1 Einleitung

Untertagebaustellen stellen eine komplexe Herausforderung für alle Projektbeteiligten dar. Neben allgemeinen Gefahren, wie sie auf jeder Baustelle auftreten, gibt es eine Reihe von untertage-spezifischen Gefährdungen, welche dazu führen, dass alle auf Untertagebaustellen tätigen Personen einem erhöhten Unfall- und Gesundheitsrisiko ausgesetzt und somit spezifische Anforderungen an Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz und Brandschutz zu stellen sind. Um dem erhöhten Unfall- und Gesundheitsrisiko erfolgreich entgegenzuwirken, ist eine gute Koordination aller Projektbeteiligten und der Einsatzorganisationen ein wesentlicher Punkt. Eine klare Definition der Aufgaben und Verantwortlichkeiten ist daher unumgänglich. Durch einen kontinuierlichen Risikomanagementprozess kann von der Planungs- bis zur Ausführungsphase sichergestellt werden, dass Risiken bereits im Vorfeld minimiert und bestmögliche Maßnahmen zur Risikoreduktion abgeleitet werden können (vgl. [1]). Aufgrund der erschwerten Erreichbarkeit der Unfall- bzw. Schadenstellen in einer Untertagebaustelle, verbunden mit einer längeren Aufenthaltsdauer im Gefahrenbereich, sind bei Tunnelbaustellen besondere Vorkehrungen für Hilfs- und Rettungseinsätze notwendig. Dabei handelt es sich insbesondere um Maßnahmen der Fremdrettung, der Brandbekämpfung, der Gefahrenabwehr und der Schadensbegrenzung. Voraussetzung hierfür ist, dass seitens des ausführenden Unternehmens ausreichende Vorsorge für die Selbstrettung der Baustellenmitarbeiter und betriebsfremder Personen getroffen wird [2].

Auf Tunnelbaustellen mit langen Vortriebslängen erhöht sich das Risiko für Arbeitnehmer und Rettungskräfte durch lange Anfahrtswege, wodurch sich auch lange Fluchtwege und Einsatzzeiten für die Ereignisbewältigung ergeben. Fehlende Brandschutz- und Notfallmanagementmaßnahmen auf Tunnelbaustellen mit meist nur einer Fluchtrichtung können im Ereignisfall zu einem lebensbedrohenden Szenario für alle Beschäftigten im Tunnel führen. Die Folgen aus Nichtbeachtung von brandschutztechnischen Präventivmaßnahmen, wie Zündquellenvermeidung, Brandlastenreduktion, Zweckentfremdung von bzw. nicht funktionierende Löscheinrichtungen, sowie eine fehlende oder mangelhafte Implementierung eines funktionierenden Notfallmanagementsystems können auf Untertagebaustellen fatale Folgen haben.

2 Planung und Umsetzung von Maßnahmen für Sicherheit, Gesundheitsschutz und Brandschutz

Da wesentliche Grundzüge der Planung von Sicherheit, Gesundheitsschutz und Brandschutz für die Ausführungsphase von Untertagebauwerken bereits in den ersten Planungsansätzen festgelegt werden müssen, ist eine Beschäftigung mit diesem Thema bereits ab Beginn der Planungsphase erforderlich. Ein wesentlicher Bestandteil davon ist der Risikomanagement-Prozess. Die einzelnen Schritte in der Planungs- und Ausführungsphase sind in Abb. 1 dargestellt [1].

Abb. 1
figure 1

Prozessüberblick über die Planungs- und Ausführungsphase [1]

Im Risikomanagement-Prozess für Planung und Umsetzung von Sicherheit und Gesundheitsschutz werden auf Grundlage der Rahmenbedingungen die Risiken der Bauausführung projektspezifisch beurteilt und gegebenenfalls Maßnahmen für die Risikobewältigung festgelegt. Der in Abb. 2 dargestellte Prozess wird in der Planungsphase gestartet. In den danach folgenden Projektphasen bis zur Bauwerksfertigstellung sind die Rahmenbedingungen und Risiken dieses Prozesses zu überwachen bzw. zu überprüfen. Erforderlichenfalls sind einzelne Schritte der Risikobeurteilung zu wiederholen und die Risikobewältigung zu aktualisieren. Zur Objektivierung des Risikomanagement-Prozesses ist es zweckmäßig, diesen durch ein Team von voneinander unabhängig agierenden fachkundigen Personen durchführen zu lassen. Die Teammitglieder sind vorzugsweise aus dem Kreis der Planung und SiGe-(Sicherheits- und Gesundheitsschutz) Koordination durch den Bauherrn auszuwählen. Bei Bedarf sind weitere Fachleute mit Erfahrung in der Bauausführung und der Prävention beizuziehen. Die Vorgänge des Risikomanagement-Prozesses sind in übersichtlicher und nachvollziehbarer Form zu dokumentieren und das Ergebnis in einer Zusammenfassung darzustellen [1].

Abb. 2
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Darstellung Risikomanagement-Prozess (in Anlehnung an ONR 49001) [1]

Die Risikobewältigung umfasst Schutzmaßnahmen unter Berücksichtigung der Grundsätze der Gefahrenverhütung gemäß §7 ASchG (STOP-Prinzip) [3], welche zu ergreifen sind, um Risiken akzeptierbar zu machen. Die Risikobewältigung erfolgt in einem zyklischen Prozess mit folgenden Schritten:

  • Auswahl und Beurteilung der Schutzmaßnahme

  • Entscheidung für Maßnahmen zur Risikobewältigung, falls das Restrisiko nicht akzeptierbar ist

  • Beurteilung der Wirksamkeit

Zur Risikobewältigung zählen auch Maßnahmen im Sinne des Notfall- und Krisenmanagements (inkl. Erarbeitung notwendiger Sicherheitsorganisationen). Vorkehrungen dazu sind zu treffen, um Risiken mit schwerwiegenden Auswirkungen, die plötzlich und ohne Vorwarnung eintreten können, durch eine rasche Reaktion begrenzen zu können [1].

3 Krisen- und Notfallmanagement

Ob es sich um einen Notfall oder eine Krise handelt, hängt vom Ausmaß des tatsächlichen bzw. des zu erwartenden Schadens ab. Ein Notfall ist ein plötzliches und unvorhergesehenes Ereignis, das rasche Hilfe erfordert. Andernfalls droht ein noch größerer Schaden für Menschen, Umwelt, Prozesse, oder Betrieb. Wird auf den Notfall nicht adäquat reagiert oder schlagen die eingeleiteten Notfallmaßnahmen fehl, breitet sich der Schaden aus. Der Notfall kann sich so rasch zu einer Krise entwickeln. Notfallmanagement setzt genau hier an und versucht „Schlimmeres“ zu verhindern. Um Notfälle rasch bewältigen zu können und etwaige Folgeschäden wirksam abzuwehren, müssen die einzelnen Schritte und Hilfsmaßnahmen standardisiert werden. Ziel ist es, dass nach einer kurzen Einschulung jeder Mitarbeiter diese in den Grundzügen durchführen kann. Notfallpläne stellen einen wesentlichen Bestandteil des Krisen- und Notfallmanagements dar und bilden häufig auftretende Situationen wie Brände, Unfälle, Naturgefahren oder andere projektbezogene Risiken ab. Daraus ergeben sich folgende Kernaufgaben des Notfallmanagements:

  • Identifikation möglicher Risiken und Ereignisse, die zu Notfällen führen können (vgl. [1])

  • Entwicklung von Notfallplänen zur bestmöglichen Bewältigung der ermittelten Risiken und Ereignisse

  • Implementierung und Abstimmung der Notfallpläne mit den Einsatzorganisationen und Schulung der Projektbeteiligten

  • Evaluierung von Aktualität und Vollständigkeit der berücksichtigten Ereignisse und der zugehörigen Bewältigungsstrategien

Für jedes untertägige Infrastrukturprojekt ist ein Notfallmanagement zu erstellen, welches den Besonderheiten der Baustelle, den örtlichen Gegebenheiten und den Strukturen der Einsatzkräfte Rechnung trägt. Dazu gehören auch die Abstimmungen mit den relevanten Einsatzorganisationen (z. B. Rettung, Feuerwehr, Polizei, Bergrettung) sowie die Planung und Durchführung von gemeinsamen Übungen und regelmäßigen – dem Baufortschritt angepasste – Begehungen mit den Einsatzorganisationen. Einsatzübungen laut Alarmplan aller in den verschiedenen Alarmstufen beinhalteten Kräfte sind mindestens jährlich durchzuführen und zu dokumentieren [2]. Folgende Punkte sind im Zuge der Erarbeitung des Notfallmanagementkonzeptes in jedem Fall zu berücksichtigen (vgl. [1]):

  • Alarmierungspläne

  • Alarm- und Einsatzpläne

  • Brandschutzpläne

  • Flucht- und Rettungspläne

Eine Krise entsteht oft aus einem Notfall heraus, der trotz definierter Abläufe und Maßnahmen nicht bewältigt werden kann. Im Krisenmanagement verschafft sich ein zuvor definierter und geschulter Krisenstab (Führungsorganisation) rasch Überblick über die Gesamtsituation (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Führungssystem bestehend aus Führungsorganisation, Führungsverfahren und Führungsmittel [5]

Der Krisenstab steht in direktem Kontakt mit dem Leiter der Notfallmaßnahmen am Ort des Geschehens sowie den zuständigen Behörden. Dabei werden laufend die Lage beurteilt und Maßnahmen zur Krisenbewältigung entwickelt (Führungsverfahren) (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Grundmuster Führungsverfahren [5]

Regelungen zur Besetzung von Einsatzleitung und Einsatzstab sind projektspezifisch im Krisen- und Notfallmanagement in Anlehnung an die ÖNORM S 2304 [4] sowie die Staatliche Krisen- und Katastrophenmanagement (SKKM) Richtlinie zum Führen im Katastropheneinsatz [5] festzulegen. So können weitere Schäden vermieden bzw. der bereits eingetretene Schaden begrenzt werden. Einen beispielhaften Aufbau einer Organisationsstruktur im Krisen- Notfallmanagement liefert die RVS 09.01.52 – Brandschutz und Rettung auf Untertagebaustellen [6] (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Beispiel für Organisationsstruktur im Notfallmanagement [6]

4 Zusammenarbeit mit den Einsatzorganisationen

Bereits in der Planungsphase sind die grundsätzliche Konzeption der Zusammenarbeit sowie die Flucht- und Rettungskonzepte mit den Einsatzorganisationen abzustimmen und zu dokumentieren. Dabei sind die Vorgaben, Einsatzgrenzen und die Struktur der Einsatzorganisationen zu beachten. Erste Ansprechpartner sind im Regelfall die Bezirksebene für die Rettungsorganisationen und die Landesfeuerwehrverbände. Vor Baubeginn ist durch die ausführenden Unternehmen Kontakt mit den Einsatzorganisationen aufzunehmen [6]. Der Bauherr bzw. der Auftragnehmer hat im Einvernehmen mit dem jeweiligen Landesfeuerwehrverband und mit den örtlich zuständigen Feuerwehren eine Vereinbarung über die Vorbereitung und Durchführung eines Einsatzes im Tunnel abzuschließen. Dem jeweiligen Landesfeuerwehrverband kommt dabei eine koordinierende Aufgabe zu. Bei länderübergreifenden Bauvorhaben ist der Bundesfeuerwehrverband zusätzlich einzubinden [2].

4.1 Begehungen

Durch regelmäßige, gemeinsame Begehungen mit den Einsatzorganisationen gilt es, die Ortskenntnis auf Tunnelbaustellen Ober- und Untertage zu vermitteln. Begehungen sind regelmäßig, baufortschrittsbezogen und mit den Einsatzdiensten abgestimmt zu planen und durchzuführen [2].

4.2 Einsatzübungen

In Ausnahmesituationen trifft das menschliche Gehirn innerhalb von Bruchteilen eines Augenblicks die Entscheidung: flüchten, angreifen oder in Schockstarre verfallen. Doch keine dieser Reaktionen, die durch das limbische System reflexartig ausgelöst werden, ist in einem Notfall oder einer Krise nützlich. Ein plötzliches und unerwartetes Ereignis kann Baustellenorganisationen zum schnellen und gezielten Handeln zwingen. Funktioniert das Wechseln in den Krisenmodus nur langsam oder fehlen Systeme und Strukturen für Notfall- und Krisenmanagement, Notfallplanung oder Krisenstäbe gänzlich, entwickelt sich ein betrieblicher Notfall im schlimmsten Fall rasch zu einer öffentlichkeitswirksamen Katastrophe. Der Krisenmodus unterscheidet sich in seinem Aufbau und Ablauf ganz wesentlich von der täglichen Arbeit, was das Bewältigen von Notfällen und Krisen besonders herausfordernd macht. Neben dem Etablieren entsprechender Mechanismen und Strukturen sind Training und Übungen wesentlich für das erfolgreiche Überwinden der eingetretenen Ausnahmesituation. Was für Katastrophenschutz- und Einsatzorganisationen wie Feuerwehr, Polizei und Rettung zum Alltag zählt, darf auch auf komplexen Untertageinfrastrukturen wie Tunneln nicht fehlen.

Intervalle und Inhalte von Übungen sind entsprechend den gesetzlichen Anforderungen (ArbeitnehmerInnenschutzgesetz – ASchG) und dem baustellenspezifischen Bedarf zu planen und durchzuführen. Die Vorbereitung ist in Abstimmung mit den Einsatzorganisationen durchzuführen. Dabei sind die jeweiligen Übungsszenarien und -ziele zu definieren [2]. Folgende Übungstypen sind dabei zu berücksichtigen:

  • Einsatzübungen zu den vordefinierten Notfallszenarien

  • Planspiele für den Krisenstab

Eine ausführliche Dokumentation und gemeinsame Evaluierung der Übungen ist unerlässlich, um einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess des Krisen- und Notfallmanagements gewährleisten zu können.

Durch diese regelmäßigen Begehungen und Übungen können menschliche Instinkte, wie Flucht, Angriff oder Panik, minimiert bzw. ausgeschalten werden. Dadurch bleiben betroffene Personen in einer Notsituation weiter handlungsfähig und können rasch und effektiv helfen, indem sie trainierte Prozesse und Abläufe gezielt in Gang setzen. Dazu gehört auch das Bereitstellen erforderlicher Infrastruktur (Führungsmittel) von Unternehmen für die Baustellenorganisation, damit lokale Krisenstäbe handlungsfähig bleiben.

5 Praktische Umsetzung einer Notfallmanagementübung

Nachfolgendes Beispiel zeigt den Aufbau einer Notfallmanagementübung auf einer Tunnelbaustelle mit langen Vortriebslängen. Zu Beginn werden die Übungsannahme und eine Kurzbeschreibung des Szenarios definiert, dies soll den aktuellen Bauablauf wiederspiegeln, realitätsnah und praxisbezogen sein (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Übungsszenario Notfallmanagementübung

Im Zuge des Szenarios wird ein Notruf an die Sicherheitszentrale abgesetzt: „Spritzbeton Augenverletzung und Kollision von zwei Fahrzeugen in der Südröhre im Bereich Schacht Paierdorf. Beide Fahrzeuge sind fahruntüchtig und vier Personen sind eingeklemmt bzw. verletzt. Eine weitere Person bekam bei der Flucht Spritzbeton in das Auge. Das Vordringen der Einsatzkräfte zum Unfallort erfolgt über den Schacht Paierdorf. Befreien der eingeschlossenen Personen/Übungspuppe. Der Abtransport der verletzten Personen/Übungspuppe erfolgt mittels Schaufeltrage. Rettung über Schacht Paierdorf und Übernahme durch das Rote Kreuz“.

Nach Beginn des Szenarios wird der zeitliche Ablauf der Übung dokumentiert und für die Evaluierung festgehalten. Einen wesentlichen Beitrag für eine lückenlose Dokumentation liefern hierzu die Übungsbeobachter, welche von allen Beteiligten gestellt werden (Auftragnehmer, Auftraggeber, Einsatzorganisationen) (Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Zeitlicher Ablauf der Notfallmanagementübung

Ohne eine ordentliche Übungsnachbereitung ist jede auch noch so gute Übung als wertlos zu betrachten. Mit der Größe der Übung steigt der Aufwand der Auswertung, sodass für die zeitnahe Nachbesprechung ein extra Zeitrahmen, mit allen Übungsbeteiligten zur schriftlichen Dokumentation, eingeplant werden sollte. Diese Nachbesprechungen dienen zur offenen Diskussion und Evaluierung der Erkenntnisse und allenfalls aufgetretenen Mängeln sowie zur Implementierung des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses für das Krisen- und Notfallmanagement. Als zentrale Inhalte sollte jede Nachbesprechung mit den Übungsbeteiligten folgende Punkte enthalten:

  • Was ist gut gelaufen?

  • Was kann in Zukunft verbessert werden?

  • Was war neu?

6 Schlussfolgerung und Ausblick

Notfallmanagement ist die Gesamtheit aller Maßnahmen, welche geplant und angewandt werden, um Notfällen bestmöglich entgegenzuwirken und diese bei Auftreten zu bewältigen. Ein wesentlicher Punkt bei Notfällen ist die gute Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten und aller Einsatzorganisationen. Notfallmanagement umfasst die Bereiche Notfallplanung und Notfallbewältigung. Die Vorbereitung auf eventuelle Notfälle und unvorhergesehene Ereignisse, die Einschätzung der jeweiligen Eintrittswahrscheinlichkeit der Risiken, das Festlegen von Prioritäten und die Ablaufplanung sowie Simulation der Reaktionen bei Auftreten von Ereignissen sind das zentrale Wesen des Notfallmanagements.

Um die komplexen Herausforderungen von Untertagebaustellen bei Notfällen lösen zu können und auf das erhöhte Unfall- und Gesundheitsrisiko angemessen zu reagieren, ist die regelmäßige Zusammenarbeit mit den relevanten Einsatzorganisationen ein wesentliches Mittel zum Erfolg. Gegenseitiges Kennenlernen und Vertrauen in die jeweiligen Fähigkeiten, technischen und personellen Ausstattungen des jeweils Anderen sollten die Grundprämisse auf jeder Tunnelbaustelle darstellen.