1 Die Future Circular Collider Innovation Study (FCC-IS)

CERN stellt mit 3400 Mitarbeitern, 23 Mitgliedstaaten und mit mehr als 14.000 Gastwissenschaftlern aus 85 Ländern das größte Forschungszentrum für Teilchenphysik weltweit. Mit dem 27 km langen Large Hadron Collider (LHC) betreibt CERN den zurzeit größten Teilchenbeschleuniger weltweit, mit dem 2012 der Nachweis des Higgs-Bosons und damit einer der größten Erfolge im Bereich der experimentellen Physik gelang. Der geplante 100 km lange Future Circular Collider soll Kollisionsenergien von 100TeV generieren können und somit neue Grenzen der Hochenergie- und Teilchenphysik erschließen, sobald 2040 die Forschungs- und Entwicklungsarbeit im LHC abgeschlossen ist [1]. Im Rahmen der Future Circular Collider Innovation Study wurde der Wettbewerb „Mining the Future“ ausgetragen, welcher gemeinsam von der Montanuniversität Leoben und CERN organisiert und als Teil des FCC Projektes vom EU Programm Horizon 2020 gefördert wird. Ziel des Bewerbs war, Wege zur Wiederverwendung von 9,1 Mio. Tonnen an Ausbruchsmaterial zu finden [2].

In der EU gilt Tunnelausbruchmaterial per Definition noch immer als Abfall und muss demnach deponiert werden. Das Abfallende wird erst dann erreicht, wenn das Ausbruchsmaterial nach einer möglichen Aufbereitung einer eindeutigen Verwendung zugekommen ist [3]. Da dies auf der Baustelle einen erhöhten technischen sowie logistischen Aufwand erfordert, wird die Verwendung von Tunnelausbruch von den meisten Bauherren nicht verfolgt, was im Gegensatz zu den gegenwärtigen Bemühungen bezüglich Ressourcenschonung und Klimapolitik steht [4].

2 Geologischer Überblick

Die geplante Lage des FCC befindet sich am Fuße des Genfer Sees im Genfer Becken, welches im Nordwesten von den mesozoischen Ablagerungen des Juragebirges und im Südosten von alpinen Einheiten bestehend aus Flyschzone, Helvetikum, Penninikum und Zentralgneisen begrenzt wird ([5]; Abb. 1). Das Genfer Becken, welches auch als Westalpines Molasse Becken bezeichnet wird, ist mit mesozoischen und känozoischen Sedimenten gefüllt, welche auf kristallinem Grundgebirge mit extensionsbedingten Horst-Graben Strukturen abgelagert wurden. Die zuunterst liegenden permokarbonen Sedimente werden ab dem Mesozoikum zuerst von triassischen Evaporiten und danach von kontinentalen Sandsteinen und flachmarinen Ablagerungen aus Kalk, Mergeln und Dolomiten überlagert, welche periodisch von tiefmarinen, feinkörnigen Mergeln unterbrochen werden [6]. Diese mesozoischen Schichten, welche im Juragebirge und durch eine nach Süden gerichtete Aufschiebung auch am Mount Saléve und am Mount Vuache zu Tage treten, werden von den kontinentalen Ablagerungen der alpidischen Orogene des Tertiärs sowie den glazialen und fluviatilen Sedimenten des Quartärs überlagert. Diese sogenannten Molassesedimente können in Ablagerungen der Meeres- und Süßwassermolasse unterteilt werden und bestehen vor allem aus Quarz, Tonmineralen und kalkhaltigen Mineralen, was eine Einteilung in Sandstein, Tonstein, Mergel, Konglomerate, Kiese und Kalkstein ermöglicht [5]. Sie weisen eine Schichtdicke von mehreren 100 Metern auf und stellen somit auch den Baugrund des FCC dar. Charakteristisch für diese Molassesedimente sind ihre geochemische Heterogenität und die stellenweise Verunreinigung durch Kohlenwasserstoffe sowie durch Schwermetalle wie Nickel und Chrom [7].

Abb. 1
figure 1

a 3D, nicht maßstabsgetreue Skizze des geplanten FCC [20]. b Lage des FCC mit den wichtigsten topographischen und geologischen Strukturen [1]

3 Geologische Voruntersuchungen

Für das Genfer Becken existierte aus vergangenen Untersuchungen bereits eine große Menge an Probenmaterial, welches von geothermischen Untersuchungen, Explorationen von Öl- und Gasfirmen, ingenieurgeologischen Projekten sowie von den von CERN geleiteten Vorerkundungen zum Bau der SPS und LHC Teilchenbeschleuniger stammte. Um eine grundlegende Charakterisierung der vorliegenden Geologie vorzunehmen, wurden am vorliegenden Probenmaterial zahlreiche geotechnische, geochemische sowie petrophysikalische Versuche an drei verschiedenen Universitäten durchgeführt [7].

An der Montanuniversität Leoben wurde die Ermittlung der geotechnischen Parameter durchgeführt. Dies geschah durch Ultraschalltests zur Bestimmung der P‑ und S‑Wellengeschwindigkeit, CERCHAR und LCPC Tests zur Bestimmung der Abrasivität, Brazilian Tests und Point Load Tests zur Bestimmung der Zerreißfestigkeit bzw. Stärkeindex sowie UCS zur Bestimmung der einaxialen Druckfestigkeit an insgesamt 862 Proben [7].

Die Bestimmung der geochemischen Zusammensetzung sowie Untersuchungen zur Durchlässigkeit wurden an der Université de Geneve (UNIGE) durchgeführt. Sie beinhalten Messungen von Haupt- sowie Nebenelementen mittels tragbarer RFA bzw. ICP-MS/OES, Bestimmung von Mineralphasen mithilfe von QEMSCAN und optischer Mikroskopie sowie Messung von Porosität und Permeabilität durch Gasabsorption an insgesamt 1313 Proben [7].

Weitere Untersuchungen zur Mineralogie sowie Laugungsversuche wurden an der ETH Zürich an insgesamt 641 Proben durchgeführt. Diese Untersuchungen beinhalten die Bestimmung des Auslaugverhaltens durch Messung der auslaugenden Elemente, austauschbare Ionen und Kationen-Austauschkapazität durch ICP-OES, bzw. Kupferkomplexen sowie Messungen der inneren und äußeren spezifischen Oberfläche durch Wasserdampf-Adsorption bzw. das BET Verfahren. Des Weiteren wurde eine photometrische Anionenanalyse durchgeführt und die Verteilung der Porenkopfgröße mittels HPMI und die Wasseraufnahmekapazität mit der Enslin-Neff Methode gemessen. Eine weitere Analyse der Mineralphasen wurde mittels FTIR und XRD vollzogen [7].

Zusätzlich zu den Laboranalysen wurden geophysikalische Bohrlochdaten aus Gammastrahlen-, und Neutronenlogs, Akkustik‑, Induktions‑, Dichte- und Eigenpotentialmessungen ausgewertet. Die dadurch gewonnenen Daten wurden den Teilnehmern des Wettbewerbs öffentlich zugänglich gemacht, womit eine Basis für die Austragung des Bewerbs geschaffen wurde [7].

4 Resultate des Wettbewerbs „Mining the Future“

Die Vorschläge zur Wiederverwertung des Molassematerials mussten zum Zeitpunkt der Einreichung bereits TRL 3 (Technology Readiness Level) aufweisen und spätestens bis zum 31.10.2021 eingereicht werden. Bis zum Baustart 2030 muss ein TRL von 9, also vollständige Funktionsfähigkeit unter Betriebsbedingungen, angestrebt werden. Bewerben konnten sich natürliche Personen, akademische Einrichtungen, internationale Organisationen europäischer Interessen sowie profitorientierte Organisationen. Der Gewinner des Bewerbs erhält ein Preisgeld von 40.000 € als Unterstützung für zukünftige für das Projekt notwendige Forschungsvorhaben. Eine 10-köpfige internationale Jury bewertete insgesamt 12 regelkonforme Einreichungen punktemäßig in den Kategorien Technische Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit in Bezug auf die Einnahmen, gesellschaftlicher Wert und Projektrelevanz, von denen es vier in die finale Runde des Wettbewerbs schafften [2, 8].

Die innovativen Lösungsansätze zur Tunnelausbruchverwertung der vier Finalisten werden im Folgenden vorgestellt. Allen gemeinsam ist die Notwendigkeit der Aufbereitung des Ausbruchsmaterials vor der Verwendung, um die geogenen Verunreinigungen durch Kohlenwasserstoffe und Schwermetalle zu beseitigen.

4.1 Amberg Konsortium

Der Lösungsvorschlag des Amberg Konsortiums, bestehend aus Amberg Engineering, Medusoil, Mobbot, Holcim, Versuchsstollen Haggerbach, Pagani Lanfranchi und Bilger, beruht auf der Onlineanalyse des Ausbruchsmaterials via Cross-belt Analyser und darauffolgende Aufbereitung vor Ort (Abb. 2). Aus den gesiebten Kornfraktionen 0–2 mm, 2–4 mm und 4–8 mm werden Gesteinskörnungen für Spritzbeton erzeugt, während der Feinkornanteil < 65 µm für mineralische Bindemittel verwendet werden kann. Versuche an 10 × 10 × 10 cm Betonproben, deren Gesteinskörnungen einerseits aus 55 % und andererseits ausschließlich aus aufbereitetem Molassematerial bestanden, ergaben eine Druckfestigkeit von 14,8 N/mm2 bzw. 7,0 N/mm2 nach 7 Tagen. Dies entspricht 55 % bzw. 26 % der Druckfestigkeit von 26,7 N/mm2 einer Betonprobe aus einer genormten Kornmischung nach 7 Tagen. Für alle Betonproben wurde 330 kg/m3 Optimo 4 Zement verwendet [9].

Abb. 2
figure 2

Prozessübersicht über Gewinnung, Analyse und Sortierung des Tunnelausbruchmaterials [9]

4.2 Arcadis Konsortium

Das Konsortium aus Arcadis und Briques Technic Concept konzentriert sich vor allem auf die Feinfraktion des Molassematerials, aus dem gepresste Rohmauerziegel erzeugt werden, während der Grobkornanteil abgetrennt und als Zuschlagsstoffe für andere Baumaterialien verwendet werden kann. Die entsprechenden Kornfraktionen werden nach einer vorgeschalteten Siebung in einer mobilen Produktionseinheit mit Wasser und Weißkalk zur Stabilisation vermengt und können anschließend in zwei unterschiedliche genormte Ziegelklassen gepresst werden. Zusätzlich werden die Ziegel durch einen mineralischen Zusatz vor Erosion geschützt. Die Produkte des Konsortiums verfügen über eine Case A ATEx Zertifizierung des Scientific and Technical Center for Building (CSTB, Paris) und können für tragende Wände in Gebäuden bis zu einer Höhe von drei Stockwerken verwendet werden. Ein großer Vorteil der gepressten Rohmauerziegeln gegenüber anderen Baumaterialien ist die vergleichsweise sehr gute Dämmwirkung sowie die weitgehend CO2 freie Herstellung und Ressourcenschonung durch Verwendung von Ausbruchsmaterial (Abb. 3; [10]).

Abb. 3
figure 3

Prozess der Gewinnung von Oberbodenmaterial [12]

4.3 BG Konsortium

Einen Ansatz zur ganzheitlichen Verarbeitung der gesamten ausgehobenen Molasse zu Baurohstoffen bietet das Konsortium bestehend aus BG Ingénieurs Conseils SA, Vicat, Circulère, Sigma-Betón, Vigier, MS und Induni. Hierzu wird das Ausbruchsmaterial Onlineanalysen unterzogen, welche direkt an einer Fördereinrichtung zwischengeschaltet sind. Neben der Bestimmung der Korngröße durch eine foto-optische Bildauswertung müssen zusätzlich mineralogische und chemische Komponenten erfasst werden, um Grenzwerte, welche von der Baubranche bzw. rohstoffverarbeitenden Industrie vorgegeben werden, nicht zu überschreiten. Des Weiteren müssen die geotechnischen Parameter wie z. B. Einachsialer Druckfestigkeit und Abrasivitätsverhalten gemessen werden, um die für bauliche Zwecke notwendigen Materialeigenschaften des aus dem Tunnelausbruchmaterial gefertigten Endprodukts zu gewährleisten. Zusätzlich muss mit Kohlenwasserstoffen verunreinigtes Material durch Bioremidation, also Neutralisierung der Schadstoffe durch Einsatz von Bakterien, Pilzen oder Pflanzen, entgiftet werden.

Anschließend kann die Molasse je nach Chemismus und Korngröße sortiert und in verschiedene Materialströme aufgeteilt werden, die entsprechend zwischengelagert und der Weiterverarbeitung zu den jeweiligen Produkten zugeführt werden können. Die durch diese Maßnahmen erzielten Produktströme umfassen unter anderem Low Carbon Zement, Roherdbeton und Spritzbeton aus der Tonfraktion, körnige Materialien wie z. B. Zuschlagsstoffe aus der Sandfraktion sowie Füllstoffe für die Produktion von Kalkzement aus den kalkhaltigen Formationen der Molasse. Diese Produkte können sowohl direkt auf der Baustelle für den Innenausbau des Tunnels verwendet werden, als auch am regionalen Markt verkauft werden, wobei eine Destabilisierung desselbigen durch eine hohe Produktbandbreite vermieden werden sollte [11].

4.4 Edaphos Konsortium

Die Herstellung von Oberbodenmaterial durch Vermischung des mineralischen Anteils der Molasse mit organischen Reststoffen stellt einen neuen Ansatz zur Verwertung von Tunnelausbruchmaterial dar und wird vom Edaphos Konsortium bestehend aus den Partnern Edaphos Engineering, Induni, Mont-Blanc Valorisation und Mircohumus umgesetzt. Dieser Prozess stellt die natürliche Humusproduktion nach und wird durch Zugabe von im Labor gezüchteten Bodenorganismen sowie Pilzstämmen beschleunigt. Durch sorgfältige Auswahl dieser Mikroorganismen kann auf die speziellen Anforderungen regional unterschiedlicher Ökosysteme eingegangen und somit die Biodiversität in diesen Gebieten gewahrt werden. Vorversuche mit 1 m3 des Molassematerials zeigten eine hohe mikrobielle Aktivität im fertigen Produkt sowie eine Einhaltung der für landwirtschaftliche Zwecke geltenden Grenzwerte. Als Quelle organischer Reststoffe können Abfälle von lebensmittelverarbeitenden Betrieben aus der Region verwendet werden. Des Weiteren ist die Produktion von Mutterboden an den Vortriebsschächten entlang der geplanten Tunneltrasse und anschließender Verkauf wesentlich billiger als die Deponierung des Ausbruchmaterials und bietet zusätzlich den Vorteil der CO2 Speicherung durch die Vermeidung der Deponierung und anderer Methoden der Müllentsorgung [12]. Diese Verwendungsmöglichkeit stellt eine Ausnahme dar, da auf die Analyse der geotechnischen Parameter verzichtet werden kann. Allerdings muss auch hier auf die Beseitigung der geogenen Verunreinigungen geachtet werden.

5 Zusammenfassung und Ausblick

EU-weit entfällt gut ein Drittel des gesamten Abfallaufkommens auf Bau- und Abbruchabfälle, von welchen jedoch nur gut 46 % einer Wiederverwendung zugeführt werden, während in Österreich nur rund 8 % einer weiteren Verwertung zugeteilt werden [13, 14].

Neben der unsicheren Rechtslage betreffend Abfallcharakter sind auch die notwendigen Versuche bezüglich mineralogischer Zusammensetzung und geotechnischer Kennwerte mit ein Grund für die niedrigen Verwertungsraten. Diese sind laut Deponieverordnung 2008 notwendig, um nachzuweisen, dass es sich nicht um kontaminiertes Material handelt [15]. Der Grad der Wiederverwertung hängt in erster Linie von den geotechnischen Eigenschaften sowie der mineralogischen Zusammensetzung der aufgefahrenen Lithologie ab. Zudem können verschiedene Vortriebsmethoden Einfluss auf die Korngrößenverteilung sowie anthropogene Verunreinigungen nehmen [16]. Eine Onlineanalyse des Ausbruchsmaterials an der Baustelle kann es ermöglichen, den Aufbau von flächenintensiven Zwischendeponien zu verringern und das Material schnellstmöglich einer geeigneten Verwendung zuzuführen [17]. Durch Verwendung von Tunnelausbruch können Einsparungen beim Kauf externer Baurohstoffe sowie durch das Wegfallen von Deponiegebühren erzielt werden. Außerdem werden durch die verringerten Transportwege CO2 Emissionen eingespart [18]. Auch sollte immer eine Marktanalyse im regionalen Bereich rund um die Tunnelbaustelle durchgeführt werden, um potenzielle Abnehmer des anfallenden Ausbruchsmaterials zu finden, welches nicht für die Verwendung vor Ort in Frage kommt, ohne den lokalen Markt zu destabilisieren [19].

Zurzeit wird Tunnelausbruch je nach Qualität vor allem an der Baustelle für Gesteinskörnungen für Spritzbeton, gebundene und ungebundene Tragschichten, Schüttmaterialien sowie Ringspaltmörtel verwendet [18]. Mithilfe des „Mining the Future“ Wettbewerbes sollen diese typischen Anwendungsbereiche erweitert werden. Des Weiteren soll der Wettbewerb einen Grundstein zur Entwicklung einer EU-weit geltenden Richtlinie zur Verwendung von Tunnelausbruch legen.