1 Einleitung

Die CEMTEC Cement and Mining Technology GmbH (nachfolgend mit Cemtec abgekürzt) ist ein international agierender Spezialist im Bereich der Mahlung, Sichtung und Agglomeration, welcher auf 30 erfolgreiche Jahre sowohl im Einzel- als auch Gesamtanlagenbau zurückblicken kann. Seit der Unternehmensgründung ist Cemtec bei seinen Kunden durch das Einbinden innovativer Neuerungen in seinen Bestandsprodukten und die Erforschung und Entwicklung neuer Technologien als Technologieführer in der Aufbereitungsbranche bekannt.

Im Jahr 2014 wurden im Zuge eines unternehmensübergreifenden Entwicklungsprojekts mit dem Ziel der „Effizienzsteigerung bei Kundenanlagen“ innerhalb des Unternehmens die Grundsteine für die ersten digitalen Produkte gelegt. Seitdem konnten die Produkte durch eine langjährige Erprobung und Weiterentwicklung gemeinsam mit unseren Industrie- und Forschungspartnern perfektioniert und das Anwendungsgebiet auf die gesamte mineralische Rohstoffaufbereitung ausgeweitet werden.

Im Jahr 2022 wurde die Entscheidung getroffen, unter Cemtec-Digital eine zentrale Kontaktadresse für die bisher nur unternehmensintern angebotenen digitalen Kundenlösungen zu schaffen.

Eine erste innovative Entwicklung stellte der CEOPS (CEmtec Online Particle Size–Analyzer) dar, der es dem Kunden ermöglicht, Mahlproduktströme über Laserdiffraktometrie hinsichtlich ihrer Feinheit zu analysieren. Wurde dieser Hauptqualitätsfaktor bisher aufgrund der sehr aufwendigen analogen Messsystematik manuell und meist nur jede zweite Stunde erfasst, so birgt die Echtzeiterfassung der Feinheitsanalysewerte ein enormes Potenzial, den Anlagenbetrieb zu revolutionieren.

Im Zuge dieser Projektvorstellung möchte der Autor ein auf dem CEOPS-System aufbauendes, innovatives Regelsystem beschreiben, welches derzeit von Cemtec in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Aufbereitung und Veredlung an der Montanunversität Leoben im Rahmen eines Dissertationsprojektes entwickelt wird. In Abb. 1 erlaubt sich der Autor die durch das neuwertige Regelsystem resultierende Vereinfachung der Prozessschritte mit der sehr aufwendigen konventionellen Betriebsweise schematisch in Vergleich zu stellen.

Abb. 1
figure 1

Schematische Darstellung des bisherigen Produktionsbetriebs (grau) und die zukünftige innovative Herangehensweise der angedachten Automatisierungslösung (blau)

2 Projektziel

Ziel des Projekts ist es, durch die Erforschung und Entwicklung intelligenter Regelalgorithmen für Trommelmahl-Sichtkreisläufe die Rahmenbedingungen zu schaffen, um diese altbewährte Zerkleinerungstechnologie für die Anforderungen der Zukunft (e.g. erhöhte Energieeffizienz, reduzierter Emissionsausstoß, höhere Qualitätsanforderungen, autonomer Mahlbetrieb und mehr) zu rüsten. Im Zuge des Projekts sollen hierbei sowohl physikalische als auch datenbasierte Ansätze erarbeitet werden. Durch den Vergleich der diversen Modelle im Hinblick auf verschiedene Anforderungsprofile (e.g. stabiler Anlagenbetrieb oder Einstellen neuer Produktionsparameter) soll situativ auf die jeweils passende Methode zurückgegriffen und somit ein energieoptimierter Anlagenbetrieb bewerkstelligt werden.

3 Stand der Technik

In der Literatur findet man bezüglich der Modellierung von Mahlkreisläufen verschiedenste Herangehensweisen, wobei die meisten Modelle folgende Tatsachen gemein haben:

  • Das Modellierungsmodell eignet sich gut für eine nasse Verfahrensweise, wurde aber bisher noch nicht auf trockene Mahlanlagen übertragen.

  • Das Modell ist auf eine spezifische Aufgabegutcharakteristik ausgelegt – bei einer Adaption des Modells für andere Mahlgüter bedarf es umfangreicher labortechnischer Untersuchungen.

  • Das Modell bildet einen Mahlbetrieb im Labor- oder Pilotmaßstab ab. Ein direktes Übertragen des Modells auf Anlagen im industriellen Maßstab ist aber aufgrund auftretender Skaleneffekte nicht möglich.

  • Das Modell ist statisch und bildet den optimalen stabilen Zustand ohne die Berücksichtigung etwaiger dynamischer Einflussgrößen ab. Gerade bei einem frequentierten Wechsel der Produktqualitäten, wie dies bei trockenen Mahlanlagen oftmals der Fall ist, befinden sich diese aber in einem durch herkömmliche Modelle nicht abbildbaren Zustand – eine Optimierung der Mahlparameter unter Berücksichtigung dieser dynamischen Effekte ist somit nicht möglich.

4 Projektbeschreibung

Im Zuge des Entwicklungsprojekts soll ein neuwertiges hybrides Regelkonzept generiert werden, welches aus multiplen daten- und physikalisch-basierten Modellen besteht und auf diese je nach Anforderungsprofil situativ zurückgreift. Damit soll bewirkt werden, dass die Komplexität der Regelung eines Mahlprozesses in ausreichendem Maß berücksichtigt und somit ein energieoptimierter Anlagenbetrieb auch im dynamischen Umfeld bewerkstelligt werden kann.

Beim physikalisch-basierten Modell wird der Ansatz des „Population Balance Model“ verfolgt, welcher das im Mühlenkreislauf befindliche Mahlgut in multiple Klassen unterschiedlicher Partikelgrößen unterteilt. Die für die Abbildung des Mahlprozesses notwendigen Korngrößenverteilungen werden im Prozess an zwei verschiedenen Punkten in unterschiedlicher Frequenz aufgenommen. Es handelt sich hierbei zum einen um die Korngrößenverteilung des Aufgabegutes, zum anderen um die Korngrößenverteilung des Zerkleinerungsproduktes. Durch die Mahlung des Mahlgutes in der Kugelmühle, die kontinuierliche Zugabe von Frischgut und die kontinuierliche Entnahme von Fertiggut aus dem Mahlprozess kommt es hierbei zu einer Veränderung der Korngrößenverteilungen der Materialströme im Prozess. Der Mahlkreislauf setzt sich hierbei aus zwei verschiedenen Teilmodellen zusammen:

  • Dem Sichtermodell, bei welchem auf ein Modell zurückgegriffen wird, welches bereits von Streicher in seiner Arbeit „Beitrag zur Optimierung von Querstrom-Drehkorbsichtern“ beschrieben wurde und mithilfe dessen der Einfluss ausgewählter Stellgrößen auf die (Separations‑)Teilungskurve abgebildet werden kann [1].

  • Dem Mühlenmodell, bei welchem das Zerkleinerungsverhalten über eine „Selection“-Funktion und eine „Breakage“-Funktion beschrieben wird, wobei Matrix die Zerkleinerung einer Partikelgrößenklasse in die entsprechend kleineren Partikelgrößen charakterisiert und die Diagonalmatrix die Wahrscheinlichkeit für die Zerkleinerung dieser Größenklasse pro Zeiteinheit wiedergibt (wird in der Literatur auch mit „Breakage Rate“ bezeichnet). Lösungen für die spezielle Anwendung dieses Modells in einem kontinuierlichen Mahlprozess liefern hierbei Pettersen & Sandvik in ihrem Beitrag „Estimating the Breakage and Selection Function for a Continuous Mill“ im International Journal of Mineral Processing [2].

Im Zuge des Forschungsprojekts wurde bereits ein erstes physikalisch basiertes Modell von einer industriellen Anlage generiert, mithilfe dessen sich statische Betriebszustände gut abbilden lassen. In Abb. 2 wurde der Vergleich ausgewählter Parameter zwischen den Simulationsergebnissen und den tatsächlichen Anlagenmesswerten visualisiert. Wie der Abbildung ebenfalls zu entnehmen ist, bedarf es aber noch weiterer Optimierung, um auch die im Mahlprozess auftretenden dynamischen Effekte einfließen zu lassen.

Abb. 2
figure 2

Vergleich ausgewählter Parameter von simulierten (durchgezogenen Linien) und gemessenen Verläufen (strichlierte Linie)

Bei der datenbasierten Herangehensweise sollen verschiedene Werkzeuge des maschinellen Lernens zum Einsatz kommen. So ist zum einen geplant, über eine intelligente Erfassung des Anlagenbetriebszustands situativ den optimalen Regelalgorithmus für die Optimierung des Anlagenbetriebs auszuwählen.

Ziel ist es hierbei, ein hybrides System zu schaffen, welches mittels automatischer Evaluierung und Selektion der verschiedenen physikalisch, aber auch datenbasierten Modelle die jeweiligen Stärken der einzelnen Modelle nutzt und diese somit optimal zum Einsatz bringt.

Des Weiteren ist geplant, datengetriebene Regelalgorithmen durch die Adaption ausgewählter Methoden des „Deep Reinforcement Learnings“ zu generieren, bei welchem das Trainieren ausgewählter Algorithmen mit stetigen, aber auch kontinuierlichen Aktionsräumen anhand von Betriebsdaten erfolgt. Derzeit werden hierbei verschiedene Ansätze verfolgt, zum einen in Richtung „Offline Reinforcement Learning“, bei welchem das Trainieren der neuronalen Netze anhand von historischen Daten erfolgt, aber auch die Richtung des „Online Reinforcement Learnings“, bei welchen die Optimierung anhand eines zuvor erstellten digitalen Abbildes (digitaler Zwilling) der industriellen Anlage geschieht. Für das bessere Verständnis der verfolgten Ansätze wurden diese in Abb. 3 schematisch visualisiert.

Abb. 3
figure 3

Vergleich der verschiedenen Reinforcement Learning – Architekturen (Abbildung vom Artikel „Offline Reinforcement Learning: How conservative algorithms can enable new applications“ [3])

Beide Herangehensweisen haben gemein, dass das Ziel der angestrebten Regelung bereits vorab im Modellierungsprozess durch die Vorgabe von Rahmenbedingungen und Belohnungsfunktionen definiert werden muss. Einen möglichen Ansatz für die Gestaltung der Rahmenbedingungen und Belohnungsfunktionen in nassen Mahlkreisläufen liefert hierbei L. Guo in seinem Paper „Data-Driven Grinding Control Using Reinforcement Learning“ [3].

Im Zuge des Projekts wurden bisher bereits erste Reinforcement Learning Architekturen generiert, welche nun im Zuge eines großangelegten Versuchslaufs in der hausinternen Versuchsanlage erprobt und weitergehend optimiert werden sollen, bevor sie in einem weiteren Schritt für die Implementierung in der Anlage unseres Industriepartners freigegeben werden.

5 Ausblick

Für die Forschung und Entwicklung wurden strategische Partnerschaften sowohl mit österreichischen technischen Universitäten als auch geförderten Forschungs-einrichtungen abgeschlossen. Für das weitflächige Angebot und die industrielle Ausrollung wird es erforderlich sein, das Produkt schnell und einfach an die konkreten kundenspezifischen Anforderungen skalieren und anpassen zu können.

Für eine dementsprechende Weiterentwicklung des Produkts werden bereits Gespräche mit einem Unternehmen aus der Softwarebranche geführt.

Eine erste kundenspezifische Evaluierung bezüglich des vorliegenden Projekts zeigte reges Interesse an dem beschriebenen Produkt – die erste Erprobung des finalen Regelkonzeptes bei einem Partner in der Zementindustrie ist für Ende 2022 anberaumt.