1 Problemstellung

Die Nutzung geothermischer Energie, insbesondere in Form von EGS (Enhanced Geothermal Systems), wird als einer der zukünftigen Eckpfeiler der europäischen Strategie für erneuerbare Energien betrachtet. Aufgrund der zumeist großen Tiefe geeigneter geologischer Formationen und Gesteinstemperaturen machen die Bohrkosten oft mehr als die Hälfte der Gesamtkosten für EGS-Projekte aus. Um die Bohrgeschwindigkeit (ROP) zu erhöhen und damit die Bohrkosten zu senken, wird im Rahmen des EU-Forschungsprojekts „ThermoDrill“ ein alternatives Bohrsystem entwickelt. Kernstück des Projektes ist ein hybrides Bohrsystem, bestehend aus konventionellem Drehbohren in Kombination mit Hochdruckfluidstrahlen.

Das Konzept, mechanische und hydraulische Gesteinslösemechanismen zu Bohrzwecken zu kombinieren, existiert bereits seit Jahrzehnten. Eine der ersten Referenzen findet sich im US-Patent von Bobo [1] von 1963. Der Ansatz bestand darin, mit einem Druckübersetzer im Bohrloch den Hochdruck zu erzeugen, durch den Bohrkopf zu den Düsen zu übertragen, um schließlich als Fluidstrahl mit hoher Geschwindigkeit auf die Bohrlochsohle aufzutreffen und eine Kerbe entlang des Umfangs der Bohrlochsohle zu schneiden. Der mittlere Teil der Bohrlochsohle sollte dann leichter zu bohren sein, was sich in einer deutlich erhöhten Bohrgeschwindigkeit (ROP) äußern würde. Nachfolgende Konzepte, z. B. Shi et al. [2], Veenhuizen et al. [3] und Kolle et al. [4], basieren alle im Grunde auf dieser Ausgangsidee, obwohl die technische Umsetzung, Bohrkopf- und Düsenkonfiguration sowie verwendete Fluide unterschiedliche Ansätze verfolgten. Laborversuche von Geier & Hood [5] und Fenn [6] mit PDC-Einsätzen und Schneiddisken an vorgeschädigten Gesteinsproben bestätigen den günstigen Einfluss der geschnittenen Kerben auf die mechanische Gesteinslösung. Eine Studie über die auftretenden physikalischen Effekte beim Hochdruckfluidschneiden auf den mechanischen Gesteinszerstörungsprozess und eine Abschätzung der Grenzbedingungen wird von Hlaváč [7] gegeben.

Die meisten Experimente wurden jedoch bisher unter atmosphärischen Bedingungen durchgeführt, welche nicht der tatsächlichen Situation im Bohrloch entsprechen. Über die Anwendung des Hochdruckschneidens unter Bohrlochbedingung bei signifikantem Gegendruck ist nur sehr eingeschränkt Fachliteratur verfügbar. Als Gegendruck wird in diesem Beitrag der Druck in der Flüssigkeitsschicht zwischen dem Düsenaustritt und dem zu schneidenden Objekt bezeichnet, der Gegendruck entspricht also dem Zelldruck. Hlaváč et al. [8, 9] führten experimentelle Studien über die Schneidleistung von Unterwasserstrahlen durch und stellten Vergleiche der Ergebnisse mit der vorhergesagten Eindringtiefe an, basierend auf der u. a. in [10, 11] vorgestellten Theorie. Poláček & Janurová [12] führten Versuche mit sehr ähnlichem Aufbau in einem erweiterten Druckbereich (einschließlich Vakuum) durch, wobei sie idente theoretische Grundlagen zum Vergleich verwendeten wie Hlaváč [8, 9].

Der maximale Druck in der Kammer betrug 12 bar bzw. 16 bar, daher lassen sich für den angestrebten Gegendruckbereich von 300–500 bar für Tiefbohrungen nur wenige Rückschlüsse ziehen. Dennoch konnte bereits bei geringem Gegendruck eine deutliche Abnahme der Schneidleistung beobachtet werden.

Reichman fasste in seinem Bericht [13] die Ergebnisse von Schneidversuchen mit Hochdruckstrahlen an Granitproben unter Gegendrücken von bis zu 3000 psi (ca. 207 bar) mit einem maximalen Düsendurchmesser von 0,45 mm und einem Staudruck von 45.000 psi (3100 bar) zusammen. Bei einem maximalen Gegendruck von 207 bar war keine Schneidleistung mehr feststellbar. Kolle [14] beobachtete ähnliche Effekte bei seinen Experimenten an Sandstein‑, Kalkstein- und Schieferproben in einer Druckkammer mit einem maximalen Innendruck von bis zu 1330 bar, bei einer maximalen Düsengröße von 0,36 mm und variablem Düsenabstand.

Da sich in allen Referenzen die Schlussfolgerung findet, dass die Schneidwirkung bei hohem Umgebungsdruck verschwindet, existiert praktisch keine Möglichkeit, mit den vorhandenen Informationen die grundlegenden Anforderungen an das Hochdrucksystem zu definieren. Die Erzeugung von mindestens einer ausreichend tiefen Kerbe in der Bohrlochsohle wird jedoch als unabdingbare Voraussetzung für eine deutliche Erhöhung der ROP angesehen. Deshalb wurde eine umfangreiche experimentelle Studie durchgeführt, um geeignete Strahlparameter unter Berücksichtigung verschiedener Umgebungsbedingungen zu ermitteln. Insbesondere die Schneidleistung von Hochdruckfluidstrahlen unter Gegendrücken von bis zu 450 bar wurde mit einem neu entwickelten Druckbehälter detailliert untersucht. Im Gegensatz zu den bisherigen Ergebnissen für Experimente unter vergleichbaren (Labor‑)Bedingungen konnte eine ausreichende Schneidleistung erreicht werden. Mit den generierten Daten wurden die wesentlichen Anforderungen an das neue Hochdrucksystem definiert.

2 Experimente unter atmosphärischen Bedingungen

Die Versuche unter atmosphärischen Bedingungen wurden primär durchgeführt, um die grundsätzlichen Zusammenhänge zwischen Staudruck, Düsendurchmesser, Düsenabstand und Schneidleistung, aber auch den Unterschied zwischen Abrasiv- und Reinwasserstrahlschneiden zu definieren. Der Großteil der Versuche wurde mit Neuhauser Granit durchgeführt, welcher einen Grenzdruck von ca. 1000 bar aufweist. Der Grenzdruck ist jener Staudruck, der notwendig ist, um eine messbare Kerbe im Gestein zu erzeugen. Die Parameter und Ergebnisse der linearen Schneidversuche sind qualitativ und quantitativ weitgehend konsistent mit den Ergebnissen anderer experimenteller Studien. Beispielsweise führten Harris & Mellor [15] vergleichbare Reinwasserstrahlversuche an drei verschiedenen Lithologien mit ähnlichen Randbedingungen und analogen Ergebnissen durch. Eine umfassende Studie über die Schneidleistung von vergleichbarem Granit mit Abrasivwasserstrahlen wurde von Karakurt et al. [16] sowie von Aydin et al. [17] durchgeführt. Sowohl die Gesteinseigenschaften und Versuchsparameter als auch die Ergebnisse sind mit den aktuellen Experimenten vergleichbar und daher gehen die Autoren in diesem Artikel nicht näher auf diese Experimente ein. Detaillierte Ergebnisse zu diesen Versuchen können auch [18] entnommen werden.

3 Experimente unter Bohrlochbedingungen

3.1 Versuchsaufbau und Messsystem

Die Druckzelle wurde speziell für die Anforderungen des Projektes konzipiert und vom Lehrstuhl für Petroleum and Geothermal Energy Recovery gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Subsurface Engineering in Zusammenarbeit mit dem Institut für Physik entwickelt. Der Druckbehälter wurde für Gesteinsproben mit einem Durchmesser von 220 mm ausgelegt, was in etwa dem Bohrkopfdurchmesser von 8 ½ Zoll entspricht. Die Standardhöhe der Probe betrug 90 mm, konnte aber bei Bedarf geändert werden. Die zentrische Lage der Probe wurde durch die Form des Drehtisches, auf dem die Gesteinsprobe platziert wurde, sichergestellt.

Der Drehtisch war auf einem Zylinderrollenlager montiert und über eine abgedichtete Welle mit Kupplung, Stirnradgetriebe und Motor verbunden. Ein Frequenzumrichter ermöglichte eine stufenlose Regelung der Drehzahl von 0–120 U/min. Durch den Einsatz von Düsenhaltern mit unterschiedlichen Längen und den damit verbundenen unterschiedlichen Abständen zur Gesteinsoberfläche konnte der Düsenabstand innerhalb von 2 bis 15 mm variiert werden. Die Höhe jeder Probe wurde gemessen, um zu überprüfen, ob der vorab festgelegte Düsenabstand eingehalten wurde. Eine zulässige Abweichung von ±1 mm wurde akzeptiert. In der Regel wurde pro Versuch nur ein Düsenhalter in einer der fünf abgedichteten Öffnungen im Deckel platziert. Um sicherzustellen, dass sich die Probe zusammen mit dem Teller dreht, wurden in jede Gesteinsprobe drei Löcher mit kleinem Durchmesser gebohrt und über Metallstifte mit den Mitnehmerleisten des Drehtisches verbunden. Der Druck im Inneren des Behälters wurde über zwei Manometer gemessen und über ein Druckregelventil, das sich auf einer Bohrung in der Mitte des Deckels befindet, gesteuert.

In der finalen Konfiguration des Versuchsaufbaus erfolgte die Druckerzeugung im Behälter über eine konstante Zuführung mittels einer elektrischen Pumpe mit max. 500 bar und 10 l/min (Abb. 1). Zusätzlich wurde über dem Schneidkopf ein HBM P3MB Druckaufnehmer mit direktem Anschluss an einen Messverstärker montiert, um den Staudruck zu überwachen. Die Druckschwankungen aufgrund der Betriebsart der HD-Pumpe liegen im Bereich von ±200 bar um den Mittelwert. Um einen definierten Druckwert für die anschließende Auswertung zu erhalten, wurde der Mittelwert durch Integration der Druckfunktion über die Trapezregel und anschließende Division der Ergebnisse durch die Zeit berechnet. Die Versuchsdauer wurde mit einem pneumatischen Umschaltventil in Kombination mit einer SPS-Steuerung geregelt. Die anschließende Auswertung der Schnitttiefe und des gelösten Gesteinsvolumens erfolgte mit Hilfe eines hochgenauen Laserscanners vom Typ LLT2911-25 der Firma Micro-Epsilon Messtechnik GmbH & Co. KG und ermöglichte eine digitale Auswertung in angemessener Zeitdauer.

Abb. 1
figure 1

Versuchsaufbau für die Experimente unter Bohrlochbedingungen

3.2 Ergebnisse und Diskussion

Die wichtigste Aufgabe war jene Parameter zu identifizieren, die eine ausreichende Schneidleistung bei hohem Gegendruck ermöglichen. Diese Fragestellung und auch die damit verbundene Frage nach den maßgebenden Einflussparametern konnte gelöst werden. Wie bereits von Cheung & Hurlburt [19] und Kolle [14] dargelegt, ist der Düsenabstand einer der entscheidenden Parameter, wobei entsprechend deren Theorie für die untersuchten Gegendruckbereiche der Fluidstrahl nicht von Kavitationsblasen umhüllt sein sollte. Als Konsequenz ist die Schneidwirkung nur auf den dynamischen Druck (Staudruck) zurückzuführen. Entsprechend [14] und [20] sollte der Strahl erst bei einem Abstand von 6,57-mal dem Düsendurchmesser beginnen aufzufächern und dadurch an Geschwindigkeit verlieren. Diese These konnte nicht direkt verifiziert werden, da keine Beobachtung des Strahls während der Experimente möglich war. Die Ergebnisse, dargestellt in Abb. 2, bilden jedoch die prognostizierten maximal möglichen Düsenabstände relativ gut ab. Die sogenannte K‑Düse für Reinwasseranwendungen hatte einen deutlich größeren zulässigen Abstand als die R‑Düse, welche eigentlich beim Abrasivwasserstrahlschneiden zum Einsatz kommt. Bei 1,4 mm Düsendurchmesser war ein maximaler Abstand von ca. 11 mm vom Düsenaustritt zur Gesteinsoberfläche möglich, der prognostizierte Abstand betrug ca. 9,2 mm. Verglichen mit der R‑Düse, die bei 1 mm Düsendurchmesser einen maximalen Abstand von 6 mm und bei 1,5 mm Düsendurchmesser einen maximalen Abstand von 7 mm, bei 450 bar Gegendruck, hatte. Bei 300 bar Gegendruck lag der maximale Abstand für die R‑Düse ebenfalls bei ca. 11 mm, was die theoretischen Überlegungen relativ exakt widergibt.

Abb. 2
figure 2

Abhängigkeit der Schnitttiefe von Düsenabstand und Gegendruck

Offensichtlich hat die Form des inneren Strömungsweges der Düse einen Einfluss auf die Schneidleistung des Strahls – diese Erkenntnis spiegelt sich zum Teil auch im sogenannten Düsenfaktor wider. Zusätzlich spielt auch der Gegendruck eine wichtige Rolle für den maximal zulässigen Düsenabstand. Zu beachten ist, dass der in den Abb. 2 und 3 angegebene Gegendruck ein definierter Wert ist, der beobachtete Zelldruck jedoch während der Messungen aufgrund der Arbeitsweise des Regelventils in einem Bereich von ±25 bar gestreut hat.

Abb. 3
figure 3

Abhängigkeit der Schnitttiefe von Hydraulischer Leistung und Gegendruck

Aus praktischer Sicht sollte die Schnitttiefe mindestens 2 mm betragen, d. h. der Abstand sollte bei beiden Düsentypen innerhalb von 8 mm oder idealerweise noch näher liegen. Die zweite sehr wichtige Größe des Hochdruckstrahls ist die hydraulische Leistung. Wie bereits durch Rehbinder [21] postuliert, besteht eine starke Abhängigkeit der erreichbaren Schnitttiefe von der hydraulischen Leistung des Strahls, da eine höhere hydraulische Leistung einem höheren Energieeintrag in das Gestein entspricht (bei gleicher Traversengeschwindigkeit). In Abb. 3 ist diese Beziehung sehr gut erkennbar. Für die Festlegung der Anforderungen an den Druckübersetzer im Bohrloch ist eine entscheidende Erkenntnis, dass ein Strahl mit 85 kW hydraulischer Leistung und ein Strahl mit 180 kW hydraulischer Leistung auch bei hohem Gegendruck nahezu idente Schneidleistungen aufweisen. Dies gilt allerdings nur, solange der Düsenabstand gering ist. Bei gleichem Staudruck hat der 180 kW Strahl einen 1,45-mal größeren Düsendurchmesser und damit theoretisch einen 1, 45-fach größeren maximal zulässigen Düsenabstand als der 85 kW Strahl. Bisher wurden nur die Strahleigenschaften untersucht, allerdings steigt mit erhöhtem Umschlingungsdruck auch die Festigkeit des Gesteins, was, wie bereits von Kolle [14] erwähnt, möglicherweise zu einer Änderung der für die Schneidwirkung relevanten Gesteinsparameter führt. Nach diesem Ansatz sollte der Grenzdruck unter einem ausgeprägten hydrostatischen Druck deutlich höher sein. Zur Bestimmung der Druckfestigkeit unter verschiedenen Umschlingungsdrücken wurden triaxiale Druckversuche durchgeführt, jedoch konnte keine eindeutige Aussage über etwaige Zusammenhänge ermittelt werden.

Echte Grenzdruckversuche wurden nur mit Düsen mit 0,20 mm, 0,25 mm und 0,35 mm Durchmesser durchgeführt und ergeben für Neuhauser Granit einen Wert von ca. 1000 bar (ca. 6 kW hydraulische Leistung) unter atmosphärischen Bedingungen. Abb. 3 zeigt einen nichtlinearen Zusammenhang zwischen der hydraulischen Leistung des Hochdruckstrahls und der Schnitttiefe. Das von Rehbinder [21] vorgeschlagene „Grenzdruckdiagramm“ konnte für 100 und 300 bar Gegendruck nicht erstellt werden, da bei den verwendeten kleinen Düsendurchmessern und 4000 bar Staudruck keine Schneidwirkung beobachtet wurde und dies in weiterer Folge zu einem unsinnigen Diagramm führen würde. Tatsächlich wurde der Grenzdruck selbst durch den Umschlingungsdruck nicht wesentlich beeinflusst. Ein deutlicher Schnitt wurde bei 1400 bar Staudruck bei 300 bar Gegendruck beobachtet. Dementsprechend erscheint die wesentlich sinnvollere Darstellungsweise, jene der „hydraulischen Grenzleistung“ für zukünftige Anwendungen. Wie bereits in diesem Beitrag dargelegt, spielt der Düsenabstand bei Hochdruckstrahlen mit geringer hydraulischer Leistung (kleiner Düsendurchmesser) eine große Rolle und führt zu einer Abhängigkeit der Ergebnisse vom Düsendurchmesser. Die Ergebnisse der Versuche, die in Abb. 3 dargestellt sind, führen weiter zu dem Schluss, dass sich die Schnitttiefe einem Maximum asymptotisch annähert. Da keine zusätzlichen Datenpunkte mehr gesammelt werden konnten, um die Lücken zwischen den vorhandenen Punkten zu ergänzen, ist diese Schlussfolgerung nur für die atmosphärischen Tests mit Sicherheit zutreffend. Nichtsdestotrotz ist der beschriebene Trend deutlich erkennbar. Mit Hilfe dieser experimentellen Untersuchungen konnten auf diese Weise neue Erkenntnisse über die Wirkung und Effizienz von Hochdruckfluidstrahlen unter Bohrlochbedingungen gewonnen werden.