.

2 Zusammenfassung & Schlussfolgerung

Bei „Naturbasierten Lösungen“ (Nature-based Solutions) stehen die Prozesse und der Prozessschutz in Fließgewässern im Vordergrund. Dies betrifft sowohl die Gewässerdynamik, als eine Funktion von Hydrologie und Feststoffhaushalt, als auch eine langzeitige Gewässerentwicklung am Standort selbst. „Prozessbasiert“ und „Landschaftsentwicklung“ außerhalb des tlw. eingeschränkten aktiven Abflussquerschnitts sind sicherlich jene beiden Begriffe, die den klassischen „Naturnahen Wasserbau“ erweitern. Für die Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtline und vor allem den Schutz der Biodiversität gilt es hierbei, (i) Ist-Bestand, (ii) Defizitanalyse und (iii) die davon abzuleitenden Ziele um die genannten Aspekte der naturbasierten Lösungen zu erweitern, um auch den zukünftigen sozio-ökonomischen Aspekten unter dem zunehmenden Einfluss des Klimawandels gerecht zu werden.