Trotz erfolgreicher Operation fallen Patienten postoperativ regelmäßig durch kinesiophobes und katastrophisierendes Verhalten sowie anhaltenden Schmerz auf. Es gibt Hinweise, wonach eine ausschließliche biomedizinische Aufklärung (BMA) des OP-Prozederes diese Verhaltensentwicklung begünstigen kann. Im Gegensatz zu einer BMA wird durch eine neurobiologische (Schmerz‑)Edukation (PNE) das subjektive Schmerzempfinden vor einem neurobiologischen und neurophysiologischen Hintergrund erklärt. In diesem Review wird der Frage nachgegangen, ob eine zusätzliche perioperative PNE einen positiven Einfluss auf die postoperativen Variablen, insbesondere Kinesiophobie, Katastrophisieren und Schmerz, hat [2].

Einleitung

Anhaltende Schmerzen sind für den Betroffenen sehr beeinträchtigend und haben häufig negative Auswirkungen auf soziale, familiäre Kontakte und den beruflichen Alltag. Trotz einer sich stetig verbessernden Qualität der OP-Techniken konnte gleichzeitig keine eindeutige physische und mentale postoperative Gesundheitsverbesserung der Patienten erzielt werden [1], was hohe Chronifizierungsraten postoperativer Schmerzen impliziert [8, 13, 14]. Eine Vielzahl von „randomised controlled trials“ (RCT) zeigte bereits einen positiven Effekt durch eine neurobiologische Schmerzedukation („pain neuroscience education“ [PNE]) bei Patienten mit chronischen lumbalen Schmerzen [13, 24]. Diese Überlegungen lassen die Fragestellung zu, ob eine präoperative PNE einen positiven Einfluss auf das postoperative Outcome und damit auf geringere postoperative Schmerzchronifizierungsraten hat.

Chronifizierungsgründe

Nicht selten entwickelt sich eine Schmerzchronifizierung nach einer Operation.

Neuere Untersuchungen von verschiedenen Autoren zeigen, dass bei etwa 40 % aller Patienten, die in den USA aufgrund von degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule operiert werden, der Schmerz weit über den normalen Heilungsverlauf einer verletzten Struktur hinaus andauert – sie chronifizieren. Zudem weisen Patienten nach einer OP deutliche funktionelle Defizite auf [1, 8, 13, 14].

Die Entwicklung einer (postoperativen) Chronifizierung ist nicht von objektivierbaren Daten (Geschlecht, Familienstand, Ausbildungsstatus) abhängig [7, 30], sondern wird neben einer insuffizienten Stellung der OP-Indikation und einem bereits präoperativ bestehenden chronischen Schmerz insbesondere durch neuroplastische Veränderungen (periphere Sensibilisierung, zentrale Sensibilisierung, deszendierende Modulation) bedingt. Infolgedessen treten häufig maladaptive Copingstrategien, ein Angst-Vermeidungs-Verhalten, Katastrophisierungsgedanken und negative Emotionen, insbesondere Angst, auf. Schmerzen, welche als bedrohlich empfunden werden, verhindern die Rückkehr zu einer normalen Aktivität [28].

Menschen mit einem ausgeprägten Angst-Vermeidungs-Verhalten (AVV) und Neigungen zur Schmerzkatastrophisierung chronifizieren häufiger [1, 18, 20, 27, 29]. Emotionen und die daraus resultierenden physiologischen Reaktionen eines Menschen können durch Gedanken und Überzeugungen positiv oder negativ beeinflusst werden [27].

Zu den allgemeinen Hauptrisikofaktoren für eine Chronifizierung von Rückenschmerzen gehören der subjektive Umgang mit Arbeitsplatzkonflikten, soziale Isolation, Depressionen, negative Emotionen und Katastrophisierungsgedanken, welche ggf. auch auf eine mangelhafte Aufklärung zurückzuführen sind [7].

Neurobiologische Schmerzedukation (PNE)

Neuere Ansätze in der Behandlung chronischer Schmerzsyndrome haben eine neurobiologische Edukation als Haupttherapiebaustein integriert. Ziel dieser Edukation ist es, dem Patienten ein umfassendes Wissen über die neurobiologischen und neurophysiologischen Zusammenhänge des subjektiven Schmerzempfindens zu vermitteln und somit die bedrohende Wirkung des Schmerzes zu reduzieren.

Eine Übersicht der „key points“ der biomedizinischen sowie der neurobiologischen Edukation ist in Tab. 1 beschrieben, generelle Eigenschaften bezüglich der Inhalte einer PNE finden sich in Tab. 2.

Tab. 1 „Key points“ der biomedizinischen und neurobiologischen Edukation entsprechend der aktuellen Literatur modifiziert [13, 14, 16]
Tab. 2 Leitfaden nach Louw (2012) für die neurobiologische Edukation vor einer Wirbelsäulenoperation [12]

In einem RCT von Louw et al. (2014) konnte bereits ein positiver Effekt in Bezug auf den Schmerz, das Katastrophisieren und die Funktion/Beweglichkeit durch eine PNE bei Patienten mit chronischen lumbalen Schmerzen im 1‑Jahres-Follow-up zeigen [13, 24]. Schmerz als solcher hat primär die Funktion der „Warnung vor einer Bedrohung“ und stellt somit eine Schutzfunktion vor einer potenziellen Gefahr dar. Allein das Verstehen des Schmerzes führt zu einer Reduktion der subjektiv empfundenen Bedrohung durch den Schmerz [3, 8]. Diese Überlegungen lassen die Fragestellung zu, welchen Effekt eine präoperative PNE auf das postoperative Outcome hätte.

Das Ziel dieses systematischen Reviews ist, den Effekt einer präoperativen neurophysiologischen Schmerzedukation auf das postoperative Outcome sowie die unterschiedlichen Herangehensweisen (bzgl. Dauer und Setting) dieser Intervention zu analysieren.

Die primäre Forschungsfrage hierzu lautet: Welchen Effekt zeigt eine präoperative neurophysiologische Schmerzedukation auf das postoperative Outcome?

Die sekundäre Forschungsfrage lautet: Welche Herangehensweisen wählen die Autoren zur präoperativen neurophysiologischen Schmerzedukation?

Methode

Die medizinische Datenbank PubMed wurde nach englischen und deutschen Artikeln durchsucht. Bei der Suche wurde nach dem PI(C)O-Prinzip vorgegangen und die Suchbegriffe aus Tab. 3 verwendet. Da die einfache Suche in „All Fields“ sehr unspezifisch war und sehr hohe Trefferzahlen zur Folge hatte, wurde anschließend mit der MeSH(Medical Subject Headings)-Term-Funktion und in der Kategorie „Title/Abstract“ gesucht.

Tab. 3 Suchbegriffe, Funktion und Trefferzahl

Schritte der systematischen Literaturrecherche

Die Verknüpfung wurde durch die Boulschen Operatoren „AND“ und „OR“ wie folgt vorgenommen:

1. Verknüpfung.

– 75 Treffer:

((((((chronic pain[MeSH Terms]) AND (pain neuroscience education[MeSH Terms])) AND (pain[Title/Abstract])) OR (disability[Title/Abstract])) AND (kinesiophobia[Title/Abstract])) OR (catastrophizing[Title/Abstract])) AND (central sensitization[Title/Abstract])

2. Verknüpfung.

– 2 Treffer:

(((chronic pain[MeSH Terms]) AND (pain neuroscience education[MeSH Terms])) AND (pain[MeSH Terms])) AND (central sensitization[MeSH Terms])

3. Verknüpfung.

– 6 Treffer:

(((((((low back pain[MeSH Terms]) AND (preoperative pain neuroscience education)) OR (preoperative management)) AND (pain[Title/Abstract])) OR (disability[Title/Abstract])) AND (kinesiophobia[Title/Abstract])) AND (catastrophizing[Title/Abstract])) AND (central sensitization[Title/Abstract])

Auf Basis der Abstracts wurden 83 Artikel entsprechend den unten aufgeführten Ein- und Ausschlusskriterien gescreent.

Zur Vertiefung der Thematik wurde bei google.scholar.com und scinos.de nach Artikeln gesucht. Auch wurden Verweise in den vorliegenden Artikeln und Studien auf die dort verwendeten Quellenangaben aufgenommen.

Einschlusskriterien

Die Artikel wurden eingeschlossen, wenn sie ab dem 01.01.2011 erschienen sind, ein Evidenzlevel 1, 2, 3 oder 4 erfüllten, eine biomedizinische und/oder eine neurobiologische Edukation bei Patienten vor einer Operation durchgeführt wurde und zu den untersuchten Outcomeparametern die medizinisch entstehenden Kosten, Schmerz, Funktion, Katastrophisierung und/oder Kinesiophobie zählten.

Ausgeschlossen wurden die Artikel bei einem Erscheinungsdatum vor 01.01.2011, mit einem Evidenzlevel 5, wenn keine präoperative Edukation durchgeführt wurde sowie bei anderen als den oben erwähnten Outcomeparametern.

Ergebnisse

Nach dem Screening der Abstracts wurden neun Studien [10, 11, 13,14,15,16, 19, 25, 26] eingeschlossen, welche an n = 360 Probanden den zusätzlichen Effekt von verschiedenen präoperativen Edukationen auf das postoperative Outcome untersuchten. Der Fokus wurde hierbei auf sieben Forschergruppen [11, 13,14,15,16, 19, 25] gelegt, welche an insgesamt n = 213 Patienten den zusätzlichen Effekt einer präoperativen PNE zu einer biomedizinischen Edukation (n = 114) im Vergleich zu einer alleinigen präoperativen biomedizinischen Edukation (n = 99) bei Patienten vor Operationen an verschiedenen Körperbereichen untersuchten. Zwei Untersuchungen [10, 26] verglichen an insgesamt 147 Patienten vor einer Wirbelsäulenoperation weitere Formen präoperativer Aufklärung (Führung durch die Klinikräumlichkeiten, zusätzlich schriftliches Material über das OP-Prozedere, detailliertere Erklärungen des OP-Prozederes etc.).

Sechs der eingeschlossenen Studien weisen ein sehr gutes Evidenzlevel (1 bzw. 1B) auf [10, 11, 13, 16, 25, 26]. Drei Studien haben eine geringere Evidenz (3B und 4; [14, 15, 19]).

Aus den eingeschlossenen Studien geht hervor, dass bislang kein standardisiertes Vorgehen einer präoperativen PNE existiert. Ein Großteil der Autoren bezieht sich auf das Vorgehen der Arbeitsgruppen von Louw et al. Nahezu keine Angaben machen die Autoren für den genauen Zeitpunkt der präoperativen PNE. Lediglich von einer Forschungsgruppe wird angegeben, dass die edukativen Einheiten in den Wochen 8, 7, 6 und 5 vor der OP stattfinden sollen [11]. Louw et al. [14] führen die präoperative PNE 28 bis 2 Tage vor der OP durch. Nach Louw et al. [13] ist der beste Zeitpunkt einer präoperativen Edukation eine Woche vor der OP.

Eine größere Konsistenz besteht zwischen den Autoren für die Art der Informationsvermittlung und das Setting.

Alle Autoren, welche eine PNE durchführten, wählten ein auditiv-visuelles Vorgehen [11, 13,14,15, 19, 25]. Außer von Núñez-Cortés et al. [25] wurde dieses durch schriftliches Material untermauert. Das gewählte Setting war bei allen Untersuchungen, welche die positiven Aspekte einer Kleingruppe in den Vordergrund stellten, im 1:1-Kontakt.

Weniger Konsistenz besteht für die Dauer und Anzahl der präoperativen PNE, wobei ein Großteil aller Autoren eine Einheit von 30 min durchführte [13,14,15, 19, 25]. Eine Forschungsgruppe führte vier Einheiten mit einer Dauer von 20 bis 60 min im Abstand von einer Woche durch [11]. Lediglich bei einer Erhebung wurde eine präoperative PNE mit einer postoperativen Eigenübungstherapie kombiniert [25] und eine weitere Untersuchung kombinierte eine präoperative Edukation mit präoperativer Mobilisation [11].

Im Durchschnitt erhielten die Patienten eine präoperative PNE-Einheit von 35 min.

Zusammenfassend herrscht Uneinigkeit hinsichtlich der Art, Dauer und des Settings. Überwiegend wurde eine einmalige 30-minütige visuell-auditive Edukation mit zusätzlichem schriftlichem Material im 1:1-Kontakt durchgeführt. Über den Zeitpunkt der Edukation kann aufgrund der großen Inkonsistenz keine Aussage getroffen werden. Von den meisten Autoren wurde ein zeitlicher Abstand zwischen der Edukation und der OP von mehr als einem Tag gewählt.

Die Autoren untersuchten v. a. die Domänen Schmerz, Funktionseinschränkung, Katastrophisierung, Kinesiophobie sowie die postoperative Inanspruchnahme von Leistungen im Gesundheitswesen.

Die Ergebnisse zeigen Tendenzen auf, wonach eine präoperative PNE v. a. die psychometrischen Variablen Katastrophisierung (kein Effekt (n = 43) [19, 25]; signifikanter Effekt (n = 55) [11, 14, 15]). Kinesiophobie (kein Effekt [25]; signifikanter Effekt [11, 19]) sowie die Sensitivität des Nervensystems im betroffenen Körpergebiet (kein Effekt [11]; signifikanter Effekt [15, 19]) positiv beeinflusst. Keinen signifikanten Effekt hat eine präoperative PNE auf den postoperativen Schmerz und Funktion. Eine Intensivierung der biomedizinischen Aufklärung kann die postoperative Angst steigern [26]. Wie die Follow-up-Erhebungen zeigten [13, 16], scheint eine postoperative Verhaltensveränderung im Sinne einer signifikant geringeren erneuten Inanspruchnahme von Leistungen im Gesundheitswesen nicht in Zusammenhang mit Schmerz und Funktion zu stehen, sondern eher mit den psychometrischen Variablen Katastrophisierung und Bewegungsangst.

Eine Übersicht der eingeschlossenen Artikel gibt Tab. 4 mit den entsprechenden Abkürzungen in Tab. 5.

Tab. 4 Ergebnistabelle der eingeschlossenen Artikel
Tab. 5 Abkürzungen aus der Ergebnistabelle

Diskussion

Für die Überprüfung der Validität der Primärstudien spielt die Untersuchung eines möglichen Bias eine wichtige Rolle. Wichtige Parameter sind in diesem Zusammenhang die untersuchte Population sowie Verblindungs- und Randomisierungsprozesse. Die Validität der Primärstudien wird überwiegend als gut bezeichnet (gute Validität [10, 11, 13, 16, 25]; mäßige Validität [19]; geringe Validität [14, 15]). Die Generalisierbarkeit der Ergebnisse auf weitere Populationen ist eher gering (hohe Generalisierbarkeit [10]; geringe Generalisierbarkeit [11, 13,14,15,16, 19, 25, 26]). Kritisch zu betrachten sind die Ergebnisse v. a. deshalb, da es sich in einigen Studien um sehr kleine Populationsgruppen handelt bzw. z. T. eine Kontrollgruppe fehlt.

In Bezug auf die primäre Forschungsfrage besteht der Wert der Studien v. a. darin, dass Tendenzen aufgezeigt werden konnten, welche eine positive Beeinflussung des postoperativen Outcomes durch eine edukative Intervention vor einer Operation belegen. Diese zeichnen sich v. a. durch eine Veränderung der psychometrischen Variablen (Kinesiophobie und Katastrophisierung) sowie durch eine reduzierte Sensitivität des Nervensystems aus. Keine Veränderungen zeigten sich hinsichtlich Schmerzintensität und Funktion. Dass trotzdem eine Verhaltensveränderung im Sinne einer signifikant geringeren Inanspruchnahme von postoperativen Leistungen im Gesundheitswesen zu beobachten ist, zeigt eindeutig, dass Patienten nicht aufgrund der alleinigen Schmerzintensität oder der eingeschränkten Funktion nach externer Hilfe suchen, sondern auch aufgrund der damit verbundenen Ängste und Sorgen, welche u. a. durch Schmerzen ausgelöst werden können. Kritisch anzumerken ist an dieser Stelle, dass von den meisten Autoren diese Ergebnisse nur maximal in einem 3‑Monats-Follow-up bestätigt wurden, über langfristigere Outcomes sind bislang nur wenige Ergebnisse bekannt [13, 14, 16]. Ein 12- und 24-Monats-Follow-up ist in dem Studienprotokoll von Ickmans et al. (2016) vorgesehen [8], welches aufgrund der Einschlusskriterien nicht in die Ergebnisauswertung aufgenommen wurde.

Bezüglich der sekundären Forschungsfrage zeigen die Studien eine größere Inkonsistenz in der Herangehensweise der präoperativen PNE. Zwar überschneiden sich größtenteils die Inhalte der präoperativen PNE, allerdings liegen Variationen in Zeitpunkt und Dauer vor. Einigkeit herrscht hinsichtlich eines visuell-auditiven Settings mit unterstützendem schriftlichen Material. Welchen Umfang das schriftliche Material hat, ob hierbei viele Bilder oder Verlinkungen zu weiteren Informationsquellen geboten werden, bleibt meist unklar. Auch wurde die präoperative Edukation überwiegend im 1:1-Kontakt durchgeführt. Die positiven Aspekte einer Gruppentherapie, welche im nichtoperativen Setting zu guten Ergebnissen führten, wurden von den Autoren nicht beleuchtet. Bislang gibt es keine Untersuchungen zu den Effekten einer präoperativen PNE im Gruppensetting. Ob der von den Forschern gewählten Herangehensweise im 1:1-Kontakt ein übergeordneter Effekt zugeschrieben werden kann, kann nicht beantwortet werden.

Obwohl in dem bereits in 2. Auflage erschienenen Leitfaden „Pain Neuroscience Education“ von Louw et al. (2018) [17] eindeutig eine Kombination aus PNE und Übungstherapie empfohlen wird, führten lediglich zwei Autoren [11, 25] eine solche kombinierte Herangehensweise durch. Auch hier liegen somit Unstimmigkeiten in der Herangehensweise vor.

Zusammenfassend sind die ausgewählten Primärstudien v. a. für die Beantwortung der primären Forschungsfrage von großer Bedeutung. Sie zeigen einheitlich die Tendenz auf, dass eine präoperative PNE zu einer Verbesserung psychometrischer Variablen führt und somit das postoperative Outcome nicht durch die Parameter „Schmerz“ und „Funktion“ bestimmt wird. In Bezug auf die sekundäre Forschungsfrage legen sie in der gemeinsamen Betrachtung Unklarheiten hinsichtlich einer evidenzbasierten Herangehensweise offen.

Ein möglicher Bias kann gegebenenfalls dadurch entstehen, dass fünf der neun eingeschlossenen Studien von Louw et al. durchgeführt wurden.

Mögliche neurobiologische Mechanismen der positiven Effekte von PNE

Eine Vielzahl von kortikalen Regionen, welche für das Verhalten, Emotionen, Erfahrungen etc. verantwortlich sind, ist während einer Schmerzwahrnehmung gleichzeitig aktiv und durch Nervenzellen miteinander verknüpft. Dieses sich permanent verändernde Netzwerk von Nervenzellen wird Schmerzneuromatrix oder Konnektom genannt [9, 23, 30]. Dysfunktionen im zentralen und/oder peripheren Nervensystem unterhalten die Aktivitäten in der kortikalen Matrix und können zu nicht zielführenden Copingstrategien führen [5].

Die fMRT-Untersuchungen von Louw et al. [15] zeigten nach der PNE eine Deaktivierung in Arealen des periaquäduktalen Graus (PAG) und des Cerebellums sowie eine gesteigerte Aktivität im Motorkortex. Besonders dem PAG und dem Cerebellum wird eine wichtige Rolle in der absteigenden Schmerzmodulation, dem Vermeidungsverhalten sowie dem subjektiven Empfinden einer Bedrohung zugeschrieben. Das PAG steht über direkte Bahnen mit dem Gyrus cinguli in Verbindung, welcher an der emotionalen Bewertung von Schmerz beteiligt ist [1, 4]. Wie lange die gefundenen kortikalen Veränderungen bei der untersuchten Patientin bestehen blieben, ist aufgrund fehlender weiterer Messungen unklar. Wichtig erscheint, dass diese Ergebnisse aufgrund des Einzelfalldesigns nicht generalisierbar sind.

Die durch eine Schmerzerfahrung hervorgerufenen kortikalen neurobiologischen Veränderungen im Sinne einer zentralen Sensibilisierung stehen in einem engen Zusammenhang mit den psychometrischen Charakteristika Kinesiophobie und Katastrophisieren [22]. Diese enge Verknüpfung von Schmerz und Emotionen wird auch in einem Review von Lumley et al. (2011; [21]) beleuchtet.

Um die Entwicklung kinesiophober und katastrophisierender Verhaltensweisen zu verhindern oder deren weitere Ausprägung zu reduzieren, ist es fundamental, den Schmerz sowohl bei akuten als auch bei chronischen Schmerzsyndromen für seine Bewältigung zu verstehen [3, 5].

Die Rekonzeptualisierung von Schmerz und einer Schmerzerfahrung steht im Hauptfokus der PNE.

Zahlreiche Autoren vertreten die Meinung, dass das postoperative Outcome bereits durch die präoperative Phase mit beeinflusst werden kann [11, 13,14,15, 19].

Auf Basis der Ergebnisübersicht kann hypothetisiert werden, dass eine präoperative neurobiologische Erklärung von Schmerz im postoperativen Stadium die Sensitivität des Nervensystems sowie kinesiophobe und schmerzkatastrophisierende Tendenzen reduziert. Diese Ergebnisse konnten unabhängig von der Lokalisation des OP-Bereichs bestätigt werden.

Durch Langzeit-Follow-up-Erhebungen konnte eine Verhaltensveränderung im Sinne einer geringeren Inanspruchnahme von postoperativen Leistungen im Gesundheitswesen beobachtet werden.

Keinen Einfluss hat eine präoperative PNE auf die postoperative Schmerzintensität und Funktion.

Hinsichtlich der Herangehensweisen liegen v. a. in Zeitpunkt und Dauer der präoperativen PNE Inkonsistenzen vor. Um den Effekt der präoperativen PNE zu stärken sowie ihren Nutzen weiter zu optimieren, besteht hier weiterer Forschungsbedarf.

Die Analyse der Herangehensweise von PNE (sowohl bei akuten und chronischen Schmerzen als auch im präoperativen Kontakt) im klinischen Setting offenbart die Notwendigkeit einer intensiven Erklärung von Schmerz. Dass der empfundene Schmerz immer eine Leistung des Gehirns ist, sollte unabhängig von körperlicher Diagnose und Heilungsstadium der Struktur immer Teil eines aufklärenden Gesprächs aller Berufsgruppen sein. Die Erläuterung einer Funktionsstörung, welche alleinig für einen Schmerz verantwortlich gemacht wird, reicht für keinen Schmerzphänotyp aus, um die Bedrohung eines Schmerzes zu reduzieren.

Kritisch ist zu betrachten, dass die durchgeführten präoperativen PNE-Interventionen ausschließlich im 1:1-Setting durchgeführt wurden, was im klinischen Alltag nahezu nicht umsetzbar erscheint. Welchen Effekt eine Gruppenintervention hat, ist bislang nur aus schmerztherapeutischen Interventionen im Rahmen der Behandlung eines chronischen Schmerzes bekannt. V. a. die positiven sozialen Aspekte einer Gruppentherapie können von der Autorin der vorliegenden Arbeit durch Erfahrungen im klinischen Alltag bestätigt werden. Vor dem Gesichtspunkt eines biopsychosozialen Ansatzes wäre eine präoperative PNE im Gruppensetting somit ein sinnvoller Ansatz [6].

Fazit für die Praxis

  • „Pain neuroscience education“ (PNE) in einem präoperativen Setting kann Kinesiophobie, Angst und Katastrophisieren reduzieren. Der Effekt einer präoperativen PNE kann weniger an den Variablen Schmerz und Funktion bewertet werden, sondern eher durch psychometrische Assessments wie z. B. TSK und PCS.

    Die Inhalte von PNE basieren auf der Neurobiologie und Ätiologie von Schmerzen sowie von zu Schmerz beitragenden Risikofaktoren.

  • PNE hat einen systematischen Aufbau und kann einfach in die tägliche Praxis integriert werden.