1 Einleitung

Mit der zunehmenden Urbanisierung nehmen Wahrscheinlichkeit und Komplexität von Einsätzen in einem urbanen Umfeld zu: „The rising percentage of the world’s population living in urban centers serves to magnify disaster impacts. Ranges of stakeholders have an expectation that emergency management professionals are ready and prepared for any crisis which may affect their organization or jurisdiction.“ [1, S. 15] Die Kombination von natürlichen und menschlich verursachten Katastrophen [1, S. 63], die auch gezielt durch einen hybriden Angreifer herbeigeführt werden kann [2, S. 452–453] und das besonders herausfordernde Einsatzumfeld bedeuten eine zusätzliche Herausforderung. Die gezielte Vorbereitung für alle beteiligten Organisationen ist daher unabdingbar und muss einen fixen Platz in der Prävention haben (Dynamic Resilience Design) [3]. Konsequenterweise setzen sich auch Streitkräfte mit diesem Einsatzumfeld vermehrt auseinander, weil „Urban combat has become a central, maybe even the defining, form of warfare in the twenty-first century […]“ [4, S. 5] Die Entwicklungserfordernisse sind dabei recht umfangreich, wie nationalen [5] und internationalen Konzepten [6] entnommen werden kann. Zur Umsetzung bedürfen diese Fähigkeiten der Sicherstellung der „Preparedness“ im PPRR (Prevention – Preparedness – Response – Recovery) emergency management model [7, S. 221]: „[…] establish arrangements and plans and provide education and information to prepare the community to deal effectively with such emergencies and disasters […]“ [7, S. 234]. Dabei ist es essenziell, den urbanen Einsatzraum als System zu verstehen, dessen vielfältige Subsysteme sich gegenseitig beeinflussen [4, S. 72–76], die auftretenden Dynamiken können mit dem CYNEFIN Modell [9] gut beschrieben werden.

Die Komplexität urbaner Einsätze – die sich zunächst völlig ungeordnet darstellt – wird von vier Faktoren maßgeblich bestimmt: (1) dem urbanen System mit seinen Subsystemen, (2) dem Kräfteumfang und der Kampfweise eines Gegners, (3) der Ausdehnung des Einsatzraumes sowie (4) den Auswirkungen des Ereignisses auf das urbane System. Dabei stehen nicht Einzelereignisse im Fokus, denen mit eingespielten Verfahren, fortschrittlicher Safety-Ausrüstung in Infrastrukturen und langjähriger Erfahrung seitens der Einsatzkräfte gut begegnet werden kann, sondern hochkomplexe Einsätze, bei denen eine oder mehrere bestimmende Größen (Abb. 1) sich im roten Bereich befinden – mit zunehmender Komplexität sind die verantwortlichen Akteure in steigendem Ausmaß gefordert. Diese bestimmenden Faktoren dienen der Einordnung eines Ereignisses und unterstützen bei der Beurteilung der Lage sowie der Bereitstellung der erforderlichen Kräfte.

Abb. 1
figure 1

Bestimmende Größen der Komplexität bei Einsätzen im urbanen Umfeld

2 Herausforderungen urbaner Einsatzführung

Folgende Aspekte charakterisieren komplexe Einsätze im urbanen Umfeld:

  • Durch die große räumliche Ausdehnung über alle drei Bewegungsebenen des urbanen Umfelds (triple-S: supersurface – surface – subsurface [8, S. 1]) ist das Herstellen des Zusammenhangs von Ereignissen (Verstehen) wie auch der eigenen Kräfte sehr schwierig.

  • Der urbane Einsatzraum ist sehr unübersichtlich, und die eingeschränkten und stark kanalisierenden Bewegungsmöglichkeiten erschweren das Zusammenwirken der eigenen Kräfte zusätzlich.

  • Die große Anzahl betroffener Zivilbevölkerung belastet die Einsatzführung hinsichtlich des Schutzes, der Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, der Evakuierung sowie der medizinischen Versorgung.

  • Im Zuge bewaffneter Auseinandersetzungen ist mit einem entschlossenen Gegner zu rechnen, der mit dem Umfeld vertraut ist und sehr initiativ vorgeht.

  • Die Beengtheit sowie die Wirkung zerstörter Infrastruktur führen zu einem Massenanfall von Verletzten mit spezifischen Verletzungsmustern [10, S. 9].

  • Auf Grund der wirtschaftlichen und ideellen Bedeutung, der vorhandenen Infrastruktur sowie der Anzahl der Bewohner stellen Ballungsräume attraktive Ziele dar (EVIL DONE – Exposed, Vital, Iconic, Legitimate, Destructible, Occupied, Near, Easy) [11, S. 49].

  • Einsätze gegen einen bewaffneten Gegner bergen naturgemäß auch eine große Gefahr von Kollateralschäden, da sich die umkämpfte Infrastruktur zwangsläufig in der Nähe unbeteiligter Dritter befindet.

Die Bewältigung dieser Herausforderungen erfordert mit zunehmender Komplexität

  • einen stark steigenden Kräfteaufwand und vielfältige Fähigkeiten,

  • die reibungslose Zusammenarbeit unterschiedlicher Organisationen,

  • einen frühzeitigen Informationsaustausch um den Wechsel vom Schadensfokus zum Ursachenfokus möglichst rasch bewerkstelligen zu können [12, S. 32],

  • Verfahren zur Komplexitätsreduktion wie die konsequente Anwendung eines standardisierten Führungsverfahrens unter Einbindung von Experten,

  • die Fähigkeit zu rascher Datenintegration und Visualisierung (RADIV) [13],

  • sowie ein umfassendes Weiterbildungsprogramm.

Daraus ergibt sich ein sehr weit gefasstes Verständnis von Urban Operations, welches jedenfalls über „[…] allocation or deployment of resources of urban service systems […]“ [14, S. 2] hinausgeht und mit zunehmender Komplexität eine verstärkte Zusammenarbeit aller Anspruchsgruppen [15, S. 542] berücksichtigen muss. So können wir in Weiterentwicklung des Verständnisses für komplexe Einsätze unter Tage [15, S. 540] folgende Definition einführen:

Komplexe Einsätze in einem urbanen Umfeld werden von der Größe des urbanen Systems und der Anzahl der Subsysteme, dem Kräfteumfang und der Kampfweise eines Gegners, den negativen Auswirkungen auf die Funktionalität des urbanen Systems sowie der Ausdehnung des Einsatzraums (in allen drei Dimensionen!) bestimmt und lassen durch vielschichtige Interdependenzen eine Voraussage hinsichtlich der Entwicklung der Ereignisse nicht mehr zu – die Zusammenarbeit aller relevanten Akteure ist essenziell.

Im Rahmen des Forschungsprojektes ETU-ZaB hat sich klar herausgestellt, dass kein Akteur über alle Fähigkeiten verfügt, um einen komplexen Einsatz im Untertagebereich allein erfolgreich bewältigen zu können [16, S. 4–12] – das gilt auch für das urbane Umfeld und verlangt ein umfassendes Verständnis: „The armed forces need to understand cities; but global cities exceed comprehension. They are simply too large, multitudinous and mutable.“ [4, S. 76] Aus der militärischen Perspektive ist daher mit der Forderung zur Vorbereitung auf dieses Einsatzumfeld die Vernetzung mit anderen Akteuren und die Weiterentwicklung der SubSurface Operations Cell (SSOC) [17] zur Urban Operations Support Cell verbunden, weil „No one individual can be expected to possess true expertise across each and every one of these professional fields, but one individual may be required to efficiently coordinate and guide all of this collected knowledge.“ [1, S. 9]. Die Urban Operations Support Cell bündelt die erforderliche Fachexpertise für Einsätze im urbanen Umfeld unter Nutzung von Militärexperten und stellt hochwertige Beratungsleistung für militärische Kommanden und zivile Einsatzleiter bereit (Abb. 2).

Abb. 2
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Die Urban Operations Support Cell ist ein Beratungselement für militärische Kommanden oder zivile Einsatzleiter [18, S. 67]. (Grafik: Roland Laabmayr, Wolfgang Mähr, Nikolaus Sifferlinger)

3 Weiterbildungsangebot Urbane Einsatzführung/Urban Operations Training

Im Rahmen der gegenständlichen Untersuchung haben sich drei Defizite als bestimmend herausgestellt, die Charles Knight treffend als „the phenomenon of nearly a century of cognitive disconnect between the foreseeable demands of urban battle and military preferences and policies“ [19] beschreibt:

  • Einsatzkräfte haben in den vergangenen Jahren nicht mehr im höchsten zu erwartenden Spektrum trainiert (und auch nicht gedacht),

  • die Trainingsanlagen sind in der Regel auf die unterste Ebene ausgerichtet und vermitteln daher kein umfassendes Bild eines urbanen Ballungsraumes. Es gibt also einen maßgeblichen Unterschied zwischen Trainingsmöglichkeiten und Einsatzrealität [8, S. 1],

  • die Integration aller erforderlichen Spezialisten ist noch nicht vollzogen,

  • und das gemeinsame Training fokussiert eher auf gängige und bekannte Szenarien.

Die Bewältigung komplexer Einsätze in einem urbanen Umfeld erfordert das Zusammenwirken von Ausrüstung, Ausbildung, Forschung und Entwicklung sowie Erfahrung. Zur Ableitung der erforderlichen Fähigkeiten wurde im interdisziplinären Forschungs- und Entwicklungsprogramm NIKE [8] als Basis für alle Projekte das Referenzszenario „Dreikönig“ entwickelt, in dem vergangene Ereignisse zu einem hochkomplexen Szenario unter Tage verdichtet wurden [20, S. 223]. Im nächsten Schritt konnten vom Bedarf die wesentlichen Inhalte abgeleitet werden, die Gegenstand jedes Weiterbildungsprogramms sein sollten (Abb. 3). Diese vier Themenblöcke vermitteln jene Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die Bewältigung komplexer urbaner Einsätze erforderlich sind. Durch die Anwendung des Embracive Leadership Models können die Interessen der beteiligten Akteure bestmöglich berücksichtigt werden [21, S. 339].

Abb. 3
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Allgemeine Inhalte für Weiterbildungsmaßnahmen zu Einsätzen im urbanen Umfeld. (Grafik: Autor)

Die Anpassung der Lehrinhalte an die unterschiedlichen Bedürfnisse erfolgt durch einen didaktischen Ansatz, welcher die unterschiedlichen Ebenen berücksichtigt (Tab. 1; [8, S. 2]).

TABELLE 1 Didaktischer Ansatz für die unterschiedlichen Handlungsebenen

Für die handwerkliche Ebene ist das Identifizieren eines Problems besonders wichtig – die Wissensvermittlung anhand von Erscheinungs-„bildern“ besonders gut geeignet. Für die Führungsebene ist das Wissen über die Wirkungsweise bedeutend, um vernünftige Entscheidungsgrundlagen zu haben, und die Trainer wiederum brauchen sehr detaillierte Informationen, um durch ihr Verständnis der Herausforderungen ihr Wissen entsprechend weitergeben zu können.

4 Zusammenfassung/Ausblick

Komplexe Einsätze im urbanen Umfeld (Urban Operations) stellen eine enorme Herausforderung für Einsatzkräfte dar. Es erscheint daher unabdingbar, diese Herausforderungen auch im Rahmen hochschulischer Weiterbildung anzunehmen und entsprechende Lehrgänge an der Schnittstelle der betroffenen Akteure [15, S. 542] anzubieten. Die Bewältigung von Einsätzen in einem urbanen Umfeld unter Berücksichtigung eines akteurübergreifenden Ansatzes und Nutzung der Urban Operations Support Cell erfordert tiefes Verständnis für den Einsatzraum und die Synchronisation der Fähigkeiten der anderen Akteure. Praktisches Erleben und Kennenlernen urbaner Einsatzräume anhand von Fallbeispielen und im Rahmen von Übungen sind dabei wohl das wesentlichste Mittel, um dieses Verständnis zu erreichen.

Ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch über Disziplinengrenzen hinweg in einem internationalen Setting, wie sie im Rahmen der Urban Operations Expert TalksFootnote 1 im Juli 2022 am Zentrum am Berg veranstaltet wurden, werden in Zukunft die interdisziplinäre Auseinandersetzung vorantreiben, das dabei entstehende Expertennetzwerk ist die Grundlage für einen regen und lebhaften Diskurs.

Die Dynamiken in der Entwicklung der urbanen Räume, die Rückkehr kriegerischer Auseinandersetzungen in Europa und ein hochvolatiles Umfeld erfordern die rasche Etablierung eines umfassenden Weiterbildungsangebotes für alle betroffenen Stakeholder. Mit der Zusammenarbeit zwischen der Montanuniversität Leoben mit dem Institut für Offiziersweiterbildung der Theresianischen Militärakademie im Rahmen der Forschungs- und Entwicklungsgruppe NIKE konnten bereits maßgebliche Erfolge erzielt werden. Auch im internationalen Bereich setzen sich immer mehr und mehr Experten mit Urban Operations auseinander. Die rasche Vernetzung mit diesen Experten und die Entwicklung eines Weiterbildungsangebotes sind wirkungsvolle Beiträge zur gesamtstaatlichen Resilienz.