1 Einleitung

Die Filiformkorrosion ist gemäß DIN EN ISO 8044:2015 [1] eine „Art der korrosiven Unterwanderung von Beschichtungen auf Metallwerkstoffen, die fadenförmig verläuft und in der Regel von unbeschichteten Kanten oder einer örtlichen Beschädigung ausgeht“ (Abb. 1). Neben ästhetischen Aspekten kann diese Form der Schichtablösung auch Startpunkt für einen in die Tiefe gehenden Korrosionsangriff sein. Geeignete Schutzschichtsysteme müssen also hinreichend beständig gegenüber Filiformkorrosion sein und dementsprechend geprüft werden.

Abb. 1
figure 1

Filiformkorrosion

Die Durchführung von Beständigkeitsprüfungen an beschichteten Aluminiumsubstraten gegenüber Filiformkorrosion besteht im Allgemeinen aus den Schritten der Ritzeinbringung, der Beimpfung, der Klimaauslagerung und der Auswertung des Zustands der Prüfkörper [2]. Es existieren mehrere Prüfvorschriften, bekannt sind z. B. die DIN EN ISO 4623‑2 [3] oder die DIN EN 3665 [4]. Zur Ritzeinbringung können unterschiedliche Werkzeuge genutzt werden, eine Übersicht und die entsprechenden Anforderungen an die Ritzgeometrie sind in der DIN EN ISO 17872:2019 [5] beschrieben. Klassischerweise werden die geritzten Prüfbleche dann im Anschluss im Dampf einer konzentrierten Salzsäure beimpft [3, 4], um das Wachstum der Filiformfäden zu initiieren. Diese Beimpfungsmethode hatte sich am weitesten etabliert, Alternativen wie das Vorkonditionieren im neutralen Salzprühnebel [6] werden vereinzelt auch durchgeführt.

Abgesehen vom Sicherheitsaspekt im Umgang mit rauchender Salzsäure treten bei der Durchführung der Beimpfung Einflussfaktoren auf, die nur schwer bzw. mit hohem Aufwand kontrollierbar erscheinen, wie z. B. die klimatischen Bedingungen und Zeitdauern beim Beimpfen und Ablüften. Auch innerhalb der vorgegebenen Sollwertbereiche können die Einflussfaktoren variieren und so zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.

Daher wurden neben einer systematischen Betrachtung der Einflussfaktoren bei der Salzsäurebeimpfung auch alternative Beimpfungsmethoden untersucht, wie z. B. das Tauchen der Prüfkörper in konzentrierte AlCl3-Lösung, die Auslagerung der Prüfkörper gemäß CASS-Prüfung nach DIN EN ISO 9227:21017 [7] oder die Einbringung von HCl-Tröpfchen mit einer Pipette direkt in den Ritz.

2 Experimentelles

Im Rahmen faktorieller Versuchspläne („Design-of-Experiment“, DoE) wurden die weiteren Prüfparameter jeweils auf mindestens zwei Niveaus bzw. in mindestens zwei Variationen kombiniert. So kann statistisch nachgewiesen werden, ob die Wirkung eines bzw. die Wechselwirkung mehrerer Prüfparameter signifikant ist. Da die Beimpfungsverfahren nicht in allen Parametern vergleichbar sind, wurde für jedes Verfahren jeweils ein eigener Versuchsplan aufgestellt.

Die Untersuchungen wurden an drei Beschichtungssystemen aus den Bereichen Automobil, Luftfahrt und Fassadenbau auf Aluminiumsubstraten durchgeführt (Tab. 1).

TABELLE 1 Verwendete Beschichtungssysteme

Die Prüfbleche sind mit zwei parallelen Ritzen versehen. Es wurde jeweils ein Ritzstichel nach Sikkens und ein Scheibenfräser verwendet. Die Breite des Ritzes betrug bei beiden Ritzmethoden 1 mm. Der Scheibenfräser zeigt ein klar definiertes, glattes Ritzbild, während beim Ritzstichel nach Sikkens viele Aufbrechungen des Lackes an der Ritzkante auftreten (Abb. 2). Auch treten am Beispiel der walzplattierten Aluminiumlegierung AA 2024 beim Ritzstichel nach Sikkens wellenförmige Aufwerfungen im Ritzgrund auf, die wahrscheinlich auf die unterschiedliche Härte von Plattierschicht und Grundmaterial zurückzuführen sind.

Abb. 2
figure 2

Topographie der Ritzeinbringung, Substrat: AA 2024 walzplattiert. a Scheibenfräser, b Ritzstichel nach Sikkens

Die Klimaauslagerung fand für 500 h bei gemäß Normen vorgegebenen 40 °C und 82 % r. H. statt. Nach der Klimaauslagerung wurde das Erscheinungsbild der Proben mit einer Streifenlichtkamera (Corrosion Inspector SK-LASM-80-40-49-J01EN der Fa. Schäfter & Kirchhoff) dokumentiert und gemäß [4] auf die maximale Fadenlänge M und dem Mittelwert der häufigsten Fadenlänge m hin ausgewertet. Zur Erstellung und Auswertung der Versuchspläne wurde die Software MODDE® (Umetrics, Schweden) verwendet.

Die Parametervariation bei den einzelnen Beimpfungsmethoden wird im Folgenden beschrieben.

3 Ergebnisse

Die Mittelwerte über alle Prüfkörper (Abb. 3) zeigen für beide Auswerteparameter vergleichbare Ergebnisse. Auch in den statistischen Auswertungen der einzelnen Beimpfungsmethoden weisen die beiden Parameter weitgehende Vergleichbarkeit auf.

Abb. 3
figure 3

Mittelwerte über alle Prüfkörper. a Mittelwert längste Fäden, b Mittlere Fadenlänge

Die verschiedenen Beimpfungsmethoden zeigen insgesamt eine vergleichbare Ausprägung der Filiformkorrosion auf, nur bei der Tröpfchenbeimpfung ist diese geringer. Auffällig sind die hohen Werte bei der CASS-Beimpfung für das Automobilsystem.

3.1 Beimpfung mit rauchender Salzsäure

Bei dieser klassischen Beimpfungsmethode wurde die Dauer der Beaufschlagung mit Salzsäuredampf auf 30 min sowie 90 min festgelegt; gemäß [3, 4] sind 60 min vorgegeben (Tab. 2). Für das Ablüften wurde 15 min gewählt, repräsentativ für die direkte Weiterführung der Prüfung, und 16 h als Beispiel für das Ablüften über Nacht. Die Feuchte beim Ablüften wurde auf 90 % r. H. bzw. 30 % r. H. eingestellt, die Prüfbleche wurden dabei sowohl mit senkrechter als auch mit waagerechter Ritzorientierung in einem Winkel von 85° zur Horizontalen aufgestellt. Die Temperatur betrug beim Beimpfen und beim Ablüften 23 °C.

TABELLE 2 Parametervariation bei Beimpfung mit HCl-Dampf

Insgesamt ist die Beimpfung mit HCl-Dampf trotz der verschiedenen Einflussfaktoren als robust anzusehen. Den größten Einfluss haben die Beschichtungssysteme. Die Ausprägung der Filiformkorrosion war bei beiden Auswerteparametern beim Automobilsystem am größten, gefolgt vom Luftfahrtsystem (Abb. 4). Die Dauer der Beimpfung, die Orientierung der Bleche und die Feuchte während des Ablüftens wirkten sich signifikant auf die mittlere Fadenlänge aus. Wechselwirkungen traten bei der Orientierung der Proben beim Ablüften, der Dauer des Ablüftens, der Dauer der Beimpfung sowie der Ritzmethode auf. Für möglichst ausgeprägte Fäden sind hier eine lange Beimpfungszeit, eine waagerechte Ritzorientierung beim Belüften sowie eine niedrige Feuchte empfehlenswert.

Abb. 4
figure 4

Beispiele der Ausprägung der Filiformkorrosion nach 500 h Klimaauslagerung, Ritzeinbringung mittels Fräser (Ritzbreite 1 mm), 90 min Beimpfen mittels rauschender Salzsäure, 15 min Ablüften, 90 % r. H. beim Ablüften, waagerechte Ritzanordnung. a Luftfahrt, b Fassade, c Automobil

3.2 HCl-Tröpfchenbeimpfung

Hierbei wurde halbkonzentrierte Salzsäure mittels einer Pipette in den Ritz gebracht, mit einem Wattestäbchen im Ritz verteilt und, kurz nachdem Wasserstoffentwicklung auftrat, mit einem Wattestäbchen wieder getrocknet. Diese Methode hat sich jedoch nicht als zielführend erwiesen. Die Verteilung der Fäden erschien innerhalb eines Ritzes oft sehr heterogen, maßgeblich abhängig davon, wie die Tropfen in den Ritz pipettiert wurden. Entsprechend groß war die Streuung der Prüfergebnisse (Abb. 5). Auf eine weitere Ausführung der statistischen Auswertung wird daher verzichtet.

Abb. 5
figure 5

Beispiel Filiformkorrosion bei Tröpfchenbeimpfung, Luftfahrtsystem, 500 h, Handritz mit Ritzstichel nach Sikkens

3.3 AlCl3-Tauchbeimpfung

Für die Tauchbeimpfung wurden die Prüfbleche für 2 h in gesättigte AlCl3-Lösung getaucht. Die Parametervariation (Tab. 3) wurde auf das Ablüften konzentriert. Die eingestellten Niveaus waren mit denen der HCl-Bedampfung identisch.

TABELLE 3 Parametervariation bei Beimpfung in gesättigter AlCl3-Lösung

Neben dem Beschichtungssystem hat auch die Dauer des Ablüftens nach der Beimpfung einen signifikanten Einfluss (Abb. 6). Eine Wechselwirkung trat auch mit der Ritzeinbringung auf, wobei signifikante Wechselwirkungen dritter Ordnung und höher nicht auftraten.

Abb. 6
figure 6

Ausschnitt der Koeffizienten zu den Wirkungen und Wechselwirkungen auf den Mittelwert der längsten Fäden, signifikante Wirkungen/Wechselwirkungen sind schwarz beschriftet

Die Tauchbeimpfung hat sich als recht vorteilhaft erwiesen und stellt eine sinnvolle Alternative zur klassischen HCl-Dampfbeimpfung dar. Die Durchführung ist insgesamt einfacher und sicherheitstechnisch unbedenklicher.

3.4 Beimpfung durch CASS-Auslagerung

Für die Beimpfung mittels CASS-Auslagerung wird schon in [3] angemerkt, dass sich diese für einige Stoffe als geeignet erwiesen hat.

In den vorliegenden Untersuchungen wurde die Dauer der Beimpfung, also die Auslagerung in einer CASS-Prüfkammer, auf 6 h und auf 24 h festgelegt (Tab. 4). Variiert wurde weiterhin, ob die Prüfkörper nach dem Beimpfen mit VE-Wasser abgespült werden oder nicht. Die Prüfbleche wurden entweder direkt, also ohne Antrocknen, oder nach 30 min, in denen der Flüssigkeitsfilm bei 30 % r. H. sichtbar abgetrocknet war, in die Klimakammer eingebracht.

TABELLE 4 Parametervariation bei Beimpfung durch CASS-Auslagerung

Bei der CASS-Auslagerung traten etliche Wechselwirkungen, auch höherer Ordnung, auf. Signifikante Wirkung haben die Dauer des Beimpfens, ob abgespült wird oder nicht, und das Beschichtungssystem. Es traten verschiedene Wechselwirkungen 2. Ordnung (Dauer des Beimpfens und Abspülen, Dauer des Ablüftens und Abspülen, Dauer Ablüften und das jeweilige Beschichtungssystem) sowie viele Wechselwirkungen 3. Ordnung auf, insbesondere beim System Automobil. Sofern eine CASS-Prüfkammer verfügbar ist, kann diese Beimpfungsmethode jedoch bei genau formulierter Durchführung der Beimpfung eine sinnvolle Alternative zur HCl-Dampfbeimpfung sein. Vorteilhaft bei der CASS-Beimpfung sind eine lange Beimpfungszeit (16 h), dass die Prüfkörper nach CASS-Auslagerung nicht abgespült werden und dass die Prüfkörper nicht antrocknen, sondern direkt in die Klimakammer eingebracht werden. Die Ritzeinbringung mit dem Fräser ist besser als mit dem Ritzstichel nach Sikkens.

4 Zusammenfassung

Die Untersuchungen haben gezeigt, dass es diverse Abhängigkeiten der Prüfergebnisse von der Durchführung der Beimpfung gibt. Insbesondere die Dauer der einzelnen Schritte und die Klimabedingungen beim Ablüften sollten möglich identisch reproduziert werden, um die Streuung der Ergebnisse zu minimieren Daher ist es hilfreich, eine genaue und praktikable Arbeitsanweisung zu erstellen, die konform zu den entsprechenden Prüfnormen ist.

Die Tauchbeimpfung in gesättigter AlCl3-Lösung sowie die Auslagerung in einer CASS-Prüfkammer haben sich als mögliche Alternativen zur klassischen Beimpfung mit dampfender Salzsäure herausgestellt. Da diese Aussage nicht allgemein, sondern nur für die hier betrachteten Systeme gültig ist, muss dies für andere Systeme zunächst erneut validiert werden. Die hier vorgestellten Ergebnisse lassen sich aber dazu nutzen, die Planung eigener Validierungsversuche zu optimieren.

Die Beimpfung mit konzentrierten HCl-Tröpfchen hat als nicht praktikabel herausgestellt, die Ausprägung der Filiformkorrosion ist zu sehr von der manuellen Ausführung beeinflusst.