Der ÖNORM_S_9020 liegt implizit die Vorstellung zugrunde, dass Sprengerschütterungen direkt durch den, bei der Detonation aufgebauten Druck verursacht werden und der Anteil an seismischer Energie umso größer ist, je weniger Energie für die Umwandlung des zu sprengenden Gebirges in ein Hauwerk verbraucht wird. Die in D.2.1 angeführten Vorgaben „Eine Unterladung der Sprenganlage ist unbedingt zu vermeiden“ und „Eine geringe Überladung der Sprenganlage ist zulässig“ entsprechen dieser Vorstellung. Seismische Sprengungen, wie wir sie in Abschn. 2.3 vorgestellt haben, stellen sicherlich das Extremum einer „unterladenen Sprenganlage“ dar. Erhöhte seismische Signale im Vergleich zu Gewinnungssprengungen mit gleicher Lademenge pro Zündstufe konnten aber nicht festgestellt werden. In Abschn. 2.2, bzw. Abb. 2, haben wir die mögliche Bedeutung der Sprengschemata auf die Quellstärke einer Gewinnungssprengung aufgezeigt. Die in der Norm unter D.2.1 gegebene Anweisung „Fächersprengungen, Hebeschüsse oder Vorspaltsprengungen sind nicht zulässig“ könnte als Hinweis auf die Bedeutung der Sprengschemata interpretiert werden. In jedem Fall erscheint eine grundsätzliche Diskussion des Themas sinnvoll. Im Folgenden stellen wir daher die beiden in der Seismologie etablierten Herdmechanismen vor und leiten daraus Quell-Mechanismen für die beiden Fälle „seismische Sprengung“ und „Gewinnungssprengung“ ab. Mathematisch rigorose Darstellungen der Herdmechanismen finden sich in Lehrbüchern der Seismologie [9, 10].
Einzelkraft
Zunächst zeigen wir, wie Einzelkräfte als Quellen seismischer Wellen wirken. Vektorielle Größen bzw. deren Komponenten sind gegenüber Beträgen und anderen skalaren Größen durch den Index „i“ (i = x, y, z) gekennzeichnet. Als einfaches und historisch bedeutsames Beispiel für eine Einzelkraft als seismische Quelle („single force“) betrachten wir die Mintrop-Kugel (Abb. 5). Diese ließ Ludger Mintrop um 1908 bauen, um damit reproduzierbar seismische Wellen anzuregen, die mit den damals modernsten Seismographen gemessen werden konnten [11]. Die Mintrop-Kugel mit einer Masse von M = 4 t kann auch heute noch zur Demonstration in Betrieb genommen werden. Ausgehend von einer Fallhöhe von 14 m nimmt nach dem Ausklinken die Geschwindigkeit vi der Kugel linear mit der Fallzeit t entsprechend vi(t) = gi * t zu, wobei gi die Erdbeschleunigung ist. Der Impuls beträgt Ii(t) = M * vi(t). Mit dem Auftreffen der Kugel auf den Boden wird der Impuls der Mintrop-Kugel über ein kurzes Zeit- bzw. Wegintervall wieder auf null gesetzt. Die über das ganze Experiment auf die Mintrop-Kugel wirkenden Kräfte sind Fi(t) = dIi(t) / dt. Während des freien Falls folgt daraus Fi = M * gi, während des Aufpralls bzw. der Bremsphase Fi = M * bi, wobei bi der Erdbeschleunigung entgegen gerichtet und deren Betrag um ein Vielfaches übertrifft. Entsprechend „actio + reactio = 0“ wirkt auf den Untergrund immer die entgegengesetzte, dem Betrag nach gleich große Reaktionskraft. Dies ist eine Entlastung des Untergrundes über die Träger, um das Gewicht der Kugel während der Fallzeit und eine starke, nach unten gerichtete Kraft während des Aufpralls. Letztere stellt als Einzelkraft den gewünschten, seismischen Herdmechanismus dar.
Fallgewichte, insbesondere zusätzlich beschleunigte, sind in der angewandten Seismik auch heute noch von Bedeutung. Überwiegend in der Kohlenwasserstoff Exploration und unter dem Markenzeichen „Vibroseis“ bringen Vibratoren als seismische Quellen über sogenannte „sweeps“ kontrolliert Kräfte in den Untergrund ein [12]. Der Ausbruch des Mount St. Helens 1980 verursachte einen gigantischen Bergsturz, der weltweit auf seismischen Observatorien registriert wurde. Die Analyse der Daten führte zur Erkenntnis, dass der seismische Herdmechanismus des Bergsturzes der Einzelkraft entspricht [13]. Seither wurden Bergstürze regional und global registriert und als seismische Quellen entsprechend dem Einzelkraft Mechanismus interpretiert [14].
Im ideal elastischen Vollraum gilt für die Verschiebung des Bodens si(t) im Abstand D von der anregenden Kraft Fi folgende Beziehung [9, 10]:
$$\mathrm{s}_{\mathrm{i}}(\mathrm{t})=1/4\mathrm{\pi}*\mathrm{RS}*1/\mathrm{D}*\mathrm{F}_{\mathrm{i}}(\mathrm{t}-\mathrm{D}/\mathrm{v})/\mathrm{M}\& \mathrm{G}$$
(7)
- RS:
-
… Richtcharakteristik einer Einzelkraft als seismische Quelle, unterschiedlich für Longitudinal- und Transversalwellen
- v:
-
… Geschwindigkeit der Longitudinal- oder Transversalwelle
- t – D/v:
-
… retardierte, um die Laufzeit der Welle von der Quelle zum Empfänger verringerte Zeit
- M&G:
-
… M- oder G‑Modul für Longitudinal- oder Transversalwelle
Zur Übertragung von Gl. 7 auf den Halbraum und ein reales Medium müsste diese Beziehung weitreichend modifiziert werden. Für unsere weiteren Überlegungen genügt aber, die Proportionalität si(t) mit Fi(t − D/v) als gegeben anzusehen. Die in die Berechnung der Magnitude eingehende Schwinggeschwindigkeit ui(t) folgt aus der zeitlichen Differentiation von si(t).
Kräftepaar
Kräftepaare („couple“) sind das Standardmodell für die Beschreibung der Herdmechanismen von Erdbeben, Vulkanbeben, unterirdischen Nuklearsprengungen oder auch nur seismischen Sprengungen. Kräftepaare sind dem Betrag nach gleich große, aber entgegen gerichtete Kräfte, die über einen Hebelarm miteinander verbunden sind. Bei Erdbeben steht der Hebelarm senkrecht zu den Kräften, wodurch ein einzelnes Kräftepaar ein Drehmoment bewirkt. Ein zweites Kräftepaar, bei dem die Richtungen von Hebel und Kraftrichtung vertauscht sind, wirkt im entgegengesetzten Drehsinn und kompensiert dadurch das Drehmoment des ersten Kräftepaares („double couple“). Kugelsymmetrisch im Untergrund nach allen Seiten wirkende Drücke, wie sie bei ausreichend tief liegenden Sprengungen entstehen, können durch drei orthogonale Kräftepaare ersetzt werden. Die jeweiligen Hebelarme verbinden die entgegengesetzt wirkenden Kräfte in der Kraftrichtung, sodass kein Drehmoment entsteht. Die Länge des Hebelarms entspricht zunächst dem Durchmesser des Hohlraums, in dem der Sprengstoff oder die Bombe zur Detonation gebracht werden.
Wie für Einzelkräfte liegen auch für Kräftepaare exakte Lösungen zur Beschreibung der Verschiebung si oder der Schwinggeschwindigkeit ui im Vollraum und bei idealer Elastizität vor. Im Folgenden versuchen wir den systematischen Unterschied in der Signalstärke zwischen Kräftepaar und Einzelkraft anhand von Abb. 6 verständlich zu machen. Der Einfachheit halber zeigen wir das nur für Longitudinalwellen. Die aus dem Modell abgeleiteten Erkenntnisse können aber auch auf Transversalwellen übertragen werden.
Abb. 6a zeigt einen Horizontalschnitt durch das Gebirge und ein vertikales Bohrloch. Die radial nach außen wirkenden Drücke können in der Horizontalebene durch zwei orthogonale Kräftepaare ersetzt werden. Diese senden in ihrer Kraftrichtung eine Kompressionswelle ab, in der entgegengesetzten eine gleich starke Dilatationswelle. Abb. 6b entspricht einem Vertikalschnitt durch das in a) gezeigte Bohrloch in der Achse des Kräftepaares Fo–Fw. Wir betrachten die Beträge der Kräfte und Verschiebungen in den jeweils durch Pfeile in Abb. 6a angezeigten Richtungen. Ausgehend vom Rand des Bohrloches tragen wir den zeitlichen Verlauf der abgestrahlten Amplituden in beiden Richtungen über v * t auf, wobei v der Ausbreitungsgeschwindigkeit der seismischen Welle entspricht. Zeitliche Differenzen erscheinen in dieser Darstellungsweise als Differenzen des von der seismischen Welle zurückgelegten Weges.
Da die Amplituden der abgestrahlten Wellen den Kräften zum Zeitpunkt der Entstehung proportional sind, verwenden wir für die entsprechenden Amplituden ebenfalls die Bezeichnung Fo und Fw. Für beide Kräfte und damit auch die Amplituden nehmen wir einen zeitlich linearen Anstieg, beginnend mit Fo(t = 0) = 0 und Fw(t = 0) = 0 an. Im Diagramm (Abb. 6b) erscheinen Fo(t) und Fw(t) als Gerade (rot). In die jeweils entgegengesetzten Richtungen West und Ost senden die Kräfte Fo und Fw Dilatationswellen aus. Diese sind dem Betrag nach gleich stark wie die Kompressionswellen, jedoch in der Darstellung über v * t um den Laufweg h verschoben (blaue Linien „‑Fo“ und „‑Fw“ im Diagramm). Die tatsächlich in beiden Richtungen abgestrahlten Amplituden ergeben sich aus der Superposition der jeweiligen Kompressions- und Dilatationswelle mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit vp zu den Resultierenden Rw und Ro. Wie in Abb. 6b angegeben, kann die Resultierende R(t) (Rw(t) oder Ro(t)) wie folgt berechnet werden:
$$\mathrm{R}(\mathrm{t})=\mathrm{F}(\mathrm{t})-\mathrm{F}(\mathrm{t}-\mathrm{h}/\mathrm{v}_{\mathrm{p}})\sim \mathrm{dF}(\mathrm{t})/\mathrm{dt}*\mathrm{h}/\mathrm{v}_{\mathrm{p}}\sim 2\mathrm{\pi}*\text{fmax}*\mathrm{F}(\mathrm{t})*\mathrm{h}/\mathrm{v}_{\mathrm{p}}$$
(8)
Der Übergang von der Differenz in Gl. 8 zum Differential ist gerechtfertigt, da h um etwa drei Größenordnungen kleiner als die Wellenlänge ist (h ~ 0,1 m, λ ~ 100 m). Die zeitliche Differentiation von F(t) ersetzen wir durch die Multiplikation mit 2π * fmax, wobei nach Abb. 4b fmax ~ 10 Hz beträgt. Im ideal elastischen Vollraum gilt für die Bodenverschiebung si(t) Gl. 7, wenn F durch R und die Richtcharakteristiken für Einzelkräfte durch die Richtcharakteristiken für Kräftepaare ersetzt werden. Es sei auch darauf hingewiesen, dass die Superposition von drei gleich großen, orthogonalen Kräftepaaren ausschließlich Longitudinalwellen mit gleicher Amplitude in allen Raumrichtungen erzeugt. Transversalwellen entstehen in diesem Fall aber bereits bei der Reflexion oder Brechung an der nächstliegenden Grenzfläche.
Gewinnungssprengung
Bei Gewinnungssprengungen erfolgt die Detonation des Sprengstoffs in Bohrlöchern, die zwar nahe der Bruchwand sind, das Gebirge um das Bohrloch herum jedoch als intakt bzw. zusammenhängend angesehen werden kann. Es werden daher die seismischen Wellen zunächst über den Herdmechanismus „Kräftepaar“ erzeugt. Dieser Mechanismus wirkt, solange die Kräfte die Zugfestigkeit des Gebirges nicht überwinden. Wir gehen von einer 25 m hohen Bruchwand und 5 m Seitenabstand zwischen den einzelnen Bohrlöchern aus. Für die Zugfestigkeit des kompakteren Gebirges (Kalk) im Steinbruch Dürnbach nehmen wir 6 MPa an [15]. Demnach erfordert die Ablösung des Gebirges zur Bruchwand hin die Kraft F0 = 25 m * 5 m * 6 MPa = 0,75 GN.
Mit der Überwindung der Zugfestigkeit des Gebirges und seiner Ablösung entlang der Bohrlochreihen geht der seismische Herdmechanismus augenblicklich von Kräftepaar auf Einzelkraft über. Unter der Annahme, dass die von der Detonation ausgelösten Kräfte unmittelbar nach der Rissbildung angenähert gleichbleiben, erhöht sich die seismische Quellstärke der Sprengung bei Transversalwellen entsprechend Gln. 7 und 8 um folgenden Faktor:
$$\mathrm{RS}/\mathrm{RC}/(2\mathrm{\pi}*\text{fmax})*\mathrm{v}_{\mathrm{s}}/\mathrm{h}=\mathrm{RS}/\mathrm{RC}/(2\mathrm{\pi}*10\,\mathrm{Hz})*1200\mathrm{m}/\mathrm{s}/0,1\mathrm{m}\sim 10^{2}.$$
(9)
RS/RC berücksichtigt das Verhältnis der Richtcharakteristiken für Einzelkräfte (RS) und Kräftepaare (RC), unterschiedlich für Longitudinal- und Transversalwellen. Die in Gl. 9 angegebenen Werte für fmax, v und h entsprechen annähernd den Gegebenheiten im Steinbruch Dürnbach. Die Abschätzung in Gl. 9 zeigt, dass die Phase, in der eine Gewinnungssprengung als seismische Sprengung bzw. über den Herdmechanismus „Kräftepaar“ wirkt, für die Generierung seismischer Energie vernachlässigt werden kann.
Wir analysieren daher den weiteren Verlauf einer Gewinnungssprengung analog zur Wirkungsweise der Mintrop-Kugel als seismische Quelle. Hierbei steht die zeitliche Entwicklung des Impulses der gesprengten Gesteinsmasse im Vordergrund. Die Bildfolge in Abb. 7a zeigt vier Phasen oder Situationen einer Gewinnungssprengung. Die Bilder entstanden bei der Sprengung im Steinbruch Dürnbach am 19. Mai 2016, die Schüler im Rahmen des Sparkling Science Projektes Schools & Quakes [16] miterleben konnten. Den Bildern zeitlich zugeordnet sind in Abb. 7b Stadien eines 2D-Modells, das auf Basis der Fallgesetze die Entwicklung der Bewegung und Ablagerung der Bruchmasse beschreibt. Die Parameter des Modells entsprechen dem Sprengschema E25m. Eine Beschreibung dieses Modells findet sich in Abschn. 5. ANHANG. Die zeitliche Entwicklung des Impulses I(t) und deren Zuordnung zu den vier Phasen ist in einem Diagramm in Abb. 7c dargestellt. Die angesprochenen vier Phasen bzw. Situationen können wie folgt beschrieben werden:
-
1.
Detonation, Abtrennung von der Bruchwand und Beschleunigung der Abschlagsmasse pro Zündstufe M auf die Geschwindigkeit v1 innerhalb von Millisekunden. Der Impuls erreicht I1 = M * v1. Die Vertikalkomponente des Impulses ist nach oben gerichtet. Als mittlere Geschwindigkeit wurde für die Modellierung v1 = 4 m/s gewählt.
-
2.
Die einzelnen Gesteinsblöcke der Abschlagsmasse folgen einer Wurfparabel. Der gesamte Impuls nimmt zunächst ab, da sich die Vertikalkomponente der Geschwindigkeit entsprechend den Fallgesetzen verringert und nach ~ 0,2 s umkehrt. Mit steigender Fallgeschwindigkeit nimmt der Impuls wieder zu. Die Phase des freien Falls endet bei ~ 0,6 s. Ab diesem Zeitpunkt kommt es bereits zu nennenswerten Ablagerungen an der Basis der Bruchmasse.
-
3.
Die lineare Erhöhung der Fallgeschwindigkeit mit der Zeit und die progressive Zunahme von Aufprall und Ablagerung des Hauwerks auf der darunterliegenden Etage hat einen gegenläufigen Einfluss auf den Impuls, wobei der letztere ab ~ 1 s die Oberhand gewinnt. Zwischen 1,1 s (3a) und 1,7 s (3b) nimmt der Impuls etwa um den gleichen Betrag ab, den er mit I1 in Phase 1 durch die Detonation gewonnen hat. Im Gegensatz zur Mintrop-Kugel, deren durch den freien Fall gewonnener Impuls beim Aufschlag innerhalb weniger ms auf null gesetzt wird, erstreckt sich der Aufprall der Masse des gesprengten Hauwerks über ein Zeitintervall von ~ 1 s.
-
4.
Nach ~ 2 s endet die Ablagerung des Hauwerks auf der unteren Etage. Die steile Front des Abschlags verflacht auf eine stabile Neigung von angenommenen 33°.
Zunächst haben wir nur die zeitliche Entwicklung des Impulses I(t) analysiert. Wie aus Gl. 7 ersichtlich und in Abb. 5 veranschaulicht, ist für die Quellstärke die Kraft F maßgebend, wobei Fi = dIi/dt exakt und F ~ dI/dt ~ ΔI/Δt näherungsweise gilt, solange Ii im Zeitintervall Δt die Richtung annähernd beibehält. Die in Phase 1 wirkende Kraft hat demnach den Betrag F1 ~ M * v1 / Δt1, wobei wir Δt1 ~ 0,01 s annehmen. Da der Betrag von ΔI in Phase 3 gleich groß ist wie in Phase 1, gilt für die Kraft in Phase 3 F3 ~ F1 * Δt1 / Δt3. Mit Δt3 ~ 1 s beträgt F3 somit nur ~ 1 % von F1. Entgegen dem optischen Eindruck, den eine Sprengung vermitteln könnte, liefert der über ein Zeitintervall von ~ 1 s verteilte Aufprall des Hauwerks keinen signifikanten Beitrag zur Quellstärke einer Gewinnungssprengung. Im Gegensatz zur Mintrop-Kugel, bei der der Quellmechanismus wenig merkbar mit dem Ausklinken der Masse beginnt und erst mit deren Aufprall am Boden als der eigentlichen seismischen Quelle endet, wird bei einer Gewinnungssprengung zu Beginn des Sprengvorgangs die einer Zündstufe entsprechende Gesteinsmasse durch die Detonation nahezu momentan zur unteren Etage hin abgeschossen. Der dabei auftretende Rückstoß bildet den seismischen Quellmechanismus.
Grundsätzlich könnte v1 messtechnisch, z. B. durch zeitlich hochauflösende Photogrammetrie, erfasst werden. Da derartige Daten zur Zeit nicht vorliegen, gelangen wir zu einer Abschätzung von v1 über die Modellierung der Form der Ablagerung des Hauwerks. Für das Sprengschema E25m führte v1 = 4 m/s zu einer den Erfahrungen entsprechenden, durchschnittlichen Form der Ablagerung (siehe Abb. 7b, Laufzeit 2,3 s). In Abb. 8 sind die finalen Ablagerungsformen des Bruchmaterials für das Sprengschema E12.5m dargestellt. Hierbei wurde v1 von 1 bis 9 m/s variiert. Ab etwa v1 = 3 m/s hat v1 einen deutlichen Einfluss auf Form und Ausdehnung der Ablagerung. Darunter nähert sich die Ablagerung der Form einer Schutthalde, die bei erosionsbedingter Ablagerung entsprechend v1 = 0 m/s entstehen würde. Die Ablagerungsform für v1 = 5 m/s entspricht am ehesten den bisherigen Beobachtungen.
Die Geometrie der Sprenganlage und die Form der Ablagerung des Bruchmaterials ist bei Fächersprengungen wesentlich unregelmäßiger als bei Sprengungen mit steiler Bruchwand. Dies betrifft besonders die Vorgabe, welche der Überlagerung über den annähernd horizontalen Sprengbohrlöchern entspricht. Aus den vorliegenden Daten schätzen wir 5 m für die mittlere Vorgabe. Die Auflockerung der Bruchmasse durch den Sprengvorgang um den Faktor 1,3 bedingt eine Hebung des Schwerpunktes um 0,75 m. Mit v1 = 3,8 m/s, vertikal nach oben gerichtet wird diese Hebung erreicht.
Der Impuls, den die Abschlagsmasse in Phase 1 mit I1 = M * v1 erlangt, kann somit als eine durch Beobachtung und Modellierung erfassbare Größe angesehen werden. Nach Gl. 7 wäre aber die Kraft Fi = dIi/dt, bzw. F1 ~ I1 / Δt1 für die seismische Quellstärke maßgeblich. Solange jedoch 1/Δt1 deutlich größer als die Frequenz des registrierten seismischen Signals ist, bestimmt F1 * Δt1 und damit I1 die Quellstärke. Entspricht der zeitliche Verlauf der Kraft einer Rechteck-Funktion, folgt das zugehörige Frequenzspektrum der Sinc-Funktion.
Abb. 9a zeigt Rechteck-Funktionen der Kraft F1 für Δt1 = 4 ms, 8 ms, 16 ms und 32 ms, wobei F1 * Δt1 = I1 = const gilt. In Abb. 9b sind diese Rechteck-Funktionen so dargestellt, wie sie ein Macroseismic Sensor (MSS) aufzeichnen würde. Der MSS modifiziert das Frequenzspektrum des Signals wie folgt: Differentiation als Übergang von Bodenverschiebung auf Schwinggeschwindigkeit, 2‑poliger 4,5 Hz Hochpass entsprechend dem kritisch gedämpftem 4,5 Hz Geophon und 1‑poliger elektronischer 12,5 Hz Tiefpass. Die Spitze-Spitze Amplitude des MSS-Signals verringert sich beim Übergang von der 4 ms zu den 8 ms, 16 ms und 32 ms Quellfunktionen auf 97 %, 86 % und 54 %. Dieses Ergebnis legt nahe, dass die Dauer der Beschleunigungsphase keinen signifikanten Einfluss auf die Quellstärke hat, solange diese unter ~ 16 ms liegt.
Am Rande sei erwähnt, dass entsprechend der Sinc-Funktion das seismische Signal von Phase 3 im Frequenzbereich unter 0,1 Hz annähernd die gleiche Amplitude hat, wie jenes in Phase 1. Allerdings würde man für die Registrierung ein Breitband-Seismometer brauchen und die Signale der beiden Phasen würden sich bei diesen Perioden (≥ 10 s) untrennbar überlagern.
In Tab. 3 sind Wege, Beschleunigungen und Trägheitskräfte in Abhängigkeit von Δt1 für das Sprengschema E25m (mittlere Abschlagsmasse = 856 t, v1 = 4 m/s) zusammengestellt. Die Trägheitskräfte F1 stehen im Einklang mit der zuvor getroffenen Annahme, dass die von der Detonation ausgelösten Kräfte unmittelbar nach dem Übergang vom Kräftepaar- zum Einzelkraft-Mechanismus im Bereich jener liegen, die zur Überwindung der Zugfestigkeit des Gebirges und der Abtrennung des Bruchmaterials erforderlich waren (F0 = 0,75 GN).
TABELLE 3 Wege s1, Beschleunigungen b1 und Trägheitskräfte F1 in Abhängigkeit von Δt1 für das Sprengschema E25m (mittlere Abschlagsmasse = 856 t, v1 = 4 m/s)