1 Einleitung

Blickt man auf die Geschichte der Informationstechnologie aus dem Blickwinkel der Praxis, so lassen sich mehrere Innovationsprozesse feststellen, die sich gleichsam nahtlos aneinander gereiht und auch überlappt haben. Zu nennen sind beispielsweise:

  • ,,Computerisierung“ (1960er Jahre)

  • ,,EDV-Einführung“ (1970er Jahre)

  • ,,Personal Computing“ (1980er Jahre)

  • ,,Internet Computing“ (1990er Jahre)

  • und schließlich die so genannte ,,Digitalisierung“ (2010er Jahre).

Diese Marktinnovationen wurden von den großen internationalen IT-Dienstleistern so oder ähnlich beworben und betriebswirtschaftlich-technisch gestaltet. Letzteres in dem Sinne, dass IT-Produkte und -Services im Markt angeboten wurden und werden, die es dem Management von Unternehmen und Körperschaften ermöglichen, IT nutzbringend einzusetzen, um das zugrundeliegende Geschäftsmodell bestmöglich zu unterstützen oder erst zu ermöglichen (IT als Business Enabler).

Der Begriff ,,Digitalisierung“ beschreibt den Prozess, der aktuell Wirtschaft und Gesellschaft aus der postindustriellen Informationsgesellschaft in allen ihren Bereichen in die ,,digitale Gesellschaftsform“ (,,Digitalität“) führt (vgl. [1]). Das Trägermedium dieses Prozesses ist das Internet, das immer stärker als Raum empfunden und gestaltet wird. Die Digitalisierung wird alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräfte maximal fordern. Im Verlauf dieser sehr vielschichtigen und alle Lebensbereiche umfassenden Prozesse wird es auch zu gesellschaftlich sehr weitreichenden Phänomenen kommen, die (noch vage, unzureichend und im übertragenen Sinne) mit ,,Staatenbildung im Internet“ bezeichnet werden können. Das Phänomen ,,Social Media“ in allen seinen Facetten lässt die Radikalität dieses Wandels erkennen: Social Media-Anwendungen, wesentlich durch den Mobility-Trend getrieben, haben binnen kürzester Zeit weltweit alle Kommunikationssphären erobert und die ,,Aufbereitungshoheit“ klassischer Medien beendet. Sie zeigen sich inhaltlich schranken- und schamlos (es fehlt die Gatekeeping-Funktion klassischer Medien, die aber auch kritisch gesehen werden kann) und sind sowohl Hauptziel als auch wichtigstes Werkzeug von Troll-Fabriken und ,,Influencer“. Die Begriffe ,,postfaktisches Zeitalter“ und ,,alternative Fakten“ sowie insbesondere deren Auswirkungen wären ohne Social Media nicht denkbar.

2 Automatisierung, Digitalisierung, Informationsmanagement

Umgangssprachlich wird der Begriff ,,digitales Zeitalter“ jedenfalls meist verwendet, um vereinfachend auszudrücken, dass wir in einer Zeit leben, in der der rasante Fortschritt von Informations- und Kommunikationstechnologien alle Lebensbereiche durchdringt. Zu beobachten ist, dass manche Führungskräfte noch nicht erkannt haben, dass ,,Digitalisierung“ wesentlich weiter greift als ,,Automatisierung“. Dies lässt sich an Aussagen wie ,,Wir sind bereits viele Jahre im Internet vertreten und haben einen starken Automationsgrad unserer Geschäftsprozesse durch konsequenten IT-Einsatz erreicht.“ erkennen. So richtig und wichtig solche Aussagen auch sein mögen, so wenig spiegeln sie einen zentralen Aspekt der Digitalisierung wider, nämlich die Tatsache, dass die technologischen Möglichkeiten der Digitalisierung völlig neue Geschäftsmodelle ermöglichen, die weit über eine Automation (und damit im Kern ,,nur“ Optimierung) von Geschäftsprozessen hinausgeht. Der rasante technologische Wandel der Digitalisierung durchdringt alle Lebensbereiche und zwingt in Folge Unternehmen zu umfassenden Transformationsprozessen.

Der Autor verwendet den Begriff der ,,digitalen Transformation“ daher in erster Linie für die Beschreibung der Umwandlung von analogen bzw. teil-digitalen Geschäftsmodellen in digitale Geschäftsmodelle, also solche, die im wertschöpfenden Kern auf ,,digitalen Hebeln“ basieren, d. h. auf Funktionsmechanismen, die es ohne das Internet nicht gäbe. ,,Digitale Transformation“ stellt damit primär auf die betriebswirtschaftlich-technische Sicht der Geschäftsmodell-Transformation ab.

Betrachtet man die eingangs dargestellten Transformationsprozesse in der Geschichte der IT, so ist ihnen allen eines gemeinsam: Ihre Wirkmächtigkeit in der betrieblichen Realität fußt auf der Wirkmächtigkeit des jeweils angewandten Informationsmanagements, da ,,Information“ im Mittelpunkt der Wertschöpfung steht. Ohne wirksames Informationsmanagement (vgl. z. B. [2, 3]) wird es keine hinreichende Wertschöpfung durch Digitalisierung (und langfristig keine unternehmerische Überlebenschance) geben. Auch und gerade in der Digitalität fußt die Wertschöpfung auf der effektiven und effizienten Erhebung, Interpretation, Bearbeitung und Weiterleitung von Informationen – also auf den Kernaufgaben des Informationsmanagements. Die Digitalisierung wirkt als maximaler Bedeutungsbeschleuniger für das Informationsmanagement.

Dabei ist es unerheblich, wie gängig der Begriff des Informationsmanagements in der Praxis auch sein mag – die zugehörigen Gestaltungs- und Führungsaufgaben sind konsequent wahrzunehmen. Daraus ergibt sich, dass das Erkenntnisobjekt ,,digitale Transformation“ das Informationsmanagement keinesfalls ersetzen oder überflüssig machen wird, im Gegenteil. Informationsmanagement ist gerade in der digitalen Gesellschaftsform jene Management-Disziplin, die den ,,Existenzfaktor IT“ im Rahmen von Mensch-Aufgabe-Technik-Systemen nutzbringend beherrschbar macht (vgl. [4]). Heinrich führte bereits Anfang der 1980er Jahre den Begriff ,,Mensch-Aufgaben-Informations- und Kommunikationstechnologie-System“ [5] ein, aus dem sich in Folge ,,MAT-System“ entwickelte: ,,Informationssysteme sind Mensch/Aufgabe/Technik-Systeme, kurz gesagt MAT-Systeme“ [6].

3 Das Internet als ,,universelle Weltmaschine“

Die Internet-Ökonomie hat sich seit den frühen 1990er Jahren rasend schnell entwickelt. Es ist nur logisch, dass die damit verbundenen Errungenschaften nicht nur mit Akzeptanz in die Wirtschaft und den privaten Alltag Einzug gehalten haben, sondern mitunter auch bedrohlich wirken – nicht erst seit der Verbreitung von Drohnen. Was lässt nun die IT mittlerweile auch bedrohlich wirken? Was bedeutet das für Management (,,Arbeiten im System“) und Leadership (,,Arbeiten am System“; vgl. [7, 8])?

Es ist das Allgegenwärtige, das Weltumspannende, das Querschnittliche der IT, das für Unbehagen sorgt, von den Angestellten bis zum/zur Vorstandsvorsitzenden. Die Welt ist mit voller Wucht im digitalen Zeitalter angekommen. Das Internet ist sein technisches Fundament, sein Netzeffekt ihr universeller Hebel, dessen Wirkung noch gar nicht abschätzbar ist. Der Durchbruch der Dampfmaschine im späten 18. Jahrhundert war ja auch nicht der Höhepunkt der industriellen Revolution, auch wenn Zeitgenossen dies vielleicht dachten.

Es ist davon auszugehen, dass wir erst am Beginn der Internet-Ökonomie und -Kultur stehen. Ein Indiz ist die Tatsache, dass das Thema ,,Internet of Things“ erst am (eindrucksvollen) Beginn steht. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich ausmalen zu können, was es bedeuten kann, wenn sich der digitale Hebel mit ,,allem“, was unorganisch-fest oder auch organisch (!) ist, verbindet. Das Internet kann in diesem Kontext als eine Art ,,universelle Weltmaschine“ bezeichnet werden. Auch die beeindruckenden Entwicklungen im Bereich Artificial Intelligence (AI) und Learning Machines – Stichworte IBM Watson und Google DeepMind – geben jedenfalls weit mehr als nur einen Vorgeschmack, wohin die Reise gehen kann und wird. Viele der aktuell im Diskurs zur digitalen Revolution (insbesondere im Kontext der Fortschritte der AI-Anwendungen) verwendeten plakativen Positionen (,,Wann werden die Maschinen den Menschen unterwerfen?“) haben mehr den Charakter pseudo-wissenschaftlicher Unterhaltung denn sauberer Forschungsfragen. Dennoch lassen sich nach Meinung des Autors nicht wenige Wirtschaftsvertreter in ihren Entscheidungen auch von solchen plakativen Ausführungen beeinflussen.

4 Die Macht der ,,Nerd-Kultur“

Es ist kein Zufall, dass ,,The Big Bang Theory“, eine Sitcom aus den USA, die sich um vier ,,Wissenschaftler-Nerds“ dreht, seit vielen Jahren zu den weltweit erfolgreichsten TV-Serien überhaupt zählt. Wurden die Pioniere des PC-Zeitalters der 1980er Jahre in Chefetagen noch oftmals spöttisch als ,,Kammerlsitzer vor ihren Blechtrotteln“ bezeichnet, so hat sich diese gefährliche und blauäugige Grundeinstellung im Laufe der stattfindenden Internet-Revolution fundamental geändert. Nerds sind die Stars bei Venture Capitalists und gesuchte ,,Super-Experten“ bei Vorständen.

Ohne Nerds kein nachhaltiges Überleben im Internet-Zeitalter, und zwar auf allen Ebenen: vom Entrepreneur, um den sich die Venture Capitalists in der Hoffnung auf ,,The Next Big Thing“ balgen, über den fachlich wie führungsmäßig bestens versierten IT-Manager, dessen Aufgabe nichts weniger ist, als dass er oder sie das operative Funktionieren eines Unternehmens sicherstellen muss, bis hin zum Systemadministrator, um den sich wiederum der/die IT-Betriebsverantwortliche bemühen muss, denn ohne Systemadministratoren gibt es kein unternehmerisch erfolgreiches Leben im Internet-Zeitalter. Eine simple Wahrheit, die weitreichende Auswirkungen auf das Management-Handeln hat und auch haben muss, soll der unternehmerische Erfolg nachhaltig gesichert werden. Legendär das Bill Gates zugeschriebene Zitat: ,,Be nice to nerds. Chances are youˋll end up working for one.“ Die Popkultur hofiert Nerds, die plötzlich als ,,Ideal Boy-/Girlfriend“ gelten.

Dass auch Hacker und Cyber-Krieger oftmals in die ,,Kategorie Nerd“ einzuordnen sind, schmälert die Bedeutung des Phänomens ,,Nerd“ natürlich keineswegs, im Gegenteil. Verbunden mit den Generationenphänomenen ,,Y“ und ,,Z“ ergeben sich für Management und Leadership große Herausforderungen, nicht nur im Bereich Human Ressource Management. Wertschätzung und Förderung von ,,Nerds“ hat sich zur wichtigen Führungsaufgabe entwickelt.

5 Traditionelles Management-Handeln im digitalen Zeitalter in der Krise?

In den letzten Jahrzehnten gab es immer wieder Entwicklungssprünge, die das Management-Handeln verändert haben. Man denke nur an das Thema ,,Partizipation“ in den 1980er-Jahren, also das Führungsprinzip der gezielten Teilhabe von Nicht-Führungskräften an der unternehmerischen Entscheidungsfindung, die das Ende der damaligen traditionellen Management-Methoden bedeutete. Es ist naiv zu glauben, dass sich die Management-Herausforderungen des digitalen Zeitalters mit den traditionellen Management-Methoden des 20. Jahrhunderts bewältigen lassen.

Dies lässt sich auch daran ablesen, dass sich zwischen ,,der IT“ und Vorstandsetagen immer noch ein Verhältnis mit Unbehagen beobachten lässt – es ,,fremdelt“ zumindest, obwohl (oder gerade weil) allen klar sein muss, dass die IT von einer unterstützenden zu einer ermöglichenden und gestaltenden Kraft geworden ist: die IT ist Business Enabler. Das kann die IT natürlich nicht zu einer ,,beliebten Disziplin“ eines Unternehmens werden lassen, schon gar nicht zur ,,Fun Division“. Möglicherweise – und hier stellen sich viele Forschungsfragen – ist dies der Grund, warum es im deutschsprachigen Raum immer noch so wenig Auseinandersetzung mit der Frage ,,Welche neuen, konkreten Management-Methoden braucht es im digitalen Zeitalter, um nachhaltig erfolgreich zu sein?” gibt. In den USA ist man hier weiter, es genügt ein kurzer Blick ins Silicon Valley. Dies führte im Februar 2015 auch zu einer Titelstory des SPIEGEL: ,,Die Weltregierung – wie das Silicon Valley unsere Zukunft steuert.“

Führungskräfte sehen sich jedenfalls mit der Notwendigkeit konfrontiert, sich mit dem Einsatz von IT nicht nur operativ, sondern auch strategisch zu beschäftigen. Die Tatsache, dass Informations- und Kommunikationstechnologien nicht nur ein ,,notwendiges Übel“, sondern ein ,,Lebensnerv“ für erfolgreiches unternehmerisches Handeln sind, wurde und wird allerdings von vielen Topmanagern nur sehr zögerlich und mitunter fast widerwillig akzeptiert.

Ein Hauptgrund für dieses Spannungsverhältnis besteht darin, dass aus Sicht vieler CEOs die IT deren Erwartungshaltungen nicht erfüllen kann. Dass es sich dabei oft um völlig überzogene oder zu allgemeine Erwartungshaltungen handelt, da CEOs zumeist selbst keinen Erfahrungshintergrund bezüglich IT haben und sich offenbar nur schwer von tradierten Klischees (wie ,,die IT ist primär ein Kostenfaktor“, ,,in der IT arbeiten vorwiegend Nerds“) lösen können, wird im unternehmerischen Alltag nicht oder nur zögerlich zum Thema gemacht.

6 IT als Existenzfaktor

Hauptgrund für das (ausgesprochene oder auch nicht ausgesprochene) Unbehagen vieler Führungskräfte gegenüber der IT ist im Kern die Tatsache, dass sich die IT und ihre Anwendungen über die letzten Jahrzehnte schrittweise zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor, wenn nicht sogar zu einem Existenzfaktor entwickelt haben. Es ist durchaus angebracht, nicht nur bei Menschen von ,,Digital Natives“ und ,,Digital Immigrants“ zu sprechen, sondern auch bei Unternehmen. Ein Unternehmen, das sich im digitalen Zeitalter zu lange als ignorant hinsichtlich der damit verbundenen Herausforderungen erweist (bewusst oder unbewusst), wird wenig Überlebenschancen haben, zu weitreichend und radikal sind die Konsequenzen der globalen Digitalisierung.

7 Spannungsverhältnis zwischen Topmanagement und IT

Mit dem vom Autor entwickelten ,,Konfliktportfolio“ (Abb. 1 und 2, vgl. [1, 9]) wird dieses Spannungsverhältnis als Teil der Unternehmenskultur erklärt [1]. Es stellt die in Aufbau- und Ablauforganisation gelebte Positionierung der IT in einem Unternehmen (,,untergeordnet“, ,,emanzipiert“ oder ,,strategisch“; Y-Achse in Abb. 1) der inneren Einstellung (Mindset) der für die IT zuständigen Führungskraft (Manager-Typologie ,,distanziert“, ,,neutral“ oder ,,strategisch“; X-Achse in Abb. 1) gegenüber. Dieser Ansatz steht damit auch in der Tradition der ,,Upper Echelons“-Forschung (vgl. [1012]), da die These vertreten wird, dass persönliche Eigenschaften des Topmanagements (konkret das Mindset gegenüber der IT) Einfluss auf die Ergebnisse einer Organisation haben. Die Felder des Konfliktportfolios illustrieren Empfindungen von verantwortlichen Managern, die sich im täglichen Management-Handeln entsprechend niederschlagen:

Abb. 1.
figure 1

Konfliktportfolio

Abb. 2.
figure 2

Bewertetes Konfliktportfolio

Eine Führungskraft, die die IT als ,,notwendiges Übel“ empfindet (,,Nero“-Typ), wird völlig überfordert sein, wenn die IT, für die er/sie verantwortlich zeichnet, im Unternehmen explizit oder implizit strategisch positioniert ist – eine klassische fachlich-personelle Fehlbesetzung. Nur in einem Unternehmen, in dem die IT untergeordnet positioniert ist (beispielsweise ,,unterhalb“ des Rechnungswesens) wird der ,,Nero“-Typ in seinem/ihrem Management-Handeln kompatibel mit dieser (historischen) Positionierung der IT sein (unabhängig davon, wie sinnvoll diese Positionierung ist).

Eine Führungskraft, die sich der Rolle der IT als ,,Business Enabler“ und erfolgskritischer ,,Lebensnerv“ bewusst ist (,,Caesar“-Typ), dies in seinem/ihrem Management-Handeln bewusst umsetzt und auf eine IT trifft, die im Unternehmen sowohl aufbau- als auch ablauforganisatorisch auch strategisch positioniert ist, wird in seinem/ihrem Management-Handeln hochmotiviert sein und hohen Nutzen für das Unternehmen erzeugen. Ist die IT in einem Unternehmen zum Zeitpunkt des Eintritts einer neuen Führungskraft vom Typ ,,Caesar“ im Unternehmen noch nicht strategisch positioniert, wird eine solche Führungsperson kraft ihres Leadership-Handelns dafür sorgen, dass die IT strategisch positioniert wird.

Es ist nicht erforderlich, alle neun Felder des Portfolios explizit zu erläutern, sie sind selbsterklärend. Es versteht sich von selbst, dass es stets eine (explizite oder implizite) Positionierung der IT in einem Unternehmen gibt, was sich formal in ihrer Verankerung in der Aufbau- und Ablauforganisation manifestiert. Entscheidend für einen adäquaten Beitrag zum Unternehmenserfolg ist die gelebte Positionierung und dabei vor allem, ob es einen (Entwicklungs-)Prozess im Unternehmen gibt, der der rasanten Weiterentwicklung der IT entsprechend Rechnung trägt und sie dadurch stetig in die richtige Position bringt.

Diese Weiterentwicklung erfordert entsprechend qualifizierte (IT-)Manager, denen sowohl die Bedeutung der IT für das Unternehmen als auch ihre eigene Einstellung gegenüber der IT klar ist. Dieser Wirkungszusammenhang wird als ,,fachlich-führungsmäßiger Hebel“ bezeichnet. Unternehmen, deren Erfolg ganz wesentlich von Effektivität und Effizienz des Einsatzes von IT abhängt (das ist mittlerweile der Großteil der Unternehmen in allen Branchen), müssen sich dieses Hebels bewusst sein. Es reicht nicht, als Führungskraft mangelnde Schlagkraft, hohe Kosten oder einen zu geringen Nutzen der IT abstrakt formulierend zu beklagen.

Natürlich ist das Konfliktportfolio nicht nur für die Führungskräfte anwendbar, die für die IT direkt verantwortlich zeichnen, sondern auf jede Führungskraft eines Führungskollektivs. Dies wird auch empfohlen, da die IT im digitalen Zeitalter ,,immer querschnittlicher“ wirkt und alle Bereiche eines Unternehmens bzw. einer Körperschaft vollständig und nachhaltig durchdringt. Es gibt also ,,kein Entkommen“ für Führungskräfte – IT geht jede(n) an, auch wenn es in einem Führungskollektiv wohl noch auf absehbare Zeit eine(n) Hauptverantwortliche(n) für IT geben wird müssen. In jedem Fall werden die IT-fachlichen Anforderungen an Führungskräfte deutlich steigen (müssen), um die Herausforderungen des digitalen Zeitalters effektiv und effizient in einem Führungskollektiv bewältigen zu können.

8 Anforderungen an Führungskräfte

Die oberste Führungsebene muss die Veränderungspotenziale, die sich in der digitalen Gesellschaftsform ergeben, internalisieren und beim (Re-)Design von Geschäftsmodellen (eine der wichtigsten Leadership-Aufgaben) reflektieren. Auch für Mintzberg [13] ist Leadership für den erfolgreichen Transformationsprozess entscheidender als Management. Eigenschaften, die folgerichtig von einer im strategischen Bereich tätigen Führungskraft in der digitalen Gesellschaftsform erwartet werden müssen, sind:

  1. (1)

    Die Fähigkeit, relevante (digitale) Technologien und damit verbundene Netzeffekte für die eigene Branche und das eigene Geschäftsmodell zu identifizieren.

  2. (2)

    Die Fähigkeit zu beurteilen, wie die identifizierten Netzeffekte als digitale Hebel wirken (können) und ob es bereits bekannte oder neu in den Markt drängende Mitbewerber gibt, die sich dieses Hebels bedienen.

  3. (3)

    Die Fähigkeit zur Etablierung einer offenen, selbsttragenden Experimentierkultur im Unternehmen abseits von ausgetretenen ,,Vorschlagswesen“-Pfaden oder gekünstelt-aufgesetzt wirkenden ,,Innovationsmanagement“-Initiativen.

  4. (4)

    Die Fähigkeit zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle.

9 Experimentierkultur als wichtige Säule neuer methodischer Ansätze

Eine – wenn auch beileibe nicht die einzige – Säule des neuen, vom Autor dieser Zeilen als ,,Digital Age Management“ bezeichneten Baukastens modernen Management-Handels ist eine institutionalisierte, sich in letzter Konsequenz selbst tragende und vom Management geförderte Experimentierkultur. Dies ist nicht nur notwendig, um einem Unternehmen regelmäßig die Chancen auf Ideen und sich daraus entwickelnde Innovationen zu geben, sondern vor allem, um die Top-Talente in der Firma zu halten. Man möge sich nur kurz an seine eigene Schulzeit zurückerinnern: Wie interessant war der Chemie-Unterricht ohne Experimente?

Mit Experimentierkultur ist übrigens nicht gemeint, eine ,,Organisationseinheit für Innovation“ zu gründen, da dies meist peinlich gekünstelt wirkt und nicht selten im Sand verläuft. In der digitalen Welt muss sich eine Experimentierkultur wie eine Grundeinstellung durch das ganze Unternehmen ziehen und nachweislich gelebt werden – eine Riesenherausforderung für das Management, für die es kein Patentrezept, wohl aber Best Practices gibt. Der Autor dieser Zeilen hat in einem seiner Vorträge dafür das Akronym ,,PUNK – Power Up Nerd Know-how“ geprägt, um dieser Herausforderung auch bewusst einen provokativen Titel zu geben. Der Konnex zur Punk-Bewegung der 1970er-Jahre ist beabsichtigt. Ganz egal, wie man zu Inhalten und Form stehen mag, die Punk-Kultur war innovativ und hat den Grundstein dafür gelegt, dass London noch heute Mode- und Lifestyle-Metropole ist. Punk-Elemente wurden in den Jahrzehnten danach Mainstream, die Punk-Bewegung war und ist auch sehr geschäftstüchtig. In einem Unternehmen sollte sich daher die Unternehmensleitung immer wieder folgende Frage stellen: ,,Bekommen in unserem Unternehmen auch unkonventionelle, ,,schräge“ Ideen eine faire Chance?”.

10 Lernen (auch) von Start-ups – Kopieren ist sinnlos

Start-ups in ,,Gründerzeiten“ (welcher Art immer) waren und sind immer anders als etablierte Unternehmen und müssen das auch sein. Was zeichnet Start-ups des Internet-Zeitalters im Kern aus? Ohne auf wissenschaftliche Empirie verweisen zu können, möchte der Autor zumindest folgende beispielhafte Verhaltensmuster aus eigener, umfangreicher Beobachtung über viele Jahre nennen:

  • Start-ups investieren maximal in Software und Try & Error und minimal (bis de facto null) in klassische Planungs- und Controlling-Prozesse (Zitat: ,,Wir gehen ohne Fesseln unserer Arbeit nach“).

  • Start-ups haben wenig Angst vor dem Scheitern (Zitat: ,,Wir erwarten, bei vielen Themen zu scheitern“).

  • Start-ups wertschätzen ihre Mitarbeiter/innen und leben Augenhöhe intensiv, vertrauen also in erster Linie immer auf die Propheten im eigenen Land (Zitat: ,,Wir brauchen unsere Nerds – sie uns nicht“) und engagieren kaum externe Berater – wenn, dann für spezielle Expertise, die nicht vorhanden ist und schnell benötigt wird (Zitat: ,,Wozu sollten wir für unser Kerngeschäft externe Berater engagieren? Wir möchten unsere eigenen sehr guten Leute beschäftigen.“).

Natürlich ist es weder möglich noch sinnvoll, Start-ups nachzuahmen – ab einer gewissen Etabliertheit und Größe müssen auch Start-ups beginnen, sich zumindest in bestimmten Bereichen eben wie etablierte Unternehmen zu verhalten. Das ,,Kopieren“ von Start-up-Aufstellungen in traditionellen Unternehmen bzw. Konzernen ist außerdem ohnehin oft lediglich peinlich bemüht. Start-up-Kultur funktioniert aus gutem Grund eben nur in Start-ups, aber insbesondere die gelebte Experimentierkultur und die Führung auf Augenhöhe können Inspiration für die Führungsarbeit in etablierten Unternehmen sein. Kritiker mögen einwenden, dass dies – wie bereits erwähnt – immer wieder in Gründerzeiten beobachtbar und daher keine Neuigkeit ist. Das mag zutreffen, umso bemerkenswerter ist es, dass sich das Thema immer wieder aufs Neue stellt. Und eine Besonderheit gibt es in der Gründerzeit zur digitalen Gesellschaftsform: Sie basiert auf Software, deren Herstellung, beginnend mit der algorithmischen Idee, mit anderen industriellen Fertigungsprozessen nur bedingt vergleichbar ist. (Es gibt so viel Forschung und sehr gute Literatur zu diesem Thema, dass an dieser Stelle bewusst keine Einzelquelle dazu genannt wird.)

Außerdem waren noch nie in der Menschheitsgeschichte so viele Menschen über so viele soziale Schichten und unternehmerische Hierarchien hinweg direkt oder indirekt miteinander kommunikativ und/oder transaktionell verbunden – Stichwort Social Media. Diese beinahe schon als Binsenweisheit zu bezeichnende Erkenntnis hat aber nach Meinung des Autors noch wenig Eingang in den Führungsalltag etablierter Unternehmen gefunden. Aus all den genannten Gründen ist es nachvollziehbar, dass viele Unternehmen Kooperationen mit Start-ups suchen, um sich selbst unternehmenskulturell weiterzuentwickeln oder eben inspirieren zu lassen. Wenn dies nicht als Feigenblatt umgesetzt und beispielsweise als Keimzelle für mehr Experimentierkultur positioniert wird, nutzt dies allen Beteiligten.

11 Die biodigitale Zukunft: ,,Internet of Everything Everywhere Anytime“

Der Autor möchte mit einem (gewagten) Ausblick schließen: Welcher Prozess könnte sich jenem der Digitalisierung anschließen? Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst zu beantworten, wann die Digitalisierung ihr ,,Ende“ gefunden haben wird: Die digitale Transformation führt Wirtschaft und Gesellschaft in die Digitalität, die als Endstufe der Verbreitung und Durchdringung aller Lebensbereiche mit IT (vom Autor als ,,Internet of Everything Everywhere Anytime“ bezeichnet) definiert wird. Die darauf folgende Transformation wird wohl jene zu bioinformatischen, selbst lernenden und agierenden Systemen sein. In dieser ,,Biodigitalisierung“ werden sich Information Science und Life Sciences überlappen. Dies könnte jener Zeitpunkt in der Zukunft sein, in der das für Unternehmen so wichtige Informationsmanagement als Führungsaufgabe zur Gestaltung von Mensch-Aufgabe-Technik-Systemen eine radikal neue Positionierung erlangen könnte, nämlich jene einer Disziplin des ,,Life Managements“.

12 Fazit und Handlungsempfehlungen

Der technologische Wandel in der digitalen Gesellschaftsform ist deswegen so wirkmächtig, da er in vielen sich wechselseitig verstärkenden Technologie- und Anwendungsbereichen gleichzeitig passiert. Unternehmen jeder Branche sind gut beraten, detailliert zu analysieren, welche Netzeffekte und Technologien in welcher Form als ,,digitale Hebel“ für die eigene Branche und das eigene Geschäftsmodell relevant sind. Eine offene Experimentierkultur mit vernetzter, hierarchieübergreifender Kommunikation im Unternehmen kann eine wesentliche Rahmenbedingung für ,,ungekünstelte“ Innovationsprozesse bilden. Sind Wirkmechanismen und Potenziale der Hebel klar, kann die Transformation oder die Neuentwicklung des Geschäftsmodells auf der Basis dieser Hebel in Angriff genommen werden.