Einleitung

Das Thema der weiblichen Genitalbeschneidung bzw. Genitalverstümmelung (englisch Female genital mutilation/cutting, FGM/C) hat Mitte der 1990er-Jahre offiziell Eingang in die deutsche Medizin gefunden. Beim 99. Deutschen Ärztetag 1996 wurde die Beteiligung von Ärztinnen und Ärzten an der Durchführung jeglicher Form von Beschneidung weiblicher Genitalien berufsrechtlich verurteilt. Diese Position wurde 1997 bekräftigt und 2005 in den „Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstümmelung“ festgehalten (Goesmann und Kentenich 2006). Auf die weitreichenden physischen und psychischen Folgen dieser rituellen Praktiken hat die Bundesärztekammer deutlich hingewiesen und die Notwendigkeit von Behandlung und Nachsorge von Frauen mit FGM/C hervorgehoben (Bundesärztekammer Bekanntmachung 2016). Bemerkenswerterweise wird sowohl in der ersten als auch in der überarbeiteten Version der BÄK-Bekanntmachung die Möglichkeit einer Klitorisrekonstruktion (KR) nicht erwähnt.

Entsprechend der WHO-Klassifikation und der damit einhergehenden terminologischen Bestimmungen (WHO 2021) hat sich die Ärzteschaft für die Bezeichnung „Weibliche Genitalverstümmelung“ entschieden. Darunter werden alle Varianten irreversibler Eingriffe am weiblichen Genital verstanden, die die Manipulation und/oder Exzision von Teilen oder der ganzen Klitoris bzw. der großen und kleinen Schamlippen betreffen.Footnote 1 Die negative Konnotation und stigmatisierende Wirkung dieser Bezeichnung wird seit ihrer Einführung durch die Feministin Fran Hosken in den 1970ern diskutiert (Hosken 1979; Toubia 1995; Duivenbode und Padela 2019). Im Umgang mit den betroffenen Frauen wird inzwischen der wertneutrale Begriff „Beschneidung“ auch im deutschsprachigen Raum bevorzugt (Ihring 2015; Danelzik 2016; Nuzzo 2023). Doch auch gegen die Umschreibung der Praktik als Beschneidung gibt es Einwände. Nahid Toubia, die erste sudanesische Chirurgin und Aktivistin, und die Philosophin Martha Nussbaum sprachen sich beispielsweise entschieden gegen die Verwendung dieser Bezeichnung aus, da mit ihr eine falsche Analogie zur männlichen Beschneidung suggeriert werde.Footnote 2 Im Folgenden wird die international gebräuchliche Doppelbezeichnung „FGM/C“ verwendet. Wir weisen damit bewusst auf das Koexistieren der Bezeichnungen hin und darauf, dass diese je nach Kommunikationskontext mit der gebotenen Sensibilität gewählt und verwendet werden sollten.

Über operative Verfahren der Klitorisrekonstruktion nach FGM/C wird seit Beginn des Millenniums berichtet (Foldès 2004; Foldès und Louis-Sylvestre 2006; Abdulcadir et al. 2012; Foldès et al. 2012). In Ländern wie Frankreich, Schweden, Norwegen und der Schweiz, die einen bedeutenden Migrationsfluss aus Ländern aufweisen, in denen FGM/C verbreitet istFootnote 3, wird die KR als Teil der Versorgung von Frauen mit FGM/C angeboten. Auch in Deutschland werden an einigen spezialisierten Zentren KR nach FGM/C vorgenommen. So ist es nicht verwunderlich, dass der Bedarf an Informationen zu FGM/C und dem Spektrum der therapeutischen Optionen von Betroffenen unter in Deutschland tätigem Gesundheitspersonal steigt. Das im August 2022 veröffentlichte S2k-Leitlinienprogramm der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Gynäkologie und Geburtshilfe betont die komplexen Verflechtungen traumatischer, psycho-sexueller und anatomisch-physiologischer Aspekte bei Frauen mit FGM/C und stellt bezüglich der angestrebten postoperativen Verbesserungen eine unzureichende Evidenz fest. Positive Auswirkungen einer KR auf Sexualfunktion und Körperbild werden aber mit Verweis auf veröffentlichte Studien für wahrscheinlich gehalten (DGPRÄC und DGGG 2022, S. 83).

Gegenstand der Publikationen zur KR aus Sexualwissenschaft, Gynäkologie, Medizinanthropologie und anderen Disziplinen sind die verschiedenen operativen Techniken, die anatomisch-ästhetischen und physiologischen Ergebnisse und deren Langzeitfolgen. Zudem werden Angebot, Nachfrage und Übernahmemöglichkeiten der Therapiekosten durch Betroffene oder Krankenversicherungen diskutiert (zu Letzterem siehe Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag 2020). Die Diskussion über KR wird zunehmend durch kritische Positionen belebt, die die Evidenzlage und die fehlenden normativen Rahmenbedingungen – an erster Stelle fachliche Empfehlungen und Leitlinien – hervorheben. Auch deuten verschiedene Studien zu KR nach FGM/C darauf hin, dass in diesem Zusammenhang eine Vielzahl kultureller und medizinischer Normen zum weiblichen Geschlecht, genitaler Morphologie, Sexualität sowie Lust- und Schmerzempfindung konvergieren (Abdulcadir et al. 2022; Auricchio et al. 2021; Johnsdotter 2020; Jordal et al. 2019, 2021; Villani 2020, 2022; Ziyada et al. 2020).

Im Angesicht dieser interkulturellen Herausforderungen und deren moralischen und normativen Implikationen mag es verblüffen, dass bei der zunehmenden Anzahl von Publikationen zu KR medizinethische Reflexionen die Ausnahme darstellen. Auf dieses Forschungsdesiderat hat Michela Villani deutlich hingewiesen (Villani 2022), nachdem Fatima Sharif Mohamed und Koautor*innen 2020 die erste interdisziplinär angelegte ethische Auseinandersetzung zum Thema KR veröffentlichten (Sharif Mohamed et al. 2020). In ihrer Review untersuchten Sharif Mohamed et al. die einen Peer-Review-Prozess durchlaufene Literatur zu KR im Hinblick auf ihren ethischen Gehalt. Sie kamen zu dem Schluss, dass in keiner der bis dato veröffentlichten Studien eine Auseinandersetzung mit den ethischen Implikationen der KR stattgefunden habe. Letztere würden um vier Fragenkomplexe kreisen: die Bestimmung der Vorteile (benefits) sexueller, physischer und psychosozialer Natur einer KR; die Bestimmung der möglichen Risiken von KR; die Rolle der Selbstbestimmung sowie der Aufklärung der Patientinnen bei einer KR und schließlich die Rolle sozialer und struktureller Faktoren auf die Antwort auf die ethischen Fragen (Sharif Mohamed et al. 2020, S. 533–540).

Anknüpfend an diese Diskussion werden in diesem Beitrag die epistemisch-kulturellen Herausforderungen sowie die ethischen Implikationen der KR nach FGM/C kritisch beleuchtet. Ziel der Reflektion ist, den Akteur*innen im Gesundheitssystem und in sozialen Bereichen, in denen Patientinnen mit FGM/C begleitet bzw. versorgt werden, einen differenzierten und orientierungsstiftenden Zugang zur aktuellen Debatte zu bieten. Wir richten unseren Fokus auf die epistemisch-normative Ebene der Evidenzgenerierung und befassen uns mit den Methoden und Kriterien, die für die Prüfung der operativen KR-Ergebnisse gängig sind. Auf der Basis von ethnographischen und medizin-anthropologischen Untersuchungen und der Erfahrungen, die in Ländern wie Schweden und Frankreich seit längerer Zeit gesammelt wurden, wird schließlich erörtert, wie eine ethisch-kulturell durchdachte und epistemisch fundierte Aufklärung der bestehenden KR-Angebote die Voraussetzungen für eine selbstbestimmte Entscheidung für oder gegen eine KR nach FGM/C schaffen kann.

In dieser explorativen Untersuchung werden Studien analysiert, in denen die Ergebnisse einer KR in Bezug auf physiologische Anatomie, sexuelle Funktion, Ästhetik und Wohlbefinden dargestellt werden. Indem die ersten Veröffentlichungen zu KR und systematische Reviews in den Blick genommen werden, wird auf der Zeitachse von ca. 20 Jahren nach Konstanten und Veränderungen bei KR-Diskursen und -Praktiken gesucht, die epistemisch-normative und ethische Relevanz aufweisen. Herangezogen werden zudem die in nationalen und internationalen Leitlinien und Empfehlungen zu FGM/C beinhalteten Stellungnahmen zu KR.

Wie die heterogene Ausgangslage den Entscheidungsprozess für/gegen eine Klitorisrekonstruktion nach FGM/C erschwert

Zu den Gründen, die die medizinische Versorgung von Frauen mit FGM/C erschweren, gehören die große Heterogenität der Zielgruppe und das breite Spektrum an somatischen, psychischen und sozialen Problemen, die mit den Beschneidungspraktiken und -erfahrungen einhergehen. Im Weiteren wird der Fokus auf die Folgen von FGM/C und auf die verschiedenen Rekonstruktionstechniken gerichtet. Für in Deutschland tätige Ärzt*innen und Vertreter*innen anderer Gesundheitsberufe, die mit Patient*innen mit KR-Wunsch in Kontakt kommen, stellen die in der medizinischen Literatur diskutierten chirurgischen Verfahren ein essentielles, aber schwer zu vermittelndes Hintergrundwissen dar. Nach einer Charakterisierung der aktuellen KR-Techniken werden die Voraussetzungen für nicht-direktive, ergebnisoffene und befähigende Aufklärungskonzepte vorgestellt.

Die Folgen von FGM/C variieren je nach Ausmaß der vorgenommenen Veränderungen des weiblichen Genitals (Einteilung von FGM/C in vier Typen nach WHO) und in welchem Alter, durch wen, wie und in welcher Umgebung FGM/C durchgeführt wird. So spielen u. a. die hygienischen Bedingungen, die genutzten Werkzeuge (Rasierklingen, Glasscherben, Skalpell, Messer etc.) und die Erfahrung der Beschneiderin bzw. des Beschneiders eine große RolleFootnote 4 (UNICEF 2013; Doucet et al. 2017). Während die unmittelbaren Komplikationen einer FGM/C, zu denen Schwellungen, Blutungen und Schmerzen bis hin zu Sepsis, Schock und Tod gehören, gut dokumentiert sind, sind die langfristigen gesundheitlichen Folgen weniger erforscht. Verschiedene gynäkologische, geburtshilfliche und psychische Komplikationen beeinträchtigen v. a. Schwangerschaft und Geburt (Reisel und Creighton 2015; Lurie et al. 2020; O’Neill und Pallitto 2021; Chappell et al. 2024). Physische Folgeerscheinungen einer FGM/C werden in über 90 % der von Berg et al. untersuchten Studien als ein Motivationsgrund genannt, sich einem chirurgischen Eingriff zu unterziehen (Berg et al. 2017). Zu den häufigsten untersuchten Interventionsmaßnahmen bei FGM/C-Komplikationen gehören die Defibulation, Zystenentfernung und Klitorisrekonstruktion (Berg et al. 2018). Sowohl die Defibulation, die den Scheideneingang nach stattgefundener Infibulation operativ wiedereröffnet, als auch die Zystenentfernung sind unmittelbar medizinisch indiziert. Sie ermöglichen es, die menstruelle Blutung und/oder die Geburt zu erleichtern und Komplikationen im urogenitalen Bereich zu beheben oder zu vermeiden (WHO 2016b). Eine Klitorisrekonstruktion hingegen verfolgt als elektives Verfahren das Ziel, die teilweise exzidierte Klitoris ästhetisch und funktionell wiederherzustellen.

Die Publikationsdichte zu chirurgischen Verfahren der Klitorisrekonstruktion nach FGM/C, in denen Ergebnisse vorgelegt werden, nimmt seit der Jahrtausendwende zu (Abb. 1). Dieser Trend entspricht dem zunehmenden Angebot an plastisch-chirurgischen Rekonstruktionen nach FGM/C.

Abb. 1
figure 1

Literatursuche via PubMed mit ″clitor* reconstruction″, ″surg* AND female AND mutilation/cutting″ in ″Title/Abstract″ mit anschließendem manuellen Ausschluss von unpassenden Publikationen (bspw. Klitorisrekonstruktion nach onkologischen Eingriffen), ausschließlich englischsprachige Publikationen. Hierdurch fehlen in der Abbildung z. B. die Publikationen von Foldès (2004; französische Publikation) und O’Dey (2017; deutsche Publikation). Stand September 2023, erstellt mit Microsoft Excel

Es existieren mehrere Rekonstruktionstechniken, die von unterschiedlichen Fachbereichen der Gynäkologie, (plastischen) Chirurgie und Urologie durchgeführt werden. Erstmals wurde eine KR-Technik von den Gynäkologen Saeed Mohamad Ahmad Thabet und Ahmed S. M. A. Thabet in Ägypten (Thabet und Thabet 2003) und dem Chirurgen Pierre Foldès in Frankreich (Foldès 2004) beschrieben. Zwei Gynäkologen in Burkina Faso haben das von Thabet/Thabet und Foldès eingeführte KR-Verfahren modifiziert (Ouédraogo et al. 2016), das wiederum Ärzt*innen in Belgien übernommen haben (Caillet et al. 2018). In jüngster Zeit wurden zwei weitere überarbeitete KR-Techniken nach Thabet/Thabet und Foldès eingeführt (Botter et al. 2021; Wilson und Zaki 2022). Drei weitere Rekonstruktionsverfahren wurden von O’Dey (2017), Chang et al. (2017) und Mañero und Labanca (2018) entwickelt (Sharif Mohamed et al. 2020; Botter et al. 2021; Abdulcadir et al. 2022; Villani 2022). An der Stelle ist hervorzuheben, dass selbst bei den radikalen FGM/C-Formen ein Teil des Klitoriskörpers, anders als meist angenommen, verborgen bestehen bleibt. Dieser Klitorisstumpf ist Ausgangspunkt aller Techniken: Das klitorale Restorgan wird von Narben befreit, anschließend aus der Tiefe geborgen und ventral der äußeren Harnröhrenöffnung transponiert (siehe Tab. 1). Die Rekonstruktionsverfahren werden in den jeweiligen Erstveröffentlichungen unterschiedlich ausführlich beschrieben, was Konsequenzen für Verständnis und Vergleich der Techniken hat. Die Publikationen nennen überwiegend geringfügige unerwünschte Folgen wie Hämatombildung, Schmerzen oder verzögerte Wundheilung, die teils im ambulanten Setting gut behandelbar seien. Schwerwiegende Komplikationen wie die teilweise Abstoßung eines Transplantats (Mañero und Labanca 2018, S. 704) oder die einseitige partielle Readhärenz von Labium majus vulvae und Klitorisschaft (Chang et al. 2017, S. 944) sind, wenn auch selten, in Einzelfällen vorgekommen (Auricchio et al. 2021).

Tab. 1 Rekonstruktionstechniken der Klitoris nach FGM/C

Da bei allen Rekonstruktionstechniken der verbliebene Rest der Klitoris verwendet und nach außen transponiert wird, sind Grundkenntnisse der Anatomie und Physiologie der Klitoris und der umgebenden Strukturen für die Aufklärung der Patientinnen, die eine Klitorisrekonstruktion wünschen, unerlässlich. Auf dieser Basis können die durch eine Rekonstruktion angestrebten Ergebnisse realistisch vermittelt werden.

Das durch FGM/C im Kindesalter in der Regel fehlende Wissen über den weiblichen Genitalbereich sollte auf drei Ebenen vermittelt werden. Diese umfassen: a) die variable Morphologie der unbeschnittenen weiblichen äußeren Genitalien, die urogenitalen Strukturen und die Nervenversorgung sowie die physiologischen, reproduktiven und erotischen Funktionen der weiblichen Genitalien (siehe Abb. 2); b) die individuell durch FGM/C hervorgerufenen Veränderungen und deren Folgen für Physiologie, Sexualität und Reproduktion; und c) die Erläuterung der im Einzelfall verbliebenen und rekonstruktiv nutzbaren Strukturen.

Abb. 2
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Erste 3D-Darstellung einer Klitoris im sexuell erregten Zustand mit angrenzenden Organen, erstellt mittels MRT-Aufnahmen von Helen O’Connell. 1 Klitoriseichel, 2 Klitorisschaft, 3 Klitorisschenkel, 4 Vorhofschwellkörper (Bulben), 5 Harnröhre, 6 Vaginalöffnung, 7 Vagina, 8 Gebärmutter, 9 Harnblase. (Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Clitoris_3_D_-_Helen_O%27Connell.jpg. Abbildung erstellt durch Professorin Helen O’Connell. Veröffentlicht unter der Lizenz CC BY-SA 2.0: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en)

Dieses Wissen ist entscheidend für das Verständnis und die Bewertung der operativen Möglichkeiten sowie der erzielten ästhetischen, physiologischen und erotischen Ergebnisse. Für die Aufklärung von Betroffenen mit einem durch FGM/C veränderten Körperbild wurden bereits plastische Modelle konzipiert, die im Gespräch veranschaulichend eingesetzt werden können (Mazloomdoost und Pauls 2015). Eine Initiative zur Beseitigung von Unwissen, Vorurteilen und falschen Vorstellungen in Bezug auf das weibliche (und männliche) Genital haben Abdulcadir und Kolleg*innen im Rahmen des 2017 gestarteten Projektes „Sciences, Sexes, Identities“ lanciert (www.bioscope.ch, zugegriffen: 29. Feb. 2024). Sie entwickelten anhand von MRT-Aufnahmen plastische, dreidimensionale Modelle, die mittels 3D-Drucker hergestellt wurden. Das Ergebnis sind 3D-Rekonstruktionen von drei unbeschnittenen und einer beschnittenen Klitoris zusammen mit den umgebenden Beckenorganen (Abdulcadir et al. 2020). Auf dieser Basis kann z. B. deutlich gemacht werden, dass eine KR nach FGM/C kein neues Organ nach dessen Zerstörung schafft, sondern dass es sich um die Exposition eines bestehenden, tieferliegenden Teils des Klitoriskörpers aus der vernarbten Region handelt. Dieses gezielt vermittelte Wissen kann im Rahmen einer kultursensiblen und multidisziplinären Sexualberatung zur Entscheidung gegen eine KR nach FGM/C beitragen (Antonetti Ndiaye et al. 2015). Für eine umfassende Beratung von Patientinnen mit oder ohne Wunsch nach KR sind Psycholog*innen, Sexualberater*innen, Ethnolog*innen, Chirurg*innen, Gynäkolog*innen, Hebammen und Geburtshelfer*innen gefragt. Diese können in unterschiedlichen Konstellationen interagieren. Die Evaluation solcher Beratungsmodelle hat gezeigt, dass Faktoren wie die zur Verfügung stehende Zeit für und die Häufigkeit der Beratungsgespräche sowie eine offene, nicht direktive Haltung der Therepeut*innen entscheidend sind. Sie ermöglichen es, im Prozess der interkulturellen Annäherung jene Vertrauensbasis zu schaffen, die wiederum für das Sprechen über schambesetzte und tabuisierte Themen unabdingbar ist (Merckelbagh et al. 2015; De Schrijver et al. 2016).

Die Entwicklung und Etablierung multidisziplinärer Beratungsmodelle für Frauen mit und ohne KR-Wunsch sind aufwändig, ethisch aber dringend geboten. Nur so können die Voraussetzungen für individuell durchdachte Therapiekonzepte geschaffen werden, die mit den umfänglich informierten Patientinnen erarbeitet werden.

Ethische Dimensionen erschwerter Evidenzgenerierung

Die Erzeugung von Daten zu KR-Outcomes ist ein komplexes Unterfangen. Bereits die ersten Publikationen zu KR nach FGM/C weisen auf die Schwierigkeiten hin, Informationen über die weibliche Sexualität im Allgemeinen und im Besonderen bei Frauen mit FGM/C zu erfassen.

Zu den Gründen gehörten u. a. die divergierenden Vorstellungen zwischen Behandler*innen und betroffenen Frauen, wie das äußere weibliche Genital aussehen sollte. Die Heterogenität der Betroffenengruppe erschwere darüber hinaus die Anwendung schriftlicher, standardisierter Fragebögen (Thabet und Thabet 2003, Foldès und Louis-Sylvestre 2006). Der Chirurg Foldès und die Gynäkologin Louis-Sylvestre schließen ihre Studie mit der Aufforderung, den psychologischen Dimensionen von Sexualität und Lust mehr Beachtung zu schenken und Frauen mit FGM/C vor Inanspruchnahme einer KR ausführlich über die möglichen ästhetischen Ergebnisse und die Dauer des Heilungsprozesses zu informieren (Foldès und Louis-Sylvestre 2006). Damit nehmen die beiden französischen Ärzte bereits 2006 die aktuellen Forderungen nach Information und Transparenz vorweg.

Die systematischen Übersichtsarbeiten und Metaanalysen zu KR nach FGM/C ermöglichen es, sich die Evidenzlage zu diesem Thema zu vergegenwärtigen und weitere Forschungsdesiderata zu identifizieren.

Die erste systematische Übersichtsarbeit zu KR nach FGM/C erschien 2015. Abdulcadir und Kolleginnen identifizierten lediglich vier Studien, die über Sicherheit und/oder klinische Ergebnisse einer KR nach FGM/C berichten. Entsprechend der Definition der United States Preventive Services Task Force erreichen die vier Studien nur ein geringes Evidenzlevel (1 Studie Level II‑2, 3 Studien Level II‑3Footnote 5). Eine abschließende Bewertung der Evidenzlage werde jedoch durch die Heterogenität der eingeschlossenen klinischen Studien erschwert. Sowohl die Studiendesigns (1 Fall-Kontroll-Studie, 3 prospektive Kohortenstudien), die Rekrutierung und Merkmale der Probandinnen, die Follow-up-Zeiträume (maximal 1 Jahr) und -verluste sowie die Erhebung der Rekonstruktionsergebnisse wichen stark voneinander ab und seien teils nicht in den Publikationen dokumentiert. Ein wiederkehrendes Problem sei der Einsatz von Messinstrumenten zum Schmerz- und Lustempfinden der betroffenen Frauen vor und nach KR, die weder validiert, standardisiert noch klar definiert seien. Ein Vergleich der Studien sei somit ausgeschlossen, der Bedarf robuster Evidenz dringend notwendig (Abdulcadir et al. 2015). Nur so ließe sich feststellen, welche Frauen mit FGM/C von einer Rekonstruktion, ohne oder in Verbindung mit einer Sexualtherapie, profitierten, welchen Frauen Alternativen wie die Konsultation einer Sexualtherapie angeboten werden sollten. Ziel sollte sein, einen „comprehensive, evidence-based approach that does not contribute to stigmatization of women and girls living with FGM/C“ (Abdulcadir et al. 2015, S. 96), zu entwickeln. Hierzu gehöre ebenfalls eine transparente Kommunikation über den Evidenzmangel zu den Outcomes einer KR (Abdulcadir et al. 2015).

Auch die jüngste systematische Übersichtsarbeit von Auricchio et al. zu KR nach FGM/C kommt 2021 zu dem Schluss, dass, auch wenn eine KR unabhängig von der gewählten Rekonstruktionstechnik ein sicheres Verfahren zu sein scheint und die Patientinnen positive Ergebnisse schildern, Vorsicht bei der Interpretation der gegebenen Evidenz geboten ist. Es lasse sich weder sicher bestimmen, welche Technik die gewünschten Ergebnisse effektiv liefere, noch welche überlegen sei (Auricchio et al. 2021). Den Einschlusskriterien von Auricchio und Kolleg*innen entsprechen acht Studien, die ein Mindest-Follow-up von sechs Monaten haben und die Parameter postoperative Dyspareunie (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr), Veränderung der Sexualaktivität bzw. des Lustempfindens und/oder Auswirkungen auf das Selbstbild prüfen. Die Fallberichte und -serien, Kohortenstudien und eine Fall-Kontroll-Studie untersuchten jeweils nur eine der verschiedenen Rekonstruktionstechniken, ein Vergleich dieser in einer einzigen Studie fand nicht statt. Die gewählten Studiendesigns führten durch eine fehlende Verblindung zu Unsicherheiten in der Bewertung der Rekonstruktionsergebnisse über den Placeboeffekt hinaus. Die Nachbeobachtungszeiträume von sechs Monaten bis zu zwei Jahren weisen unterschiedliche Follow-up-Methoden und ein, wenn dokumentiert, teils beträchtliches Lost-to-Follow-up auf (Auricchio et al. 2021). So erschienen bei einer Studie von Foldès et al. nach einem Jahr nur 29 % der Patientinnen zur Nachuntersuchung (Foldès et al. 2012). Dies werfe Fragen zum Non-Response-BiasFootnote 6 auf. Nur die Veränderung der Sexualaktivität bzw. des Lustempfindens wird in allen Studien erhoben, jedoch verwenden hierzu lediglich zwei Studien (Abramowicz et al. 2016; Mañero und Labanca 2018) einen validierten und standardisierten Fragebogen zur Erhebung der weiblichen Sexualfunktion (Female Sexual Function Index, FSFI).

Der FSFI trägt als international etabliertes, standardisiertes Verfahren primär zur Diagnose weiblicher sexueller Dysfunktion bei (Rosen et al. 2000; Wiegel et al. 2005). Er liegt in validierter Form in mehreren Sprachen vor (Meston et al. 2020), eine deutschsprachige Version wurde 2004 veröffentlicht (Berner et al. 2004). Der Fragenkatalog beinhaltet 19 Items, die die sexuelle Funktion einer Frau innerhalb der letzten vier Wochen vor der Befragung in sechs Domänen erfassen: Lust, Erregung, Lubrikation, Orgasmus, Befriedigung und Schmerz. Der FSFI ist relativ kurz, geht nicht zu detailliert auf einzelne Sexualpraktiken ein und wird als weniger offensiv im Vergleich zu anderen Fragebögen in diesem Bereich angesehen. Zugleich erlaubt er eine Adaption für sexuell aktive und nicht-aktive Frauen (Vital et al. 2016). Beides ist von Vorteil, versucht man sich der Sexualität beschnittener Frauen zu nähern. Bei einem Spektrum von 2 bis 36 erreichbaren Punkten kommen, je nach zugrundeliegender Studie, unterschiedliche Cut off-Werte zum Einsatz, als pathologisch gelten meist Werte unterhalb von 26,55 Punkten (Wiegel et al. 2005). Ohne die Angabe der einzelnen Domänenscores ist eine Differenzierung einzelner Störungsbereiche jedoch nicht möglich (Hoy 2013; Meston et al. 2020).

Der Einsatz des FSFIFootnote 7 und weiterer Patient Reported Outcome Measures (PROMs) steht allerdings seit längerem in der Kritik. Die zur Bewertung der sexuellen Funktion und Gesundheit von Frauen mit FGM/C genutzten PROMs wurden mit Ausnahme der arabischsprachigen Version des FSFI nicht explizit für Frauen mit FGM/C validiert, sondern mit und für alphabetisierte Teilnehmerinnen in Nordamerika und Europa entwickelt. So kann es zu Miss- und Unverständnis und anschließender Fehlbewertung kommen, wenn z. B. einzelne Begrifflichkeiten wie Verlangen (desire) und Erregung (arousal) durch die Forschenden nicht verständlich präzisiert werden oder von den Befragten nicht unterschieden werden können (Catania et al. 2007). Sexualität und Lust werden in verschiedenen Kulturen unterschiedlich gelebt, bewertet und verbalisiert. Sie können metaphorisch umschrieben, sachlich beschrieben – oder auch gänzlich verschwiegen werden. Auch die möglicherweise veränderte Schmerzwahrnehmung bei beschnittenen Frauen muss in Betracht gezogen werden. Eine Prüfung der im Kontext von FGM/C eingesetzten PROMs auf ihren kulturübergreifenden oder -spezifischen Charakter bzw. ihre Adaptierbarkeit ist dringend geboten (Esho et al. 2019).

Die Beachtung kultureller und nur z. T. in der Sprache erkennbarer Unterschiede bei der Erstellung von Fragebögen und Messskalen stellt einen epistemischen Imperativ dar, dessen Vernachlässigung zu unvermeidbaren Verzerrungen der Studienergebnisse führt. Wenn für die Befragung von Frauen nach KR uneindeutige, ungeeignete oder erklärungsbedürftige Fragebögen eingesetzt werden, wird in Kauf genommen, unzutreffende Antworten über die Outcomes zu erhalten. Dies wiederum führt zu einer Fehleinschätzung bei der Bewertung der chirurgischen Techniken. Die Vernachlässigung von kulturellen Differenzen führt in diesem Zusammenhang zu schwachen Ergebnissen, die sich wiederum auf die Behandlungsqualität niederschlagen können. Dem berechtigten Anspruch nach evidenzbasierten KR-Angeboten kann auf dieser Basis nicht entsprochen werden. Die Zielgruppe wird somit zum Opfer einer indirekten Diskriminierung, da die Charakteristika der Gruppe selbst bei Verwendung eines vermeintlich neutralen und generalisierbaren Instruments außer Acht gelassen und dementsprechend ihre Bedürfnisse missachtet werden (Hädicke und Wiesemann 2021). Diese Vernachlässigungen implizieren eine Missachtung der biomedizinethischen Prinzipien des Nichtschadenwollens und des Wohltuns. Die Anwendung ungeeigneter Fragebögen im Zusammenhang mit KR nach FGM/C kann als Folge mangelhafter kultureller Kompetenz im klinischen Kontext betrachtet werden. Nur eine kultursensitive Herangehensweise verspricht eine qualitativ hochwertige Versorgung für die Zielgruppe der Frauen mit FGM/C.

Der FSFI weist noch ein weiteres, zentrales Defizit auf: Mittels FSFI lässt sich die klitorale Empfindung während des Geschlechtsverkehrs nicht evaluieren, Forscher*innen wie Vital und Kolleg*innen müssen hierfür auf selbstentwickelte Fragebögen ausweichen (Vital et al. 2016). Inwieweit der in den Studien von Abramowicz et al. und Mañero und Labanca verwendete FSFI bei den angesprochenen Schwächen überhaupt geeignet ist, das veränderte Lustempfinden einer Frau mit FGM/C vor und nach stattgefundener KR zu messen, ist fraglich.

Mit dieser nur spärlich vorhandenen Evidenz zu KR nach FGM/C wird die Skepsis gegenüber chirurgischen Interventionsmöglichkeiten einer Rekonstruktion erklärt. So begründet das britische Royal College of Obstetricians and Gynaecologists seine Ablehnung von KR mit Verweis auf die Studienlage: „Clitoral reconstruction should not be performed because current medical evidence suggests that such surgery may result in further damage to the clitoral nerves and blood vessels without conclusive evidence of benefit“ (Royal College of Obstetricians and Gynaecologists 2015, S. 15). Auch die Autor*innen der WHO-Empfehlungen rechtfertigen ihre skeptische Haltung gegenüber KR mit den unzureichenden Nachweisen messbarer Effektivität und Sicherheit sowie mit der geringen methodischen Qualität der bisherigen Studien zu KR nach FGM/C. Ohne einen schlüssigen Nachweis des Nutzens einer KR könnten bei Betroffenen Erwartungen geweckt werden, deren Realisierung nicht zu garantieren sind. Schließlich nennen die Autor*innen der WHO-Leitlinien einen weiteren Grund, der gegen eine Empfehlung von KR spricht. Selbst wenn sich das Verfahren als effektiv und sicher erwiese, sei es derzeit nicht gerecht umsetzbar, da es in den meisten Ländern mit hoher Prävalenz von FGM/C nicht verfügbar sei. Damit weisen die Autor*innen auf die global ungerechte Verteilung von medizinischen Versorgungs- und Rekonstruktionsangeboten für Frauen mit FGM/C hin (WHO 2016b, S. 32; Alexander et al. 2018). Lösungsvorschläge oder Strategien, die dazu beitragen könnten, die von der WHO hervorgehobene globale Ungerechtigkeit zu beheben oder zu verringern, werden auf sich warten lassen, solange die Wirksamkeit und Sicherheit von KR nicht nachgewiesen sind.

Implikationen des Evidenzarguments für die Praxis

Betrachtet man die fachliche Diskussion über KR, muss man leider mit der Soziologin Michela Villani feststellen, dass nur wenige Untersuchungen die Wirkung, Risiken und Implikationen einer KR nach FGM/C umfassend und kritisch behandeln (Villani 2022). Die Exploration medizinischer Publikationen zu KR seit Erstbeschreibungen lässt deutlich erkennen, dass die Konzeption von klinischen Studien in diesem Bereich sehr herausfordernd ist. Auch die bestehenden Übersichtsarbeiten ringen mit den Grenzen der Studienlage.

Das Argument einer unzureichenden Evidenzlage zu KR nach FGM/C mag prima facie die Skepsis gegenüber dem Interventionsangebot berechtigen, erweist sich jedoch bei einer kritischen Auseinandersetzung mit den epistemischen Bedingungen der Evidenzgenerierung als trügerisch. Der KR ergeht es hierbei wie anderen chirurgischen Fächern. Diese können nur bedingt den hohen Standards der Evidenzbasierten Medizin (EbM) entsprechen (Solomon und McLeod 1998; Meakins 2002; Ng et al. 2006; Farrokhyar et al. 2010; Burns et al. 2011; Meshikhes 2015; Yu et al. 2019). Dies bedeutet, dass für die KR wie für andere operative Eingriffe eine zufällige Zuteilung der Proband*innen und eine Einfach- oder Doppelverblindung schlecht bis gar nicht durchführbar und ethisch vertretbar sind. So entfallen randomisierte, kontrollierte Studien (RCTs) als mögliche Studientypen, die erzeugten Studienergebnisse rangieren auf einem niedrigen Evidenzlevel. Die FGM/C-Praktiken variieren darüber hinaus in Art und Zeitpunkt und lassen sich nicht immer eindeutig einem FGM/C-Typ der WHO-Klassifizierung zuordnen. Die vierte Kategorie, die alle in Typ I–III nicht klassifizierten Formen schädigender Eingriffe an den weiblichen Genitalien zu nicht-medizinischen Zwecken zusammenfasst, wird nicht weiter differenziert. Auch Zwischenformen und Mehrfachzuordnungen sind möglich, einer Defibulation kann eine Re-Infibulation folgen. Die unterschiedlichen KR-Techniken, die von verschiedenen Fachrichtungen teils in Kooperation mit anderen Disziplinen wie Sexualtherapeut*innen eingesetzt werden, führen zu einer weiteren Auffächerung bzw. einer notwendigen Spezifizierung der Ein- und Ausschlusskriterien einer klinischen Studie.

Die Patientinnenpopulation ist zudem geographisch, sprachlich und kulturell (d. h. geprägt durch unterschiedliche ethnische und religiöse Zugehörigkeiten) heterogen und kann von den Behandler*innen und Forscher*innen abweichende Erfahrungen, Wahrnehmungen und Erwartungen zu Sexualität und Lust aufweisen. Dies erschwert den Einsatz aktuell verfügbarer, validierter Fragebögen zur Bewertung der Rekonstruktionsergebnisse.

Eine in naher Zukunft absehbare Veränderung der Evidenzlage ist unwahrscheinlich, die Vorgabe einer evidenzbasierten Gesundheitsversorgung anhand hochqualitativer Studiendaten nicht einzuhalten. Auch wenn somit eine gewisse Zurückhaltung bei Empfehlungen für bzw. gegen KR nach FGM/C durchaus nachvollziehbar ist, stellt sich die Frage, wie eine von FGM/C betroffene Frau und die/der von ihr konsultierte Ärzt*in mit der komplexen Ausgangslage und den zur Verfügung stehenden Informationen umgehen sollen, um eine „gute“ Entscheidung zu treffen. Die Ablehnung einer KR mit alleinigem Verweis auf unzureichende Evidenz führt in eine Sackgasse. Ein anderer Weg kann mittels einer epistemisch reflektierten, kulturell sensiblen und ethisch begründeten Herangehensweise beschritten werden. Dies bedeutet an allererster Stelle, sich der Komplexität und multikausalen Bedingungen von Sexualität bewusst zu werden.

Abschließend lässt sich aus ethischer Perspektive festhalten, dass ein künftig von allen beteiligten Akteuren verantwortbares KR-Angebot kultur- und geschlechtersensible Aufklärung, Information und interdisziplinäre Beratung beinhalten muss. So können sich Frauen mit FGM/C selbstbestimmt für oder gegen eine KR entscheiden. Vorliegende Daten und Informationen zu kommunizieren, bedeutet hierbei auch: Konfrontation mit der unzulänglichen und bis auf weiteres unerreichbaren Evidenz. Diese Lücken zwischen gegebener und nicht erreichbarer Evidenz gilt es in einer vertrauensvollen Interaktion zu vermitteln. Behandler*innen aus verschiedenen Disziplinen (Gynäkologie, Sexualwissenschaft, Psychotherapie) sind gefordert, in einen multi- und interdisziplinären Austausch mit der Patientin zu treten. Hilfreich könnten auch Erfahrungsberichte von bereits operierten Patientinnen sein, wenn nicht sogar ein direkter Kontakt zwischen bereits operierten und noch nicht-operierten Patientinnen ermöglicht werden kann. Schon bei der Indikationsstellung benötigt es eine sensible und bevorzugt in der Sprache der Betroffenen stattfindende Aufklärung, die auf die begrenzte Evidenz hinweist, dabei gleichzeitig nicht nur das Fehlen von Klitoristeilen in den Blick nimmt und sexuelle Dysfunktionen ausschließlich auf dieses zurückführt. Hierfür sind sachliche Informationen unabdingbar, z. B. die Tatsache, dass die Rate sexueller Störungen auch bei Frauen ohne FGM/C nicht zu unterschätzen ist (Briken et al. 2020). Ohne hinlänglich informiert zu sein, bestehe die Gefahr, so Antonetti Ndiaye und Ko-Autor*innen, dass die betroffenen Frauen „vom Messer zum Skalpell“ greifen (Antonetti Ndiaye et al. 2015, S. 868), um einem Ideal zu entsprechen, das nicht das ihre ist und auch mittels KR nicht erreichbar sein kann. Der Fokus auf das defizitäre Argumentationsmodell kann zu Missverständnissen, schwer zu erfüllenden Erwartungen, unerwünschten Folgen und Restigmatisierungserleben führen (Johnsdotter 2020). Eine befriedigende Sexualität lässt sich nicht auf eine vermeintlich „normale“ Klitoris reduzieren.