1 Einleitung

Mit der Einführung von Beschleunigungssensoren auf der Basis von MEMS (Micro-Electro-Mechanical-Systems) in Industrie und privaten Konsum sanken deren Kosten drastisch, sodass sich ihre Verwendung als seismische „low-cost“ Sensoren anbot. Als ein Beispiel sei das Projekt „Quake Catcher Network“ genannt, im Rahmen dessen ein weltweites Netz aufgebaut werden konnte [1]. Eine qualitativ hochwertige Alternative zu MEMS Sensoren bieten klassische Geophone. Die Initiative „RaspberryShake“ entwickelte mit diesen Sensoren seismische low-cost Messsysteme und konnte diese mittlerweile ebenfalls weltweit verteilen [2]. In Österreich gaben die Sparkling Science und Citizen Science Projekte „Schools & Quakes“ und „QuakeWatch Austria“ Anlass zur Entwicklung eines eigenen, auf Geophonen basierenden seismischen low-cost Sensors. Dieses Messsystem mit dem Namen „MacroSeismic Sensor“ soll in erster Linie Daten zu fühlbaren seismischen Ereignissen in nahezu Echtzeit über eine Internetverbindung liefern.

Das kontinuierliche Monitoring von Sprengerschütterungen mit einem den Anforderungen der ÖNORM S 9020 entsprechenden und an geeignetem Ort aufgestellten Messgerät (im Weiteren als „high-end“ Gerät bezeichnet) kann als Stand der Technik angesehen werden. Die Empfindlichkeit des MacroSeismic Sensors ist aber auch ausreichend, um im Umfeld von Steinbrüchen Sprengerschütterungen zu erfassen. Am Beispiel des Steinbruchs Dürnbach wird im Folgenden analysiert, welche verbesserten und zusätzlichen Informationen aus der Kombination der Daten des high-end Gerätes mit jenen eines MacroSeismic Sensor Netzes gewonnen werden können.

2 Der MacroSeismic Sensor

Im MacroSeismic Sensor wandeln zwei zueinander orthogonal orientierte Geophone (Eigenfrequenz 4,5 Hz) mechanische Schwingungen in elektrische, der Geschwindigkeit proportionale Signale um. Nach einer Tiefpass-Filterung durch ein einfaches RC-Glied (Grenzfrequenz 12,5 Hz) folgt eine 16 Bit Analog-Digitalwandlung mit einer Abtastrate von ~125 Hz. Die Steuerung des AD-Wandlers, die Formatierung und die Übertragung der Daten über LAN oder WLAN an einen Server übernimmt ein Ein-Platinen Computer (Raspberry Pi). Die Zeitsynchronisation wird über das Network Time Protocol (NTP) realisiert. Die MacroSeismic Sensoren werden jeweils an einer Wand montiert, wobei ein Horizontalgeophon normal und das andere parallel zur Wand orientiert ist. Abb. 1 zeigt den MacroSeismic Sensor ohne Gehäuse, mit Gehäuse nach der Montage und seine relative Frequenzcharakteristik. In Tab. 1 sind Angaben über die Auflösung und den Messbereich zusammengefasst.

Abb. 1
figure 1

MacroSeismic Sensor. a Aufbau (ohne Gehäuse). b Montage an einer (tragenden) Wand. c Relative Frequenzcharakteristik (schwarze Linie); Signalanteile über der Nyquist Frequenz (grau strichlierte Linie) erzeugen durch den Alias-Effekt Signalanteile darunter (graue Linie)

TABELLE 1 Empfindlichkeiten und Messbereiche des MacroSeismic Sensors

3 Monitoring der Gewinnungssprengungen im Steinbruch Dürnbach

Im Steinbruch Dürnbach (Hohe Wand, Niederösterreich) wird Dachsteinkalk der Schneebergdecke gewonnen. Sprengtechnische Parameter der Gewinnungssprengungen 2018 sind in Tab. 2 zusammengefasst.

TABELLE 2 Sprengtechnische Parameter der Gewinnungssprengungen Im Steinbruch Dürnbach

Das MacroSeismic Sensor Netz im südlichen Wiener Becken umfasst aktuell 25 Stationen und wird derzeit auf mindestens 45 Stationen ausgebaut. Für das Monitoring der Gewinnungssprengungen im Steinbruch Dürnbach wurden bis zu 12 Stationen, die sich im Umkreis von 10 km um den Steinbruch befinden, herangezogen (Abb. 2). Die Stationen DUBA, WAPE, HOWA und HOPO sind zusätzlich zu den beiden Horizontalgeophonen auch mit einem Vertikalgeophon ausgestattet. Visualisierungen der Daten des MacroSeismic Sensor Netzes sind allen interessierten Bürgern über eine Homepage (https://www.macroseismicsensor.at/) in nahezu Echtzeit zugänglich.

Abb. 2
figure 2

MacroSeismic Sensor Stationen (BAFI, GRBA, …, WAPE, WEIK) im Umkreis des Steinbruchs Dürnbach (die mittlere Lage der Gewinnungssprengungen ist durch einen Stern markiert), die Karte weist neben der Topographie auch das Straßennetz und besiedelte Flächen aus

Für seismische Ereignisse, in unserem Fall Gewinnungssprengungen im Steinbruch Dürnbach, berechnen wir die Peak Ground Velocity (PGV) und für 3-Komponenten-Stationen auch die resultierende Schwinggeschwindigkeit (VR) nach den Gln. 1 und 2:

$$\mathrm{PGV}\,=\,\text{Maximum}\,\sqrt{(\mathrm{Hn}(\mathrm{t})^{2}\,+\,\mathrm{Hp}(\mathrm{t})^{2})}$$
(1)
$$\mathrm{VR}\,=\,\text{Maximum}\,\sqrt{(\mathrm{Hn}(\mathrm{t})^{2}\,+\,\mathrm{Hp}(\mathrm{t})^{2}\,+\,\mathrm{Z}(\mathrm{t})^{2})}$$
(2)

Das Maximum bezieht sich auf die Zeitdauer des seismischen Ereignisses an den einzelnen Stationen. Hn(t) und Hp(t) sind der Zeitverlauf der horizontalen Schwinggeschwindigkeiten normal und parallel zur Wand, an der der Sensor montiert ist. Z(t) entspricht der Vertikalkomponente.

Abb. 3 zeigt die PGV für alle im Jahr 2018 beobachteten Sprengungen über der Schrägdistanz r vom Sprengort zu den verschiedenen Messstellen. Ein im doppelt-logarithmischen Maßstab linearer Zusammenhang von PGV mit r entspricht einem Potenzgesetz (Gl. 3):

$$\mathrm{PGV}\,\left(\mathrm{r}\right)\,=\mathrm{A}0\mathrm{*}\,\mathrm{r}^{\mathrm{n}}$$
(3)
Abb. 3
figure 3

PGV aller Sprengungen und für jede Station über der Distanz r; insgesamt 654 Werte

A0 bedeutet die Quellstärke. Für den Exponenten wählen wir den in der Seismologie gebräuchlichen Wert n = −1,66.

4 Kalibration der MacroSeismic Sensoren

In der Station DUBA (Keller des Betriebsgebäudes im Steinbruch Dürnbach) sind an einer Fundamentmauer ein MacroSeismic Sensor montiert und am Boden, unmittelbar darunter, das Schwingungsmessgerät Bartec Syscom MR3000TR mit einem externen Geschwindigkeitssensor (Station DUBAM). Dieses Gerät entspricht allen Anforderungen der DIN 45669 und ÖNORM S 9020 und kann als „high-end“ Sensor angesehen werden. Abb. 4 zeigt für die Sprengung vom 15. Oktober 2018 zum Vergleich die von beiden Systemen registrierten Seismogramme, Spektrogramme und die Resultierenden der beiden Horizontalkomponenten.

Abb. 4
figure 4

Sprengung SPR2018073, 15. Oktober 2018; Vergleich der Daten des MacroSeismic Sensors mit jenen des high-end Sensors an der Station DUBA. a Seismogramme der Horizontalkomponenten. b Spektrogramme. c Resultierende der Horizontalkomponenten und PGV

In Abb. 5 stellen wir das Verhältnis von PGV des high-end Sensors zum MacroSeismic Sensor sowohl über der Amplitude als auch dem Datum der Sprengungen dar. Mittelwert und Streuung dieses Verhältnisses betragen: DUBAM_PGV / DUBA_PGV = 1,07 ± 0,14. Die Streuung ist mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die unterschiedliche Aufstellung, bzw. Ankopplung an das Gebäude (Mauer bzw. Boden) bedingt.

Abb. 5
figure 5

Verhältnis von PGV (high-end Sensor) zu PGV (MacroSeismic Sensor): a Über der Amplitude. b Über den zeitlich geordneten Sprengungen

Das Verhältnis von VR zu PGV beträgt für den MacroSeismic Sensor DUBA_VR / DUBA_PGV = 1,07 ± 0,14, für den high-end Sensor DUBAM_VR / DUBAM_PGV = 1,03 ± 0,04. Wegen der geringen Abweichungen der Daten des MacroSeismic Sensors vom high-end Sensor und der geringen Erhöhung von VR zu PGV betrachten wir im Folgenden nur mehr PGV der MacroSeismic Sensoren.

5 Lokale Verstärkungsfaktoren und Magnituden

Die MacroSeismic Sensoren des Messnetzes um den Steinbruch (Abb. 2) wurden in Gebäuden möglichst an tragenden Wänden im Keller, im Parterre oder im ersten Stock montiert. Neben den dadurch gegebenen schwingungstechnischen Unterschieden haben die Bauart der Gebäude, der lokale Untergrund und die geologischen Gegebenheiten Einfluss auf die gemessenen PGV. Da diese Einflüsse von Sprengung zu Sprengung überwiegend gleich bleiben, können sie in Gl. 3 durch stationsspezifische Verstärkungsfaktoren SVi (i = 1 … N; N … Anzahl der Stationen) berücksichtigt werden (Gl. 4):

$$\mathrm{PGV}_{\mathrm{i}}\,=\,\mathrm{SV}_{\mathrm{i}}\,\mathrm{* A}0\mathrm{*}\,\mathrm{r}_{\mathrm{i}}^{\mathrm{n}}$$
(4)

Wir berechnen für die möglichen Kombinationen der Stationen i und j die geometrischen Mittel von SVi / SVj über alle bisherigen Beobachtungen mittels der aus der Gl. 4 folgenden Gl. 5:

$$\frac{\mathrm{SV}_{\mathrm{i}}}{\mathrm{SV}_{\mathrm{j}}}\,=\,\frac{\mathrm{PGV}_{\mathrm{i}}\,\mathrm{*}\,\mathrm{r}_{\mathrm{i}}^{-\mathrm{n}}}{\mathrm{PGV}_{\mathrm{j}}\,\mathrm{*}\,\mathrm{r}_{\mathrm{j}}^{-\mathrm{n}}} \text{ f\"u r } i=1\ldots \mathrm{N},\mathrm{j}=\mathrm{i}+1\ldots \mathrm{N}$$
(5)

Der Logarithmus von Gl. 5 ergibt ein lineares Gleichungssystem für SV, das nach der Methode der kleinsten Fehlerquadrate mit der Bedingung, dass das geometrische Mittel aller SV gleich 1 ist, aufgelöst werden kann. Die Ergebnisse sind in Tab. 3, gemeinsam mit zwei schwingungstechnisch relevanten Angaben über die Lage der Sensoren im Gebäude festgehalten.

TABELLE 3 Lokale Verstärkungsfaktoren SV

Ein in der Seismologie übliches Maß für die Stärke einer seismischen Quelle ist die Magnitude. Sie stellt für ein bestimmtes seismisches Ereignis einen Zusammenhang zwischen der an der Station i beobachteten PGVi, der Entfernung ri und dem jeweiligen SVi her. Wir berechnen eine spezifische MacroSeismic Sensor Magnitude MSS_Mi mit Gl. 6:

$$\mathrm{MSS}\_ \mathrm{M}_{\mathrm{i}}\,=\,\mathrm{LOG}10(\mathrm{PGV}_{\mathrm{i}})- \mathrm{LOG}10(\mathrm{SV}_{\mathrm{i}})-\,\mathrm{n}\text{* LOG}10\,(\mathrm{r}_{\mathrm{i}})+\mathrm{C}$$
(6)

Wenn PGVi in nm/s und die Distanz von der Sprengung zur Station in Grad eingegeben werden, ist C gleich Null. Für den Entfernungsterm gilt weiterhin n = −1,66. Der Mittelwert über alle verfügbaren Stationen i = 1 … N ergibt MSS_M. Nach Gl. 6 entspricht einer Verdopplung von PGV eine Erhöhung von MSS_M um 0,3.

Abb. 6 zeigt MSS_M der im Jahr 2018 beobachteten Sprengungen. Die Magnituden variieren im Bereich von 1,4 ≤ MSS_M ≤ 2,2. Für die höheren Magnituden sind überwiegend Sprengungen, bei denen auch Sohllöcher verwendet wurden, verantwortlich. Fächersprengungen unterschieden sich nicht signifikant von Sprengungen ohne Sohllöcher.

Abb. 6
figure 6

Magnituden (MSS_M) der im Jahr 2018 beobachteten Gewinnungssprengung (Sprengungen mit Sohllöchern sind durch Rhomben gekennzeichnet)

Die Vergleiche von Abb. 7a mit Abb. 3 und der beiden in Abb. 7b gezeigten Histogramme zeigen, dass durch die Berücksichtigung der Verstärkungsfaktoren SV und die Normierung von PGV auf eine einheitliche Magnitude die Streuung um das in Gl. 3 angegebene Potenzgesetz wesentlich reduziert werden konnte. Die Normierung von PGV auf MSS_M = 2,0 erfolgt durch den aus Gl. 6 folgenden Faktor 10(2,0MSS_M).

Abb. 7
figure 7

a PGV mit Berücksichtigung der Verstärkungsfaktoren SV und normiert auf MSS_M = 2,0 über der Distanz. b Histogramme der mit Gl. 3 auf die Distanz r = 1 km reduzierten PGV (Daten in Abb. 3) und PGV / SV normiert auf MSS_M = 2,0 (Daten in a)

6 Schlussfolgerungen

Entsprechend der Zielsetzung der vorliegenden Studie wollen wir an Hand der in den Abschn. 4 und 5 dargelegten Ergebnisse analysieren, welche verbesserten und zusätzlichen Informationen aus der Kombination der Daten eines low-cost Sensor Netzes mit jenen eines einzelnen high-end Messsystems gewonnen werden konnten.

Durch Vergleichsmessungen (Abschn. 4) konnte nachgewiesen werden, dass die Daten der MacroSeismic Sensoren in Bezug auf die daraus abgeleiteten Ergebnisse nur vernachlässigbar von den Daten des high-end Gerätes abweichen. Auffallend ist der geringe Unterschied von PGV und VR, also der geringe Einfluss der Z‑Komponente des Sensors auf die Resultierende.

Stationsspezifische Verstärkungsfaktoren SV der von den Sprengungen am Ort des Sensors verursachten Erschütterungen beziehen sich auf ein Amplituden – Distanz Gesetz, hier das in Gl. 3 angegebene Potenzgesetz mit dem Exponenten n = −1,66. Wir präsentieren eine Methode, die die Bestimmung der SV ohne Kenntnis der Quellstärke ermöglicht. Die Verstärkungsfaktoren variieren nahezu innerhalb einer ganzen Größenordnung (0,36 ≤ SV ≤ 2,51). Die Kenntnis des Verstärkungsfaktors an der Station des high-end Sensors und möglichst vielen anderen, die Variabilität der Geologie und Bauweise erfassenden Stationen erlaubt eine Bewertung, wie repräsentativ die Daten des high-end Sensors für das gesamte Umfeld des Steinbruchs sind. Die zeitliche Drift der Empfindlichkeit eines MacroSeismic Sensors bewirkt auch eine Drift von SV an der entsprechenden Station gegenüber der Station mit dem kalibrierten high-end Sensor (hier die Station DUBA). Sie kann dadurch erkannt und korrigiert werden.

Wie in der Seismologie üblich, quantifizieren wir die Quellstärke eines seismischen Ereignisses, in unserem Fall einer Gewinnungssprengung, durch eine Magnitude: der MacroSeismic Sensor Magnitude MSS_M (Gl. 6). Die Bestimmung der Magnitude ist umso genauer, je genauer der Abfall der Amplituden mit der Distanz durch das Potenzgesetz (Gl. 3) unter der Berücksichtigung lokaler Verstärkungsfaktoren SV beschrieben werden kann. Abb. 7, insbesondere das Histogramm 7b geben einen Aufschluss über die verbleibende Streuung, bzw. den daraus folgenden Fehler in der Bestimmung der Magnitude. Wir nehmen an, dass die verbleibende Streuung überwiegend auf variable Abstrahlcharakteristiken der einzelnen Sprengungen zurückzuführen ist. Bei der Anlage des MSS Netzes um den Steinbruch wurde deshalb versucht, die verschiedenen Abstrahlrichtungen möglichst gut abzudecken, um durch Mittelung über alle stationsspezifischen Magnituden den Einfluss der Abstrahlcharakteristik auf die Bestimmung der Magnitude zu reduzieren.

Abschließend seien in Abb. 8 alle bislang beobachteten PGV normiert auf die Magnitude MSS_M = 2,0; jedoch ohne Berücksichtigung der lokalen Verstärkungsfaktoren SV betrachtet. Dieses Diagramm zeigt anschaulich, mit welcher Streuung von PGV in bestimmten Distanzen r auch bei gleicher Quellstärke einer Sprengung zu rechnen ist. Die nach ÖNORM S 9020 als bautechnisch noch irrelevant gewertete PGV ~ VR = 2,5 mm/s wird von Sprengungen mit MSS_M = 2,0 im ungünstigsten Fall bei der Distanz r = 620 m erreicht. Wegen der großen Variationsbreite der zu prognostizierenden PGV wurde im konkreten Fall beschlossen, zwei weitere MacroSeismic Sensoren im Nahbereich des Steinbruchs zu installieren.

Abb. 8
figure 8

PGV, normiert auf MSS_M = 2,0 (der mögliche Streubereich von PGV über der Distanz ist durch eine graue Fläche gekennzeichnet)