Im vierten Modul wurden instationäre, zweidimensionale hydrodynamische Berechnungen mit einer räumlichen Auflösung von 2 m durchgeführt (Abb. 8), um damit Wassertiefen und Fließgeschwindigkeiten zu berechnen. Die simulierten maximalen Wassertiefen im Bereich der Scheitel der Abflusswellen wurden als maßgebend für die Überflutungskarten angesehen.
Als Randbedingungen für die Berechnungen wurden die Abflusswellen mit Scheitel HQT in allen Knoten des Gewässernetzes verwendet (siehe Abschnitt 4.). In jedem Knoten wurde der Abfluss über den Querschnitt des Gerinnes unter Zuhilfenahme der Böschungsoberkanten verteilt. Die Simulationen wurden nicht für ein bestimmtes Ereignis durchgeführt, sondern für eine Jährlichkeit der Scheitelabflüsse von T = 30, 100 bzw. 300. Der Scheitelabfluss und die zugehörigen Wasserstände entsprechen deshalb einem hydrologischen Längenschnitt entlang der Fließgewässer. Diese Methode unterscheidet sich von der bei lokalen hydraulischen Abflussberechnungen üblichen Vorgangweise, bei der ein Ereignis simuliert wird, bei dem am Hauptfluss eine Abflusswelle auf einen Durchfluss von z. B. HQ100 skaliert wird, und für die Zubringer die bei einem derartigen Ereignis zu erwarteten Zuflüsse angesetzt werden, meist in der Größenordnung eines HQ10. Die hier gewählte Methode erlaubt es – im Gegensatz zum traditionellen Vorgehen –, konsistente Überflutungsflächen der gleichen Jährlichkeit für eine große Region zu berechnen. Allerdings ist diese Methode nicht massenerhaltend, da nach einem Zusammenfluss die Summe der HQT der beiden Zubringer nicht gleich dem HQT unterhalb des Zusammenflusses ist. Dies ergibt sich daraus, dass in Realität die Scheitel der Zubringer selten gleichzeitig auftreten, und sich dadurch keine vollkommene Überlagerung ergibt. Um diesen Effekt effizient zu simulieren, wurde deshalb an Knoten Wasser entfernt bzw. hinzugefügt, und zwar in einem Ausmaß, dass die Bedingung einer räumlich konstanten Jährlichkeit des Scheitelabflusses (vorgegeben durch die hydrologische Regionalisierung wie in Abschnitt 4. beschrieben) erfüllt wird. Bei einem Zusammenfluss musste meist Wasser entfernt werden, um das nicht immer gleichzeitige Auftreten von Hochwasserwellen auszugleichen. Entlang des Gerinnes selbst wurde meist Wasser hinzugefügt, um die diffusen seitlichen Zuflüsse abzubilden. Die Entnahmen bzw. Zugaben erfolgten dynamisch, sodass nicht nur der Scheitelabfluss, sondern die gesamte vorgegebene Abflusswelle an den Knoten eingehalten wurde.
Die Rauigkeiten im Vorland wurden auf Basis der Landnutzungsdaten der Digitalen Katastralmappe (DKM) gewählt. Für die Pegelstellen wurden die Rauigkeiten an die gemessenen Pegelschlüssel kalibriert und dann räumlich interpoliert, um die Rauigkeiten im Gerinne zu erhalten. Waren für einen Flussabschnitt hydraulische Detailstudien vorhanden, wurden die Rauigkeiten aus diesen Studien mit den zuvor ermittelten Werten im Vorland und im Gerinne durch Mittelbildung abgeglichen. Jedes Gebäude in Österreich, wie im 1‑m-Oberflächenmodell enthalten, wurde als undurchlässige Wand modelliert.
Um die Genauigkeit der Simulationsergebnisse weiter zu erhöhen, wurden die wichtigsten Durchlässe soweit identifizierbar berücksichtigt, und als freier Abfluss bzw. Abfluss unter Druck simuliert. Erfasste Kraftwerke wurden entweder direkt über die gegebene Wehrgeometrie im Falle von Flusskraftwerken oder mittels einer Wasserstands-Durchfluss-Beziehung an der Sperre im Falle von Speicherkraftwerken berücksichtigt. Flussabwärts wurden die Abflusswellen aus Abschnitt 4. angesetzt.
Die hydraulischen Berechnungen und ein großer Teil des Prozessierungsablaufs wurden mit der Simulationssoftware Visdom (Waser et al. 2011) durchgeführt. Es umfasst den Datenfluss von der automatisierten Generierung der Inputs für die Hydrauliksimulation über ihre Ausführung bis hin zur Nachbearbeitung. Die hydraulischen Simulationen lösen die vollständigen 2D-Flachwassergleichungen mit einer Finiten Volumenmethode (FVM) zweiter Ordnung (Buttinger-Kreuzhuber et al. 2019). Das Rechennetz bestand aus einem quadratischen Gitter mit einer Zellgröße von 2 m. Die Algorithmen wurden parallelisiert (Horváth et al. 2016) und auf zehn NVIDIA Titan RTX Grafikprozessoren mit jeweils 24 GB Videospeicher implementiert. Österreich wurde in 182 Simulationsgebiete mit insgesamt ca. 20 Mrd. Zellen aufgeteilt. Der gewählte Zeitschritt hängt von den Fließgeschwindigkeiten ab, und ist typischerweise kleiner als 1 s. Mit dieser Implementierung betrug die Simulationszeit für das HQ100 beispielsweise 277 Tage (bezogen auf einen Prozessor). Die Simulationen wurden für drei unterschiedliche Hochwasserwahrscheinlichkeiten durchgeführt (T = 30, 100, 300), sowie für ein Szenario T = 300 ohne Dämme. Zusätzlich wurden die Simulationen wegen der iterativen Qualitätskontrolle zum Teil mehrmals wiederholt.
Durch die instationäre zweidimensionale Simulation konnten die Überflutungsflächen in HORA 3.0 gegenüber den stationären eindimensionalen Simulationen von HORA 1.0 signifikant verbessert werden. Auch ist das hier verwendete DGM wesentlich genauer. Abb. 9a zeigt beispielsweise im Eferdinger Becken exaktere Anschlaglinien als bei HORA 1.0. Bei den HORA‑3.0‑Simulationen erfolgt die Füllung des Vorlands nur mit dem verfügbaren Wasservolumen der Hochwasserwelle und wird nicht wie bei stationären Simulationen völlig ausgespiegelt, es werden also Retentionseffekte berücksichtigt.
Die Ergebnisse wurden in mehrfacher Weise validiert. Zum einen wurden die simulierten Wasserstände mit den HQ100-Wasserständen an Pegeln verglichen. Für die Pegel entlang des Inns zeigten sich beispielsweise meist nur Abweichungen von wenigen Zentimetern, mit Ausnahme von Jenbach-Rotholz und Brixlegg mit um ca. 20 bis 30 cm niedrigeren Wasserständen, die sich teilweise durch nicht vollständig berücksichtigte Rückstaueffekte an Brücken erklären lassen. Ein weiterer Vergleich wurde mit den Überflutungsflächen aus dem Gefahrenzonenplan (GZP) durchgeführt, wo diese vorhanden waren. Da der GZP in Detailstudien gewonnen wurde, kann die Genauigkeit grundsätzlich als höher angesehen werden. Eine Übersicht über die Güte der Simulation liefert die Trefferquote, welche das Verhältnis der Anzahl der Treffer (Zelle nass in HORA 3.0 und im GZP) zur Anzahl der Zellen in GZP beschreibt. In Österreich wurden 81,2 % der Überflutungsflächen der GZP in HORA 3.0 korrekt reproduziert, das bedeutet eine grundsätzlich gute Übereinstimmung. In Einzelfällen gibt es aber Abweichungen, die vorwiegend auf zwei Gründe zurückzuführen sind: Der erste besteht daraus, dass im GZP meist mehr Detailinformationen zur Verfügung standen als im vorliegenden Projekt. Dazu zählen Mauern mit eine Breite < 2 m, Durchlässe (die geschlossen oder offen angenommen werden können) sowie Kanäle. Beispielsweise werden in HORA 3.0 Flächen überflutet, die im GZP durch eine schmale Mauer geschützt sind. Der zweite Grund besteht in der unterschiedlichen Wahl der Jährlichkeit, denn im Projekt HORA 3.0 wurde wegen der regionalen Betrachtungsweise an allen Gewässern die gleiche Jährlichkeit angesetzt (z. B. ein HQ100), während im GZP meist ein HQ100 am Hauptfluss angesetzt wurde und für die Zubringer eine kleinere Jährlichkeit (z. B. HQ10). Als Beispiel wird in Abb. 9b die Situation in St. Johann in Tirol gezeigt. Im GZP ist eine schmale Mauer enthalten, die eine Ausuferung der Reither Ache verhindert, während es hier in HORA 3.0 zu einer Ausuferung kommt. In HORA 3.0 werden nach dem Zusammenfluss von Großache und Reither Ache in der Großache die Durchflüsse korrigiert, um ein HQ100 an der Großache in St. Johann sicherzustellen. Daher tritt bei HORA 3.0 in St. Johann weniger Durchfluss auf, sodass der orografisch linke Stadtteil von St. Johann in HORA 3.0 nicht überflutet wird. In HORA 3.0 werden für alle Zuflüsse (Reither Ache, Großache und Fieberbrunner Ache) HQ100-Durchflüsse angesetzt. Die größere Ausuferung entlang der Großache vor dem Zusammenfluss mit der Reither Ache ist mit dem Ansetzen eines HQ100-Durchflusses als obere Randbedingung für die Großache zu erklären.
Ein Beispiel für die berechneten Überflutungsflächen (Gail bei Feistritz) ist in Abb. 10 dargestellt. Die so ermittelten Hochwasserrisikoflächen mit einer Auflösung von 2 m wurden auf der HORA-Plattform (www.hora.gv.at) in Kartenform veröffentlicht. Für die Flussabschnitte, in denen Überflutungsflächen aus dem Gefahrenzonenplan vorhanden waren, wurden diese statt der HORA‑3.0‑Flächen dargestellt.