1 Einleitung

Wissenschaftliche Erkenntnisse über das Verhalten, die Abläufe und die Eigenschaften von Blitzentladungen sind speziell im Alpenraum von großem Interesse. Aus diesem Grund hat sich am Institut für Hochspannungstechnik und Systemmanagement der Technischen Universität Graz ein Forschungsschwerpunkt entwickelt, in dem Blitzentladungen im österreichischen Alpenraum in Zusammenarbeit mit dem „Austrian Lightning Detection and Information System (ALDIS)“ untersucht werden.

In der englischen Nomenklatur wird eine Blitzentladung als „Flash“ bezeichnet und als Gesamtheit aller auftretenden Entladungen in einem Zeitraum von einer Sekunde (gerechnet vom Zeitpunkt der Erstblitzentladung und bei einem Zeitintervall zwischen Teilblitzentladungen < 0,5 s) sowie einem räumlichen Bereich von 10 km um den Erstblitz gesehen. Die auftretenden Teilblitze werden als „Strokes“ bezeichnet. Eine Kategorisierung von Wolke-Erde-Strokes und ihre Gruppierung zu Flashes kann manuell durch Auswertung von Hochgeschwindigkeitsvideos oder automatisiert durch den Zentralrechner des Blitzortungssystems erfolgen.

Die im englischen als „Single-Stroke Flashes“ bezeichneten Einzelblitzentladungen beschreiben Wolke-Erde-Blitze, welche nur aus einem einzelnen Wolke-Erde-Stroke bestehen. Der prozentuale Anteil der Single-Stroke Flashes beeinflusst die Statistik, welche die Anzahl der Strokes pro Blitz beschreibt. Diese Anzahl an Strokes pro Flash wird mit „Multiplicity“ bezeichnet und stellt einen der Hauptparameter für Blitzentladungen dar, welche z. B. in die Auslegung von Schutzprinzipien von Hochspannungs-Freileitungen eingehen [1]Footnote 1.

Der verwendete Datensatz besteht aus einer Korrelation von ALDIS-Blitzortungsdaten und Informationen aus Daten des sogenannten „Video and Field Recording Systems“ (VFRS). Dies ermöglicht einen Vergleich von Parametern, wie z. B. der Multiplicity und dem Prozentsatz der Single-Stroke Flashes, für Daten beider Systeme. Ebenfalls können die Gründe für die Fehlklassifizierung von Single-Stroke Flashes durch das Blitzortungssystem analysiert werden. Die aufgezeichneten Ground-Truth-Daten wurden auch verwendet, um andere Parameter von Wolke-Erde-Blitzen für den Alpenraum und die Qualität des österreichischen Blitzortungssystems zu untersuchen (siehe [2,3,4,5,6]). Der vorliegende Datensatz umfasst Messungen aus sechs Jahren im Zeitraum von 2009 bis 2018.

Zusätzlich zur Analyse der Single-Stroke Flashes im VFRS-Datensatz und den Blitzortungsdaten wird ein möglicher Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Gewittertypen, wie Einzelzellen‑, Multizellen‑, Superzellen- oder Liniengewitter, und Parametern der unterschiedlichen Entladungen untersucht. Das Auftreten charakteristischer Gewittertypen wird hauptsächlich durch den Grad an vertikaler Windscherung, also der Änderung von Windrichtung und Windgeschwindigkeit mit steigender Höhe, bestimmt [7, 8]. Um die Aussagen zu erhärten, wurden die Gewitter für jeden Messtag auf zwei unterschiedliche Arten klassifiziert: einerseits manuell durch Analyse zugehöriger Wetterradardaten und anderseits auf der Grundlage der Stärke der vertikalen Windscherung.

Internationale Studien in Bezug auf Single-Stroke Flashes wurden in den letzten Jahrzehnten in verschiedenen Regionen der Welt durchgeführt. Der von Anderson und Eriksson 1980 in [1] beschriebene Wert von 45 % Single-Stroke Flashes im Mittel für Daten aus Südafrika, Simbabwe (früher Rhodesien), Florida und der Schweiz übersteigt die in Kapitel 5.2 gezeigten Werte und wird heute als Überschätzung um den Faktor zwei angesehen [9]. Zhu et al. fanden 2015 den niedrigsten Wert in der Literatur für Messungen in Florida (12 %, [10]). Die durchgeführten Studien unterscheiden sich auch bezüglich der Aufzeichnungsmethoden der Daten. Hier gibt es Auswertungen von elektrischen Feldmessungen allein und in Korrelation mit Filmaufzeichnungen, von Hochgeschwindigkeits-Videokameras allein und in Korrelation mit Blitzortungsdaten, sowie von VFRS-Daten in Korrelation mit Blitzortungsdaten.

2 Messsystem

2.1 Hochgeschwindigkeitskamera und elektrisches Feldmesssystem (VFRS)

Das verwendete VFRS (Video and Field Recording System) wurde entwickelt, um Ground-Truth-Daten von Blitzentladungen im österreichischen Alpenraum zu erfassen. Mit diesem System sind Vor-Ort-Aufzeichnungen an ausgewählten Standorten, an denen Gewitter für eine bestimmte Zeit erwartet werden, möglich (siehe Abb. 1). Zufahrtsmöglichkeiten, ein offenes Sichtfeld und geringe elektromagnetische Einflüsse der Umgebung müssen hierbei gegeben sein, um Messungen durchführen zu können. Um die Entstehung und Verlagerung von Gewittern örtlich und zeitlich vorherzusagen, wurde auf aktuelle Informationen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) und des österreichischen Blitzortungssystems ALDIS zugegriffen.

Abb. 1
figure 1

Aufgezeichnete negative Wolke-Erde-Blitze (Flashes und Single-Stroke Flashes) aus sechs Jahren im Zeitraum von 2009 bis 2018, VFRS-Messorte und ALDIS/EUCLID-Sensorstandorte

Das mobile Messsystem wurde in einem Fahrzeug untergebracht und durch einen Generator versorgt autonom an 33 ausgewählten Standorten in den Alpen betrieben. Damit konnten bei auftretenden Wolke-Erde-Blitzen im Beobachtungsgebiet elektrische Feld- und Videodaten aufgezeichnet werden (siehe [3, 4, 6, 11]). Das System besteht aus zwei Hauptkomponenten: einer Hochgeschwindigkeitskamera und einem elektrischen Feldmesssystem. Die Synchronisierung der Komponenten mit GPS-Zeit sorgt für eine zeitgenaue Korrelation und Vergleichbarkeit der Daten jeder Blitzentladung.

Die Messungen des elektrischen Feldes werden verwendet, um die Polarität und den Feldverlauf der einzelnen Strokes zu bestimmen. Der allgemeine Aufbau dieses Systems ist in [2] beschrieben. Die während der Messungen in den Jahren 2009, 2010 und 2012 verwendete Kamera zeichnete Videos mit einer Bildrate von 200 Bildern pro Sekunde, 8‑Bit-Bildtiefe und VGA-Auflösung (640 × 480 Pixel) auf. Seit 2015 ist ein neuerer Kameratyp im Einsatz. Diese Kamera ermöglicht die Aufnahme von monochromen Videos mit einer Bildrate von 2000 Bildern pro Sekunde, 14-Bit-Bildtiefe und einer Auflösung von 1248 × 400 Pixel (siehe [3, 4]). Die Systeme werden als sogenannter Ringspeicher betrieben, wobei ständig neue Daten in den Speicher geschrieben werden. Bei Auftreten einer Blitzentladung im Sichtfeld der Kamera kann das Speichern der Aufzeichnungen manuell getriggert werden.

2.2 Blitzortungssystem ALDIS

Das „Austrian Lightning Detection and Information System (ALDIS)“ betreibt seit 1991 ein Netz von acht Blitzortungssensoren in Österreich (siehe Abb. 1). Zusätzlich ist ALDIS seit 2001 eines der zwei Verarbeitungszentren des europäischen Blitzortungsnetzwerks EUCLID. ALDIS verarbeitet derzeit die Blitzortungsdaten („Lightning Location System-Daten“, LLS-Daten) von 166 Sensoren des EUCLID-Netzwerks, welche über ganz Europa verteilt sind. Durch die Korrelation der detektierten Strokes mit Ground-Truth-VFRS-Daten und Blitzstrommessungen am Mast des Senders Gaisberg in Salzburg kann das System hinsichtlich Detektionsparameter (z. B. Ortungsgenauigkeit, Stromverteilung) fortlaufend analysiert werden. Dank der kontinuierlichen Anpassung und Verbesserung des Systems liegt die mittlere Ortungsgenauigkeit im Bereich von etwa 100 m [5, 11].

3 Daten

Der analysierte Datensatz enthält 735 negative Wolke-Erde-Blitze mit 196 Single-Stroke Flashes, welche an 33 verschiedenen Messorten an 61 verschiedenen Tagen aufgezeichnet wurden (siehe Tab. 1). In Abb. 1 sind alle analysierten negativen Wolke-Erde-Blitze und Single-Stroke Flashes sowie die VFRS-Messorte und die ALDIS/EUCLID-Sensorstandorte grafisch dargestellt.

Tab. 1 Anzahl Flashes und Single-Stroke Flashes mit negativer Polarität für VFRS- und LLS-Daten sowie analysierte Gewitter von 2009 bis 2018

Für die Kategorisierung der einzelnen Gewitter wurden Wetterradardaten und Daten über die Windverhältnisse in der Umgebung der Gewitter herangezogen. Wetterradardaten werden in Österreich durch den flugmeteorologischen Dienst Austrocontrol GmbH erhoben. Die Daten von fünf Radarstationen werden zu einem Gesamtbild der Niederschlagsintensität mit einer räumlichen Auflösung von einem Kilometer und einer zeitlichen Auflösung von fünf Minuten zusammengesetzt. Unterschiedliche Gewittertypen können anhand ihres charakteristischen Verhaltens durch Analyse der Radardaten manuell kategorisiert werden. Eine alternative Kategorisierung wurde anhand der Windverhältnisse in 6 km Höhe aus den Daten des räumlich und zeitlich nächstgelegenen Wetterballons (Radiosonde) sowie am Boden aus den Messungen der nächstgelegenen automatischen Wetterstation der ZAMG durchgeführt. Radiosonden-Aufstiege sind zweimal täglich (00 und 12 UTC) in Wien, Udine und München verfügbar. Das Netz der automatisierten Wetterstationen der ZAMG zeichnet Daten in Zehn-Minuten-Intervallen auf und besteht aus fast 300 Stationen, so dass die nächstgelegene Station in der Regel weniger als 10 km von einem Gewitter entfernt ist.

4 Methodik

Die VFRS-Daten werden zunächst anhand des GPS-Zeitstempels mit den ALDIS-LLS-Daten korreliert. Anschließend werden die Video- und elektrischen Feldmessdaten analysiert und in eine Datenbank übernommen. Dieser Prozess ermöglicht die Auswertung aller relevanten Parameter für Wolke-Erde-Blitze [12].

In der Auswertung wird das Auftreten von Single-Stroke Flashes im Alpenraum untersucht. Die Erfassungen von Single-Stroke Flashes durch das VFRS und das LLS werden für jedes Jahr und über die gesamte Messperiode verglichen. Die Unterschiede des prozentualen Anteils der Single-Stroke Flashes über einzelne Messtage oder Messorte und Jahre werden zusätzlich ausgewertet. Des Weiteren werden die prozentuellen Anteile der Single-Stroke Flashes basierend auf den Ground-Truth-Daten mit Werten aus internationalen Studien verglichen.

Auf mögliche Einflüsse auf die auftretenden Blitzentladungen durch die vorherrschenden meteorologischen Bedingungen und die daraus resultierenden Gewittertypen wird in weiterer Folge eingegangen. Um zwischen „unorganisierten“ (kurzlebigen und meist schwachen) und „organisierten“ (langlebigen und oft schweren) Gewittern zu unterscheiden, eignet sich das Ausmaß der vertikalen Windscherung, welches die Änderung der Windrichtung und der Windgeschwindigkeit mit der Höhe beschreibt [7, 8]. Die am häufigsten verwendete Maßzahl ist die Vektordifferenz zwischen den Windvektoren an der Erdoberfläche und in 6 km Höhe, welche als „0–6 km-Scherung“ oder „Deep-Layer-Sheer (DLS)“ bezeichnet wird.

Bei schwacher vertikaler Windscherung ist eine Gewitterwolke fast vertikal (Abb. 2 oben links). Diese einfachste und kurzlebigste Form eines Gewitters wird als Einzelzelle bezeichnet. Sie entsteht durch einen Aufwind aus warmer und feuchter Luft, der durch einen regengekühlten Abwind rasch wieder abgedämpft wird, sobald die Wolke Niederschlag produziert. Eine stärkere vertikale Windscherung kippt die gesamte Gewitterwolke und „organisiert“ sie dadurch in eine niederschlagsfreie Aufwindseite und eine niederschlagsführende Abwindseite. Aufsteigende Blasen aus warmer und feuchter Luft auf der Aufwindseite stützen dann das Gewitter. Bei mäßiger vertikaler Windscherung erfolgt diese Regeneration in wiederkehrenden Abständen, und das Gewitter wird als Multizelle bezeichnet (Abb. 2 oben rechts). Bei starker vertikaler Windscherung erfolgt die Regeneration kontinuierlich und versetzt die Gewitterwolke zudem in eine schraubenförmige Rotation. Solche Gewitter werden Superzellen genannt (Abb. 2 unten links). Der charakteristische, unscharfe Eisschirm oder Amboss, der die Gewitterwolke nach oben abschließt, ist im Falle einer einzelnen Zelle symmetrisch, während er mit zunehmender vertikaler Windscherung und Gewitterorganisation immer asymmetrischer wird.

Abb. 2
figure 2

Charakteristische Beispiele für Einzell‑, Multizellen‑, Superzellen- und Liniengewitter von links oben nach rechts unten. (© G. Pistotnik)

Neben diesen drei charakteristischen diskreten Gewittertypen können sich Gewitter auch zu einer Linie organisieren. Dies wird begünstigt, wenn eine Kaltfront oder ein anderer „linearer“ Mechanismus ein Gewitter auslöst und gleichzeitig die vertikale Windscherung stark ist (Abb. 2 unten rechts; [8]).

In den Radardaten sind Einzelzellen als runde Reflektionen erkennbar, welche sich mit dem Hintergrundwind bewegen, während höher organisierte Gewitter V‑förmig sind und abweichende Bewegungen aufweisen – periodisch im Falle von Multizellen, kontinuierlich im Falle von Superzellen. Diese Unterscheidung wird für das erste Klassifikationsschema verwendet. Durch die Analyse von Radardaten können die tatsächlich vorherrschenden Gewittertypen direkt mit den erfassten Blitzen und ihren Paramenten in Verbindung gebracht werden, obwohl es auch Mischformen geben kann, welche nicht eindeutig klassifiziert werden können. Zur Absicherung wurde daher zusätzlich eine alternative Klassifizierung auf der Grundlage von DLS durchgeführt, welche sich auf das erwartete und nicht auf das tatsächlich beobachtete Gewitterverhalten stützt, aber automatisiert werden kann und daher jegliche Subjektivität ausschließt. Die DLS wird als Vektordifferenz zwischen dem Wind in 6 km Höhe gemäß dem nächstgelegenen Radiosonden-Aufstieg (Wien, Udine oder München um 12 UTC) und dem Oberflächenwind an der nächstgelegenen automatischen Station berechnet. Bei den Stationsdaten wurde der letzte Messwert vor dem Beginn des Gewitters verwendet, der durch einsetzenden Niederschlag, einen Temperaturabfall, eine Windverschiebung und/oder Windböen gekennzeichnet ist. Eine schwache, mäßige und starke DLS werden mit Werten unter 10 m/s, zwischen 10 m/s und 20 m/s bzw. über 20 m/s definiert [8].

5 Ergebnisse

5.1 Auswertung der Single-Stroke Flashes für VFRS- und LLS-Daten

Die Anzahl an Flashes und Single-Stroke Flashes mit negativer Polarität für VFRS- und LLS-Daten sowie die analysierten Gewitter von 2009 bis 2018 ist in Tab. 1 angeführt. Zusätzlich wird auch der prozentuale Anteil der Single-Stroke Flashes pro Jahr und gesamt für VFRS-Daten und LLS-Daten dargestellt. Die Prozentsätze der Single-Stroke Flashes für die beiden Datensätze liegen über den gesamten Messzeitraum bei Werten zwischen 20 % und 30 % laut VFRS-Daten und zwischen 22 % und 30 % laut LLS-Daten und unterscheiden sich ab dem Jahr 2012 nur unwesentlich voneinander. Der Mittelwert des prozentualen Anteils der Single-Stroke Flashes für den gesamten Messzeitraum beträgt 27 % für VFRS-Messungen (insgesamt 735 Blitze) und 26 % für LLS-Daten (insgesamt 729 Blitze).

5.2 Vergleich mit Werten aus der Literatur

Tab. 2 zeigt eine Zusammenfassung der Ergebnisse für den prozentualen Anteil an Single-Stroke Flashes der vorliegenden Studie im Vergleich zu Werten aus der Literatur. Wie in der Einleitung beschrieben, wurden in den unterschiedlichen Studien verschiedene Aufzeichnungssysteme verwendet, um Daten von Blitzentladungen zu erfassen. Für die Aufzeichnungen in Florida [10], Malaysia [13], Schweden [14] und Sri Lanka [15] wurden hierbei elektrische Feldaufzeichnungen analysiert. Für die Untersuchungen in New Mexico [16] wurden die Aufzeichnungen des elektrischen Feldes und einer Filmkamera miteinander korreliert, in Florida [17] basieren die Auswertungen auf Daten von elektrischen Feldaufzeichnungen und einem TV-System mit mehreren Stationen. Für die Analysen in Brasilien [18, 19], Belgien [20] und Arizona [21] wurden Daten von Hochgeschwindigkeits-Videoaufzeichnungen und Messungen mit einem VFRS herangezogen.

Tab. 2 Zusammenfassung der Ergebnisse für den prozentualen Anteil der Single-Stroke Flashes der vorliegenden und früherer Analysen verschiedener Autoren

Die zusammengeführten VFRS-Daten aus Österreich zeigen einen höheren Prozentsatz von Single-Stroke Flashes (27 %) als frühere Studien aus anderen Teilen der Welt (siehe Tab. 2). Der aktuelle Datensatz aus dem österreichischen Alpenraum ist größer als die meisten internationalen Datensätze (Sampling-Fehler aufgrund einer zu kleinen Stichprobe sind daher unwahrscheinlich).

5.3 Auswertung von Single-Stroke Flashes nach Gewittertyp

Tab. 3 zeigt den Prozentsatz negativer Single-Stroke Flashes in Bezug auf die manuelle Gewitterklassifizierung unter Berücksichtigung von Wetterradardaten. Diese Klassifizierung zeigt sehr ähnliche Prozentsätze für Einzelzellen (26 %), Multizellen (27 %), Superzellen (28 %) und Liniengewitter (26 %). Um statistisch robustere Ergebnisse zu erhalten, wurden die dünn besetzten Klassen der Superzellen und Linien mit den Multizellen zu einer gemeinsamen Kategorie der organisierten Gewitter zusammengefasst. Auch für diese Klasse ergibt sich ein Prozentwert von 27 %.

Tab. 3 Prozentualer Anteil der Single-Stroke Flashes für eine Kategroisierung nach Gewittertyp

Die objektive Klassifizierung nach der vertikalen Windscherung (DLS) bestätigt die Ergebnisse in Tab. 4. Hierbei ergibt sich ein prozentueller Anteil an Single-Stroke Flashes von 27 % für DLS unter 10 m/s (wenn Einzelzellen am häufigsten vorkommen), 27 % für DLS zwischen 10 und 20 m/s (wenn Multizellen am häufigsten sind) und 32 % für DLS über 20 m/s (wenn Superzellen und Liniengewitter die charakteristischen Gewittertypen sind). Fasst man alle Fälle mit DLS > 10 m/s zu einer gemeinsamen Kategorie mit erhöhter vertikaler Windscherung zusammen, so ergibt sich ein Prozentsatz von 27 % an Single-Stroke Flashes. Der höhere Prozentsatz in der Klasse der DLS > 20 m/s wird daher als Artefakt einer geringen Stichprobe eingeschätzt.

Tab. 4 Prozentsatz der Single-Stroke Flashes für eine Kategorisierung nach vertikaler Windscherung zwischen 0 und 6 km Windscherung (DLS)

6 Diskussion und Zusammenfassung

Für die durchgeführten Messungen wurden sowohl für LLS- als auch für VFRS-Daten unterschiedliche Prozentsätze von Single-Stroke Flashes für verschiedene Jahre ermittelt. Die Stichprobengrößen der jährlichen Messungen sind vergleichbar mit früheren Studien, die Gesamtheit des aktuellen Datensatzes übersteigt die Größe der meisten früheren Auswertungen (siehe Tab. 1 und 2). Zufällige Schwankungen und der unterschiedliche Verlauf individueller Gewittersaisonen werden im gesamten Datensatz durch die Mittelwertbildung abgeschwächt und dadurch die Ergebnisse entsprechend robuster.

Die Ground-Truth-Messungen im österreichischen Alpenraum zeigen den höchsten Anteil an Single-Stroke Flashes (27 %) im Vergleich zu Werten aus der internationalen Literatur (12–24 % [9, 10]). Die unterschiedlichen Ergebnisse für Florida könnten auf die Verwendung von zwei verschiedenen Messverfahren zurückzuführen sein. Zhu et al. (12 % Single-Stroke Flashes [10]) verwendeten für ihre Analyse elektrische Feldmessungen, während die Aufzeichnungen von Rakov und Uman (17 % Single-Stroke Flashes [17]) auf elektrischen Feldaufzeichnungen in Korrelation mit einem Multi-TV-System basieren. Auch die Anzahl der analysierten Blitze insgesamt könnte eine Ursache für diese Abweichung sein (478 Blitze [10] versus 76 Blitze [17]). Wie bereits für Messungen mit einem Kamerasystem oder einem VFRS erwähnt, sind die aufgezeichneten Daten durch das Sichtfeld der Kamera gegeben. Im Gegensatz dazu kann mithilfe von elektrischen Feldmessungen jeder auftretende Wolke-Erde-Blitz in der Umgebung des Aufzeichnungssystems erkannt werden. Daher kann sich die Anzahl der aufgezeichneten Blitze in den Videodaten und in den elektrischen Feldmessdaten unterscheiden.

Die Ergebnisse von 24 % Single-Stroke Flashes für fünf Gewittertage von Antunes et al. [19] und 17 % für 109 Gewitter von Ballarotti et al. [18] stellen wiederum Daten aus demselben Gebiet dar. Die Aufzeichnungen beider Studien wurden mit Hochgeschwindigkeits-Videokameras in Korrelation mit LLS-Daten durchgeführt (siehe [18, 19]). Der von Antunes et al. in [19] berichtete höhere Prozentsatz von Single-Stroke Flashes könnte hier mit der begrenzten Anzahl von Gewittertagen (zufällige Messung von Gewittern mit einer höheren Anzahl von Single-Stroke Flashes), aber auch mit dem jährlich unterschiedlichen Spektrum von Gewittern im Allgemeinen zusammenhängen. Antunes et al. [19] analysierten ebenfalls unterschiedliche Blitzcharakteristika für verschiedene Gewittertypen, konnten aber keinen direkten Zusammenhang zwischen Blitzhäufigkeit und Gewittertyp feststellen.

Die vorliegende Analyse ergab ähnliche Prozentsätze an Single-Stroke Flashes für unterschiedliche Gewittertypen, die manuell anhand von Wetterradardaten klassifiziert wurden. Eine zusätzlich durchgeführte indirekte, aber objektive Klassifizierung nach vertikaler Windscherung bestätigt diese Ergebnisse (siehe Tab. 3 und 4).

Die Möglichkeit, dass Einzelzellen im Datensatz unterrepräsentiert sein könnten, da ihre kurze Lebensdauer die Messungen mit einem mobilen System erschwert, wohingegen die längere Lebensdauer besser organisierter Gewitter für die VFRS-Messungen mit einem mobilen System attraktiver macht, wurde in [22] beschrieben. Klimatologische Studien über die relative Häufigkeit bestimmter Gewittertypen oder bestimmter vertikaler Windscherungen wurden noch nicht durchgeführt, allerdings weichen die Klassengrößen zwischen Einzelzellen und besser organisierten Gewittern im aktuellen Datensatz ebenso wenig von Erfahrungswerten ab wie die Verhältnisse zwischen geringer, mäßiger oder starker vertikaler Windscherung. Eine gewisse Verzerrung der Stichprobe zugunsten organisierter Gewitter beziehungsweise Situationen mit erhöhter vertikaler Windscherung kann zwar nicht völlig ausgeschlossen werden, ist aber unwahrscheinlich und würde die Ergebnisse nicht beeinflussen, da die Prozentsätze negativer Single-Stroke Flashes für alle analysierten Klassen keine signifikanten Unterschiede zeigten. Der höhere Anteil negativer Single-Stroke Flashes könnte daher (zumindest teilweise) auf klimatologische Aspekte im österreichischen Alpenraum zurückzuführen sein, z. B. beeinflusst durch die vertikale Ausdehnung der Gewitter oder die jeweilige Ladungsverteilung.