1 Begriffsdefinition und Verständnis von natur-basiertem, grünem Regenwassermanagement

Die wassersensible Stadt- und Siedlungsentwicklung hat im letzten Jahrzehnt international an Aufmerksamkeit gewonnen. Vielerorts wurden Konzepte zum integrierten Regenwassermanagement aufgegriffen, um Oberflächenwasser aus Niederschlagsereignissen alternativ durch lokale Retention und Versickerung zu begegnen und damit die Kanalisation zu entlasten. Dezentrales oder integrales Regenwassermanagement wird dabei unterschiedlich grau, blau oder grün interpretiert, ein gemeinsames Verständnis herrscht jedoch über das Zusammenspiel von Funktionsflächen zur Versickerung, zur Retention und zur Verdunstung. Der Ansatz der nachhaltigen Regenwassernutzung inkludiert hier zusätzlich die Idee der Speicherung und Wiederverwendung v. a. zu Bewässerungszwecken von Grünflächen (Pitha und Enzi 2013). Entsiegelung und Erhöhung der Grünflächen zählen insgesamt wohl zu den wichtigsten Klimawandelanpassungsmaßnahmen, um Kompensationsflächen sowohl in der Ebene als auch am Gebäude (z. B. Retentionsgründächer und Dachgärten) zu schaffen (Brandenburg et al. 2015; European Commission 2013).

Der Unterschied zwischen grauem und grünem (oder grün-blauem) Regenwassermanagement manifestiert sich in der Nutzung grauer oder grüner (und blauer) Infrastrukturen. Graue Infrastrukturen dienen vorwiegend der raschen Ableitung der Oberflächenwässer über hart verbaute oder betonierte Kanäle und Rohranlagen. Grüne Infrastrukturen sind dagegen auf Infiltration, Speicherung und Verdunstung des Regenwassers über Vegetation und Baumbestände (sowie Wasserflächen) fokussiert. Dies ist gleichzeitig die Voraussetzung für vitales Wachstum und zahlreiche Ökosystemdienstleistungen wie Klimaregulation. Bildlich lässt sich dies als „Schwammwirkung“ darstellen: Die Vegetation mit ihren ober- und unterirdischen Pflanzenteilen in Kombination mit der Bodenmatrix saugt wie ein Schwamm Regenwasser auf und gibt es langsam wieder ab, worauf sich etwa das Konzept des chinesischen „Sponge Cities Program“ beruft (Yin et al. 2022). Dabei umfasst das integrale Regenwassermanagement nicht etwa nur den Straßenraum, sondern alle privaten und öffentlichen Freiräume und Gebäude einer Stadt gleichermaßen und verbindet sie konzeptionell so, dass ein größtmöglicher Regenwasserrückhalt geschaffen wird.

Vorbilder zur Realisierung dezentraler, grüner und naturnaher Regenwasserbewirtschaftung aus Hannover, Rotterdam, New York oder Singapur wurden von Kruse (2015) analysiert und dienten ihr als Grundlage für die Vorschläge großräumiger Gestaltungsstrategien und Planungsinstrumente für ein integriertes Regenwassermanagement in Hamburg. Sehr konkret und integral mit „Green Stormwater Infrastructure“ arbeiten z. B. Philadelphia oder Portland auf Basis eines Abkommens mit der EPA (US-Umweltschutzbehörde) zur Investition in den grünen Hochwasserschutz statt in graue Infrastrukturprogramme. In diesem Zusammenhang stehen konkrete Manuals zum „Green Stormwater Management“ mit einer breiten Palette an pflanzenbasierten und Grünflächenlösungen mit Angaben zu technischen Ausführungen und regelmäßigen Updates zur Verfügung (City of Portland 2020; Philadelphia Water Department 2021; Department of Environmental Conservation 2022; Watershed Consulting Associates, LLC und Hirschman Watershed and Environment, LLC 2017).

In Österreich bildet der derzeitige Stand der Technik grüne Regenwassermanagementlösungen nur rudimentär in Form von mit Rasen begrünten Versickerungsmulden oder -becken ab, zur Flächenversickerung werden Grasnarben, Schotterrasen, Rasengittersteine oder -platten und Rasenfugenpflaster angegeben (Kleidorfer et al. 2019; ÖNORM B 2506-1:2013 2013). Dies lässt einen gewissen Nachholbedarf feststellen, was die Aktualisierung der Regenwassermanagementsysteme mit natur- und pflanzenbasierten Alternativen betrifft. Vielerorts sind zudem Planungs- und Baumängel erkennbar, etwa die freie Interpretation der Ausführung rasenbegrünter Sickermulden als tiefe Spitzgräben mit Steilflanken oder Schotterrasen als Begrünung einer Schotterfläche ohne technischen Aufbau mit einer Samenmischung, oder auch – teilweise unmotivierte – bauliche Abtrennungen (z. B. Beet- und Baumscheibeneinfassungen durch bauliche Restbestände, Hochbeete etc.), die die integrierte Einleitung des Regenwassers in neu angelegte Grünflächenversickerungsanlagen bzw. die Haltung des Regenwassers im Kreislauf unterbinden. Dies lässt sich auch darauf zurückführen, dass der national gültige technische Standard hierzu keine Lösungen oder technischen Ausführungen anbietet, wodurch die Wirksamkeit dezentraler, naturbasierter integraler Lösungen defizitär wird und Österreich internationalen Trends und Standards bzw. dem Stand des Wissens hinterherhinkt.

Nachfolgend stellen wir neben bewährten grünen Regenwassermanagementlösungen auch neue Ansätze aus aktuellen Forschungsprojekten des Instituts für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau (IBLB) der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) vor. Gemein ist ihnen, dass die Konzepte auf nachhaltigen Landschaftsbau- und Vegetationstechniken beruhen und den Prinzipien der Nature-based Solutions nach dem Verständnis der IUCN (Cohen-Shacham et al. 2016; IUCN 2020) folgen. Insbesondere erwähnen wollen wir hier die Implementierbarkeit als Stand-alone-Lösungen oder Integrierbarkeit mit anderen technischen und/oder Ingenieurslösungen, den standortspezifischen natürlichen (und kulturellen) Kontext, das Ziel der Erhöhung der Biodiversität und der Schaffung bzw. Wiederherstellung von Ökosystemen.

2 Portraits grüner Regenwassermanagement-Bautechniken als Beispiele für natur-basierte Lösungen

2.1 Schotterrasen

Oberflächenbefestigungen von Verkehrsflächen können je nach Nutzung unterschiedlich ausgeführt sein, wobei die Tragfähigkeit und somit die Lastaufnahme (Belastungsklassen) des Wegeaufbaus eine bedeutende Rolle spielt. Für Flächen mit geringer Nutzungsintensität (z. B. Feuerwehrzufahrten, saisonal genutzte Parkplätze) kann neben klassischen Befestigungsarten wie Asphalt- oder Betondecke ein tragfähiger, befahrbarer und gleichzeitig versickerungsfähiger und biodiverser Schotterrasen mit Mehrwert eingebaut werden (Abb. 1). Der versiegelungsfreie Schotterrasen mit einem Abflussbeiwert von 0,3 (DWA-M 135 2007) besteht aus korngestuften technischen Substraten aus mineralischen und organischen Komponenten, die mehrschichtig eingebaut und verdichtet werden (FLL 2018b). Auf einer lastaufnehmenden und lastverteilenden unteren Tragschicht wird eine darauf liegende Vegetationstragschicht (z. B. Mischung aus gebrochenem Naturstein oder zertifizierten Hochbaurestmassen und Kompost) gesetzt, wodurch eine Begrünung mit geeigneten Gräser-Kräuter-Saatgutmischungen und somit eine Nährstoffversorgung der Pflanzengesellschaft ermöglicht wird.

Abb. 1
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Schotterrasen als begrünte und versickerungsfähige Oberflächenbefestigung der PKW-Stellflächen am Parkplatz West der Landesgartenschau Tulln, Österreich. (Foto: Bernhard Scharf, 2007)

Durch die Verbindung von tragfähigen Schotterpackungen und trockenresistenten Pflanzenarten, die ein hohes Regenerationsvermögen besitzen, erlaubt diese grüne Regenwassermanagementlösung Wasserspeicherung und Wasserversickerung neben Festigung und Armierung durch verdichtbare Schotterschichten und Pflanzenwurzelwachstum sowie Habitatschaffung für Flora und Fauna. Bestimmt durch die Nutzungsart und Nutzungsintensität ist ein vielseitiger Einsatz von Schotterrasen möglich: Nutzung der Fläche durch Fußgänger:innen und Radfahrer:innen, PKWs, Wohnmobile und Kleintransporter, LKWs oder für Feuerwehrfahrzeuge (Nutzungskategorie N1-N3, NFw) und unterschiedliche Nutzungsintensitäten (z. B. periodisch, saisonal, gelegentlich) spiegelt sich im Aufbau wider (Mächtigkeit der einzelnen Schichten bzw. Verdichtungsgrad). Tragfähigkeiten an der Oberfläche (Ev2-Werte) von 30 bis 100 MPa sind möglich (N1-N3, NFw). Die Vegetationstragdeckschicht zeichnet sich u. a. durch einen kf-Wert von ≥ 1 × 10−5 m/s (Wasserdurchlässigkeit) und eine Wasserkapazität im Bereich von ≥ 20, ≤ 40 Vol.-% aus (FLL 2018b).

Im Rahmen eines durch die EU geförderten Forschungsprojekts konnte die Verwendung von zertifizierten, rezyklierten Hochbaurestmassen für Schotterasen getestet werden (GREEN CONCRETE 2022). Im Vergleich zu Kalkschotter brachten die eingesetzten Recycling-Baustoffe höhere Wasserspeicherfähigkeiten auf, ersichtlich auch durch die vitalere Entwicklung der Gräser-Kräuter-Vegetationsgesellschaft. Basierend auf Tragfähigkeits- und Belastungsmessungen der Versuchsflächen aus Baustoff-Recyclingmaterial konnte diesem nachhaltigen und ressourcenschonenden Schotterrasenaufbau eine zufriedenstellende Eignung als PKW-Stellfläche ausgestellt werden (Pitha et al. 2013).

2.2 Begrünte retentive Alternativen entlang von Landstraßen und im Wegebau

Gute Entwässerungsplanung ist im Straßenbau zur raschen Ableitung von Niederschlags- und Oberflächenabfluss aus verkehrssicherheitstechnischen Gründen entscheidend. Entlang von Landstraßen erfolgt die Fahrbahnentwässerung meist oberirdisch, wobei das Wasser über die Bankette in Mulden oder tiefere Straßengräben zum Vorfluter abgeleitet wird. Diese sogenannten Spitzgräben sind jedoch gekennzeichnet durch Nachteile wie verkehrssicherheitstechnische Risiken oder erschwerte Wartungs- und Pflegemaßnahmen (inkl. belastender Kosten). Besonders problematisch ist, dass durch Verschlämmungen die Gräben ihre Infiltrationsleistung und Hauptfunktion zur Versickerung der Oberflächenwässer verlieren, da kontinuierlich Feinmaterial aus dem Sickerwasser eingetragen wird. Verrohrte Überfahrten müssen auch laufend kontrolliert und gereinigt werden, um Verklausungen im Starkregenereignisfall zu vermeiden.

Im Rahmen eines Forschungsprojekts für die NÖ Landesregierung wurden gemeinsam mit dem BOKU-Institut für Siedlungswasserwirtschaft, Industriewasserwirtschaft und Gewässerschutz (SIG) begrünte alternative Versickerungsvarianten mit einem leistungsfähigen Substrataufbau in einem Feldtest entlang von Landstraßen untersucht (Abb. 2), wobei folgende Eigenschaften als prioritäre Ziele definiert waren: (1) volle Gewährleistung der Tragfähigkeit und Befahrbarkeit für Pflegemaßnahmen; (2) Ausführung mit geringem Gefälle bzw. Freibord; (3) dauerhafte Infiltrationsleistung; (4) hohe Wasserspeicherfähigkeit; (5) nachweisliche Schadstoffreinigung hinsichtlich Erfüllung QZV Chemie GW (2010) (Kategorie F3-F5 laut ÖWAV R45 2015) und (6) einfache Herstellung mit regionalen Materialien.

Abb. 2
figure 2

Demonstrationsanlage mit begrünten alternativen Versickerungsvarianten inklusive leistungsfähigem Substrataufbau in einem Feldtest entlang von Landstraßen in Niederösterreich in der Errichtungsphase. Mittels PREGEL-Ausschüttversuch wird die Wasserdurchlässigkeit des technischen Substrates vor Ort getestet. (Foto: Bernhard Scharf, 2020)

Alternative retentionsfähige Flächen können versickerungsfähige Wegeaufbauten mit reduzierten Abflussbeiwerten aufgrund ihrer Befahrbarkeit, Tragfähigkeit, Versickerungsleistung, Wasserspeicherfähigkeit und Begrünbarkeit sein. Sie zeichnen sich durch gute Wartungs- und Pflegemöglichkeiten sowie Filter- und Reinigungsleistungen aus. Darüber hinaus bieten sie die Möglichkeit multifunktionaler Nutzbarkeit und variabler Bauweisen mit teilweise geringem technischem Aufwand bei der Herstellung.

In den Materialtests und im Feldversuch konnten gute Ergebnisse erzielt werden, die ausreichende Tragfähigkeit (Verformungsmodul EVD von 15 MN/m2 bzw. EV2 45 MN/m2 nach FLL 2018b) bei zuverlässiger hydraulischer bzw. Retentionsleistung in den Entwässerungstestgräben belegen. Die Infiltrationsgeschwindigkeit liegt idealerweise im Bereich von 10−4 m/s bis 10−5 m/s. Mineralische Gesteinskörnungen aus dem Straßenbau, z. B. ungebundene Tragschichten (RVS 08.15.01 von FSV 2017), Schotterrasen (FLL 2018b), wassergebundene Wegedecken, Stockholm-System mit Structural Soils (Stockholm Stad 2017; Bassuk et al. 2015) sind grundsätzlich geeignet. Ein zweischichtiger Aufbau ist vorzusehen (35 cm Oberbau, 50 cm Unterbau) bei lagenweisem Einbau und einer schichtweisen Verdichtung. Die Zugabe von Zuschlagsstoffen wie Perlit (Agroperl) verbessert die Wasserkapazität, gröberes Stützkorn (KG 90/250) im Unterbau verbessert Tragfähigkeit und Luftporenvolumen.

Zur Minderung von Erosionsschäden soll die Oberflächenvegetation einen Deckungsgrad von > 50 % aufweisen bei einer maximalen Saatgutmenge von 10 bis 20 g/m2. Vier Monate nach Einsaat im Feldtest waren die Flächen zu einer dicht geschlossenen, stabilen und durchgängigen Vegetationsdecke verwachsen mit einem Deckungsgrad von 60 bis 65 %. Im 2. Jahr stieg der Deckungsgrad auf > 95 % an, und entwickelte sich zu einer dichten Vegetationsnarbe. Die chemischen Untersuchungen der Sickerwasserproben lassen darauf schließen, dass die Anforderungen gemäß QZV Chemie GW (2010) mit wenigen Ausnahmen erfüllt werden können.

Damit kann das Konzept naturbasierter, begrünter und retentiver Versickerungsgräben entlang von Landstraßen zur Realisierung empfohlen werden. Derzeit wird die Übertragbarkeit des Konzepts tragfähiger hydraulisch leistungsfähiger Tragschichten aus lokalen Gesteinskörnungen auf den Forstwegebau im Projekt RETFORST gemeinsam mit den BOKU-Instituten Forsttechnik und SIG sowie weiteren Partner:innen geprüft.

2.3 Regengärten – Draingardens

Die beiden BOKU-Institute IBLB und SIG entwickelten gemeinsam mit Unternehmenspartner:innen in einem mehrjährigen Forschungsprojekt die sogenannten Draingardens, ein neues Regengartenkonzept. Anstoß zu dieser Entwicklung gab die zunehmende Problematik der Regenwasserentsorgung von öffentlichem Raum, insbesondere Straßen, in Gemeinden. Neben hohen Errichtungs‑, Erneuerungs- und Betriebskosten stellen pluviale Überflutungen aufgrund vermehrt auftretenden Extremregenereignissen eine große Herausforderung dar. Die Grundidee für Draingardens ist dabei denkbar einfach: Regenwässer werden nicht länger in die Kanalinfrastruktur entsorgt, sondern in Grünräume vorwiegend im Straßenraum eingeleitet. Dabei ist sicherzustellen, dass eine ausreichende hydraulische Leistungsfähigkeit über lange Zeiträume gegeben ist und das Grundwasser durch Reinigungsprozesse geschützt wird. Die Draingarden-Bauweisen lassen sich dabei in den Straßenraum in Form von Grünflächen oder Baumscheiben einfach integrieren.

Die erste offizielle Draingarden-Anlage wurde im Zuge des Forschungsprojekts in der niederösterreichischen Gemeinde Obergrafendorf errichtet und ersetzt dort den Regenwasserkanal (Abb. 3). Es handelt sich um einen 3 m breiten Streifen mit 50 cm Tiefe, der das Regenwasser der angrenzenden Fahrbahn mit rund 6 Meter Breite aufnimmt und überwiegend speichert. Die eingesetzten Substrate wurden in den BOKU-Laboren zuvor eingehend auf ihre Eigenschaften überprüft. Das Institut SIG stellte in Versuchen analog zur ÖNORM B 2506‑3 fest, dass die Reinigungsleistung des Pflanzsubstrates jener von technischen Filtern um nichts nachsteht. Das Institut IBLB fokussierte auf geotechnische und hydraulische Aspekte der Substratmischungen. Diese wiesen Infiltrationsgeschwindigkeiten von 10−3 bis 10−4 m/s auf. Zusätzlich wurden basierend auf den Vorgaben der ÖNORM B 2506‑3 auch Verschlämmungsversuche und ihre Auswirkungen auf die Infiltrationsgeschwindigkeit durchgeführt. Es wurde ein Zeitraum von 50 Jahren simuliert. Die Substrate wiesen dabei immer noch zufriedenstellende Infiltrationswerte von 10−5 bis 10−6 m/s auf. Die Wasserkapazität lag zwischen 30 und 40 Vol.-% und das Porenvolumen variierte im Bereich um 50 Vol.-% (Vierthaler 2016; Dellantonio 2017). Die Untersuchungen ermöglichen die Berechenbarkeit von Draingarden-Anlagen als Element des integralen Regenwassermanagements. Diese erfolgt in Anlehnung an die Bestimmungen der RVS 03.08.65 analog zu Muldenversickerungen. Aufgrund der hohen Infiltrationsleistung wird jedoch keine Mulde ausgebildet, sondern es genügt eine Oberflächenneigung von 3 bis 5 % in Fließrichtung, weg von der entwässerungswirksamen Fläche. Die Retention erfolgt nicht als Einstau, sondern im Substratkörper, der entsprechend dimensioniert werden muss. Dieser bietet überdies Pflanzen aller Art einen hervorragenden Wuchsstandort. Über 100 Draingardens wurden bisher von führenden Büros für Kulturtechnik geplant und umgesetzt (Zenebio 2022).

Abb. 3
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Forschungsfläche Draingarden in Obergrafendorf, Österreich mit unterschiedlichen Speicher- und Pflanzsubstraten sowie Staudenmischungen. (Foto: Irene Zluwa, 2016)

2.4 Neue begrünte Sickermuldenbauweisen

Versiegelte Oberflächengestaltungen wie z. B. Straßen, Gehwege oder Gebäude führen bei Niederschlägen zu Oberflächenabfluss. Eine gezielte Ableitung des Abflusses in unterirdische oder seitlich an versiegelten Infrastrukturen angrenzende oberirdische Entwässerungsbauwerke ermöglicht ein Management des anfallenden Regenwassers.

Nach RVS 03.03.32 (FSV 2019) ist eine Versickerungsmulde als linienförmige, offene, der Wasserableitung dienende Anlage mit ausgerundetem Querschnitt definiert. Sie kann befestigt oder unbefestigt ausgeführt sein und ist im Regelfall mit einer darunterliegenden Entwässerungseinrichtung kombiniert. Muldengefälle und hydraulische Bemessung erfolgen nach RVS 03.08.65 (FSV 2012) in Abhängigkeit von Gefälle, Untergrundbedingungen und der anfallenden Wassermenge. In jedem Fall muss der ermittelte Bemessungsniederschlag schadlos abfließen können. Begrünte Mulden erfordern ein Längsgefälle von 0 bis 4 %, zur Reinigungsfunktion ist die RVS 04.04.11 (FSV 2020) zu beachten.

Bau- und vegetationstechnische Lösungen wie begrünte Sickermulden bieten hier neben der Ableitung von Oberflächenwasser einen Mehrwert hinsichtlich Wasserspeicherung und -rückhalt, aber auch Transpiration und Evaporation, also der Verdunstung von Wasser durch Pflanzen und den Substratkörper – respektive Boden. Je nach Aufbau und Materialverwendung (technische Substrate, Pflanzengesellschaft) bieten sie weitere vielfältige Ökosystemdienstleistungen wie z. B. Habitatbereitstellung für Flora und Fauna, Mikroklimaregulation durch Kühlung und Befeuchtung der Umgebungsluft.

In der ÖNORM B 2506-1:2013 08 01 wird die Sickermulde – eine Vertiefung in der Fläche – variabel in ihrer Ausformung (kompakt angelegt oder in langgestreckter Form als Sickergraben) und in Abstimmung mit den örtlichen Gegebenheiten beschrieben, wobei eine ästhetische Eingliederung in die Gestaltung der Freifläche erzielt werden soll. Der Aufbau wird wie folgt beschrieben: Auf sickerfähigen gewachsenen Boden wird gegebenenfalls eine Trennschicht (z. B. Geotextil-Trenngewebe oder Sandlage) aufgelegt, darüber wird eine mind. 30 cm dicke belebte Bodenzone eingebaut. Flache Ausformungen ohne scharfe Kanten werden empfohlen. Wird begrünt (z. B. Wiesengesellschaft, Einzelgehölzpflanzung), ist eine gute Filterwirkung zu erzielen.

Dabei ist zu achten, dass Pflanzengesellschaften an die oberste Deckschicht (mind. 30 cm dicke belebte Bodenzone) besondere Ansprüche hinsichtlich Bodenwasser und Bodenluft, aber auch Nährstoffen stellen. In der ÖNORM B 2506-1:2013 08 01 wird dazu „sandiger Humus“ mit einem kf-Wert im Bereich von 10−5 bis 10−4 m/s angezeigt. Aus der Sicht des grünen Regenwassermanagements ist es erforderlich, die belebte Bodenzone mit Bedacht zu wählen, und hier auf technische Pflanzsubstrate – bestehend aus mineralischen sowie organischen Komponenten unterschiedlicher Korngröße sowie Bodenhilfsstoffen – zurückzugreifen, die einen langjährigen Betrieb von begrünten Sickermulden erlauben. Anreicherung von Feinpartikeln, fehlendes Stützkorn und Verdichtung einhergehend mit verringerter Infiltrationsleistung sind zu vermeiden (Weiss et al. 2021).

Untersuchungen haben gezeigt, dass der Einsatz von biodiversen Rasen- und Wiesenmischungen zur Begrünung von Sickermulden Vorteile bringt. In einem Versuch wurden technische Pflanzsubstrate (ein- oder zweischichtiger Aufbau; Kalkbruch mit oder ohne Zugaben von Zeoliten und Perliten; im Vergleich zu Baumsubstraten und natürlich gewachsenem Bodenmaterial) in Sickermulden eingebaut und mit drei Saatgutmischungen (herkömmlicher Gräserrasen, Blumenrasen und Blumenwiese) begrünt. Es stelle sich heraus, dass das getestete Baumsubstrat und die Referenzfläche aus Bodenaushub bedingt durch die geringer werdende Infiltrationsrate und einhergehender Verschlämmung nicht für den Einsatz als „belebte Bodenzone“ im begrünten Sickermuldenaufbau empfohlen werden können. Die getesteten technischen Pflanzsubstrate hingegen performten vielversprechend, der ein- oder zweischichtige Aufbau hatte jedoch keine Signifikanz bezüglich geotechnischer, hydraulischer und vegetationstechnischer Leistung. Die beiden artenreichen Mischungen (Blumenrasen und Blumenwiese) erbrachten höhere Deckungsgrade, die Blumenwiesen-Mischung überzeugte darüber hinaus durch ihr extensives Pflegemanagement (Mahd) und somit hohes Pflegekosteneinsparungspotenzial. Eine geringere Anzahl von Mahden erlaubt der Blumenrasen- bzw. Blumenwiesengesellschaft zusätzlich eine stetige Erneuerung durch Selbstaussaat. Blüten werden als Futterquelle für u. a. Insekten nutzbar und unterstützen die Biodiversität (Weiss et al. 2021; Ertl et al. 2022). Artenreiche Saatgutmischungen für Blumenrasenflächen oder Blumenwiesen sind bei qualifizierten Saatgutproduzent:innen und -hersteller:innen in Österreich erhältlich. Mischungsempfehlungen zu Blumenrasen, basierend auf langjährigen Forschungsarbeiten am Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau, können auf der Institutswebsite (IBLB 2022) abgerufen werden. Trocken- und wechselfeuchteresistente Pflanzengesellschaften bestehend aus Staudenarten in Kombination mit Baumpflanzungen bieten eine weitere attraktive und funktionsfähige Variante in der Begrünung von Sickermulden (Abb. 4).

Abb. 4
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Mit trocken- und wechselfeuchtetoleranten Staudenarten in Kombination mit Baumpflanzungen ausgestattete Sickermulde in Graz, Österreich. (Foto: Ulrike Pitha, 2020)

2.5 Dachbegrünung

Zum Abdichten und Decken von Gebäudedächern wurden und werden u. a. naturbasierte Materialien verwendet. Historisch betrachtet sind dies beispielshaft Harze, Moose, Gras- und Torfsoden (Pearlmutter et al. 2020). Abgeleitet davon hat sich die Gebäudebegrünung zu leistungsfähigen und multifunktionalen Dachbegrünungsbautechniken weiterentwickelt, deren Vielfalt und Performanz in einschlägigen Regelwerken normiert sind (ÖNORM L 1131:2010 06 01 2010; FLL 2018a). Der mehrschichtige Aufbau bestehend aus Speicher-Drainage-Ebene (z. B. Festkörperdrainageelemente, mineralische Drainage) und Vegetationstragschicht (technisches Substrat bestehend aus mineralischen und organischen Komponenten sowie Bodenhilfsstoffen) ermöglicht je nach Einbaustärke und Materialverwendung bei Intensivdachbegrünung eine Wasserspeicherfähigkeit von 450 bis 650 ml/l bzw. bei (reduziert) Extensivbegrünungen 200 bis 600 ml/l im verdichteten, eingebauten Zustand. Dies bedeutet, dass bis zu 65 % des Volumens eines Dachbegrünungsaufbaus mit Wasser befüllt sein kann (ÖNORM L 1131:2010 06 01 2010). Jedenfalls bieten Dachbegrünungen ein relevantes Speichervermögen, das beim urbanen Regenwassermanagement eine Abpufferung von Niederschlägen und somit eine Verzögerung des Oberflächenabflusses bewirkt. Je nach Gesamtaufbaustärke variiert auch die Bepflanzungsart, beginnend bei extensiven Begrünungen (10 bis 19 cm) bestehend aus Moosen, Sedumarten, Gräsern und Kräutern bis hin zu Intensivbegrünungen und Dachgärten (20 bis > 80 cm) mit Stauden, Gehölzgruppen und Baumpflanzungen. Biodiverse Gründachgestaltungen mit einem breiten Spektrum an blühenden und fruchtenden Pflanzenarten, einer Modellierung mit unterschiedlichen Substrataufbauhöhen, einer Gestaltung von Freiflächen mit feinem bis grobem Korn sowie dem Einsatz von Strukturhölzern und Wasserstellen bietet der Tierwelt einen attraktiven Lebensraum (Abb. 5). Gerade in stark verbauten Stadtlandschaften stellen diese Inselbiotope im Verbund wertvolle Habitate für mobile Tierarten dar (Pitha et al. 2021). Auch der Mensch zieht seinen Nutzen aus diesen begrünten Dachflächen: Gärten auf Dächern ermöglichen zusätzliche Erholungs- und Aufenthaltsfläche (z. B. Terrassengarten mit Sitzgelegenheiten) aber auch Arbeits- und Produktionsflächen (z. B. Outdoor-Klasse, Outdoor-Office, Urban Gardening und Urban Farming). Multifunktionale Dachbegrünungskonzepte bieten eine Mehrfachnutzung dieser urbanen Fläche: Das Konzept des Photovoltaik-Dachgartens macht Platz für Erholungszwecke sowie Pflanzen- und Energieproduktion, neben der Leistung als grünes Regenwassermanagement-System (Zluwa 2021).

Abb. 5
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Biodiverse, mit Habitatstrukturen ausgestattete, intensive Dachbegrünung in Kombination mit in Trögen gepflanzten Kletterpflanzen auf einem Dachgarten der Biotopcity Wienerberg, Wien, Österreich. (Foto: Ulrike Pitha, 2022)

3 Herausforderungen beim Einsatz von grünen natur-basierten Regenwassermanagement-Lösungen

Damit grüne natur-basierte Regenwassermanagement-Lösungen zukünftig verstärkt im besiedelten Raum zum Einsatz kommen können, müssen die folgenden identifizierten Herausforderungen gemeistert werden:

  • Umkehr des Prinzips der Regenwasserentsorgung hin zum Prinzip der maximalen und sicheren Regenwasserspeicherung im Sinne der notwendigen Anpassung an den Klimawandel und die Entlastung des Kanalsystems. Denn Regenwasser ist das (einzige) Kühlmittel der Stadt.

  • Nutzung von versiegelten Bereichen zur Bewässerung von Grünflächen, also bewässerungswirksame Flächen statt entwässerungswirksamer Flächen.

  • Berechenbarkeit der technischen (Pflanz‑)Substrate als Grundlage für deren Berücksichtigung in relevanten Normen und Richtlinien. Technische Bodenfilter, wie Draingardens oder neue Sickermuldenbauweisen erfüllen derzeit nicht die in den einschlägigen Richtlinien geforderten Eigenschaften von technischen Filtern bzw. Bodenfiltern hinsichtlich ihrer Zusammensetzungen. Ein technischer Filter erlaubt keine organischen Bestandteile wie Kompost, andererseits fordert der Bodenfilter einen wesentlich zu hohen Schlämmkornanteil ein, um eine langfristige Versickerungsfähigkeit zu gewährleisten.

  • Wissensvermittlung zum zielgerichteten Einsatz von grünen Regenwassermanagement-Lösungen in Baubestand und beim Neubau, um Planenden (z. B. Ziviltechniker:innen), Behörden und Entscheidungsträger:innen und ausführenden Unternehmen (z. B. Garten- und Landschaftsbau, Straßenbau) Sicherheit bei Genehmigung, Planung, und Betrieb zu ermöglichen.

  • Gemeinsames interdisziplinäres Planen und Bauen durch Kombination von Fachdisziplinen und Gewerken, wie z. B. Siedlungswasserbau, Garten- und Landschaftsbau, Landschaftsarchitektur und Straßenbau, um eine optimal auf den Standort und den Bedarf abgestimmte Kombination von bau- und vegetationstechnischen Lösungen zu erhalten.

  • Laufende Weiterentwicklung technischer Pflanzsubstrate mit regional verfügbaren, kreislauffähigen Ausgangsstoffen sowie weiteren Systemkomponenten, wie z. B. Pflanzenarten, Be- und Entwässerungseinheiten sowie deren Kombination zu grünen Regenwassermanagement-Bauwerken.

  • Monitoring von bestehenden Regenwassermanagement-Lösungen zur Ableitung von Wirkungsmustern und Funktionskennzahlen für Entscheidungsträger:innen (z. B. Grenz- und Leistungswerte für die Berechenbarkeit).