Anlässlich der Vorstellung einer neuartigen Schmerztherapie im Jahr 2010, der Applikation eines monoklonalen Antikörpers gegen den Nervenwachstumsfaktor (NGF), hatte der Autor dieses aktuellen Editorials ein vorhergehendes Editorial geschrieben mit dem Titel „Der schmale Grat zwischen Innovation und Risiko. Ist Anti-NGF ein Schmerzmittel der Zukunft?“ [7]. Elf Jahre später muss hinter die Frage ein weiteres Fragezeichen gesetzt werden. Nachdem die Therapie mit Antikörpern verschiedener Firmen jahrelang erprobt worden ist, wurde 2021 durch eine Entscheidung der amerikanischen Genehmigungsbehörde FDA (U.S. Food and Drug Administration) der Firma Pfizer die Zulassung des Anti-NGF-Antikörpers „Tanezumab“ für die Schmerztherapie bei Arthroseschmerzen versagt. Diese Entscheidung erregt in der Schmerzforschung großes Aufsehen, weil mit der Einführung dieser neuartigen Therapie große Hoffnungen verbunden waren. Die Diskussion in der Fachwelt zeigt, wie sehr die Schmerzforschung in eine Zwickmühle geraten ist. Was ist geschehen?

Im Jahr 2010 erschien im New England Journal of Medicine eine Publikation von Lane et al. mit dem Titel „Tanezumab for the treatment of pain from osteoarthritis of the knee“ [4]. Diese Arbeit stellte einen Meilenstein in der klinischen Arthroseschmerztherapie dar, weil es erstmals gelungen war, mithilfe eines monoklonalen Antikörpers Schmerzen sehr effektiv zu behandeln. Mit 1–2 Injektionen des Antikörpers Tanezumab wurde bei Patienten mit schmerzhafter Arthrose eine langanhaltende Schmerzlinderung über viele Wochen erzielt, die bei hoher Dosierung des Antikörpers der konventionellen Schmerztherapie deutlich überlegen war [1, 4]. Die Entwicklung dieser Therapie erfolgte konsequent aus der Grundlagenforschung über NGF und die neuronalen Prozesse der Schmerzentstehung, was durch zahlreiche Publikationen belegt ist (Zusammenfassungen in [2, 6, 9]). Da NGF für die Aufrechterhaltung des Phänotyps der Untergruppe der Nozizeptoren mit Rezeptoren für NGF (trkA-Rezeptoren) erforderlich ist, greift der Antikörper in die Funktionsweise dieser Nozizeptoren ein und reduziert ihre Empfindlichkeit für noxische Reize [2, 6, 9].

Relativ schnell aber fiel ein Schatten auf diesen Erfolg, weil bei wenigen Patienten, die diese Behandlung erhielten, eine rasch progrediente Arthroseentwicklung („rapidly progressing osteoarthritis“ [RPOA]) aufgetreten war, die zur Zerstörung des arthrotischen Gelenks (oder sogar eines anderen) führte. Um den möglichen Zusammenhang zwischen der RPOA und der Therapie zu untersuchen, wurden alle neuen klinischen Studien zwischen 2010 und 2015 gestoppt. Da ein kausaler Zusammenhang zwischen RPOA und der Therapie mit dem Anti-NGF-Antikörper aus den vorhandenen Daten nicht gesichert werden konnte, wurde 2015 die Wiederaufnahme der klinischen Studien unter Auflagen genehmigt. Tausende von Patienten wurden in klinische Phase-2- und Phase-3-Studien einbezogen, um den Effekt von Antikörpern gegen NGF bei verschiedenen Schmerzen zu untersuchen. In einer zusammenfassenden Arbeit stellten Bannwarth und Kostine 2017 die damals aus den klinischen Studien vorhandenen Daten zusammen [1]. Es hatte sich in der Zwischenzeit gezeigt, dass der Antikörper gegen NGF gegen Arthroseschmerzen und Kreuzschmerzen wirksam ist. Auch gegen Schmerzen bei diabetischer Neuropathie waren die Antikörper wirksam, jedoch nicht gegen Schmerzen bei postherpetischer Neuropathie, bei Krebsschmerzen und bei chronischen urologischen Schmerzen [1].

In einer Übersichtsarbeit berichteten Schmelz et al. 2019 über die inzwischen bekannten Ergebnisse der klinischen Studien, und sie stellten die Wirkmechanismen und das Risikoprofil der Therapie dar [9]. Wiederum wurde als wichtigste Komplikation die RPOA beschrieben, die durch Schmerzen, rasche Gelenkspaltverschmälerung und starke atrophische Knochenveränderungen mit Zusammenbruch wenigstens einer subchondralen Fläche innerhalb eines Jahres gekennzeichnet war. Hierbei konnte auch ein Gelenk befallen sein, das gar nicht im Fokus der Arthrosebehandlung stand. Erschwerend stellte sich heraus, dass das Risiko für eine RPOA umso größer war, je höher der Antikörper dosiert wurde. Dieser Umstand führte dazu, dass die ursprünglich höheren Dosen des Antikörpers, die besonders wirksam waren [4], gar nicht mehr eingesetzt wurden [1]. Ein weiteres Risiko der Therapie bestand in der gleichzeitigen Einnahme von nichtsteroidalen antiinflammatorischen „drugs“ (NSAID). Auch die Dauer der Therapie schien eine Rolle zu spielen. Die Gründe für die Entwicklung der RPOA sind letztlich nicht eindeutig gefunden worden. Erklärungsversuche reichen von einer Beeinträchtigung der nervalen Funktion durch den Antikörper (von Neuropathie bis Analgesie) bis hin zur Auffassung, dass NGF eine bisher unbekannte Funktion in der Gelenkbiologie haben könnte, die durch den Antikörper eingeschränkt wird. Andere Nebenwirkungen, z. B. sensorische Störungen, waren eher transient [9].

Der Antrag auf Zulassung von Tanezumab zur Behandlung der Arthroseschmerzen wurde 2021 von Mitgliedern des Arthritis Advisory Committee (ACC) und des Drug Safety and Risk Management Advisory Committee (DSaRM) der FDA abgelehnt. Zwar wurde eingeräumt, dass die Therapie wirksam ist. Jedoch wurde festgestellt, dass bei den zuletzt relativ niedrigen Dosen die klinische Effizienz nicht besser sei als die Einnahme von Aspirin oder Ibuprofen, der totale Gelenkersatz würde weder vermieden noch hinausgezögert. Vor allem wurden auch die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Risikoabschätzung (z. B. jährliche Röntgenkontrollen von Knie- und Hüftgelenken) nicht für ausreichend erachtet (siehe Details in [8]).

Es ist nichts Ungewöhnliches, dass ein neues Medikament nicht zugelassen wird wegen Nebenwirkungen und anderer Bedenken. Warum also ist die Schmerzforschung in der Zwickmühle? Tatsächlich sind die Erfolge der Anti-NGF-Therapie auch nach Bekanntwerden der verfehlten Zulassung Gegenstand von internationalen und nationalen Kongressbeiträgen, denn der Ansatz scheint von den Wirkmechanismen her attraktiv, da er in verschiedene wichtige Funktionen von Nozizeptoren eingreift (s. oben). Außerdem besteht die Hoffnung, dass im Zeitalter der Behandlung mit monoklonalen Antikörpern eine Schmerztherapie mit Antikörpern gegen NGF eine Alternative oder Ergänzung zur herkömmlichen Schmerztherapie bei muskuloskeletalen Schmerzen sein kann. Hier ist besonders zu erwähnen, dass mit Antikörpern gegen CGRP bei Migräne bereits die Therapie mit Antikörpern etabliert werden konnte. Da die Nichtzulassung von Tanezumab möglicherweise das endgültige Aus für die Therapie mit Antikörpern gegen NGF bedeuten kann, stehen laufende grundlagenwissenschaftliche und klinische Studien über NGF vor der Gefahr, dass der Ansatz niemals klinisch umgesetzt werden wird. Dies ist auch deshalb bedauerlich, weil nach einer Übersicht von Miller et al. zwar eine ganze Reihe von Neuentwicklungen gegen muskuloskeletale Schmerzen im Gange ist, jedoch wurde keine dieser Entwicklungen so weit vorangebracht wie die Therapie mit Antikörpern gegen NGF [5].

Die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten bei Arthroseschmerzen sind begrenzt. Viele Arthroseverläufe erstrecken sich über Jahre, und letzten Endes werden die Gelenke, häufig nach vielen Jahren mit Schmerzen und Funktionseinschränkungen, ersetzt. Da die Arthrose und Rückenschmerzen Hauptursachen für chronische muskuloskeletale Schmerzen sind und in ihrer Bedeutung zunehmen werden [3], benötigen wir dringend weitere therapeutische Optionen. Da bisher keinerlei krankheitsmodifizierende medikamentöse Therapie der Arthrose in Sicht ist, wird eine effektive Schmerzbekämpfung noch für lange Zeit von großer Bedeutung sein.