1 Einleitung

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist von umfassender Wichtigkeit. Das Wasser muss dabei geeignet sein, ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit getrunken oder verwendet zu werden. Die Bereitstellung von mikrobiologisch sicherem Trinkwasser ist eine der Hauptaufgaben der Trinkwasserversorgungsinfrastruktur und die Überwachung des Trinkwassers von der Quelle bis zum Wasserhahn ein wesentlicher Schritt zur Einhaltung hygienischer Anforderungen.

Die klimatischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte zeigen sich unter anderem in einem Anstieg der Lufttemperaturen. Infolge dieser Änderungen kommt es auch zu einer Änderung des Temperaturhaushalts im Untergrund. Betroffen davon sind ressourcenseitig gerade oberflächennahe Grundwasserkörper und von einer weiteren generellen Zunahme ist auszugehen (Blöschl et al. 2017). Die Temperaturänderungen ziehen mikrobiologische und physikalisch-chemische Änderungen nach sich. So konnte etwa bereits gezeigt werden, dass die Temperaturzunahmen mit einer Abnahme der Sauerstoffsättigung verbunden sind (Riedel 2019). Ein besonders betroffener Bereich der Temperaturzunahmen ist die Trinkwasserverteilung. In Abhängigkeit von Oberflächen- und Untergrundbeschaffenheit, Verlegetiefe und Betriebsweisen können sehr hohe Temperaturen im Verteilnetz erreicht werden.

Trinkwasser in öffentlichen Trinkwasserverteilungssystemen enthält immer Mikroorganismen, einerseits frei im Trinkwasser, andererseits in Form von Biofilmen auf allen mit Trinkwasser in Kontakt stehenden Oberflächen. Physikalische, chemische und biologische Faktoren sind für das Überleben und das Wachstum von Bakterien (Vermehrung) in der Umwelt entscheidend. In der Trinkwasserverteilung sind hier die Wassertemperatur, die Nährstoffverhältnisse, die hydraulischen Bedingungen sowie die Anwesenheit von Desinfektionsmitteln von Bedeutung (Prest et al. 2016). Kurzfristig auftretende (Hitzewellen) und saisonale Änderungen der Temperaturen wirken sich auf die mikrobiellen Prozesse und die Diversität der mikrobiellen Gemeinschaften in Wassersystemen aus. Verschiedene Bakterienarten zeichnen sich durch oftmals deutlich unterschiedliche optimale Wachstumstemperaturen aus. Im Trinkwasser sind hauptsächlich mesophile Bakterien von hygienischer Relevanz, deren Optimum im Bereich zwischen 25 °C und 40 °C liegt (Grobe et al. 2014).

Nach Vorgabe der österreichischen Trinkwasserverordnung besteht für Wasserversorger die Pflicht zur regelmäßigen Untersuchung des Trinkwassers in mikrobiologischer und chemisch-physikalischer Hinsicht. In mikrobiologischer Hinsicht werden dabei unter anderen die Parameter koloniebildende Einheiten (KBE pro ml) bei 22 °C und 37 °C Bebrütungstemperatur nach EN ISO 6222 (Plattengussverfahren) sowie coliforme Bakterien (Coliforme pro 100 bzw. 250 ml) nach EN ISO 9308‑1 (Membranfiltration) oder EN ISO 9308‑2 (MPN-Verfahren) erfasst. Die Bestimmung der KBE dient einer allgemeinen Erfassung mikrobiologischer Veränderungen und kann etwa Hinweise auf Verunreinigungen des Wassers nach der Aufbereitung oder lange Stagnationszeiten liefern. Die Bebrütung bei verschiedenen Temperaturen soll das auftretende Keimspektrum erweitern, wobei 37 °C in etwa der menschlichen Körpertemperatur entsprechen. Coliforme Bakterien sind eine sehr heterogene Gruppe von Enterobakterien, die auch Gattungen umfassen, die außerhalb des Darmtrakts vorkommen und damit keine Indikatoren für eine fäkale Verunreinigung darstellen (Feuerpfeil und Botzenhart 2008). Das Auftreten von Coliformen kann verschiedene Ursachen haben und muss nicht immer auf einen (aktuellen) Eintrag von außerhalb hindeuten (Biofilme, Mobilisierung aus Ablagerungen) (UBA 2009). Für die genannten mikrobiologischen Parameter – auch für die KBE – gilt jedenfalls, dass nur ein sehr geringer Teil aller im Wasser vorkommenden und vermehrungsfähigen Bakterien erfasst wird (Van Nevel et al. 2017).

Die Befunde aus den Trinkwasseruntersuchungen werden auf Landesebene von den Behörden erfasst. Im Rahmen einer aktuellen Studie zum Einfluss von Temperaturerhöhung auf die Trinkwasserversorgung wurde ein umfangreicher Datenbestand aus Niederösterreich in anonymisierter Form übermittelt, der neben den genannten mikrobiologischen Parametern auch physikalisch-chemische Parameter (Temperatur, Gesamthärte etc.) und betriebliche Informationen (Vorhandensein einer Desinfektionsmaßnahme) enthält. Ziel der vorliegenden Auswertung ist es, anhand dieses Datenbestands Charakteristika (Trends bzw. jährliche Verteilung) der mikrobiologischen Parameter und der Temperatur zu beleuchten sowie ausgewählte Einflussfaktoren auf die mikrobiologischen Parameter modellhaft zu erfassen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Untersuchung im Bereich der Trinkwasserverteilung. Ausführlichere Darstellungen unter Einbeziehung weiterer Datenquellen werden im Bericht zur erwähnten Studie („Auswirkungen erhöhter Wassertemperaturen bei der Trinkwassergewinnung, -speicherung und -verteilung“) zugänglich gemacht.

2 Material und Methoden

Alle Auswertungen wurden mit der frei verfügbaren Programmiersprache „R“ durchgeführt (R-Core Team 2019). Der Einfachheit halber werden nur die wesentlichen Befehle und Programmpakete in Klammer angeführt. Für die Signifikanz von Ergebnissen wurde generell ein Niveau von 0,05 herangezogen.

2.1 Datenbestand

Der für die Untersuchung zur Verfügung gestellte Datenbestand beinhaltet insgesamt 250.000 Datensätze im Sinne von Untersuchungsergebnissen für eine einzelne Probe. Der Umfang an Parametern für die einzelnen Proben variiert. Für die vorliegende Untersuchung sind relevant (Tab. 1).

Tab. 1 Anzahl Datensätze nach verschiedenen Parametern

Bei Vergleich zwischen den Parametern kann sich auch eine deutlich geringere Schnittmenge ergeben. Die Coliformen werden für eine einheitliche Untersuchung zusammengefasst. An zusätzlicher Information stehen im Wesentlichen Bezirk, Vorhandensein einer Desinfektionsanlage und der Typ der Probenahmestelle (PNS-Typ) zur Verfügung. Letzterer unterscheidet die folgenden Typen (Tab. 2).

Tab. 2 Anzahl Datensätze nach Typ der Probenahmestelle

Nicht zuletzt aufgrund der Dominanz des PNS-Typs „Netz“ wird dieser vorrangig betrachtet. Der Zeitraum, für den Daten vorhanden sind, reicht im Wesentlichen von 1991 bis 2019, wobei die meisten Daten ab Beginn der 2000er-Jahre vorliegen.

Im Rahmen der Auswertungen der Temperaturdaten wurden auch meteorologische Daten der Lufttemperatur aus Wien (Stadt Wien o.J.) bzw. dem Flughafen Schwechat (rp5.co.uk o.J.) herangezogen.

2.2 Trendanalyse

Die Trendanalyse basiert auf der Darstellung und Regression der jährlichen Mittelwerte und 95-%-Quantile im Fall der Temperatur sowie der jährlichen Mittelwerte und Anteil an Grenzwertüberschreitungen im Fall der mikrobiologischen Parameter. Der Grenzwert beträgt bei den KBE bei 22 °C 100 pro ml, bei den KBE bei 37 °C 20 pro ml und bei den Coliformen 0 pro 100 ml (die Grenzwerte für Proben unmittelbar nach Desinfektion wurden nicht berücksichtigt). Alle Kennzahlen wurden erst für jeden einzelnen Monat berechnet und anschließend durch Mittelwertbildung (arithmetisches Mittel) für das jeweilige Jahr zusammengefasst. Damit soll die unterschiedliche Probenanzahl im Jahresverlauf berücksichtigt werden. Jeder Monat geht mit dem gleichen Gewicht in den Jahreswert ein. Im Fall des 95-%-Quantils bedeutet dies etwa eine Berechnung des Quantils für jeden einzelnen Monat und daraus die Mittelung für das jeweilige Jahr. Im Fall der Mittelwertbildung (nicht aber des Überschreitungsanteils) wurden hohe Werte entfernt und zwar alle Werte ≥300 im Fall der KBE bzw. ≥50 im Fall der Coliformen. Die gewählten Grenzwerte fallen im Fall der KBE mit typischen Grenzwerten der Auszählbarkeit für das Plattengussverfahren zusammen. Die Überlegung dabei ist gerade auch jene der Zurückdrängung des Einflusses einzelner, um Größenordnungen höherer Werte, wie sie bei biologischen Wachstumsprozessen auftreten können. Die Berechnung der Trends basiert auf der Anwendung einer linearen Regression („lm“, Paket „stats“) bzw. einer (ausreißerrobusten) linearen Regression („rlm“, Paket „MASS“).

2.3 Zeitreihenkorrelation

Zur Beantwortung der Frage nach dem zeitlichen Versatz zwischen der Lufttemperatur und der Temperatur im Verteilnetz wurde in den jeweiligen Ganglinien die saisonale Komponente extrahiert („decompose“, Paket „stats“) und damit eine Kreuzkorrelation bei sukzessiver Verschiebung der Reihen gegeneinander berechnet („ccf“, Paket „stats“). Dadurch kann jene zeitliche Verschiebung gefunden werden, bei der die Zeitreihen die höchste Übereinstimmung zeigen.

2.4 Modellansätze

Zur Modellierung der Abhängigkeit der mikrobiologischen Parameter von anderen Parametern werden zwei Modellansätze gewählt, die im Folgenden kurz beschrieben werden. Die mikrobiologischen Parameter werden dabei grundsätzlich als Zähldaten aufgefasst, die im vorliegenden Fall häufig kleine Werte und einen hohen Anteil an Null-Werten aufweisen (Francisque et al. 2009). Die weithin bekannte lineare Regression ist für diesen Fall weniger gut geeignet, da die Voraussetzung von normalverteilten Residuen (auch nach Transformation der Daten) nicht erfüllt werden kann (Fahrmeir et al. 2009).

2.4.1 Logistische Regression

Die logistische Regression dient der Modellierung diskreter abhängiger Variablen. Hier wird insbesondere die binomiale logistische Regression für binäre abhängige Variablen (zwei Ausprägungen) angewandt. Zu einer binären Ausprägung gelangt man, indem die abhängige Variable (mikrobiologischer Parameter) durch Vergleich mit dem jeweiligen Grenzwert laut Trinkwasserverordnung (KBE bei 22 °C: 100, KBE bei 37 °C: 20, Coliforme: 0) in Überschreitung bzw. Nicht-Überschreitung umgewandelt wird. Die Modellgleichung lautet (Fahrmeir et al. 2009):

$$log\left(\frac{P\left(y_{i}=1\right)}{1-P\left(y_{i}=1\right)}\right)=\beta _{0}+\beta _{1}x_{i1}+\ldots +\beta _{k}x_{ik}$$

Dabei können als unabhängige Variablen sowohl qualitative (Vorhandensein einer Desinfektionsanlage etc.) als auch quantitative Größen (Temperatur etc.) Eingang finden. Die Schätzung der Modellparameter in „R“ erfolgt mittels der Funktion „glm“ aus dem Paket „stats“.

2.4.2 Regression für Zähldaten

Ein weiterer Ansatz bestand in der Anwendung von Modellen auf Basis der Poisson- bzw. negativen Binomialverteilung, auch als Regressionsmodelle für Zähldaten bezeichnet. Dabei werden im Unterschied zum ersten Ansatz die mikrobiologischen Werte (vereinfacht) nicht als binäres Ergebnis (Überschreitung und Nicht-Überschreitung) betrachtet, sondern als Zähldaten (0, 1, 2, …). Zu Vergleichszwecken wurden verschiedene Modellvarianten getestet, siehe dazu Gonzales-Barron et al. (2010) oder Francisque et al. (2009). Wie im Fall der Trendanalyse wurden auch hier einzelne sehr hohe Werte vor der Modellanwendung entfernt. In der Umsetzung mit „R“ wurden unter anderem die Funktionen „glm“ (Paket „stats“) und „glm.nb“ (Paket „MASS“) eingesetzt.

3 Ergebnisse

3.1 Trinkwassertemperatur

3.1.1 Datenverfügbarkeit

Für die Beurteilung der Temperaturentwicklung in verschiedenen Netzbereichen (PNS-Typ) stehen insgesamt etwa 220.000 Datensätze zur Verfügung. In Abb. 1 ist deren Verteilung über die Jahre 1991 bis 2019 getrennt nach PNS-Typ dargestellt. Aufgrund der guten Datenlage für die frühen Jahre wird für den Typ „Brunnen“ in den Auswertungen der gesamte Zeitraum herangezogen. Für die restlichen PNS-Typen erst Werte ab dem Jahr 1999. „Quellen“ werden aufgrund der geringen Datenverfügbarkeit insgesamt ausgeklammert.

Abb. 1
figure 1

Verfügbare Datensätze nach Jahren und Monaten gruppiert nach PNS-Typ

Die Verteilung der Datensätze innerhalb eines Jahres zeigt Maxima im Frühjahr und im Herbst (für die Jahre 1991 bis 2019, rechts in Abb. 1 dargestellt), was bei bestimmten Auswertungen mitberücksichtigt werden muss. Insgesamt zeigen sich keine besonders augenscheinlichen Verzerrungen bei der Zusammensetzung der PNS-Typen über die Jahre sowie im Jahresverlauf.

3.1.2 Trends

Abb. 2 zeigt langjährige Verläufe der mittleren Jahrestemperatur und des 95-%-Quantils der Temperatur.

Abb. 2
figure 2

Ganglinie der Jahresmittelwerte der monatlichen Mittelwerte und der monatlichen 95-%-Quantile der Temperatur

Es zeigt sich bei allen PNS-Typen ein positiver Trend. Der Trend bei den Mittelwerten ist bei allen PNS-Typen mit Ausnahme der Kategorie „Schacht“ signifikant. Die Zunahme für den PNS-Typ „Netz“ beträgt hier im dargestellten Zeitraum 0,063 °C pro Jahr („rlm“) bzw. 0,065 °C pro Jahr („lm“). Im Fall der 95-%-Quantile, also der mittleren monatlichen Extremwerte, beträgt die Zunahme mit 0,085 °C bzw. 0,091 °C und ist ebenfalls signifikant.

In Abb. 3 ist ein Vergleich der Jahresmitteltemperatur für den PNS-Typ „Brunnen“ mit den Lufttemperaturen von Wien dargestellt (rechter Teil der Abbildung). Im linken Teil der Abbildung ist die Datenverfügbarkeit nach Jahr und Bezirk dargestellt, die keine besonderen Änderungen der Datenzusammensetzung über die Jahre erkennen lässt. Es zeigt sich neben einer guten Übereinstimmung der Temperaturniveaus der Luft und in den Brunnen eine Zunahme-Tendenz der Brunnen-Werte ab etwa Mitte der 2000er. Dabei erhöht sich der Mittelwert in den letzten 15 Jahren um gut 0,5 °C.

Abb. 3
figure 3

Datenverfügbarkeit und Vergleich mit Lufttemperaturen (Wien) für den PNS-Typ „Brunnen“

In Abb. 4 ist ein Vergleich der Jahresmitteltemperatur für den PNS-Typ „Netz“ mit den Lufttemperaturen von Wien dargestellt (rechter Teil der Abbildung). Im linken Teil der Abbildung ist die Datenverfügbarkeit nach Jahr und Bezirk dargestellt, die auch hier keine besonderen Änderungen der Datenzusammensetzung erkennen lässt. Im Unterschied zum PNS-Typ „Brunnen“ zeigt sich im „Netz“ ein sehr deutlicher Zusammenhang mit dem Verlauf der Lufttemperatur (Ausnahme lediglich am Beginn der Zeitreihe).

Abb. 4
figure 4

Datenverfügbarkeit und Vergleich mit Lufttemperaturen (Wien) für den PNS-Typ „Netz“

Nicht nur im Mittel nehmen die Temperaturen zu, sondern auch die Extremwerte. In Abb. 5 ist der Anteil der Extremwerte (≥20 °C) für verschiedene Monate der Jahre 1999 bis 2019 dargestellt. Sowohl 2015 als auch 2018 wurden im Monat August Anteile über 30 % verzeichnet, also annähernd jede dritte Probe des PNS-Typs „Netz“.

Abb. 5
figure 5

Anteil der Proben mit einer Temperatur ≥20 °C für die Monate Juni bis September

3.1.3 Analyse des Zeitversatzes

Die Lufttemperatur stellt einen sehr guten Kennwert für den Wärmehaushalt der bodennahen Atmosphäre dar und beschreibt damit auch die Dynamik der Bodenerwärmung. Aus dem Vergleich zwischen dem Verlauf der Lufttemperatur und der Temperatur im Leitungsnetz (hier auf Basis von Wochenmittelwerten) kann nun auf den zeitlichen Versatz zwischen beiden Ganglinien geschossen werden. Der Boden wirkt dabei als Puffer und so beeinflusst etwa eine Hitzeperiode erst mit zeitlicher Verzögerung die Temperatur im Leitungsnetz.

Für die Ganglinie der Temperatur im Leitungsnetz in Abb. 6 wurden aus den Temperaturdaten des ganzen Bundeslandes Wochenmittelwerte gebildet. Für die Lufttemperatur wurden Messdaten des Flughafens Wien herangezogen. Nach Entfernung des Trends in den Zeitreihen wurde eine saisonale Komponente angepasst, die die Grundlage für die Berechnung des Zeitversatzes bildet. Dieser beträgt 27 Tage, d. h., die Maxima oder Minima der Temperatur im Leitungsnetz treten im Mittel mit dieser Verzögerung gegenüber der Lufttemperatur auf. Geht man davon aus, dass die saisonale Komponente der Lufttemperatur durch die herangezogene Messstelle gut repräsentiert ist, sollte der ermittelte Zeitversatz die Verhältnisse im betreffenden Bundesland gut abbilden.

Abb. 6
figure 6

Überlagerung der Ganglinien der Wochenmittel der Luft- und Netztemperatur

3.2 Mikrobiologische Parameter mit Indikatorfunktion

3.2.1 Datenverfügbarkeit

Für die Beurteilung des mikrobiologischen Zustands in verschiedenen Netzbereichen (PNS-Typ) stehen insgesamt etwa 550.000 Datensätze zur Verfügung, der weit überwiegende Teil allerdings erst ab dem Jahr 2005. In Abb. 7 ist deren Verteilung über die Jahre 2005 bis 2019 getrennt nach PNS-Typ dargestellt. „Quellen“ werden aufgrund der geringen Datenverfügbarkeit insgesamt ausgeklammert. Um eine einheitliche Auswertung zu ermöglichen, wurde der betreffende Anteil der Coliformen-Daten von 250/ml auf 100/ml umgerechnet. Es zeigen sich wie im Fall der Temperaturdaten (Abb. 1) keine auffälligen Muster in der Zusammensetzung nach PNS-Typen und auch hier besteht ein deutlicher Jahresgang der Probenahmen.

Abb. 7
figure 7

Verfügbare Datensätze der drei Parameter nach Jahren und Monaten sowie gruppiert nach PNS-Typ

3.2.2 Trends

Abb. 8 zeigt langjährige Verläufe des Mittelwerts und des Überschreitungsanteils der mikrobiologischen Parameter KBE bei 22 °C, KBE bei 37 °C sowie Coliforme. Die Entfernung erhöhter Werte für die Auswertungen führen für den Parameter KBE bei 22 °C zu einer Verringerung der Anzahl um etwa 2,5 %, im Fall der anderen Parameter sind weniger als 1 % betroffen.

Abb. 8
figure 8

Ganglinie der Jahresmittelwerte der monatlichen Mittelwerte und des monatlichen Überschreitungsanteils mikrobiologischer Parameter

Im Gegensatz zu den Temperaturganglinien zeigen die mikrobiologischen Parameter häufig einen abnehmenden Trend. Für den PNS-Typ „Netz“ ist für die KBE ein signifikanter Rückgang des Mittelwerts und des Überschreitungsanteils zu verzeichnen. Der leicht zunehmende Trend bei den Coliformen ist nicht signifikant.

In Abb. 9 ist der mittlere monatliche Verlauf (Jahre 2005 bis 2019) der mikrobiologischen Parameter unterteilt nach PNS-Typen dargestellt. Bezüglich der Entfernung erhöhter Werte gelten die schon genannten Ausführungen. Die Verläufe in Abb. 9 lassen in vielen Fällen ein Minimum Ende Winter bzw. Anfang Frühling und Maxima in den Sommermonaten erkennen. Besonders augenscheinlich wird dies im Fall des PNS-Typs „Netz“, hier beträgt die Spanne zwischen Minimum (April) und Maximum (August) des Überschreitungsanteils der KBE bei 37 °C (>20 KBE pro ml) über 5 %.

Abb. 9
figure 9

Monatsmittelwerte mikrobiologischer Parameter basierend auf den monatlichen Mittelwerten und den monatlichen Überschreitungsanteilen der Jahre 2005 bis 2019

3.2.3 Zusammenhang mit anderen Parametern

In den folgenden Abschnitten wird der Einfluss einiger Parameter bzw. Parameterkombinationen auf die unterschiedlichen mikrobiologischen Parameter untersucht. Dabei kommen die beiden schon beschriebenen Modellansätze (Abschn. 2.4.) zur Anwendung.

Temperatur

In Abb. 10 ist das Ergebnis der Anpassung einer logistischen Regression für den Zusammenhang zwischen den KBE bei 37 °C und der gemessenen Temperatur bei der Probenahme dargestellt. Der Einfluss der Temperatur ist dabei signifikant. So erhöht eine Zunahme der Temperatur von 15 °C auf 20 °C die Wahrscheinlichkeit von Werten >20 KBE/ml von 0,077 auf 0,109.

Abb. 10
figure 10

Überschreitungswahrscheinlichkeit mit Konfidenzintervall (95 %) der KBE 37 °C in Abhängigkeit von der Temperatur für den PNS-Typ „Netz“. Die gestrichelte Linie kennzeichnet den Anteil an Überschreitungen im Datensatz

Im Fall der KBE bei 22 °C (>100 pro ml) und der Coliformen (>0 pro 100 ml) ist der Zusammenhang mit der Temperatur nicht signifikant.

In Abb. 11 ist neben einem Histogramm der KBE bei 37 °C (mit angepasster negativer Binomialverteilung für Werte <300) das Ergebnis der Anwendung einer Zähldaten-Regression in Abhängigkeit von der Temperatur dargestellt. Es besteht ein signifikanter positiver Zusammenhang.

Abb. 11
figure 11

Histogramm der KBE bei 37 °C mit angepasster negativer Binomialverteilung (links) sowie Modellvorhersage in Abhängigkeit von der Temperatur für den PNS-Typ „Netz“ (rechts). Die gestrichelte Linie kennzeichnet den Mittelwert des Datensatzes

Im Fall der KBE bei 22 °C liegt ein positiver Zusammenhang vor, der in den meisten Modellansätzen signifikant ist. Der Effekt der Temperatur ist hier allerdings sehr gering und die vorhergesagte Zunahme beträgt lediglich 2 KBE/ml im Bereich zwischen 5 °C und 25 °C. Im Fall der Coliformen liegt ein negativer Zusammenhang vor, der in einem der Modelle signifikant ist. Auch hier ist der Effekt der Temperatur als sehr gering zu bezeichnen.

Desinfektionsmaßnahmen

Eine wesentliche Auswirkung auf den mikrobiologischen Zustand sollte das Vorhandensein einer Desinfektion im Zuge der Aufbereitung darstellen. Die Information über das Vorhandensein einer Desinfektionsanlage in der betreffenden Wasserversorgungsanlage ist Teil des Datensatzes und kann daher untersucht werden. Die Anzahl der Proben in beiden Gruppen (mit/ohne Desinfektion) ist für alle mikrobiologischen Parameter etwa gleich. Der Anteil an Überschreitungen von Grenzwerten ist bei Vorhandensein einer Desinfektion verringert (Jahre 2005 bis 2019). Für die KBE bei 22 °C, 37 °C sowie die Coliformen verringert sich der Anteil von 0,065 auf 0,050, von 0,073 auf 0,062 sowie von 0,094 auf 0,065.

Bei Hinzunahme der Temperatur in die Modellgleichung der logistischen Regression (inklusive Interaktion) zeigt sich für die KBE bei 37 °C (siehe Abb. 12) ein leicht modifiziertes Bild im Vergleich zu Abb. 10. Der Interaktionsterm bewirkt im Fall des Vorhandenseins einer Desinfektion eine etwas stärkere Zunahme der Überschreitungswahrscheinlichkeit mit der Temperatur.

Abb. 12
figure 12

Überschreitungswahrscheinlichkeit mit Konfidenzintervall (95 %) der KBE 37 °C in Abhängigkeit von der Temperatur und dem Vorhandensein einer Desinfektion („0“ = nein und „1“ = ja) für den PNS-Typ „Netz“. Die gestrichelte Linie kennzeichnet den Anteil an Überschreitungen im Datensatz

Total Organic Carbon

Der Gehalt an organischer Substanz in einer Wasserprobe ist eine wesentliche Limitierung für die bakterielle Vermehrung (Prest et al. 2016). Wenngleich nur ein Bruchteil der gesamten Organik – ausgedrückt durch den TOC (Total Organic Carbon) – der bakteriellen Verwertung (unmittelbar) zugänglich ist, sollten hohe Werte tendenziell auch für eine hohe Nährstoffverfügbarkeit sprechen. Leider liegt der TOC im vorliegenden Datensatz in einem wesentlich geringeren Umfang vor wie etwa die mikrobiologischen Parameter (N = 16.500 im Fall der Kombination mit mikrobiologischen Parametern).

Der TOC als einzige unabhängige Variable im Modell (logistische Regression) beeinflusst die Überschreitungen der KBE bei 22 °C und 37 °C im Sinne eines positiven Zusammenhangs. Bei den Coliformen ist dieser Einfluss nicht signifikant. In Abb. 13 ist das Ergebnis eines Modellansatzes für die KBE bei 37 °C dargestellt, bei dem als Einflussfaktoren die Temperatur, der TOC sowie das Vorhandensein einer Desinfektion Eingang finden. Berücksichtigt werden zudem alle paarweisen Interaktionen. Nach schrittweiser Selektion („step“, Paket „stats“) verbleiben die Haupteffekte und die Interaktionsterme Desinfektion * Temperatur (signifikant) und Desinfektion * TOC (nicht-signifikant) im Modell. Der TOC bewirkt auch hier eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit einer Überschreitung, wobei der Effekt bei Fehlen einer Desinfektion ausgeprägter ist.

Abb. 13
figure 13

Überschreitungswahrscheinlichkeit mit Konfidenzintervall (95 %) der Coliformen in Abhängigkeit von der Temperatur, dem TOC und dem Vorhandensein einer Desinfektion („0“ = nein und „1“ = ja) für den PNS-Typ „Netz“. Die gestrichelte Linie kennzeichnet den Anteil an Überschreitungen im Datensatz

Der Einfluss des TOC ist im Fall der Zähldaten-Regression für alle Parameter gegeben. Bei den Coliformen allerdings nur dann, wenn hohe Werte nicht entfernt werden.

4 Diskussion und Ausblick

4.1 Temperatur

Langfristige Trends der Temperaturen im Verteilnetz sind für einzelne Wasserversorgungen auf Basis der vorhandenen Untersuchungen nur sehr schwierig zu ermitteln. Gründe dafür sind die recht geringe Anzahl an Probenahmen, die ungleiche Verteilung der Probenahmen über das Jahr sowie Wechsel oder Ausweitung der Probenahmestellen. Die generelle, also bundeslandweite Zunahme-Tendenz sollte aber durch den vorliegenden Datensatz zumindest für die letzten 20 Jahre gut abgebildet sein und deckt sich auch mit den allgemeinen klimatischen Veränderungen. Eine systematische Verzerrung durch den Messvorgang selbst ist dabei weniger zu befürchten als etwa durch Änderungen von Verbrauchs- oder Betriebsmustern (Netzaufenthaltszeit, Entnahmemengen), bauliche Änderungen (thermische Situation) oder Änderungen bei der Zusammensetzung der Probenahmestellen (Ausweitung auf „extremere Netzpunkte“). All diese Unsicherheiten ließen sich wohl nur durch langfristige und kontinuierliche Messprogramme unter Einbeziehung der Durchflussmengen und der Erfassung von Veränderungen im Untersuchungsgebiet beseitigen. Auch Simulationsstudien können hier eine Abschätzung der Situation bzw. Entwicklung liefern. Die Erhöhung von 0,64 °C pro Jahrzehnt für den PNS-Typ „Netz“ sollte aber jedenfalls Beachtung finden.

4.2 Mikrobiologische Parameter

Eine interessante Beobachtung betrifft die vielfachen Abnahme-Tendenzen bei den mikrobiologischen Parametern. Die Ursachen dieser Abnahme sind nicht einfach zu eruieren. Eine Möglichkeit könnte in der vermehrten Installation von Desinfektionsanlagen bestehen. Allerdings gibt hier die getrennte Analyse von Versorgungen mit und ohne Desinfektion keinen Unterschied in den Trends hinsichtlich der KBE. Dagegen besteht eine gegensätzliche, wenngleich geringe Tendenz für die Coliformen – Abnahme bei Desinfektion, Zunahme ohne Desinfektion. Als vorschnell wäre jedenfalls die Schlussfolgerung zu bezeichnen, dass die Zunahme der Temperaturen daher keine (negativen) Auswirkungen auf die mikrobiologische Situation hat. Die angewandten Modelle ergeben hier eher, dass mit diesem Einflussfaktor zu rechnen ist, insbesondere im Hinblick auf die KBE bei 37 °. Da letztere erhöhte Temperaturen zumindest bei der Kultivierung bevorzugen, liegt es auch nahe, dass erhöhte Wassertemperaturen zumindest keinen abträglichen Effekt haben. Zu betonen ist, dass ein statistischer Zusammenhang der Temperatur mit erhöhten Werten mikrobiologischer Parameter nicht zwingend kausal sein muss. Erhöhte Temperaturen können auch auf eine Stagnation des Wassers hindeuten. Die zeitgleich erhöhten Werte der untersuchten Parameter könnten demnach eher aus dem kombinierten Effekt eines anderen Einflussfaktors (etwa einer im Netz erhöhten Nährstoffverfügbarkeit) und längerer Aufenthaltszeit hervorgehen. In diesem Fall wäre die gemessene Temperatur eher als Indikator für die Aufenthaltszeit im Netz zu sehen.

4.3 Ausblick

Mit den genannten, auf Kultivierung basierenden Parametern wird nur ein kleiner Teil des mikrobiologischen Zustands beleuchtet, da der überwiegende Teil der Bakterien im Wasser zumindest auf diese Art nicht kultivierbar ist. Technologische Entwicklungen der letzten Jahre ermöglichen die Erfassung mikrobiologischer Parameter, die andere Aspekte beschreiben und sich als sehr robust erwiesen haben (etwa die Totalzellzahl auf Basis der Durchflusszytometrie). Es wäre daher zumindest einer Überlegung wert, neuere methodische Ansätze in zukünftige Monitoringprogramme einfließen zu lassen.