1 Einleitung

Nach dem Stand der Technik sind die Mechanismen, welche die Geräuschcharakteristik eines elektrischen Antriebsstrangs bestimmen, nicht ausreichend verstanden, um ohne Messungen an Prototypen belastbare Vorhersagen machen zu können. Insbesondere die strukturdynamische Schwingungsdämpfung stellt eine Herausforderung dar. Diese Arbeit ist ein Beitrag zur Berechnung der strukturdynamischen Dämpfung aus Geometrie- und Materialparametern, um den Messprozess zu überwinden. Es wird dabei auf die gleichen Grundlagen aufgebaut, welche im Artikel Strukturdynamische Werkstoffdämpfung von Blechpaketen elektrischer Maschinen von franck in dieser e&i dargestellt sind. Während dort der Fokus auf den orthotropen Parametern der Werkstoffdämpfung von Blechpaketen liegt, behandelt dieser Beitrag die Berechnung und Messung modaler Dämpfungsgrade am Beispiel von Aluminiumkörpern, welche sowohl durch Werkstoffdämpfung als auch durch Schallabstrahlung gedämpft sind.

Strukturdynamische Systeme lassen sich gut durch die Summe von Trägheitskräften, Dämpfungskräften und Federkräften beschreiben [2]. Im Gegensatz zu Trägheitskräften und Federkräften, welche bekannte Proportionalitätskonstanten mit wenigen Abhängigkeiten besitzen (Dichte, E‑ und G‑Modul), entstehen Dämpfungskräfte aus verschiedenen, nichtlinearen Mechanismen (vgl. Abb. 1 aus francks Artikel) und führen zu potenziell komplexem Schwingungsverhalten.

Zur Reduktion der Freiheitsgrade in der Akustikberechnung kann ein System in den Modalraum transformiert und durch Eigenfrequenzen, zugehörige Modenformen und modale Dämpfungen beschrieben werden [1, 2]. Die proportionale Dämpfung (s. u.) ermöglicht die Superposition reeller Moden, wodurch eine unabhängige Berechnung möglich wird und recheneffiziente elastische Mehrkörpersimulationen (EMKS) erlaubt. Dazu müssen die modalen Dämpfungsgrade bekannt sein, welche aktuell an Prototypen gemessen werden [3, 4].

In dieser Arbeit werden modale Dämpfungsgrade berechnet, indem die verschiedenen Dämpfungsmechanismen der Werkstoffdämpfung und der Schallabstrahlung getrennt betrachtet werden. Fügestellendämpfung kann prinzipiell ebenfalls berücksichtigt werden. Die Ergebnisse werden mit Dämpfungsgraden verglichen, welche mit zwei verschiedenen Methoden aus sorgfältig gemessenen Frequency Response Functions (FRFs) extrahiert werden, und der Fehler durch proportionale Modellierung anhand einer FRF abgeschätzt.

2 Grundlagen

2.1 Frequenzabhängigkeit der Dämpfungsmodelle

Es existieren mehrere Ansätze zur Modellierung der Dämpfungskräfte, die beiden wichtigsten, viskose Dämpfung und strukturelle Dämpfung, wurden in francks Artikel bereits eingeführt. Der viskose Ansatz mit zur Geschwindigkeit proportionalen Dämpfungskraft führt bei Lösung der DGL auf einen Dämpfungsgrad, welcher quadratisch von der Amplitude und linear von der Frequenz abhängt. Der strukturelle Ansatz mit zur Auslenkung proportionalen Dämpfungskraft, welche durch die imaginäre Einheit \(j\) um 90\({}^{\circ}\) phasenverschoben ist, führt ebenfalls zu einer quadratischen Amplitudenabhängigkeit des Dämpfungsgrads, jedoch ohne die Frequenzabhängigkeit.

2.2 Proportionale Dämpfung

Ziel der Arbeit sind unabhängige modale Dämpfungsgrade, welche in einer EMKS linear superponiert werden können. Ein proportional gedämpftes Systemverhalten mit reellen Moden ist für eine EMKS anzustreben. Die Annahme der Proportionalität der Dämpfungsmatrix \(\mathbf{C}\) zur Massenmatrix \(\mathbf{M}\) mit der Poportionalitätskonstante \(\alpha\) ist mathematisch motiviert und hat keinen direkten physikalische Bezug. Im Gegensatz dazu erzeugt die Proportionalität zur Steifigkeitsmatrix \(\mathbf{K}\) mittels der Poportionalitätskonstante \(\beta\) einen direkten Zusammenhang der Dämpfungskräfte zur Dehnung. Der Ansatz wird als \(\alpha\)-\(\beta\)-Dämpfung, rayleigh-Dämpfung oder Proportionale Dämpfung bezeichnet. Die Proportionalität zur Steifigkeit ist zielführend zur Modellierung der volumetrischen Werkstoffdämpfung; für die an der Oberfläche wirkende Schallabstrahlung oder die Fügestellendämpfung ist der Ansatz jedoch physikalisch nicht konsistent. Die Lösung der Bewegungsgleichungen (Gl. 1 bzw. 2 von franck) im viskosen Fall (Index v) führt zur Definition des Dämpfungsgrads \(\zeta\), bzw. im strukturellen Fall (Index s) zum Verlustfaktor \(\eta\) einer Mode \(r\) mit der gedämpften bzw. ungedämpften Eigenfrequenz \(\omega_{\text{r}}^{{}^{\prime}}\) und \(\omega_{\text{r}}\).

$$\begin{aligned}\omega_{\text{r}}^{{}^{\prime}}=\omega_{\text{r}}\sqrt{1-\zeta_{\text{r}}^{2}},\quad\text{mit}\quad\zeta_{\text{r}}=\frac{1}{2}\alpha_{\text{v}}\frac{1}{\omega_{\text{r}}}+\frac{1}{2}\beta_{\text{v}}\omega_{\text{r}}\end{aligned}$$
(1)
$$\begin{aligned}\omega_{\text{r}}^{{}^{\prime}}=\omega_{\text{r}}\sqrt{1-j\eta_{\text{r}}},\quad\text{mit}\quad\eta_{\text{r}}=\alpha_{\text{s}}\frac{1}{\omega_{\text{r}}}+\beta_{\text{s}}\omega_{\text{r}}\end{aligned}$$
(2)

Bei proportionaler Dämpfung ergibt sich der Dämpfungsgrad jeder Mode somit direkt aus \(\omega\), \(\alpha\) und \(\beta\), wobei \(\alpha\) in dieser Arbeit aufgrund der fehlenden physikalischen Motivation nicht verwendet wird. Es sei verdeutlicht, dass \(\beta_{v}\) im Fall viskoser Dämpfung und \(\beta_{s}\) der strukturellen Dämpfung weder die gleiche Einheit tragen noch in der selben Größenordnung liegen.

3 Energieverlust und Dämpfungswerte

Bei der Eigenfrequenz einer Mode kann eine Äquivalenz von Verlustfaktor \(\eta\), Dämpfungsgrad \(\zeta\) und der dissipierten und gespeicherten Energie \(\delta U\) bzw. \(U\) hergestellt werden (sowie weiteren Größen, z. B. Winkel zwischen Spannung und Dehnung \(\Phi\), Imaginärteil \(E^{{}^{\prime}}\) und Realteil \(E^{{}^{\prime\prime}}\) des komplexen E‑Moduls, Gütefaktor \(Q\), Dämpfungskapazität \(\Psi\)) [5]. Der Zusammenhang zum Dämpfungsgrad \(\zeta\) ist dabei eine lineare Näherung gültig für \(\zeta<0,1\).

$$\eta=2\zeta=\tan(\Phi)=\frac{E^{{}^{\prime\prime}}}{E^{{}^{\prime}}}=\frac{1}{Q}=\frac{1}{2\pi}\Psi=\frac{\delta U}{2\pi U}$$
(3)

4 Dämpfungsberechnung

4.1 Werkstoffdämpfung

Der Begriff Werkstoffdämpfung beschreibt in dieser Arbeit den Energieverlust innerhalb fester, nicht-gefügter Objekte, die auf makroskopischer Ebene homogen sind. Die Dämpfung entsteht z. B. durch quantenmechanische Prozesse in und zwischen den kristallinen Körnern und Phasen eines Materials, Schlupf auf mikroskopischer Ebene oder durch Wachstum von Mikrorissen. Gängige Metalle und Legierungen weisen im Vergleich zur Dämpfung durch andere Mechanismen eine relativ geringe Werkstoffdämpfung auf, während beispielsweise Kunststoffe eine höhere Werkstoffdämpfung zeigen [6].

4.1.1 Modellierung

Für linear elastische Werkstoffe welche dem Hookschen Gesetz gehorchen ist eine Proportionalität der Dämpfungskraft zur Steifigkeit und damit Dehnung naheliegend. Die modale Werkstoffdämpfung isotroper Werkstoffe kann daher mit Gl. (1) (viskos) bzw. Gl. (2) (strukturell) berechnet werden.

4.1.2 Literaturwerte

In der Literatur existieren viele Ansätze zur Messung der Werkstoffdämpfung. Bei Werkstoffen geringer Dämpfung wie z. B. Aluminium ist die Messung der Werkstoffdämpfung besonders herausfordernd. Weiterhin besteht im Allgemeinen die Herausforderung verschiedene Effekte zu trennen. Im Detail ist das

  1. 1.

    die Trennung der Werkstoffdämpfung von anderen Dämpfungsmechanismen,

  2. 2.

    die Trennung der möglicherweise unterschiedlichen Normal- und Scherkomponente,

  3. 3.

    die mögliche Amplitudenabhängigkeit und

  4. 4.

    die mögliche Frequenzabhängigkeit.

In [7] findet sich eine Zusammenfassung von Verfahren zur Messung der Werkstoffdämpfung. Viele werden bei sehr niedrigen Temperaturen oder für selten eingesetzte Werkstoffe durchgeführt, andere sind bei sehr geringer Werkstoffdämpfung nicht anwendbar oder arbeiten mit fragwürdig hoher Scherdehnung dünner Drähte. aberg selbst beschreibt ein temperaturbasiertes Messverfahren [7]. Die Werte der Verlustfaktoren für verschiedene Aluminiumlegierungen von ihm zwischen \(\eta=2{,}5\cdot 10^{-4}\) und \(8\cdot 10^{-4}\) erscheinen relativ hoch, und es ist weder eine Formel für \(\eta\) zur Überprüfung der korrekten Anwendung noch die Frequenz angegeben.

Ein nach Einschätzung der Autoren belastbarer Wert für Aluminium gibt stebbins in [8], wenn auch unter Verwendung eines komplexen Spannungszustandes, welcher daher die Punkte 2 und 3 nicht erfüllt. Es wird ein konstanter Winkel zwischen Spannung und Dehnung von \(\Phi={0{,}002}{{}^{\circ}}\) bei 0,032 Hz bestimmt, resultierend in \(\eta=3{,}5\cdot 10^{-5}\) bzw. \(\zeta=1{,}75\,\cdot 10^{-5}\). Die Messung wird für Resonanzfrequenzen zwischen ca. 0,03 Hz und 1 Hz sowie Anregungsfrequenzen zwischen 0,001 Hz und 2 Hz durchgeführt. stebbins findet diesem Bereich keine Abhängigkeit des Verlustfaktors von der Dehnungsfrequenz. Für die Abhängigkeit von der Dehnungsamplitude zeigt die Arbeit aus [5] einen konstanten Verlustfaktor im Bereich niedriger Dehnungen bzw. Spannungen, d. h. bei niedrig legiertem Stahl bis ca. 100 MPa und bei Lamellengrauguss bis ca. 30 MPa. Die Messungen werden zwischen 60 Hz und 300 Hz durchgeführt. Für Aluminium wird ein analoges Verhalten bei relativ zur Streckgrenze niedrigen Spannungsamplituden angenommen.

4.2 Dämpfung durch Schallabstrahlung

Ein schwingender Körper, der von einem Fluid wie z. B. Luft umgeben ist, gibt seine Energie in Form von Schallwellen an das Fluid ab. Da die Kraft des Fluids nur auf die Oberfläche des Körpers wirkt, ist die Kraftverteilung nicht proportional zu den volumetrischen Steifigkeitskräften. In dieser Arbeit wird die abgestrahlte Schallenergie pro Zyklus für jede Mode bei ihrer Eigenfrequenz berechnet. Dazu werden die Modenformen aus ungedämpften FEM extrahiert, welche als Anregung für eine lineare harmonische FEM der Schallabstrahlung dienen. Aus der Schallwellenlänge jeder Mode resultiert die Größe des umgebenden Luftvolumens (hier \(0{,}5\lambda\)) um den Körper sowie die Elementgröße der Vernetzung (hier \(0{,}1\lambda\)).

4.3 Fügestellendämpfung

Der wahrscheinlich größte Beitrag zur Schwingungsdämpfung realer Maschinen ist auf den Mikroschlupf und die Reibung in verschiedenen Fügestellen zurückzuführen [9]. Die Methode ist in der Lage, diesen nicht-proportionalen Dämpfungsbeitrag anhand der Scherdehnung in Fügestellen ebenfalls abzubilden, und in eine entsprechende modale Dämpfung zu überführen. In dieser Arbeit wird ausschließlich Werkstoffdämpfung und Schallabstrahlung betrachtet.

4.4 Annahmen und Fehlerabschätzung

Aus der Modellierung mittels proportionaler Dämpfung, d. h. eines Modells dessen Dämpfungsmatrix nur Einträge auf der Diagonalen enthält, resultieren Abweichungen.

  1. 1.

    Die Möglichkeit einer Wechselwirkung der Moden untereinander wird ausgeschlossen ebenso wie komplexe Modenformen. Allerdings übersteigen bei leicht gedämpften Strukturen die Steifigkeitskräfte die nichtproportionalen Dämpfungskräfte um Größenordnungen, wodurch die Nichtproportionalität und damit die Komplexität der Modenform gering sein wird. Bei großen nichtproportionalen Dämpfungskräften ist die Mode stark gedämpft und der Fehler vernachlässigbar.

  2. 2.

    Die Schallabstrahlung hängt ebenfalls von der Komplexität der Modenform ab. Der Abstrahlgrad \(\sigma_{\text{sound}}\) (nicht zu verwechseln mit der mech. Spannung \(\sigma\)) ist definiert als Verhältnis aus der realen Schallleistung, d. h. unter Berücksichtigung der Interaktion aller strahlenden Oberflächenelemente, und der Schallleistung, welche jedes Oberflächenelement unabhängig vom Rest abstrahlen würde. Letztere wird als equivalent radiated sound power (erp) bezeichnet.

    $$\sigma_{\text{sound}}=\frac{P_{\text{sound,real}}}{\text{erp}}$$
    (4)

    Der Abstrahlgrad hängt von der Schallwellenlänge \(\lambda\) und der geometrischen Modenform des Körpers ab. Die Modenform kann näherungsweise durch den Abstand \(d_{\text{mode}}\) zwischen den Schwingungsbäuchen und -Knoten beschrieben werden. Weiterhin ist der Abstrahlgrad abhängig von der Phasendifferenz beider Wellen. Bei steigender Frequenz nimmt die akustische Wellenlänge \(\lambda\) stärker ab als \(d_{\text{mode}}\), so dass sich drei Bereiche ergeben. Bei niedrigen Frequenzen, bei denen die Wellenlänge deutlich größer ist als der Abstand der Bäuche (\(\lambda\gg d_{\text{mode}}\)), wird die Schallabstrahlung akustisch kurzgeschlossen und der Abstrahlgrad ist gering, während bei hohen Frequenzen der Abstrahlgrad gegen eins strebt. Bei der sogenannten Koinzidenzfrequenz bei \(\lambda\approx d_{\text{mode}}\) kann der Abstrahlgrad ein Maximum erreichen und Werte \(> 1\) annehmen. Für eine korrekte Berechnung wäre eine Simulation unter Einbeziehung der Festkörper-Fluid-Wechselwirkung erforderlich. Analog zu Punkt (1) wird der Fehler als vernachlässigbar angenommen, da nur bei stark gedämpften Moden mit nennenswerter Komplexität zu rechnen ist.

  3. 3.

    Eine ungedämpfte Modalanalyse zur Bestimmung der Eigenfrequenzen resultiert erwartungsgemäß bei stark gedämpften Moden in zu hohen Eigenfrequenzen. Dies beeinflusst den Abstrahlgrad und führt zu einer Überschätzung der frequenzabhängigen Werkstoffdämpfung. Auch für diesen Punkt gilt, dass stark gedämpfte und damit vernachlässigbare Moden betroffen sind. Ein möglicher Verbesserungsansatz ist eine iterative Korrektur der ungedämpften Eigenfrequenz mit der berechneten Dämpfung.

  4. 4.

    Da der Abstrahlgrad \(\sigma_{\text{sound}}\) frequenzabhängig ist, ergibt sich aus der ausschließlichen Berechnung bei den Eigenfrequenzen ein Fehler bei Frequenzen dazwischen. Durch die niedrige Frequenzantwort abseits der Eigenfrequenzen wird dieser Fehler als vernachlässigbar angenommen.

Um den Fehler abzuschätzen, der durch die proportionale Modellierung eines nichtproportional gedämpften Systems entsteht, wird eine beispielhafte FRF auf der Grundlage der gemessenen proportionalen modalen Dämpfungsgrade berechnet. Das Ergebnis in Abb. 2 zeigt die allgemeine Anwendbarkeit der Methode. Die größte Diskrepanz ist unterhalb von 8000 Hz zu erkennen. Höchstwahrscheinlich sind die eng beieinander liegenden Moden von Simulation und Messung nicht richtig zugeordnet.

Abb. 1
figure 1

Vergleich der gemessenen FRF mit der berechneten FRF, welcher ein proportional gedämpftes Modell mit den aus der Messung bestimmten Dämpfungsgraden zugrunde liegt

Abb. 2
figure 2

Ergebnisse des CMIF für den Gehäusemantel mit interpretierten Peaks

5 Messung Modaler Dämpfungen

Die Messung der modalen Dämpfungen insbesondere schwach gedämpfter Systeme ist nicht trivial und fehleranfällig, und wird im Folgenden beschrieben. In dieser Arbeit werden die modalen Dämpfungen aus gemessenen FRFs bestimmt.

5.1 Bestimmung der modalen Dämpfung aus FRFs

5.1.1 Complex Mode Indication Function

Um Eigenmoden in einer gemessenen FRF-Matrix zu finden, wird die Complex Mode Indication Function (CMIF) angewendet [2]. Die CMIF basiert auf einer Singulärwertzerlegung der FRF-Matrix bei jedem Frequenzschritt. Das CMIF Ergebnis wird im Vergleich mit den Simulationsergebnissen aus der ungedämpften FEM interpretiert.

5.1.2 Circle Fit

Eine relativ einfache Methode, modale Dämpfungsgrade zu extrahieren, ist der Circle Fit (CF). Die FRF eines linearen Systems, welche jeder Frequenz einen komplexen Antwortwert zuordnet, beschreibt bei Durchgang durch eine Eigenfrequenz einen Kreis in der komplexen Ebene. Der Dämpfungsgrad ist proportional zur maximalen Winkeländerung relativ zur Frequenz [2, 7]. In der Praxis erfordert der CF bei schwach gedämpften Systemen eine sehr hohe Frequenzauflösung, insbesondere im niedrigen Frequenzbereich, was zu langen Datenerfassungszeiten bei der Messung führt. Für den Aluminiumrundblock wird bspw. eine Erfassungszeit von ca. 11 s verwendet, um eine Auflösung von ca. 0,192 Hz zu erreichen. Eng beieinander liegende Moden führen zu sich überlagernden Kreise welche schwer identifizierbar sind, so dass die Methode bei der zweiten Mode einer Doppelmode versagt. Der CF wird als einfache und zuverlässige Methode gewählt, um die Ergebnisse der komplexeren LSRF-Methode zu überprüfen. Die CF-Methode liefert einen modalen Dämpfungsgrad für jede Mode und FRF. Zur Veranschaulichung werden Einzelwerte als halbtransparente Punkte dargestellt, welche bei Überlagerung einen belastbaren Wert andeuten. Der Mittelwert aller akzeptierten Werte ist rechts neben den Punkten mit einem Links-Pfeil markiert.

5.1.3 Least Squares Rational Fit

Die Least Squares Rational Fit (LSRF) Methode [10] basiert auf einem zweistufigen Vektorfitting, welches ein mathematisches Ersatzmodell liefert deren Modenanzahl vorgegeben werden muss. Die erste Stufe arbeitet mit einem robusten Verfahren, welches keine Anfangswerte erfordert. Die zweite Stufe verfeinert durch besseres Konvergenzverhalten die Eigenfrequenzen und Dämpfungswerte der ersten Stufe.

Abb. 3 zeigt die extrahierten modalen Dämpfungsgrade aus einer Messung für den Rundblock. Die LSRF-Ergebnisse sind als Pfeile auf der linken Seite einer Mode eingezeichnet. Der CF und der LSRF zeigen eine gute Übereinstimmung. Zum Vergleich mit berechneten modalen Dämpfungen werden manuell für jede Mode die plausibleren Dämpfungsgrade gewählt. Unter der Annahme, dass äußere Einflüsse die Dämpfung tendenziell erhöhen, sind damit niedrigere Dämpfungsgrade eher plausibel. Bei der Auswahl wird auch die Aufhängung, Anregung, Sensorposition und Modenform aus der FEM berücksichtigt, vgl. 5.2.

Abb. 3
figure 3

Dämpfungsgrade des Aluminium-Rundblocks für die 25 Moden bis 10 kHz aus einer Messung mit vier Beschleunigungssensoren, aufgehängt an zwei Punkten bei 25 % und 75 % der axialen Länge. Die Ergebnisse des Circle Fit für jede FRF sind halbtransparent aufgetragen, so dass identische Ergebnisse einen schwärzeren Punkt bilden, der einen zuverlässigeren Wert anzeigt

5.2 Einfüsse auf die Messung

Zur Bewertung der Dämpfungsberechnung wurden massive Metallobjekte als möglichst lineare Systeme mit gut bekannten Eigenschaften gewählt. Die Aluminiumkörper sind jedoch nur schwach gedämpft, insbesondere der Rundblock. In diesem Fall ist die Dämpfung durch die kabelgebundenen Beschleunigungssensoren und die Aufhängung in den Messungen erkennbar. Alle Messungen werden mit 3D Beschleunigungsaufnehmern des Typs PCB 356A03 sowie einem handgeführten Impulshammer des Typs PCB 086C03 mit einer Spitze aus Stahl durchgeführt. Das Exponentialfenster, welches auf die gemessene Beschleunigungsantwort angewendet werden kann, beeinflusst die modalen Dämpfungsgrade durch Einführung einer künstlichen Dämpfung, welche vor allem im unteren Frequenzbereich signifikant ist. Die zu hohen Dämpfungswerte werden entsprechend korrigiert (vgl. [11]).

5.2.1 Einfluss der Beschleunigungssensoren

Am Rundblock werden Messungen mit vier Sensoren, zwei Sensoren oder jeweils nur einem Sensor gleichzeitig durchgeführt, wobei in den letzteren Fällen die Sensoren verschoben werden, um dieselben zwölf FRFs von vier Sensorpositionen und drei Anregungspunkten zu erhalten. Abb. 4 zeigt die modalen Dämpfungsgrade sowie eine Extrapolation für keinen Sensor unter der Annahme, dass jeder Sensor modenabhängig einen absoluten Dämpfungsbetrag einbringt. Für einige Moden (z. B. 9, 23, 24) führt dies jedoch zu negativen Dämpfungsgraden, in diesen Fällen wird zur Extrapolation der Wert der 1‑Sensor-Messung halbiert.

Abb. 4
figure 4

Dämpfungsgrade des Aluminium-Rundblocks. Werte von Messungen mit vier, zwei oder einem Beschleunigungssensor und einer Extrapolation auf null Sensoren, aufgehängt an zwei Punkten bei 25 % und 75 % der axialen Länge. Außerdem das Ergebnis bei Berücksichtigung einer weiteren Messung mit einer Aufhängung an nur einem zentralen Punkt

Die Elimination des Sensoreinflusses aus der Messung sehr schwach gedämpfter Systeme ist nicht trivial. Die beschriebene Extrapolation ist ein Ansatz zur Schätzung der tatsächlichen modalen Dämpfungsgrade. Bei stärker gedämpften Systemen ist der Sensoreinfluss zunehmend vernachlässigbar.

Die Messung verschiedener Sensorpositionen nacheinander stört die CMIF. Durch die Bewegung des Sensors wird das System verändert, und bei jedem Schritt wird ein anderes System gemessen. Abb. 5 zeigt eine saubere CMIF einer Messung mit vier Sensoren. Zur Interpretation hilft die Vorstellung, dass durch die Singulärwertzerlegung die jeweils höchsten Antwortkomponenten „verfolgt“werden. Als Vergleich zeigt Abb. 6 eine CMIF aus den gleichen, mit einem Sensor nacheinander gemessenen FRFs. Es sind zusätzliche Peaks in den niedrigeren Komponenten erkennbar, welche der automatische Auswertungsalgorithmus als zusätzliche Moden fehlinterpretieren kann (hier Mode 15). Das Problem ist bei komplexeren Körpern mit wesentlich mehr Moden, wie sie üblicherweise in der Praxis auftreten, umso größer.

Abb. 5
figure 5

CMIF des Rundblocks, gemessen mit vier Sensoren gleichzeitig

Abb. 6
figure 6

CMIF des Rundblocks, gemessen mit einem Sensor nacheinander an den vier Positionen

5.2.2 Einfluss der Aufhängung

Am Beispiel des Rundblocks wird der Vergleich zweier verschiedener Aufhängungen gezeigt. Die zur Bewertung des Sensoreinflusses verwendete Aufhängung besteht aus zwei M5-Gewindeösen und Gummibändern bei 25 % und 75 % der axialen Länge. Die zweite Aufhängungsvariante besteht aus einer zentralen M5-Gewindeöse. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine Aufhängung durch Behinderung der Bewegung den Dämpfungsgrad nur erhöht, nicht absenkt. In Abb. 4 ist die niedrigere Dämpfung der beiden Messungen mit unterschiedlichen Aufhängungen dargestellt. Für viele Moden ergab die Aufhängung an zwei Punkten den niedrigeren Dämpfungsgrad. Gegenbeispiele sind z. B. die zweiten Biegemoden (3, 4) oder die erste Torsionsmode (5), welche einen Knoten in der Mitte des Zylinders aufweisen. Erwartungsgemäß führt eine Aufhängung im Knoten zum niedrigeren Dämpfungsgrad. Es existiert somit keine optimale freie Aufhängung für alle Moden außer Schwerelosigkeit. Vielmehr ist eine Reihe von Messungen mit Aufhängungen an den Knotenpunkten der verschiedenen Moden erforderlich. Mit einer Erweiterung des in [12] beschriebenen Verfahrens können mögliche Aufhängungs- und Messpunkte modellbasiert identifiziert werden.

6 Ergebnisse

6.1 Rundblock

Der Aluminium-Rundblock (100 mm Durchmesser und 1000 mm Länge, mit einer Ausfräsung von \(25\times\)25 mm an einem Ende zur Anregung der Torsionsmoden) ist eine nicht perfekt symmetrische Struktur und weist daher eng beieinander liegende Paare von Biegemoden auf (\(1+2\), \(3+4\), \(6+7\), \(8+9\), usw.). Aufgrund der Ausrichtung der Aussparung sind die Hauptachsen des Flächenträgheitsmoments und damit Bewegungsrichtung eines Modenpaares um ca. \({+30}\)\({}^{\circ}\) bzw. \({-60}\)\({}^{\circ}\) zur vertikalen Aufhängung verdreht. Daher ist der Einfluss der Aufhängung und der Sensoren auf diese Moden unterschiedlich, was zu unterschiedlichen modalen Dämpfungsgraden bei einem Paar führt, welche im Idealfall als nahezu gleich erwartet werden.

Die Messung der modalen Dämpfungsgrade des Rundblocks ist bereits in Abb. 4 dargestellt. In Abb. 7 werden diese mit berechneten Werten verglichen. Die Summe aus der strukturellen Werkstoffdämpfung mit \(\beta_{s}=\eta=2\cdot 10^{-5}\) und der Dämpfung durch Schallabstrahlung zeigt eine relativ gute Übereinstimmung mit der Messung, und ebenso mit dem Literaturwert für den Verlustfaktor aus [8] (\(\eta=3{,}5\cdot 10^{-5}\) entsprechend \(\zeta=1{,}75\cdot 10^{-5}\)). Für die Frequenzabhängigkeit der Werkstoffdämpfung ist neben dem strukturellem Ansatz auch der viskose Ansatz (mit \(\beta_{v}=1\cdot 10^{-9}\) s) dargestellt. Mit diesem Berechnungsansatz würde die Dämpfung der ersten Torsionsmode bei 1700 Hz noch weiter unterschätzt, während die Dämpfung im Hochfrequenzbereich ansteigen und etwas besser zur Messung passen würde. Durch den starken Einfluss von Aufhängung und Sensoren bei diesem sehr schwach gedämpften System ist eine Aussage über das Frequenzverhalten jedoch wenig belastbar.

Abb. 7
figure 7

Berechnete und gemessene modale Dämpfungsgrade des Rundblocks

6.2 Gehäusemantel

Dieser äußere Gehäusemantel eines Elektromotors kann durch einen Hohlzylinder von 400 mm Durchmesser und 335 mm Länge mit einer Wandstärke von 10 mm angenähert werden. Es steht eine Messung mit zwei Sensorpositionen und 50 Anregungspunkten, d. h. 300 FRFs zur Verfügung. Die Frequenzauflösung beträgt 1,464 Hz, weshalb bei der Dämpfungsextraktion in Abb. 8 bzw. 9 die CF-Methode für viele Moden unter 1000 Hz versagt. Die Kreise sind in der Frequenzrichtung nicht ausreichend abgetastet. Bei höheren Frequenzen zeigen die CF- und die LSRF-Methode eine gute Übereinstimmung.

Abb. 8
figure 8

Gemessene modale Dämpfungsgrade des Gehäusemantels über den Eigenfrequenzen

Abb. 9
figure 9

Gemessene modale Dämpfungsgrade des Gehäusemantels über der Modennummer

Der Gehäusemantel ist analog zum Rundblock eine Struktur mit nicht perfekter Symmetrie und nahen Doppelmoden. Er wurde axial an zwei M5-Gewindeösen aufgehängt, und wie beim Rundblock sind für zwei Moden eines Paares unterschiedliche Dämpfungsgrade zu beobachten, vermutlich aufgrund dieser Aufhängung (z. B. bei 600 Hz oder 1100 Hz). Das Gehäuse umschließt ein relativ großes Volumen, das für die FEM der Schallabstrahlung vernetzt werden muss und aufgrund der Speicherbegrenzung (120 GB) die Analyse auf 4500 Hz begrenzt.

Der Gehäusemantel ist dominant durch Schallabstrahlung gedämpft. Die Messung ist bei mittleren und hohen Frequenzen in guter Übereinstimmung mit der Simulation (Abb. 10), und die Koinzidenzfrequenz ist erkennbar bei ca. 2200 Hz. Die Werkstoffdämpfung ist gering, so dass keine Aussagen über eventuelle Abhängigkeiten möglich sind. Bei niedrigen Frequenzen unterschätzt die Simulation die Dämpfung jedoch deutlich. Da die Schallabstrahlung des Gehäusemantels sehr viel größer ist, und der Effekt beim Rundblock nicht auftritt, werden nicht-strahlende Fluid-Struktur-Wechselwirkungen als Ursache vermutet, wie z. B. Verwirbelungen an den Rändern des Gehäusemantels.

Abb. 10
figure 10

Berechnete und gemessene modale Dämpfungsgrade des Gehäusemantels

7 Zusammenfassung und Ausblick

In dieser Arbeit werden modale Dämpfungsgrade aus Werkstoffdämpfung und Schallabstrahlungsdämpfung auf Grundlage einer ungedämpften FEM berechnet. Die Ergebnisse zeigen eine gute Übereinstimmung mit den Messungen, jedoch auch Abweichungen. Es werden Herausforderungen bei der Messung aufgezeigt, die vor allem die Aufhängung und die Beschleunigungssensoren betreffen. Zwei Extraktionsmethoden für modale Dämpfungsgrade, die auf gemessenen FRFs basieren, werden verglichen und zeigen eine gute Übereinstimmung. Der Fehler, welcher aus dem Ansatz mit proportionaler Dämpfung resultiert, wird anhand einer berechneten FRF abgeschätzt. Durch Iterationsverfahren könnte der Fehler bei erhöhtem Rechenaufwand reduziert werden. Die Methode kann erweitert werden um Fügestellendämpfung abzubilden. Um Vorhersagen zu treffen, ist eine zuverlässige Datenbank mit Dämpfungswerten für verschiedene Werkstoffe erforderlich. Diese Datenbank kann auch Dämpfungswerte für typische Fügestellen enthalten, welche z. B. von der Werkstoffpaarung, der Oberflächenrauigkeit und dem Fugendruck abhängen.