Der rheinische Dialekt bietet viele ausdrucksstarke Worte, und eins davon ist „fimschig“. Das könnte man übersetzen als fragil, wenig haltbar, empfindlich oder anfällig. Gegenstände können fimschig sein, aber auch Menschen, wie der rheinische Sprachexperte erklärt (https://www.lvr.de/de/nav_main/derlvr/presse_1/pressemeldungen/press_report_275266.jsp).

Im klinischen Alltag fragt man sich ja manchmal schon, warum manche Menschen im Umgang mit Schmerzen oder mit anderen Erkrankungen so zu leiden scheinen, während andere scheinbar auch massive Beeinträchtigungen und harte Schicksalsschläge im Umgang mit schweren, vielleicht lebensbedrohlichen Erkrankungen einfach so wegstecken.

Daher ist es auch im Sinne einer ressourcenorientierten Perspektive wissenschaftlich interessanter, sich nicht mit der Anfälligkeit, sondern eher mit der Widerstandsfähigkeit, der Resilienz, gegenüber den Widrigkeiten des Lebens wie Schmerzen oder anderen Krankheitsfolgen auseinanderzusetzen.

Resilienz kann als Widerstandsfähigkeit gegenüber den Widrigkeiten des Lebens verstanden werden

Dies hatte die DFG-geförderte Forschungsgruppe 2686 (https://www.etf.uni-bonn.de/de/fakultaet/drittmittelprojekte/dfg-for-2686-resilienz-in-religion-und-spiritualitaet) in den letzten vier Jahren zum Thema und hat Resilienz im Spannungsfeld zwischen Aushalten und Gestalten von Ohnmacht, Angst und Sorge untersucht. In der Zusammenarbeit zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften und Medizin entstanden viele Herausforderungen, nicht zuletzt durch unterschiedliche methodologische Konzepte und Vorgehensweisen, aber auch durch unerwartete neue Anknüpfungspunkte.

So wurden die Forschungsbereiche Altes Testament und Palliativmedizin in einer Jahrestagung verbunden. Diese Forschungsbereiche liegen nicht nur zeitlich ca. 3000 Jahre auseinander, sie sind auch in ganz unterschiedlichen kulturellen Systemen verankert, in denen es je eigene symbolische Ausdrucksformen, Traditionen, Sprachen gibt, sodass die Erfahrungswirklichkeiten der Texte und der Patienten*innen stark differieren. Und dennoch gibt es Verbindendes: Es ist allein die Tatsache, dass Krisenerfahrungen durch Sprache, durch eigene Geschichten zum Ausdruck gebracht werden, sie konstruiert, transformiert, gedeutet und erweitert werden, dass sie genutzt werden können, um der eigenen Lebensgeschichte Kohärenz zu verleihen oder um in Lebenskrisen Beziehungen aufzubauen.

So wirkt zum Beispiel die Stelle aus Psalm 38,9: „Ich bin betäubt und vollkommen zerschlagen, ich brülle wegen des Gestöhns meines Herzens“ auch heute noch relevant und nachvollziehbar, wenn man zum Beispiel an die Situation eines Patienten mit starken Schmerzen oder eines Krebspatienten nach der Diagnosemitteilung denkt, mit dem Widerspruch zwischen der betäubenden Stille in den Gesprächen und den offensichtlich starken Emotionen, von denen die betroffenen Patienten aufgewühlt werden. Oder an aggressive Patienten oder Angehörige, die so laut sein müssen, weil sie sonst „das Gestöhn des Herzens“ nicht aushalten könnten.

In diesem Themenschwerpunkt werfen fünf aus der Forschungsgruppe entstandene Beiträge unterschiedliche Schlaglichter auf Resilienz. In den Beiträgen, deren Sprachduktus ebenso wie die angewandten Methoden sicherlich ungewohnt sind für die Leser von Der Schmerz, geht es um Sprache und ihre kulturellen Codierungen, durch die in einem breiten Bogen vom Alten Testament über die neuere Literatur bis zum Gebrauch von Metaphern bei Krebspatienten in der heutigen Zeit sprachliche Ausdrucksformen von Schmerz und Resilienz thematisiert werden.

Die Beiträge zum Schwerpunkt weisen darauf hin, dass Resilienz ein komplexes Konstrukt ist, das im wissenschaftlichen Diskurs sehr unterschiedlich interpretiert wird. Gerade für den Umgang mit chronischen Schmerzpatienten oder Palliativpatienten kann Resilienz nicht einfach wie in der Werkstoffkunde verstanden werden, als elastisches Zurückfedern in den ursprünglichen Zustand nach einer Verformung durch äußere Kräfte. Auch in der Forschungsgruppe war es eine wichtige Erkenntnis, dass Resilienz nicht als persönliche Eigenschaft zu betrachten ist, die bei den Patienten mehr oder weniger ausgeprägt ist oder eben auch fehlt, und auch nicht als Outcome, indem Patienten möglichst resilient gemacht werden, sondern als Prozess, der sich in einer Krise in unterschiedlichem Maß entfalten kann. Die Arbeitsdefinition ist dementsprechend „Resilienz als Fähigkeit und dynamischer Prozess einer adaptiven Bewältigung von Stress und Widrigkeiten bei Aufrechterhaltung und Entwicklung psychischer und physischer Funktionalität“. Dieser Prozess wird von individuellen, situativen und gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst und kann sich unterschiedlich ausdrücken, zum Beispiel als Hoffnung, aber auch als Ambivalenz oder als Ringen mit Destruktivität. Idealerweise mündet der Prozess in eine Sinnfindung: als Lebenssinn, als Kohärenzgefühl oder als Narration in der persönlichen Biografie. So wird gerade in der Palliativversorgung im Umgang mit lebensbedrohlichen Erkrankungen klar, dass es keine Option gibt, dass alles so wird wie früher vor der Erkrankung. Resilienz kann sich für diese Patienten darin ausdrücken, sich nicht unterkriegen zu lassen. Das kann in der Spannung zwischen Aushalten und Gestalten geschehen, so wie es im bekannten Gelassenheitsgebet formuliert wird: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Das in der Forschungsgruppe entwickelte Resilienzkonzept unterscheidet sich damit von anderen Modellen, zum Beispiel aus dem Leibniz-Institut für Resilienzforschung, das Resilienz definiert als „Fähigkeit zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung psychischer Gesundheit während oder nach stressvollen Lebensereignissen“ (https://lir-mainz.de/resilienz). Allerdings wird auch dort darauf hingewiesen, dass Resilienz ein aktiver und dynamischer Prozess ist und nicht als starres Persönlichkeitsmerkmal verstanden werden kann.

Noch wird Resilienz als Konzept kaum genutzt für die Schmerztherapie und Palliativversorgung, wie der Beitrag von Peusquens et al. aufzeigt, wenn es auch eine zunehmende Zahl von Untersuchungen zur Resilienz bei den Mitarbeitenden in den Palliativteams gibt. Hier besteht allerdings die Gefahr, dass Resilienz als Selbstoptimierungsstrategie oder Burn-out-Prophylaxe missbraucht wird und dann nur noch dazu beitragen soll, die Arbeitskraft der Mitarbeitenden und damit die Produktivität möglichst hoch zu halten. Demgegenüber weisen die Beiträge auf eine andere Perspektive. Sie zeigen, dass Sprache wichtig ist im Umgang mit Schmerzen und Leid, um sich als resilient erleben zu können. Sie zeigen, dass die Mitarbeitenden im Gesundheitssystem ein Bewusstsein für die Sprachmuster und Metaphern und dafür, ob diese Muster den Bedürfnissen von Patienten und Zugehörigen entsprechen, entwickeln sollten.

Für Tumorpatienten haben sich resilienzfördernde Interventionen bereits als nützlich erwiesen (Seiler und Jenewein 2019). Hierbei wurde Resilienz allerdings meist im Zusammenhang mit posttraumatischem Wachstum („posttraumatic growth“ [PTG]) gesehen und vor allem bei Überlebenden einer Tumorerkrankung oder bei den pflegenden Zugehörigen untersucht [1, 2]. Im Gegensatz dazu ist eher kritisch zu hinterfragen, wieweit PTG auch bei Patienten mit fortschreitender Tumorerkrankung möglich ist, weil im Gegensatz zu anderen Krisen bei einer Tumorerkrankung multiple Belastungsfaktoren vorliegen, die existenzielle Bedrohung durch die Erkrankung anhaltend und in die Zukunft hinein besteht und weniger Kontrolle möglich ist [3]. Die Prüfung der Übertragbarkeit auf Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen oder anderen lebenslimitierenden Erkrankungen in der Palliativversorgung steht noch aus.

Potenziell resilienzfördernde Interventionen können mittlerweile aus einer breiten Palette ausgewählt werden. In einer aktuellen systematischen Übersicht zu Resilienzinterventionen wurden 43 kontrollierte Studien ausgewertet, allerdings nur eine bei Überlebenden einer Tumorerkrankung und drei weitere bei anderen Patientengruppen [4]. Als Interventionen wurden vor allem kognitive Restrukturierungen, Coping-Strategien, Stressmanagement oder Schulungen zu Resilienzfaktoren wie sozialer Unterstützung oder Selbstwirksamkeit durchgeführt.

Auch wenn das Konzept der Resilienz vielversprechend in der Schmerztherapie und Palliativversorgung erscheint, ist es von den vorliegenden Arbeiten noch ein weiter Weg zu praktikablen Interventionen, mit denen Resilienz gefördert und verstärkt werden kann.

In der Annahme, dass Resilienz eine variable und dynamische Prozessgröße und zugleich abhängig von situationsspezifischen und biografischen Faktoren ist [5], sind für die Zielgruppe der Schmerz- und Palliativpatienten eher lebensbiografische Ansätze zu erwägen. Bei Resilienz angesichts einer anhaltenden existenziellen Krise handelt es sich weniger um eine Bewältigungsstrategie, sondern mehr um einen Lernprozess, um mit einem solchen Ereignis leben zu können. Ein Erinnern an bereits durchlebte Krisen und die dabei als hilfreich erlebten Elemente können Resilienz wie auch Kohärenzgefühl stärken [6]. In der eigenen Lebensgeschichte und dem im Leben Erreichten können Patient*innen Lebenssinn entdecken und Würde empfinden. Reminiszenzinterventionen wirken sich positiv auf die Lebensqualität und das spirituelle Wohlbefinden aus und reduzieren Depressionen [7].

Für die Planung und Durchführung von Interventionsstudien zu Resilienz wurde eine Reihe von Empfehlungen vorgelegt [4]. Allerdings ist fraglich, wieweit sich die Empfehlungen zu umfangreichen und aufwendigen Untersuchungen zum psychischen und physischen Befinden oder zu einer Langzeitnachbeobachtung in der Schmerztherapie und Palliativversorgung mit der oft eingeschränkten körperlichen und kognitiven Funktionsfähigkeit der Patienten umsetzen lassen. Kurze Messinstrumente wie zum Beispiel die Resilience Scale (RS‑5; [8]) sind wiederum auf einzelne Aspekte der untersuchten Konstrukte eingeschränkt und damit für eine holistische Erfassung nicht geeignet.

Insgesamt scheint damit aber Resilienz einen neuen, spannenden Forschungsbereich innerhalb der Schmerztherapie und Palliativversorgung darzustellen. Wir hoffen, dass wir mit den Beiträgen in diesem Schwerpunktheft das Interesse angefacht haben.