1 Einleitung

Bei der Produktion von gewickeltem Warmbund bzw. Coils bis ca. 800000 t Jahresproduktion kommt häufig ein Steckelwalzwerk zum Einsatz. Es handelt sich dabei um ein Warmwalzgerüst, welches von zwei Haspeln umgeben ist. Die beiden Haspeln sind jeweils in einem Ofen eingebaut, damit das Walzgut zwischen den Walzvorgängen nur wenig abkühlt und eine möglichst homogene Temperatur im Querschnitt aufweist. Das heiße Walzgut wird nach dem Durchlaufen des Steckelwalzgerüstes ab ca. 27 mm Dicke platzsparend auf einer Haspel aufgewickelt. Der nächste Stich erfolgt in umgekehrter Durchlaufrichtung durch das Walzgerüst mit nachfolgendem Aufwickeln am zweiten Haspel. Der Reversierwalzbetrieb erfolgt bis zum Erreichen der Endwalzdicke. Zur Verbesserung der Energieeffizienz kann dieser Walzprozess gleich nach dem Erstarren des Stahles nach der Stranggiessmaschine eingesetzt werden ohne einer zwischenzeitigen Abkühlung auf Raumtemperatur, was als Direkteinsatz sehr viel Energie spart und je nach bearbeiteter Stahlqualität mit unterschiedlichen Temperaturführungen geplant wird. Aufgrund der metallurgischen und technologischen Stichplan-Anforderungen wird das Walzgerüst ausgelegt. Die Haspeldorne sind durch die Einhausung im Ofen hohen Temperaturen und dynamischen Belastungen ausgesetzt. Abgesehen von vor- und nachgelagerten Bearbeitungsprozessen handelt es sich bei diesem Wickelprozess um eine Kopplung von schwingenden Maschinenteilen durch das gewalzte Stahlband. Dabei wird angenommen, dass die Schwingungen keine Rückwirkung auf den Walzprozess haben. Aufgrund von Schwingungen können große Zugkraftschwankungen entstehen, die sich auf das Ergebnis für den Umformprozess und damit auf die Oberflächenqualität und Dickentoleranz auswirken. Aus dem mechanischen Berechnungsmodell soll der Einfluss der verschiedenen Systemparameter ermittelt werden.

2 Beschreibung des mechanischen Modells

Das Steckelwalzwerk ist eine gesamte Anlage, die im Wesentlichen aus einem Walzgerüst und zwei Haspeln besteht, welche in einem thermisch isolierten und beheizten Gehäuse eingebaut sind. Es werden die Schwingungen beim Wickelprozess untersucht, welche sich durch die Schwingungen an der Haspel während des Auf- und Abwickelns, den Längsschwingungen und den transversalen Schwingungen des axial bewegten Stahlbandes darstellen lassen. Es wird angenommen, dass der Umformprozess im Walzgerüst unabhängig von den Haspelschwingungen ist, und wird daher nicht behandelt. Der Zustand des bewegten Stahlbandes beim Austritt aus dem Walzgerüst wird als Randbedingung für das Berechnungsmodell der Haspel berücksichtigt. Aus mechanischer Sicht handelt es sich beim Modell der Haspel mit dem axial bewegten Stahlband um ein nichtlineares dynamisches Mehrkörpersystem, dessen Masse nicht konstant bleibt. Durch den Transportprozess des Stahlbandes verändert sich die Masse des auf der Haspel aufgewickelten Stahlbandes. Weiters verändert sich während des Wickelprozesses auch die Biegesteifigkeit und das Massenträgheitsmoment der Haspel. Für die Berechnung der Steifigkeit der Haspelwelle wird eine Vereinfachung gewählt und keine relative Bewegung der einzelnen gewickelten Blechschichten wird zugelassen, und es wird angenommen, dass das gewickelte Stahlband zur Biegesteifigkeit beiträgt, sobald es die Haspel berührt.

Ein Anlagenschema eines Steckelwalzwerkes ist in Abb. 1 dargestellt. Um die wesentlichen dynamischen Effekte zu berücksichtigen und eine geringstmögliche Anzahl von Gleichungssystemen zu erhalten, wird ein mechanisches Modell verwendet, von dem in Abb. 2 ein Längsschnitt dargestellt ist. Das frei laufende Stahlband mit einer bekannten axialen Geschwindigkeit tritt aus dem Walzgerüst aus, wird zunächst durch zwei angetriebene Treiberrollen (3) weiterbewegt, dann an einer Deflektorrolle (2) umgelenkt und auf einer Haspel (1) aufgewickelt. Als Randbedingungen am Ausgang aus dem Walzgerüst werden dabei entweder die Auslaufgeschwindigkeit aus dem Walzgerüst oder die Bandzugkraft vorgegeben. Eine Kopplung mit einem Walzspaltmodell ist in dieser Berechnung nicht vorgesehen. Die Treiberrollen werden mit einer bestimmten Kraft angedrückt und sollen eine bestimmte Bandzugkraft am Ausgang aus dem Walzgerüst vorgeben. Die Deflektorrolle bestimmt ebenfalls den sich einstellenden Wert der Bandzugkraft und dient zusätzlich als Schutz für das Stahlband und die Anlagenteile bei plötzlichen instationären Betriebszuständen. Um einen gleichmäßigen Betrieb zu ermöglichen, müssen auch Störungen beim Bandeinlauf abgefangen werden, was ebenfalls durch die Deflektorrolle erfolgt. An der Haspel wird das Stahlband eingefangen, geklemmt und dann aufgewickelt. Die Befestigung des Stahlbandes an der Haspel führt häufig zur Unrundheit der Außenkontur der Haspel, was die Band- und Bauteilschwingungen anregt. Um die Anzahl der Freiheitsgrade gering zu halten und die wesentlichen Effekte berücksichtigen zu können, wird kein Finite Element Modell erstellt, sondern die Freiheitsgrade für die Bewegung der elastischen Bauteile in der Mittelebene der Anlage entsprechend Abb. 2 definiert. Für die Durchbiegung der Rollen und der Trommel wird ein Balkenmodell mit Ritz’schen Ansätzen in Längsrichtung verwendet. Die geringe Anzahl von Freiheitsgraden ermöglicht es später, auch dieses dynamische Modell mit einer Regelung zu kombinieren.

Abb. 1
figure 1

Anlagenschema eines Steckelwalzwerkes

Abb. 2
figure 2

Mechanisches Modell der Haspel eines Steckelwalzwerkes

Bei der Ableitung der beschreibenden Bewegungsgleichungen können die Lagrange’schen Gleichungen nicht direkt verwendet werden, da diese eine konstante Masse im System voraussetzen (siehe [1]). Im mechanischen Modell der Haspel muss daher ein Kontrollvolumen definiert werden,um die Veränderung der Masse im System durch den Zufluss der Masse aufgrund der axialen Bewegung des Stahlbandes definieren zu können. Dieses Kontrollvolumen, welches in Abb. 2 durch strichlierte Linien eingezeichnet ist, wird nur in einem Bereich vom Stahlband durchströmt. Die gewählten Freiheitsgrade der Bewegung dieses Systems sind die horizontale und vertikale Bewegung des Haspelmittelpunktes, die geradlinige Bewegung des Mittelpunktes der Deflektorrolle, sobald diese durch eine höhere als die vorgegebene Bandzugkraft beaufschlagt wird, die Drehwinkel der Treiberrollen, der Deflektorrolle und der Haspel sowie die Querschwingungsamplituden des axial bewegten Stahlbandes. Der Drehwinkel bei den Treiberrollen und der Deflektorrolle ist kinematisch aus der Bandlänge gegeben, wenn angenommen wird, dass kein Schlupf auftritt. Bei der Haspel ergibt sich der Drehwinkel wegen des veränderlichen äußeren Radius aus der Integration der Geschwindigkeit des gewickelten Stahlbandes. Wird für den äußeren Radius eine archimedische Spirale angenommen, dann ergibt sich der explizite Zusammenhang \(r\left (\varphi \right )=r_{0}+\frac{h\varphi }{2\pi }\) für den drehwinkelabhängigen Radius. Die Lagerung der rotierenden Teile wird als starr angenommen, und die Durchbiegung der Rollen wird über Ritz’sche Ansatzfunktionen berücksichtigt. Das axial bewegte Stahlband wird als elastisch angenommen und ist in Abb. 2 durch Federn dargestellt. Man erhält damit ein nichtlineares dynamisches System mit zehn Freiheitsgraden.

Zur Ableitung der Bewegungsgleichungen für dieses dynamische System ist es erforderlich, eine Verallgemeinerung dieser Lagrange’schen Gleichungen zu verwenden, wie sie in [2, 3] und [4] abgeleitet ist. Dabei wird ein durchströmtes Kontrollvolumen zugrunde gelegt, der Zustand einzelner Partikel wird betrachtet, deren kinematische Bewegung wird beschrieben, und konstitutive Gleichungen werden verwendet. In diesen Arbeiten ist auch der Zusammenhang mit weiteren Bilanzgleichungen für den Impuls und Drehimpuls dargestellt. Es ergeben sich mit definierten Freiheitsgraden für die betrachteten Partikel die verallgemeinerten Lagrange’schen Gleichungen für ein System mit veränderlicher Masse

$$\begin{aligned}&\frac{d}{dt}\left (\frac{\partial T}{\partial \dot{q}_{\mathrm{i}}}\right )-\frac{\partial T}{\partial q_{\mathrm{i}}}+\frac{1}{2}\underset{\partial V_{\mathrm{i}}}{\int }\rho \frac{\partial \vec{v}^{2}}{\partial \dot{q}_{\mathrm{i}}}\left (\vec{v}-\vec{w}\right )\vec{n}dS\\&\quad-\underset{\partial V_{\mathrm{i}}}{\int }\rho \frac{\vec{v}^{2}}{2}\frac{\partial \left (\vec{v}-\vec{w}\right )}{\partial \dot{q}_{\mathrm{i}}}\vec{n}dS=Q_{\mathrm{i}}\end{aligned}$$

Die Volumen- und Oberflächenintegrale beziehen sich auf das definierte Kontrollvolumen \(V_{\mathrm{i}}\) mit der Oberfläche \(\partial V_{\mathrm{i}}\). \(T\) ist die kinetische Energie der Partikel im Kontrollvolumen, \(q_{\mathrm{i}}\) der Freiheitsgrad des \(i\)-ten Partikels, \(\rho\) die Dichte, \(\vec{v}\) die Geschwindigkeit der Partikel, die sich an der Oberfläche des Kontrollvolumens befinden, \(\vec{w}\) ist die zugeordnete Geschwindigkeit des Oberflächenpunktes des Kontrollvolumens, \(\vec{n}\) ist der nach außen gerichtete Normaleneinheitsvektor an der Oberfläche, \(dS\) die infinitesimale Oberfläche und \(Q_{\mathrm{i}}\) die zugeordnete generalisierte Kraft. Die sich aus der Änderung der Masse im System und damit aus den Oberflächenintegralen der obigen Gleichung ergebenden Zusatzterme für die Bewegungsgleichungen stimmen mit den in der Literatur als reaktive Kräften nach Meshchersky überein (siehe [5] und [6]). Im Beispiel des Modells der Haspel berücksichtigt diese Gleichung das beim Walzgerüst in das Kontrollvolumen einlaufende Stahlband, und es ergeben sich entsprechende Zusatzterme in den Gleichungen für \(q_{\mathrm{i}}\).

Die elastischen Deformationen für das in Längsrichtung als elastisch angenommene Stahlband und die transversalen Schwingungen des Stahlbandes werden mittels Ritz’scher Ansätze über der Bandlänge berücksichtigt. Bei der Berechnung der Geschwindigkeit des axial bewegten Stahlbandes muss daher der konvektive Term berücksichtigt werden, der eine Kopplung der Gleichungen verursacht. Zusätzlich ergibt sich bei der Berücksichtigung der Theorie zweiter Ordnung für die Längsdehnung des Stahlbandes eine Nichtlinearität aufgrund der transversalen Schwingungsamplituden. Es wird weiteres angenommen, dass das aufgewickelte Stahlband auch zur Biegesteifigkeit der Haspel beiträgt, was bedeutet, dass die Biegesteifigkeit der Haspel vom aktuellen Drehwinkel abhängig ist. Weitere Details zum mechanischen Modell können aus [7] entnommen werden.

Die Berechnung der Lösung dieser nichtlinearen Gleichungssysteme mit veränderlichen Parametern bedarf eines möglichst genauen Zeitintegrationsverfahrens, da der Wickelprozess auch eine längere Berechnungsdauer erfordert. Es wurde daher ein semi-analytisches Zeitintegrationsverfahren angewendet, welches für derartige dynamische Systeme gut geeignet ist (siehe [8]). In [9] ist eine Anwendung für dynamische Systeme mit zeitlich veränderlichen Parametern dargestellt, und in [10] wird ein nichtlineares System mit zeitlich veränderlicher Masse behandelt. Eine Erweiterung auf dynamische Systeme unter Berücksichtigung der Substrukturtechnik ist in [11] dargestellt und gestattet eine effiziente Berechnung für größere Systeme. In [12] wurden eine Erweiterung auf entsprechende dynamische Systeme untersucht, deren Substrukturen über die Massenmatrix gekoppelt sind.

3 Ergebnisse der Berechnung der Schwingungen bei bestimmten Betriebszuständen

Mit dem beschriebenen mechanischen Modell und dem semi-analytischen Zeitintegrationsalgorithmus wurden verschiedene Betriebszustände analysiert. Es ist in den folgenden Abbildungen stellvertretend ein berechneter Wickelzyklus dargestellt, wobei die Bandbreite b = 900 mm und die Banddicke h = 25 mm angenommen sind. Für das in Abb. 3 gegebene Geschwindigkeitsprofil dieses Produktionsschrittes erhält man bei Zugrundelegung eines kontinuierlich anwachsenden Außenradius der Haspel eine archimedischen Spirale. In Abb. 4 werden die Positionen der Rollenmittelpunkte über dem betrachteten Zeitbereich gezeigt. Die Bewegung der Rollenmittelpunkte sind ganz wesentlich von den berechneten Bandzugkräften bestimmt, welche in Abb. 5 dargestellt sind. Da in dem gezeigten Fall das Antriebsmoment der Haspel als konstant angenommen wurde, nehmen die Bandzugkräfte entsprechend dem zunehmenden Haspelradius ab. Die berechneten transversalen Schwingungen des Stahlbandes in den einzelnen Abschnitten sind in Abb. 6 und 7 dargestellt. In Abb. 8 ist die Bewegung für den Haspelmittelpunkt dargestellt, der durch die Richtung der Bandzugkraft dominiert ist.

Abb. 3
figure 3

Geschwindigkeitsprofil des axial bewegten Stahlbandes während des berechneten Produktionsschrittes

Abb. 4
figure 4

Ergebnisse für die Verschiebungen der Rollenmittelpunkte

Abb. 5
figure 5

Ergebnisse für die Bandzugkräfte

Abb. 6
figure 6

Ergebnisse für die Bandquerschwingungen zwischen Deflektorrolle und Haspel

Abb. 7
figure 7

Ergebnisse für die Bandquerschwingungen zwischen Treiberrollen und Deflektorrolle

Abb. 8
figure 8

Ergebnisse für die Haspelbewegung

Man erkennt in diesen Ergebnissen einen gut abgestimmten Produktionsablauf ohne größere Schwingungsamplituden. Die Lagerung der Deflektorrolle ist bei den dargestellten Berechnungen nicht angesprochen, ist allerdings für instationäre Bewegungsvorgänge passend auszulegen. Die dargestellten Lösungen sind von vielen Parametern bestimmt, die sich während des Prozesses zusätzlich ändern. Um diese analysieren zu können, wurden daher vereinfachte mechanische Modelle der Haspel für die Berechnung von einzelnen Effekten abgeleitet.

Der Einfluss der Exzentrizität und damit des Auswuchtzustandes der Haspel wurde in [13] betrachtet. In [14] ist zusätzlich das gewickelte Stahlband und damit eine veränderliche Exzentrizität modelliert. Wie in der Rotordynamik üblich, muss zwischen Wellenmittelpunkt und Schwerpunkt unterschieden werden. Aufgrund der geringen Drehzahl der Haspel und der geringen Exzentrizität ergibt sich nur eine geringe Schwingungsanregung. Eine thermische Vorverformung der Haspelwelle wurde in [15] untersucht und resultiert in großen Schwingungsamplituden. In [16] sind die transversalen Schwingungen des bewegten Stahlbandes nach Theorie zweiter Ordnung berücksichtigt, wobei sich in den Berechnungsergebnissen der Einfluss der nichtlinearen Kopplung deutlich zeigt. Der Einfluss der Regelung des Antriebsmomentes auf den Betrieb wurde in [17] betrachtet.

Es wurde festgestellt, dass die Unrundheit des gewickelten Bandes auf der Haspel neben der thermischen Verformung eine wesentliche Störquelle ist. Diese wird durch das Einfädeln und Fixieren des Warmbandes auf der Haspel hervorgerufen und verursacht periodische Störungen, welche für die Auslegung der Deflektorrolle wesentlich sind. Damit konnte durch die Analyse der Einflussparameter des dynamischen Systems gezeigt werden, wie ein bestmöglicher Produktionsprozess eingestellt werden kann.