Zusammenfassung
Arbeits- und Gesundheitsschutz hat in allen Bereichen höchste Priorität. Um Maßnahmen zur Unfallvermeidung stetig zu verbessern, müssen diese ständig anhand des tatsächlichen Unfallgeschehens analysiert und evaluiert werden. Die wichtigsten Ansatzpunkte einer aktiven und wirksamen Unfallprävention können in einem ersten Schritt durch eine Auswertung von statistischen Unfallzahlen identifiziert werden.
In diesem Artikel werden die Grundlagen der Methodik der Europäischen Statistik über Arbeitsunfälle (ESAW) dargelegt und Datensätze der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) zur statistischen Darstellung des Unfallgeschehens im österreichischen Berg- und Tunnelbau herangezogen.
Das daraus generierte Unfallspektrum wird für den Bergbau mit den Daten aus den Montanhandbüchern verglichen. Zudem werden die Daten des Berg- und Tunnelbaus gegenübergestellt. Es zeigt sich, dass aus den zusammengefassten Daten der statistischen Unfallzahlen kein signifikanter Zuwachs an Wissen über Unfallursachen gewonnen werden kann. Die meisten Unfälle betreffen die oberen und unteren Extremitäten und werden durch Verlust der Kontrolle über Arbeitsmittel, Sturz/Absturz von Personen und Bewegung des Körpers ohne und mit körperlicher Belastung verursacht.
Der Fokus wird daher darauf gelegt, wie die Datensätze und die Variablen für statistische Auswertungen handzuhaben und zu filtern sind. Es wird diskutiert, welche Möglichkeiten und Probleme sich aus der Zuordnung von Unfällen zu Wirtschaftsklassen ergeben. Als Alternative wird untersucht, ob die Codierung der ESAW genutzt werden kann, um Unfälle nach bestimmten Arbeitsumgebungen zu filtern und den Bereichen „über Tage“ und „unter Tage“ zuzuordnen. Dabei ergeben sich keine eindeutigen Ergebnisse der Korrelation zwischen den Wirtschaftsklassen des Berg- und Tunnelbaus und den Arbeitsumgebungen.
Letztendlich können konkrete Maßnahmen nur dann gesetzt werden, wenn der genaue Unfallhergang mit all den beteiligten Faktoren, Gegenständen, Ursachen und Kausalitäten bekannt ist.
Abstract
Occupational health and safety has the highest priority in all areas. In order to continuously improve accident prevention and mitigation measures, they have to be analysed and evaluated regularly on the basis of the actual occurring accidents. The most important starting points for an active and effective accident prevention can be identified in a first step by analysing statistical accident figures.
This article presents the basics of the methodology of the European Statistics on Accidents at Work (ESAW). Data sets from the Austrian General Accident Insurance Institution (Allgemeine Unfallversicherungsanstalt – AUVA) are used to present a statistical overview of the accident situation in the Austrian mining and tunnelling industry.
The resulting figures for the mining industry are compared with the data from the Austrian “Montanhandbücher”. In addition, data from mining and tunnelling are compared among each other. It appears that the aggregated data of the statistical accident figures do not allow a significant increase of knowledge on the causes of accidents. The majority of accidents involve the upper and lower extremities and are caused by loss of control over work equipment, falling/tripping of people, and movement of the body without and with physical exertion.
Hence the focus is on how the data sets and variables are to be handled and filtered for statistical analyses. The possibilities and predicaments arising from the classification of accidents into their respective economic classes are discussed. As an alternative, it is investigated whether the ESAW coding can be used to filter accidents by specific working environments and to assign them to “surface mining” and “underground” working areas. There are no clear results of the correlation between the economic classes for mining and tunnelling and the respective working environments.
Eventually, tangible measures can only be taken if the specific event of the accident, including all the various factors, objects, causes, and causalities, is known.
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1 Einleitung
Arbeiten im Berg- und Tunnelbau sind mit vielen Gefahren verbunden. So gibt es neben allgemeinen Gefahren, wie sie auf jeder Baustelle auftreten, auch eine Reihe von spezifischen Gefährdungen bei Arbeiten im Steinbruch und unter Tage. Diese allgemeinen und spezifischen Gefahren führen dazu, dass alle in diesen Arbeitsbereichen tätigen Personen einem erhöhten Unfall- und Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind [1]. Es sind daher spezifische Anforderungen an Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz zu stellen [2]. In Ländern, in denen nationale Statistiken existieren, liegt der Bergbausektor unter den Spitzenreitern mit den höchsten Werten tödlicher Arbeitsunfälle und gemeldeter Berufskrankheiten [3]. Bedingt durch ein hohes Maß an Unsicherheit über die Art und die sich ändernden Eigenschaften der Gesteinsmassen und die Tatsache, dass Arbeiten oft unter Zeit- und Leistungsdruck auf engstem Raum ausgeführt werden müssen, kommt es auch im Tunnelbau zu einer erhöhten Unfallhäufigkeit [4].
Der Schutz von Leben und Gesundheit der ArbeitnehmerInnen ist in jedem Tätigkeitsbereich von höchster Priorität. Dementsprechend ist die Evaluierung von arbeitsplatzspezifischen Gefährdungen sowie eine aktive Präventionsarbeit zur Unfallvermeidung ein wesentlicher Faktor, um das Sicherheitsniveau in einem Betrieb zu erhöhen. Durch die systematische Analyse von erfassten Unfalldaten besteht die Möglichkeit, Rückschlüsse auf Gefahren- und Unfallpotentiale zu ziehen. Damit können Maßnahmen entsprechend der Grundsätze zur Gefahrenverhütung [5] gesetzt werden, um zukünftigen Unfällen entgegenzuwirken.
Durch die Darstellung großer Datenmengen in Zahlen, Tabellen und Diagrammen wird ein Überblick über das Gesamtgeschehen gewonnen. Dazu werden teils komplexe Unfallvorgänge zu vergleich- und bewertbaren Variablen und Kennzahlen umgewandelt. Dies birgt jedoch die Gefahr, dass wichtige Zusammenhänge und Verknüpfungen verloren gehen. Um diese Verknüpfungen und Kausalitäten so gut wie möglich aufrechtzuerhalten, ist es notwendig, eine sorgfältig durchdachte Datenbank zu erstellen und zu führen.
Dieser Artikel entstand im Rahmen der Forschungsarbeit „Analyse des Unfallgeschehens im Berg- und Tunnelbau in Österreich 2000–2020“ mit dem Ziel, die Ergebnisse in die Ausbildung an der Montanuniversität Leoben einfließen zu lassen. Am Lehrstuhl für Bergbaukunde, Bergtechnik und Bergwirtschaft sind die Themen „Sicheres Arbeiten im Bergbau“ und „Sicherheit von Bergbaumaschinen“ ein wesentlicher Inhalt von Forschung und Lehre. Dazu ist es notwendig aus dem betrieblichen Unfallgeschehen die notwendigen Schlüsse zu ziehen, um bereits in der Ausbildung der zukünftigen Führungskräfte Aspekte der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes zu beleuchten und Strategien und Techniken zur Vermeidung von Unfällen zu entwickeln.
Es zeigt sich, dass neben den Zahlen der Unfallstatistik zusätzlich eine anonymisierte Beschreibung des Unfallherganges zum Verständnis der Ursachen notwendig ist. In den Montanhandbüchern des österreichischen Bergbaus sind diese Unfallberichte ab der Ausgabe des Jahres 2000 gänzlich weggefallen (vgl. [6]) und nur mehr eine rein statistische Darstellung vorhanden. Die Daten für diese Unfallstatistiken müssen von den Bergbauberechtigten jährlich an das zuständige Bundesministerium übermittelt werden [7].
Die Datenbank der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) bietet eine weitere Quelle für statistische Unfallzahlen. Die Brancheneinteilung erfolgt nach der ÖNACE 2008 (nationale Systematik der Wirtschaftszweige, abgeleitet von der NACE Rev. 2 [8]) und daher ist es möglich, aus dieser Datenbank die Unfallzahlen der Wirtschaftsklassen „Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden“ und „Brücken- und Tunnelbau“ abzurufen.
2 Europäische Statistik über Arbeitsunfälle (ESAW)
Gemäß den EU-Verordnungen Nr. 1338/2008 zu Gemeinschaftsstatistiken über öffentliche Gesundheit und über Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz [9] und Nr. 349/2011 über deren Durchführung [10] müssen Daten für statistische Auswertungen von Arbeitsunfällen gesammelt und jährlich von den Ländern an die europäische Kommission übermittelt werden [11]. Dazu wurde die zusammenfassende Methodik der Europäischen Statistik über Arbeitsunfälle (ESAW) veröffentlicht, welche festlegt, wie die Variablen für Arbeitsunfälle erfasst und codiert werden müssen (Tab. 1).
Variablen im Sinne der Statistik sind von Kennzahlen zu differenzieren. Eine Kennzahl ist eine Zusammenfassung von quantitativen Informationen für den inner- und zwischenbetrieblichen Vergleich [12]. Eine Variable stellt in der Statistik die Zuordnung einer Eigenschaft des Unfalles zu einer Kategorie dar. Informationen, die einem einzelnen Unfallgeschehen innewohnen, werden aufgeteilt und als Variablen verschiedenen Kategorien zugeordnet. So wird beispielsweise bei einer Handverletzung dieser Unfall im Bereich „betroffener Körperteil“ der Variable „obere Extremitäten“ zugeordnet. Bei der Betrachtung der betroffenen Körperteile wird dieser Unfall nun durch einen Zählpunkt in der Variable „obere Extremitäten“ repräsentiert.
Mit dieser einheitlichen Codierung ist es möglich, Daten für spezifische Analysen oder Vergleiche herauszufiltern und darüber hinaus innerhalb der Europäischen Union (EU) Vergleiche anzustellen. Das statistische Amt der Europäischen Union stellt dafür Datenbanken und Statistiken bereit [13].
Die nach diesem Schema in der Datenbank der EU erfassten Unfallvariablen reichen nur bis 2013 zurück [10]. Die Datenerhebung erfolgt durch Verwaltungsquellen und wird durch andere relevante Quellen ergänzt [9]. In Österreich werden die Unfalldaten von den Unfallversicherungsträgern erfasst und von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) verarbeitet. Diese Daten können gefiltert und ausgewertet werden.
Für die Klassifizierung der Wirtschaftsklassen nach der ÖNACE 2008 ist zu berücksichtigen, dass diese nach der wirtschaftlichen Haupttätigkeit des Unternehmens erfolgt [8]. Eventuelle Nebentätigkeiten (z. B. ein Bauunternehmen hat eine Tunnelbau-Abteilung oder bezieht Rohstoffe aus seinem eigenen Bergbau) werden nicht berücksichtigt. Die Zuordnung von Unternehmen zu Wirtschaftsklassen erfolgt zwischen dem jeweiligen Unternehmen und der Bundesanstalt „Statistik Austria“ und ist nicht öffentlich zugänglich [14].
Einheitliche Daten der Variablen nach ESAW (inklusive Ursachen und Begleitumstände – Phase III) und der Wirtschaftsklassifikation (ÖNACE 2008) liegen durch die statistische Erfassung von Unfallmeldungen der AUVA schon ab 2010 vorFootnote 1.
In den nachfolgenden Abschnitten werden die Daten der AUVA für die Wirtschaftsklassen „Bergbau“ (ÖNACE 2008 Code: „Abschnitt B – Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden“) und „Tunnelbau“ (ÖNACE 2008 Code: „4213‑2 Tunnelbau“) dargestellt. In Tab. 2 sind die Zahlen der Arbeitsunfälle in diesen Bereichen von 2010 bis 2019 zusammengefasst.
Die Variablen der Phase III (Tab. 3) erfassen im weiteren Sinne die Begleitumstände und beteiligten Gegenstände des Unfalls.
Für die Ursachenforschung aus diesen statistischen Variablen empfiehlt es sich, die Variable „Abweichung“ heranzuziehen. Die Abweichung ist definiert als: „Das letzte vom normalen Ablauf abweichende Ereignis, das zum Unfall führte“ [11]. Der mit dieser Abweichung verbundene Gegenstand ist definiert als: „Das Werkzeug, das Objekt oder das Agens, das mit der Anormalität des Vorgangs zusammenhängt.“ [11], also der Gegenstand, welcher den Unfall verursachte.
Weiters können die Variablen „Betroffener Körperteil“ und „Art der Verletzung“ betrachtet werden, um Körperregionen zu identifizieren, die verstärkt vor einer besonderen Verletzungsart zu schützen sind (z. B. untere Extremitäten: Dislokationen, Verstauchungen und Zerrungen).
3 Bergbau
Für den österreichischen Bergbau zeichnen die bereits über einen langen Zeitraum stattfindenden statistischen Erhebungen der Abteilungen für Mineralrohstoffpolitik, sowie Bergbautechnik und Sicherheit des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLRT) ein deutliches Bild des Unfallgeschehens. Diese Daten werden jährlich im österreichischen Montanhandbuch veröffentlicht. Die Montanhandbücher, ausgewählte statistische Auswertungen und detaillierte Jahresgegenüberstellungen können für den jüngeren Zeitraum digital auf der Website des BMLRT abgerufen werden [15,16,17].
Nachdem jede Gewinnung von mineralischen Rohstoffen in Österreich dem Mineralrohstoffgesetz unterliegt [7], kann davon ausgegangen werden, dass die erhobenen Daten die Gesamtheit der Unfälle im österreichischen Bergbau erfassen.
Erhebungen und Auswertungen der Daten wurden durch die Behörde ständig dem technischen Fortschritt und den sich wandelnden Bedürfnissen im Bergbau angepasst. Aufzeichnungen über Unfallursachen, eingeteilt in Art des Rohstoffes und der Abbaustätte (Untertagebergbau, Tagebau und mehr) gibt es seit dem Jahre 1952 in unterschiedlicher Ausprägung. In den Jahrgängen ab 2005 – das bedeutet für die Unfälle ab dem Jahre 2004 – finden sich detaillierte Auswertungen über die betroffenen Körperteile.
Bei Betrachtung des Zeitraumes 2004–2019 ergeben sich folgende Unfallursachen und verletzte Körperteile:
-
Arbeitsmittel (Gezähe, Geräte, Werkzeuge, Maschinen, Apparate, abspringende Splitter) machten 47,1 % des Gesamtunfallgeschehens aus. Gemeinsam mit „anderen Ursachen“ waren sie mit genau 75 % am Unfallgeschehen beteiligt und verursachten damit ¾ aller Unfälle im Bergbau.
-
Hand und Handgelenk stellen mit 33,8 % die am häufigsten verletzten Körperteile dar. Alle oberen und unteren Extremitäten (Hand und Handgelenk, Fuß und Fußgelenk, Arme und Beine) waren mit 70,8 % am Unfallgeschehen beteiligt.
-
Mit 9,5 % treten Kopfverletzungen häufiger auf als Verletzungen der Arme (7,2 %).
Es zeigt sich, dass das größte Verbesserungspotential bei der Handhabung von Arbeitsmitteln und im Schutz der Hände und Handgelenke liegt. Zudem ist eine weitere Spezifizierung der „anderen Ursachen“ zielführend, da aktuell rund 25 % der Unfälle keiner genaueren Unfallursache zugeordnet werden können.
In Abb. 1 ist die Verteilung der Unfallursachen in den einzelnen Abbaustätten dargestellt und Abb. 2 zeigt die verletzten Körperteile über den Zeitraum 2004 bis 2019.
Unfallursachen in den Abbaustätten des Zeitraums 2004–2019 (Daten aus [6])
Verletzte Körperteile des Zeitraums 2004–2019 (Daten aus [6])
Für eine alleinige Betrachtung des österreichischen Bergbaus eignen sich die Zahlen der Montanhandbücher. Um die Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Branchen oder auf internationaler Ebene zu ermöglichen, erweist es sich jedoch zielführender, die einheitliche ESAW Methodik heranzuziehen.
In der Wirtschaftsklassifikation der ÖNACE 2008 werden sämtliche Unternehmen mit bergbaulicher Haupttätigkeit dem „Abschnitt B – Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden“ zugeordnet. (Fig. 3).
4‑stellige Einteilung der Wirtschaftsklassen nach ÖNACE 2008 [8] – Bergbau
Hierbei ist die zuvor diskutierte Problematik der Wirtschaftsklassen zu beachten – zahlreiche Unfälle, die sich im Bergbau ereignen, werden nicht dieser Wirtschaftsklasse zugeteilt. Sie befinden sich in den Statistiken anderer Wirtschaftsklassen, deren Unternehmen Bergbau möglicherweise nur als Nebentätigkeit betreiben (beispielsweise „Abschnitt C – 23.00 Herstellung von Glas und Glaswaren, Keramik, Verarbeitung von Steinen und Erden“).
Die Darstellungen und nachfolgenden Zahlen beziehen sich lediglich auf die Wirtschaftsklasse „08 Gewinnung von Steinen und Erden, sonstiger Bergbau“, da von den 1587 Unfällen des „Abschnitts B“ der Großteil (1513 Unfälle) auf diesen fällt.
Die Analyse aller Arbeitsunfälle von Unternehmen mit der wirtschaftlichen Haupttätigkeit „Gewinnung von Steinen und Erden“ führte zu den häufigsten Abweichungen „Verlust der Kontrolle über eine Maschine, Transportmittel, Fördermittel, Handwerkzeug“ (34,2 %), „Sturz, Absturz von Personen“ (24,9 %) und „Bewegung des Körpers ohne/mit körperlicher Belastung“ (15,4 %/13,7 %). (Abb. 4).
Variable „Abweichung“ der Wirtschaftsklasse Bergbau des Zeitraums 2010–2019 (Daten aus [18])
Die häufigsten Gegenstände der Abweichung befanden sich in den Gruppen „Materialien, Gegenstände, Erzeugnisse, Bestandteile von Maschinen oder Fahrzeugen“ (27,9 %) und „Gebäude, Arbeitsbereiche auf ebenem Niveau“ (17,8 %). (Abb. 5) .
Variable „Gegenstand der Abweichung“ der Wirtschaftsklasse Bergbau des Zeitraums 2010–2019 (Daten aus [18])
Das Klassifizierungssystem der AUVA unterteilt die Gegenstände bis zu einer 3. Ebene, wodurch „rutschiger Boden“ (5,6 %), „Arbeits- oder Verkehrsbereich allgemein“ (5,5 %), „sonstiger Teil von Maschine oder Fahrzeug“ (5,4 %), „Stein“ (5,2 %), „Bagger, Radlader“ (5,4 %) und „LKW“ (4,7 %) als besonders häufig am Unfallgeschehen beteiligte Gegenstände identifiziert wurden.
Die am häufigsten verletzten Körperteile waren mit 78,5 % die „oberen und unteren Extremitäten“ (Hände, Arme, Füße und Beine). Den höchsten Anteil der Verletzungsart stellten „Wunden und oberflächliche Verletzungen“ (48,8 %), gefolgt von „Frakturen“ (20,4 %) und „Dislokationen, Verstauchungen und Zerrungen“ (19,8 %) dar. (Abb. 6).
Die Variablen „betroffener Körperteil“ und „Art der Verletzung“ der Wirtschaftsklasse Bergbau des Zeitraums 2010–2019 (Daten aus [18])
Der Vergleich mit den Daten der Montanhandbücher zeigt weitgehende Übereinstimmungen zwischen den verletzen Körperteilen. Die „oberen und unteren Extremitäten“ hatten einen Anteil von 71 % bzw. 78,5 % und der Kopf war mit 9 % bzw. 10,3 % betroffen.
Um die Unfallursachen miteinander vergleichen zu können, ist eine einheitlichere Klassifizierung erforderlich. Es liegt die Vermutung nahe, dass sich die Unfallursachen des Sturzes oder der Bewegung im Montanhandbuch zum großen Teil in den dort vorhandenen Kategorien „Personenbeförderung“ und „andere Ursachen“ verbergen.
4 Tunnelbau
Während Bergbau in einem eigenen Abschnitt zu finden ist, verbirgt sich der Tunnelbau gemeinsam mit dem Brückenbau in der seit 2008 gültigen ÖNACE 2008 in einer Klasse des „Abschnitts F – Baugewerbe/Bau“ (Abb. 7).
4‑stellige Einteilung der Wirtschaftsklassen nach ÖNACE 2008 [8] – Tunnelbau
Auch hier tritt durch die Klassifizierung nach wirtschaftlicher Haupttätigkeit der Fall ein, dass nicht alle Unfälle, die tatsächlich im Tunnelbau stattfanden, in dieser Datenauswahl repräsentiert sind. Bauunternehmen, die Tunnelbauprojekte lediglich in ihrer Nebentätigkeit ausführen, speisen ihre Tunnelbau-Unfälle beispielsweise in „41.20 Bau von Gebäuden“ ein.
Die ÖNACE 2008 unterteilt die 4‑stellige Klassifizierung der Klasse „42.13 Brücken- und Tunnelbau“ der NACE Rev. 2 noch weiter in die Unterklassen „42.13-1 Brücken- und Hochstraßenbau“ und „42.13-2 Tunnelbau“ [8]. Dadurch lassen sich die Unfallzahlen von Unternehmen mit der wirtschaftlichen Haupttätigkeit Tunnelbau separat aus der Datenbank herausfiltern. Auf diese Daten beziehen sich die nachfolgenden Zahlen und Darstellungen.
Die Analyse aller Arbeitsunfälle von Unternehmen mit der wirtschaftlichen Haupttätigkeit Tunnelbau führte zu den häufigsten Abweichungen „Verlust der Kontrolle über eine Maschine, Transportmittel, Fördermittel, Handwerkzeug“ (32,4 %), „Sturz, Absturz von Personen“ (22,6 %), „Bewegung des Körpers ohne/mit körperlicher Belastung“ (16,9 %/12,9 %) und „Reißen, Brechen, Rutschen, Fallen, Zusammenstürzen von Gegenständen“ (11,9 %) (Abb. 8).
Variable „Abweichung“ der Wirtschaftsunterklasse Tunnelbau des Zeitraums 2010–2019 (Daten aus [18])
Die häufigsten Gegenstände der Abweichung befanden sich in den Gruppen „Materialien, Gegenstände, Erzeugnisse, Bestandteile von Maschinen oder Fahrzeugen“ (33,0 %) und „Gebäude, Arbeitsbereiche auf ebenem Niveau“ (19,2 %) (Abb. 9).
Variable „Gegenstand der Abweichung“ der Wirtschaftsunterklasse Tunnelbau des Zeitraums 2010–2019 (Daten aus [18])
Das Klassifizierungssystem der AUVA unterteilt die Gegenstände bis zu einer 3. Ebene, wodurch „größeres Baumaterial“ (8,8 %), „Arbeits- oder Verkehrsbereich allgemein“ (6,4 %), „sonstiges Baumaterial“ (5,4 %), „Stein“ (5,3 %), „rutschiger Boden“ (4,1 %), „Hammer, Steinschlägel“ (4,0 %) als besonders häufig am Unfallgeschehen beteiligte Gegenstände identifiziert wurden.
Die am häufigsten verletzten Körperteile waren mit 76,2 % die „oberen und unteren Extremitäten“ (Hände, Arme, Füße und Beine). Den höchsten Anteil der Verletzungsart stellten „Wunden und oberflächliche Verletzungen“ (52,3 %), gefolgt von „Dislokationen, Verstauchungen und Zerrungen“ (19,5 %) und „Frakturen“ (16,5 %) dar (Abb. 10).
Die Variablen „betroffener Körperteil“ und „Art der Verletzung“ der Wirtschaftsunterklasse Tunnelbau des Zeitraums 2010–2019 (Daten aus [18])
Für den Tunnelbau gibt es bis dato in Österreich keine anderen offiziellen Datenquellen, mit denen diese Zahlen verglichen werden können.
5 Gegenüberstellung Berg- und Tunnelbau
Aufgrund der Ähnlichkeit der Tätigkeiten im Berg- und Tunnelbau – der Arbeit mit und in Gebirgsmassen – wurden die Zahlen des Tunnelbaus jenen des Bergbaus gegenübergestellt.
Während die häufigsten Abweichungsgruppen dieselben waren, zeigten sich im Detail bei den beteiligten Gegenständen der Abweichung Unterschiede. (In den Tab. 4 und 5 wurden Werte mit einer anteiligen Abweichung von mehr als 30 % kursiv dargestellt).
Diese Unterschiede liegen in der Natur der Tätigkeiten des Berg- und Tunnelbaus. Der Bergbau widmet sich dem Abbau von Rohstoffen über und unter Tage, während unter Tunnelbau eine Baustelle unter Tage zur Errichtung eines unterirdischen Hohlraumes (Tunnel, Stollen, Schächte, etc.) verstanden wird. Daher ist es wenig überraschend, dass im Tunnelbau „größeres Baumaterial“ und „sonstiges Baumaterial“ häufig am Unfallgeschehen beteiligt waren. Im Vergleich zum Bergbau waren im Tunnelbau konkrete Maschinen (Bagger, Radlader, LKW) seltener vertreten. Hierzu sind in Tab. 6 einige detaillierte Gegenstände der 3. Ebene im Vergleich aufgelistet und in Abb. 11 anteilig am Unfallgeschehen im Berg- und Tunnelbau dargestellt.
Ausgewählte, detaillierte Gegenstände der Abweichung mit ihren Anteilen am Gesamtunfallgeschehen im Berg- und Tunnelbau (Daten aus [18])
Bezüglich der betroffenen Körperteile und der Verletzungsart lassen sich beinahe keine Unterschiede feststellen. „Obere und untere Extremitäten“ machen im Bergbau 78,5 % und im Tunnelbau 76,2 % aus (Tab. 7).
„Wunden und oberflächliche Verletzungen“ sind die häufigste Verletzungsart, gefolgt von „Frakturen“ und „Dislokationen, Verstauchungen und Zerrungen“. Diese drei Verletzungsarten machen im Bergbau 89,0 % und im Tunnelbau 88,4 % aller Verletzungen aus (Tab. 8).
„Wunden und oberflächliche Verletzungen“ haben meist nur eine geringe Krankenstandsdauer zur Folge. Diese Behauptung lässt sich anhand der Verletzungsdaten bestätigen. An den „oberen und unteren Extremitäten“ führten sie bei 89 % der Fälle zu einer Krankenstandsdauer von 4 bis 28 Tagen. „Frakturen“ der „oberen und unteren Extremitäten“ verursachten in 65 % und „Dislokationen, Verstauchungen und Zerrungen“ in 32 % eine Krankenstandsdauer von über 28 Tagen.
6 Arbeitsumgebung
Mit der Variable „Arbeitsumgebung“ bietet die ESAW-Methodik eine weitere Möglichkeit der Einteilung und Untersuchung für den Berg- und Tunnelbau. Mit der Codierung in Abb. 12 lässt sich die Arbeitsumgebung in Bereiche abgrenzen, in denen die Unfälle des Berg- und Tunnelbaus vermutet werden. Die Untersuchung dieser Einteilung soll dem übergeordneten Ziel dienlich sein, Unfallgefahrenpotential in den Bereichen über und unter Tage zu erkennen.
Einteilung der Arbeitsumgebung nach ESAW [11]
Für den Bereich „über Tage“ kann der Arbeitsumgebungscode „023 Steinbruch, Tagebau, Ausgrabung, Graben“ herangezogen werden. Für den Bereich „unter Tage“ können die Arbeitsumgebungscodes „024 Baustellenbereich unter Tage“, „101 Untertagebereich – Tunnel“ und „102 Untertagebereich – Bergwerk“ zusammengefasst werden.
Bei der Analyse zeigte sich jedoch, dass von den Unfällen im Bergbau nur 8,5 % dem Bereich „über Tage“ und nur 1,7 % dem Bereich „unter Tage“ zugeordnet werden können. Werden die Arbeitsumgebungen „Baustelle, Bau, Steinbruch, Tagebau – ohne nähere Angabe“, „Baustelle – Gebäude während Bau, Abriss, Instandsetzung“ und „Sonstige Baustelle, sonstiger Bau, Steinbruch, Tagebau“ hinzugezogen, decken all diese Arbeitsumgebungen immer noch lediglich ein Viertel aller Unfälle des Bergbaus ab. Für den Bergbau ergibt sich somit die Notwendigkeit, weitere Forschungsaktivitäten zur Identifikation der Arbeitsbereiche, in welchen sich die meisten Unfälle ereignen, zu initiieren.
Im Tunnelbau können immerhin 27,2 % der Unfälle dem Bereich „unter Tage“ zugeschrieben werden. Werden selbige Bereiche wie im Bergbau und der Bereich „über Tage“ hinzugezählt, zeigt sich, dass 88,4 % der Unfälle in diesen sieben Kategorien der Arbeitsumgebung stattfinden.
Diese Beobachtungen legen nahe, dass alleinig die Daten der Wirtschaftsklassen keine Rückschlüsse auf die Bereiche, in denen die Unfälle geschehen, ermöglichen. Es kann also nicht pauschal angenommen werden, dass sich die Unfälle der Wirtschaftsklasse „Tunnelbau“ nur unter Tage ereignen. Auch von den Unfällen der Wirtschaftsklasse Bergbau finden nur 10,2 % unter Tage und in Steinbrüchen oder Tagebauen statt.
Werden hingegen die Arbeitsumgebungen ohne einen Filter für die Wirtschaftsklassen untersucht, ist für den Bereich „unter Tage“ keine Trennung zwischen Berg- und Tunnelbau mehr möglich. Daher wird in diesem Artikel nicht weiter darauf eingegangen.
7 Diskussion
Am Beispiel der in diesem Artikel ausgewerteten Unfalldaten zeigt sich, dass durch Unfallstatistiken lediglich ein sehr allgemeines Bild des Unfallgeschehens gezeichnet werden kann. Konkrete Maßnahmen lassen sich nicht ableiten und es wurden keine unerwarteten Gefahrenpotentiale identifiziert.
7.1 Potenzial
Bei Vorhandensein ausreichender Daten in hinreichender Qualität bietet die Auswertung statistischer Unfallzahlen eine Möglichkeit, objektive Betrachtungen anzustellen und Trends zu erkennen. Diese Trends können sich zum einen in einer vermehrten Häufigkeit einer bestimmten Variablen abbilden. Zudem besteht die Möglichkeit, durch Daten, die über einen längeren Zeitraum erfasst wurden, Entwicklungen aufzuzeigen und ein „Monitoring“ der aktuellen Situation durchzuführen.
Abb. 13 zeigt die Entwicklung der Unfallzahlen je 1 Mio. verfahrener Arbeitsstunden im österreichischen Bergbau von 1950 bis 2019. Durch die Relation von Unfallanzahl zu Arbeitsstunden ist es möglich, die Zahlen über einen längeren Zeitraum unter Berücksichtigung der sich zeitlich geänderten Beschäftigungsverhältnisse vergleichbar darzustellen. Die Werte der tödlichen Unfälle wurden für eine bessere Sichtbarkeit in dem Diagramm mit dem Faktor 10 erhöht, der Ausschlag im Jahre 1998 rührt vom Grubenunglück in Lassing her.
Entwicklung der Unfallzahlen je 1 Mio. verfahrener Arbeitsstunden im österreichischen Bergbau von 1950 bis 2019 (Daten aus [6])
Bei Implementierung einer einheitlichen Methodik, die auf denselben erfassten Variablen basiert, wird ein systematischer Vergleich möglich, beispielsweise zwischen unterschiedlichen Branchen oder auf internationaler Ebene.
Durch die Umsetzung der ESAW-Methodik ist somit der Vergleich der Unfallzahlen innerhalb der EU möglich.
Für Trends (zeitliche ebenso wie solche nach Häufigkeit einer bestimmten Variable) und Vergleiche gilt es im Allgemeinen, „relative Zahlenwerte“ heranzuziehen, da sich die zu vergleichenden Bereiche oftmals stark in Arbeitnehmer oder Arbeitszeit unterscheiden können.
7.2 Grenzen
Bei der Umwandlung eines Unfallberichts in statistische Variablen kommt es zu einer Zuteilung der genauen Vorgänge und Gegenstände zu übergeordneten Gruppen. Die Einteilung und Untergliederung dieser Gruppen sollen dabei so genau wie möglich, aber gleichzeitig so allgemein wie möglich getroffen werden. Eine schlecht gewählte Ein- und Unterteilung würde sich in einer vermehrten Häufigkeit von Werten in den Kategorien „andere Ursachen“, „sonstige Ursachen/Abweichungen/Gegenstände“ oder „ohne nähere Angabe“ widerspiegeln.
Abb. 14 zeigt, dass zwar eine Unterteilung und Darstellung der Gegenstände der Abweichung bis ins Detail möglich wäre, die Übersichtlichkeit aber stark darunter leidet. Um den Überblick zu bewahren und mit den kumulierten Datenmengen angemessen arbeiten zu können, ist eine Aggregierung der Kategorien unumgänglich.
Detaillierte Darstellung der Gruppe „Materialien, Gegenstände, Erzeugnisse, Bestandteile von Maschinen oder Fahrzeugen“ der Gegenstände der Abweichung im Bergbau des Zeitraums 2010–2019 (Daten aus [18])
Zur Erhaltung des Informationsgehaltes über das Unfallgeschehen, muss eine valide Methodik zugrunde gelegt werden. Diese Methodik bestimmt im Wesentlichen den Grad der Aussagekraft, in dem die Daten später abgerufen und betrachtet werden können. Um Zusammenhänge und Kausalitäten zwischen Faktoren im Unfallgeschehen nicht zu verlieren, sollte eine Datenbank verwendet werden, die es ermöglicht, die Verknüpfungen der Variablen aufrechtzuerhalten.
Für die Auswahl von Datensätzen bedarf es einer sorgfältigen Planung von Analysen mit besonderem Augenmerk darauf, welche Filter und Gliederungen sinnvoll sind. Nur so können die gewünschten Daten aus der Datenbank aufgerufen und untersucht werden.
Eine Herausforderung stellt die bereits in diesem Artikel beschriebene Problematik der Wirtschaftsklassifizierung dar. Durch die Bezeichnung „Abschnitt B – Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden“ wird beispielsweise suggeriert, dass bei Auswahl dieser Wirtschaftsklasse der komplette Bergbau dargestellt wird. Dies ist jedoch nicht der Fall und muss entsprechend berücksichtigt werden.
8 Schlussfolgerung und Ausblick
Statistische Betrachtungen sind ein fundiertes Hilfsmittel zur Generierung von Clusterdaten. Diese Clusterdaten bieten die Möglichkeit, Bereiche zu identifizieren, welche durch eine detaillierte Analyse weiter erarbeitet werden sollen.
Diese Analyse wird mithilfe einer umfassenden Literaturrecherche, Berichten über Unfälle, Beinaheunfälle und gefährliche Situationen, sowie Evaluierungen und Erfahrung durchgeführt. Dadurch können Aussagen über Gefahrenquellen und zugehörige Maßnahmen zur Unfallvermeidung abgeleitet werden.
Die Erforschung und Ableitung von Verbesserungspotentialen und Vermeidungsstrategien aus den Unfallstatistiken leisten einen wesentlichen Beitrag, um das allgemeine Sicherheitsniveau im Berg- und Tunnelbau zu erhöhen und das langfristige Ziel von „Null-Unfällen“ zu erreichen.
Notes
Mayer B., persönliche Kommunikation, 12.03.2021.
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https://www.bmlrt.gv.at/bergbau/sicherheit-im-bergbau/unfallgeschehen-2019-im-oesterreichischen-bergbau.html/. (29.03.2021)
Daten bereitgestellt von der AUVA – Abteilung Statistik, 19.03.2021
Danksagung
Die Autoren bedanken sich bei der Montanbehörde und der AUVA für die Bereitstellung von Daten und die ausgezeichnete Unterstützung.
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Open access funding provided by Montanuniversität Leoben.
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Haider, K., Halwachs, M. & Sifferlinger, N.A. Potenzial und Grenzen statistischer Unfallzahlen im österreichischen Berg- und Tunnelbau. Berg Huettenmaenn Monatsh 166, 284–300 (2021). https://doi.org/10.1007/s00501-021-01118-x
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