1 Einleitung

Durch die kontinuierliche Reduzierung konventioneller Kraftwerksleistung und der Zunahme regenerativer Energieerzeugung mit der einhergehenden Dezentralisierung, kommt vor allem regionalen Verteilnetzen eine steigende Bedeutung bei der Bereitstellung von Systemdienstleistungen zu.

Das seit 19. Mai 2019 geltende Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) beschreibt dabei den Umgang mit Netzengpässen. Darin enthaltene Vorgaben sind bis 1. Oktober 2021 durch die Netzbetreiber umzusetzen. Es soll ein einheitliches Redispatch-Vorgehen nach §§ 13, 13a und 14 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) etabliert werden. Kernbestand ist die Fernsteuerbarkeit von dezentralen Energieerzeugern ab 100 kW durch den Netzbetreiber und somit deren Beteiligung am s.g. Redispatch 2.0.

Grundvoraussetzung ist dabei eine intensive Zusammenarbeit der Netzbetreiber bei der Behebung von Netzengpässen mit der Prämisse möglichst geringer Gesamtkosten über alle Netzebenen und unter Einhaltung der Netz- und Versorgungssicherheit.

Diese Vorgaben fokussieren die Regelung strombedingter Engpässe, welche durch regionale Disbalancen von Erzeugung und Verbrauch auftreten. Projekte wie IMOWEN [1] und EU-SysFlex [2] liefern hierfür die ersten Lösungen.

In einem nächsten Schritt gilt es das Konzept auf die Bewirtschaftung spannungsbedingter Engpässen zu erweitern. Das Projekt SysDL 2.0 lieferte hierfür bereits grundlegende Lösungsansätze um ein spannungsebenenübergreifendes Blindleistungsmanagement durchzuführen. Von der Konzipierung der erforderlichen Anwendungsfälle über die Entwicklung der Algorithmen und Diensteplattform bis hin zur praktischen Erprobung in realen Netzgebieten zeigte ein vielversprechendes Pilotsystem mögliche Lösungen [3].

Dieser Beitrag zeigt die Umsetzung und Auswertung des im Projekt entwickelten Systems im Kontext der aktuellen Entwicklungen. Die Umsetzung erfolgte dabei in Zusammenarbeit der TU Dresden, des Fraunhofer IEE, der Siemens AG, zweier Verteilnetzbetreiber (Mitnetz Strom mbH, SachsenNetze GmbH) und einem Übertragungsnetzbetreiber (50 Hertz Transmission GmbH).

2 Technisch-wissenschaftlicher Hintergrund

2.1 Anwendungsfälle und Optimierungsansatz

Um allgemeine Anforderungen für ein spannungsebenenübergreifendes Blindleistungsmanagement ableiten zu können, wurden zunächst sechs Anwendungsfälle in Anlehnung an [4] durch das Projektkonsortium identifiziert [5]. Die folgenden Anwendungsfälle sind dabei auch Grundlage für die Umsetzung des Redispatch 2.0 Ansatzes:

  • Potenziale der Spannungsbänder am Netzverknüpfungspunkt (NVP)

  • Blindleistungspotenziale am NVP

  • Einstellung von Blindleistungswerten am NVP

  • Minimierung der Netzverluste im Verteilnetz

Die Umsetzung durchlief die komplette Kette von der Konzeption, über die wissenschaftliche Untersuchung bis hin zur praktischen Erprobung in einem Feldtest.

Die Anwendungsfälle der lokalen Spannungshaltung sowohl im Verteilnetz als auch des lokalen Engpassmanagements werden als Randbedingungen für den Optimierungsalgorithmus interpretiert. Voraussetzung für die Durchführung des Feldtests ist ein Netz mit ausreichend Reserven hinsichtlich der Leitungsbelastung sowie der Spannungsgrenzwerte.

Auf dieser Grundlage wurden Netzbetriebsführungsalgorithmen entwickelt, welche sowohl die Anforderungen einzelner aber auch eine komplexere Kombinationen verschiedener Anwendungsfälle erfüllen [6].

2.2 Systemansatz zum Blindleistungsmanagement

Bei der Umsetzung des Systemansatzes wurden sowohl Algorithmen zur Topologieerkennung, Netzzustandsschätzung, Prognose und Blindleistungsoptimierung entwickelt bzw. adaptiert [6,7,8]. Zur Darstellung aller notwendigen Informationen wurde eine grafische Benutzeroberfläche entwickelt und in Zusammenarbeit mit den Netzbetreibern auf Praktikabilität getestet [3].

Das System durchläuft im Betrieb folgende Einzelprozesse:

  1. 1.

    Übertragung und Speicherung der Daten des Netzbetreibers im CIM-Format [9]

  2. 2.

    Erstellung des Netzmodells auf Basis der Messdaten

  3. 3.

    Ausführung der Zustandsschätzung

  4. 4.

    Abruf der Prognosedaten

  5. 5.

    Ausführung der Optimierung für Ist-Zustand und Prognosezeitraum

  6. 6.

    Eingabe der optimierten Blindleistungswerte

  7. 7.

    Monitoring

Sowohl die Optimierungsergebnisse als auch die Kontrolle des resultierenden Zustandes werden dem Systemoperator über die grafische Nutzeroberfläche zur Verfügung gestellt.

3 Vorbereitung des Feldtests

3.1 Anforderungen und Konzeption

Da der praktische Funktionstest aller Komponenten in der realen Netzumgebung unter regulären Betriebsbedingungen durchgeführt werden sollte, mussten spezielle Anforderungen aber auch Randbedingungen formuliert werden. Priorität war es, Einschränkungen im regulären Netzbetrieb zu vermeiden. Weiterhin sollte das SysDL-System Zugriff auf alle nötigen Daten des Leitsystems haben, allerdings nicht direkt darin integriert sein. Zudem sollte das System im Rahmen des Feldtests keine direkte Anlagensteuerung vornehmen können.

Dies hatte zur Folge, dass Schnittstellen zum automatischen Datenaustausch implementiert wurden, die Anlagensteuerung jedoch durch den Systemführer manuell eingegeben werden musste. Dies schränkt zum einen den zeitlichen Umfang eines aktiven Feldtests, als auch den Umfang der zu steuernden Anlagenanzahl ein. Der Feldtest wurde in zwei Abschnitte – passiv und aktiv – unterteilt. Während des passiven Feldtests, wurde keine Anlagensteuerung durchgeführt, jedoch alle Komponenten und Berechnungen des SysDL-Systems plausibilisiert und validiert. Anschließend wurden innerhalb des aktiven Feldtests, Anlagensteuerungen im laufenden Netzbetrieb vorgenommen.

3.2 Auswahl der Netzgebiete und Anlagen

Um den Feldtest durchführen zu können, waren Netzgebiete mit technisch geeigneten Erzeugungsanlagen und einer ausreichenden installierten Leistung erforderlich. Die Netzgebiete der beteiligten Netzbetreiber wurden entsprechend analysiert, anhand der geforderten Kriterien bewertet und jeweils eine Netzgruppe für den Feldtest ausgewählt. Abb. 1 zeigt eine Übersicht der Netzgebiete.

Abb. 1
figure 1

Netzgebiete im Projekt. (Nach [3])

Im Fokus standen Anlagen, welche nach 2014 in Betrieb gegangen sind, da diese nach VDE-AR-N 4120 [10] einen erweiterten Blindleistungsstellbereich haben und durch den Netzbetreiber fernsteuerbar sein müssen. Weitere Untersuchungen wurden hinsichtlich einer möglichst hohen Blindleistungsverfügbarkeit im Jahr sowie einer hohen Sensitivität bezüglich der beschriebenen Anwendungsfälle durchgeführt [11]. Der Feldtest wurde in jeweils einer Verteilnetzgruppe (VNG) der beiden Verteilnetzbetreiber durchgeführt.

VNG 1 ist über drei Netzverknüpfungspunkte mit dem Übertragungsnetz verbunden. Im verbundenen Übertragungsnetz sind dabei hohe Leistungen durch konventionelle Kraftwerke angeschlossen, was eine hohe Spannungsstabilität für den Feldtest zur Folge hat. In der VNG 1 sind insgesamt 40 Erzeugungsanlagen mit einer installierten Leistung von etwa 1700 MVA angeschlossen, wovon 13 Anlagen steuerbar waren.

VNG 2 ist über zwei Netzverknüpfungspunkte mit dem Übertragungsnetz verbunden. In diesem Netzgebiet wurden drei Windparks mit einer installierten Leistung von 32 MVA für eine flexible Steuerung nachgerüstet.

3.3 Planung des Feldtests

Um den regulären Netzbetrieb so wenig wie möglich zu beeinflussen und unvorhergesehene Auswirkungen durch die Steuerung zu minimieren, wurde der Feldtest in drei Phasen unterteilt.

Phase 1

Das im Projekt entwickelte SysDL-System wurde parallel zum Leitsystem aufgebaut. Anschließend wurden, ohne Steuerungen vorzunehmen, alle Funktionalitäten und Berechnungen getestet. Dies beinhaltete die Erstellung der Netzmodelle auf Basis der Live-Netzdaten des Leitsystems, die Netzzustandsschätzung, die Berechnung der Blindleistungs- bzw. Spannungspotenziale sowie die Optimierung hinsichtlich der Verlustminimierung. Die Ergebnisse wurden anschließend umfassend geprüft und ausgewertet.

Phase 2

Es wurde eine Steuerung einer geringen Anzahl an Erzeugungsanlagen ohne Beteiligung des ÜNB durchgeführt.

Phase 3

In der letzten Phase des Feldtests wurde das Zusammenspiel aller Akteure und Komponenten geprüft. Durch den ÜNB wurde ein Blindleistungssollwert an einem NVP vorgegeben, die Optimierung durch das SysDL-System durchgeführt und die Anlagensollwerte durch den Systemführer freigegeben. Die Zahl der zu steuernden Anlagen wurde auf eine manuell beherrschbare Anzahl begrenzt.

4 Durchführung des Feldtests

Die Durchführung der einzelnen Phasen des Feldtests wird anhand von VNG 1 beschrieben. Hier können alle wesentlichen Funktionalitäten und Erkenntnisse abgeleitet werden. Ergänzend werden kurz die Erfahrungen aus VNG 2 geschildert.

4.1 Phase 1 – Parallelbetrieb

Die erste Stufe des Feldtests erfolgte über einen Zeitraum von neun Monaten, in denen zunächst der Datenaustausch zwischen dem SysDL-System und allen Datenquellen getestet und Schnittstellenfehler behoben wurden. Die Funktion der einzelnen Algorithmen wurden evaluiert und entsprechende Weiterentwicklungen durchgeführt. Zudem wurde die Bedienoberfläche und Darstellung der Ergebnisse im praktischen Einsatz der Netzbetreiber geprüft und angepasst. Nachdem das Gesamtsystem eine ausreichende funktionale Stabilität erreicht hatte, wurde mit Phase 2 des Feldtests begonnen.

Folgend sollen zunächst die Ergebnisse der einzelnen Funktionalitäten aus Phase 1 dargestellt werden.

4.1.1 Datenauskopplung/Erstellung Netzmodell

Die notwendigen Daten für den Echtzeitbetrieb wurden zyklisch aus den Netzleitwarten mithilfe von CIM-Schnittstellen und CSV-Exporten bereitgestellt und über eine Import-Schnittstellen des SysDL-Systems verarbeitet.

Auf Basis der Topologie- und Betriebsmitteldaten wurde ein Netzmodell erstellt. Hierfür wurde das Open Source Netzberechnungs- und Analyseframework pandapower [12] verwendet. Messwerte der Verbrauchs- und Erzeugungsanlagen wurden je nach Netzbetreiber entweder direkt in dem CIM-Model bereitgestellt oder über eine separate CSV-Tabelle nachgeliefert. Auf dieser Basis konnte ein initialer Lastfluss berechnet werden, um den Netzzustand auf Rechenfähigkeit hin zu prüfen. Zusätzliche Spannungs- und Leistungsflussmessungen wurden für die Zustandsschätzung verwendet.

Neben den aktuellen Messungen wurden Prognosen aller relevanten Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen durch den VNB bereitgestellt. Mithilfe dieser Daten wurden dann für jeden Zeitpunkt im Prognosezeitraum (vier Stunden mit einer 15-min-Auflösung) jeweils ein „Prognosenetz“ erstellt und ein Lastfluss durchgeführt.

4.1.2 Netzzustandsschätzung

Im nächsten Schritt wurde die Zustandsschätzung im realen Netzbetrieb durchgeführt. Ziel war zunächst ein Abgleich der Zustandsschätzung mit dem Netzabbild im Leitsystem der Netzbetreiber.

Optimierungsziel der Zustandsschätzung war die Minimierung der Abweichungen bezüglich der Leistungsflüsse im Verteilnetz. Dabei war festzustellen, dass bei der Nachbildung der 380-kV-Leitungen die größten Abweichungen auftraten, was auf die Randnetzreduzierung zurückzuführen ist. Die größten Abweichungen innerhalb von VNG 1 traten folglich auf den Verbindungsleitungen zum Übertragungsnetz auf. Die Abweichungen der 75-%-Perzentile über allen Leitungen lag dabei bei \(\Updelta P_{75\mathrm{Ltg}}=+15/-17\mathrm{MW}\) und \(\Updelta Q_{75\mathrm{Ltg}}=+12/-21\text{Mvar}\).

Für die nachfolgende Optimierung der Blindleistungsbereitstellung an den NVP, war deren genaue Abbildung notwendig. Die Auswertung der 75-%-Perzentile aller Messwerte der NVP-Summenleistung zeigte dabei Abweichungen von etwa \(\Updelta P_{75\,\mathrm{NVP}}=\) +18/–25 MW und \(\Updelta Q_{75\,\mathrm{NVP}}=+6/-22\text{Mvar}\). Die Mediane lagen bei \(\Updelta P_{\text{Med NVP}}=+5/-5\mathrm{MW}\) und \(\Updelta Q_{\text{Med NVP}}=\) –5/–14 Mvar. Setzt man diese Werte in Relation zur übertragbaren Leistung mit jeweils zwei/drei Transformatoren und somit 600–900 MVA Bemessungsleistung je NVP, lagen die beschriebenen maximalen Abweichungen unterhalb von 5 %. Dies bedeutet, dass die größte Anzahl der Abweichungen im Bereich der Messungenauigkeit der Leistungsmessungen von 3 % lag.

4.1.3 Blindleistungspotenziale

Ein weiteres Ziel war die Ermittlung und Bewertung der Potenziale für die beschriebenen Anwendungsfälle. Es wurden Berechnungen für den gesamten Zeitraum durchgeführt, ausgewertet und notwendige Anpassungen der Algorithmen vorgenommen. Folgend soll die Funktionalität anhand eines Beispieltages in VNG 1 durchgeführt werden.

In den Darstellungen wird eine Blindleistungsbereitstellung zum Übertragungsnetz mit positivem Vorzeichen dargestellt, es erfolgt eine Spannungsanhebung. Ein Blindleistungsbezug führt zur Spannungsabsenkung und wird mit negativen Vorzeichen angegeben.

Abb. 2 zeigt den Bereich, in dem es möglich ist Blindleistung an einem NVP in VNG 1 bereitzustellen. Der maximale Blindleistungsstellbreich liegt bei −95 bis 110 Mvar.

Abb. 2
figure 2

Verlauf des Blindleistungspotenzials am NVP Graustein der VNG 1 über einen Tag

4.1.4 Spannungspotenziale

Bei der Auswertung der Spannungspotenziale wurde eine Unterscheidung in zwei unterschiedliche Anwendungen vorgenommen. Im ersten Fall wurde das Spannungsstellpotenzial, resultierend aus der Blindleistungsregelung der Anlagen im Verteilnetz bestimmt. (vgl. Abb. 3.). Die maximale Beeinflussbarkeit der Spannung an diesem NVP liegt bei 2 bis 2,5 kV.

Abb. 3
figure 3

Verlauf des Spannungsstellpotenzials am NVP Graustein der VNG 1 über einen Tag

Demgegenüber ist es für den ÜNB wichtig, welche maximale Spannung er dem VNB am NVP zumuten kann, ohne Grenzwertverletzungen im Verteilnetz hervorzurufen. Das Potenzial in Abb. 4. ist dabei auf der 110-kV-Seite des NVP angegeben. Der ÜNB hat dabei ein Potenzial von 4 bis 5 kV zur Verfügung. Der aktuelle Spannungsmesswert ist auch hier im oberen Bereich des Potenzials zu finden.

Abb. 4
figure 4

Verlauf der zulässigen Spannungsgrenzen am NVP Graustein über einen Tag

4.1.5 Optimierung der Leitungsverluste

Im Gegensatz zu den signifikanten Potenzialen der Blindleistungs- und Spannungsbeeinflussung, ist die Verlustoptimierung begrenzt. Bereits in Abb. 3. ist zu erkennen, dass die Spannung im oberen Potenzialbereich liegt. Da eine höhere Spannung im Allgemeinen zu einer Verlustreduzierung führt, ist das Potenzial für eine weitere Reduzierung gering. Abb. 5. zeigt den Verlauf der Verluste und das Optimierungspotenzial eines Tages. Die Verluste steigen dabei über den Tagesverlauf an und fallen nachts wieder ab. Das Potenzial einer Verlustoptimierung liegt bei maximal 1,5 %. Dieses Potenzial lässt sich mit einer höheren Anzahl regelbarer Anlagen steigern [6].

Abb. 5
figure 5

Verlauf der Verlustoptimierung

4.2 Phase 2 – Steuerung von Einzelanlagen

Um das Verhalten von Anlagen und Netz auf die Blindleistungsregelung zu beobachten, wurden in Phase 2 des Feldtests jeweils nur wenige Anlagen gesteuert. In VNG 1 wurde der Test aufgrund der Wetterlagen mit wenig Wind mit zwei aktiv steuerbaren PV-Anlagen und hoher installierter Leistung durchgeführt. Beide Anlagen sind in unmittelbarer Nähe des NVP Graustein angeschlossen.

Aus dem Blindleistungspotenzial (analog zu Abb. 2.) wurde zunächst ein möglicher Sollwert ermittelt. Dieser Sollwerte entsprach mit −46 Mvar dem zu diesem Zeitpunkt maximal ermittelten Potenzial. Der Blindleistungswert lag zu Beginn bei −58 Mvar.

Um eine zu starke Spannungsänderung am Anschlusstransformator der Anlagen und somit eine Schutzauslösung zu verhindern, war die Änderung der Blindleistung auf 3 Mvar je 2 min pro Anlage begrenzt. Dies hatte zur Folge, dass 4 Steuerungsschritte je Optimierungszyklus notwendig waren [10]. Die Eingabe der Sollwerte erfolgte manuell durch den Operator direkt über das Leitsystem. Während der Optimierung wurden alle notwendigen Netzrestriktionen (Spannungsbänder, maximale Leitungsbelastung, (n-1)-Kriterium) eingehalten.

Abb. 6. zeigt den Verlauf der Sollwerteingabe und die jeweils gemessenen Blindleistungswerte der Anlagen. Zu erkennen ist, dass Anlage DbS deutlich schneller dem Sollwert folgt als Anlage DbO. Beide Anlagen erreichen aber exakt den vorgegebenen Blindleistungssollwert. Auch am NVP Graustein wurde der Sollwert mit einer geringen Abweichung erreicht. In Abb. 7 ist auch zu erkennen, dass die beiden Anlagen in Summe (DEA Db) deutlich mehr Blindleistung bereitstellen, als deren Wirkung am NVP zu sehen ist.

Abb. 6
figure 6

Verlauf der Sollwertvorgabe und Anlagenregelung

Abb. 7
figure 7

Vergleich der geregelten Blindleistung beider Anlagen und Wirkung am NVP Graustein

Phase 2 des Feldtests in VNG 2 wurde mit drei Windparks und einer installierten Leistung von 32 MW durchgeführt. Während des Testzeitraums, wurden die Anlagen hier von einem maximalen Blindleistungsbezug auf maximale Blindleistungsbereitstellung geregelt. Dies führte nach kurzer Zeit zu einer Schutzauslösung am Abgang eines Windparks. Der Feldtest musste daraufhin beendet werden.

Die anschließende Untersuchung ergab, dass die Schwelle zur Schutzauslösung, statt üblicherweise 1,1 p.u. auf 1,07 p.u. parametriert wurde. In Folge der übererregten Blindleistungsregelung während des Feldtests wurde die Grenze der Schutzauslösung kurzzeitig überschritten. Da sich die Schutzeinrichtung des Pilot-Umspannwerks im Eigentum eines Kunden befindet, ist dieser für dessen Parametrierung verantwortlich. Auf Phase 3 des Feldtests wurde in diesem Netzgebiet verzichtet.

4.2.1 Weitere Ergebnisse

Vor allem durch Bedienung zweier parallellaufender Systeme (Leit- und SysDl-System) wurden Grenzen einer umfangreichen Phase 3 des Feldtests festgestellt. Durch die manuelle Eingabe der Sollwerte ist eine gleichzeitige Ansteuerung von mehr als 5–8 Anlagen nicht sinnvoll umsetzbar.

4.3 Phase 3 – Komplextest

Phase 3 des Feldtests in VNG 1 sollte mit einer ausreichenden Anzahl von Anlagen und in Zusammenarbeit mit dem ÜNB durchgeführt werden. Weiterhin wurde darauf geachtet, dass am Tag des Feldtests ausreichend Wind sowie Sonneneinstrahlung prognostiziert wurde.

Zunächst wurden 13 Anlagen, über das gesamte Netzgebiet verteilt, in die Potenzialermittlung sowie die aktive Blindleistungssteuerung aufgenommen. Zusätzlich zu den zwei PV-Anlagen aus Phase 1 wurden 11 Windenergieanlagen einbezogen. Die Blindleistungsbereitstellung sollte wieder am NVP Graustein erfolgen.

In Abstimmung mit dem ÜNB wurden anschließend 0 Mvar und somit ein blindleistungsneutraler Betrieb an diesem NVP vereinbart. Entsprechend der Zielgröße wurden die Sollwerte für die regelbaren Anlagen berechnet und durch den Systemoperator manuell eingegeben (analog zu Phase 2).

Im Laufe des Feldtests zeigte sich, dass eine manuelle Eingabe der Sollwerte für 13 Anlagen nicht möglich war. Aus diesem Grund wurden lediglich die fünf Anlagen mit dem höchsten Einfluss gesteuert. Dies hatte zur Folge, dass ein geringerer Einfluss auf die Blindleistung am NVP Graustein je Optimierungsschritt erfolgen konnte und Abweichungen zum errechneten Verlauf nicht vermeidbar waren.

Der detaillierte Ablauf ist folgend beschrieben und in Abb. 8. dargestellt. Abb. 9 zeigt zusätzlich den Verlauf der Blindleistungsregelung der fünf Anlagen.

Abb. 8
figure 8

Verlauf der Optimierung im aktiven Feldtest an NVP Graustein

Abb. 9
figure 9

Verlauf der Blindleistung ausgewählter Anlagen im aktiven Feldtest

4.3.1 Detaillierter Ablauf

13:45 Uhr

Zielwert der Blindleistung am NVP wurde auf 0 Mvar gesetzt.

13:55 Uhr

Die ausgewählten 5 Anlagen wurden zur Steuerung freigeschaltet, wodurch sich das Blindleistungspotenzial ergab. Die ersten Sollwerte werden durch die Optimierung berechnet.

14:00 Uhr

Die ersten Blindleistungssollwerte wurden alle 2 min an die Anlagen übergeben. Zu erkennen ist, dass die Blindleistung am NVP dem Sollwert verzögert folgt.

14:10 Uhr

Die Abweichung zum vorhergehenden Sollwert wird durch den Algorithmus erkannt, wodurch der erste Einstellschritt des nächsten Zyklus nahe dem aktuellen Messwert startet. Die Reaktion am NVP erfolgt erneut mit Verzögerung und geringerer Wirkung.

14:20 Uhr

Erneut führt der Algorithmus eine Korrektur infolge der Abweichungen zum Vorgabewert durch. Der Sollwert am NVP wird erreicht.

4.4 Weitere technische Ergebnisse und „Lessons Learned“

Während des Feldtests wurden immer wieder zeitliche, aber auch numerische Abweichungen von Soll- und Messwert festgestellt. Die Abweichungen sind dabei auf eine Vielzahl von Gründen zurückzuführen. Die beschriebene reduzierte Wirkung je Optimierungszyklus am NVP ist auf die Steuerung der 5 wirkungsvollsten Anlagen anstatt 13 Anlagen gesamt zurückzuführen. Die Eingabe einer höheren Anzahl von Sollwerten war mittels manueller Eingabe nicht durchführbar.

Der Zeitverzug in der Prozesskette trat in erster Linie durch die Messwert- und Netzdatenaufnahme, Berechnungszeit der Optimierungsergebnisse sowie der manuellen Sollwerteingabe auf. Ein weiterer Einfluss ist durch die benötigte Zeit der Anlagenregelung begründet. In Abb. 9 ist dieses Verhalten bei nahezu allen Anlagen zu beobachten, wobei die Reaktions- und Regelzeit deutliche Unterschiede aufweisen. So folgen einige Anlagen sehr schnell der Sollwertvorgabe, während andere Anlagen bis zu zwei Minuten benötigen.

Weiterhin konnte beobachtet werden, dass eine Anlage ein falsches Regelverhalten zeigte. Diese Anlage stellte nahezu den negativen Wert des Sollwertes ein und behält diesen trotz wiederholender Sollwertvorgabe bei. Eine nachträgliche Prüfung stellte fest, dass die Blindleistungsmessung an der Anlage ein falsches Vorzeichen ausgegeben hat.

5 Zusammenfassung

Im Rahmen des Projektes SysDL 2.0 wurde das Zusammenspiel von ÜNB und VNB im Rahmen der Blindleistungs- und Spannungsregelung durch VNGs in einem Feldtest evaluiert. Der Feldtest konnte die Funktionalität und das Zusammenspiel aller Akteure und Systemkomponenten nachweisen. Es konnten die Potenziale der Blindleistungsregelung auf die NVPs über einen längeren Zeitraum aufgezeigt werden. Dabei sind diese Potenziale in erster Linie von der Erzeugerstruktur (Anschlussjahr und -ort) und deren installierter Leistung abhängig.

Weiterhin konnte die vollständige Funktionalität einer aktiven Blindleistungsregelung und deren entsprechende Wirkung auf zwei reale Netzgebiete bestätigt werden. Mit Hilfe von aktiver Blindleistungsregelung können sowohl die Blindleistung am NVP zum Übertragungsnetz als auch der Blindleistungshaushalt bzw. die Spannungsbänder im Verteilnetz signifikant beeinflusst werden. Das Konzept zeigt somit das Potenzial der Blindleistungsregelung im Kontext von Redispatch 2.0 auf.

Um ein solches System automatisiert in den Netzbetrieb zu integrieren, gibt es aktuell jedoch noch einige Herausforderungen zu lösen. Vor allem im Bereich der Datenaufbereitung, Zustandsschätzung und Optimierung sind Potenziale hinsichtlich schnellerer Prozesszeiten, sowie der Erkennung von unplausiblen Messwerten und Netzzuständen vorhanden. Weiterhin ist es unabdingbar die genaue Konfiguration jeder Anlage zu kennen. Dies beginnt bei der installierten Leistung und dem Blindleistungsstellbereich, erstreckt sich über eine fehlerfreie Messung der aktuellen Größen bis hin zur Parametrierung der Schutzgeräte. Für alle Bereiche gibt es Normen bzw. Anwenderregeln. Die Anwendung dieser muss allerdings sichergestellt werden.