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Alte Menschen mit lebensbegleitender geistiger Behinderung im Akutkrankenhaus

Der Anspruch an die Pflege und Begleitung einer besonders vulnerablen Patient*innengruppe

Older people with lifelong intellectual disabilities in acute hospitals

Demands placed on the care and support of a particularly vulnerable patient group

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Ethik in der Medizin Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Alte Menschen mit lebensbegleitender geistiger Behinderung weisen wiederkehrend auch gesundheitliche Problemstellungen auf, die eine stationäre akutklinische Behandlung erfordern. Gesundheitliche Belastungen sind bei dieser Personengruppe nicht ausschließlich auf die Behinderung, sondern auch auf eine höhere Vulnerabilität zurückzuführen, die sich durch degenerativ-altersassoziierte Problemstellungen weiter verstärkt. Gesundheitliche Belastungen treten bei dieser Gruppe mitunter auch als Folge lebenslanger gesundheitlicher Benachteiligung und Unterversorgung auf. Im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung bekommen Menschen mit lebensbegleitender geistiger Behinderung vielfach weder die nach ihren höheren und spezifischen Bedarfen angemessenen noch die gleichen Gesundheitsleistungen. Eine diskriminierende Ungleichbehandlung von Menschen mit (geistiger) Behinderung gegenüber Menschen ohne Behinderung drückt sich häufig auch in der Verletzung der Integrität und Würde dieser besonders vulnerablen Patient*innengruppe aus. Strukturelle sowie haltungs- und handlungsbezogene Diskriminierungspraktiken im Akutkrankenhaus können dazu beitragen, bestehende Vulnerabilitäten zu erhöhen und gesundheitliche Problemstellungen zu verschärfen. Ziel des Beitrages ist es, für diese Wechselwirkungen zu sensibilisieren und relevante Eckpunkte für eine würdevolle und integritätswahrende, am Gegenüber ausgerichtete Pflege im Akutkrankenhaus aufzuzeigen.

Abstract

Background

Older people with a lifelong intellectual disability often do not have full access to health care services that are appropriate in terms of their more extensive and specific needs, or even the same health services as people without disabilities. In all healthcare settings, including acute care, they receive considerably less curative, health-promoting, preventative and rehabilitative services.

Arguments

Any unequal treatment of this particularly vulnerable group of patients with (intellectual) disabilities may be expressed frequently as violations of their integrity and their dignity. Older people with lifelong intellectual disabilities often have medical problems that require acute hospital treatment. In this target group, health problems are not exclusively due to their disabilities, but are also caused by increased vulnerability, which is exacerbated by degenerative and age-related health problems. Furthermore, health burdens in this group sometimes occur as a result of lifelong health inequalities and a shortage of adequate health care services.

Conclusion

Structural and attitude-based discrimination practices in acute care hospitals can also contribute to increase existing vulnerabilities and exacerbate health problems. The aim of this article is to raise awareness of these interdependencies and to highlight crucial aspects of dignified and integrity-preserving care in acute hospitals.

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Notes

  1. Nach der weit verbreiteten und allgemein akzeptierten gerontologisch-geriatrischen Sichtweise gilt eine Person etwa ab einem Lebensalter von ≥ 65 Jahren als „alt“ (Burkhardt 2019a; Wettstein und Wahl 2018; Weltgesundheitsorganisation [WHO] 2016). Dass diese Sichtweise auf Menschen mit lebensbegleitender geistiger Behinderung nur bedingt zutrifft, wird im Verlauf dieser Arbeit noch ausführlich diskutiert.

  2. International werden die Bezeichnungen „intellectual disability“ (z. B. American Association on Intellectual and Developmental Disabilities [AAIDD] 2023; American Psychiatric Association [APA] 2023) bzw. „disorder of intellectual development“ (WHO 2021) genutzt. Im nationalen Bereich wird anstelle der geistigen Behinderung auch der Begriff der „Lernschwierigkeiten“ genutzt (z. B. Bössing et al. 2018; Klotz 2022).

  3. Die ICD-10-Einteilung (WHO 2022b) graduiert das Ausmaß der geistigen Behinderung in vier Kategorien. (1) Leicht: IQ-Bereich von 50 bis 69, entspricht einem Intelligenzalter von neun bis zwölf Jahren, verbunden mit den Fähigkeiten zu arbeiten, soziale Beziehungen zu pflegen und einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. (2) Mittelgradig: IQ-Bereich von 35 bis 49, entspricht einem Intelligenzalter von ca. sechs bis neun Jahren; kennzeichnend ist, dass viele Personen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und mit Unterstützung in der Alltags- und Arbeitswelt, ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und kommunikativen Fähigkeiten erwerben. (3) Schwer: IQ-Bereich von 20 bis 34, entspricht einem Intelligenzalter von drei bis sechs Jahren, verbunden mit kontinuierlichen Unterstützungsleistungen. (4) Schwerste: IQ unter 20, entspricht einem Intelligenzalter von unter drei Jahren, hierdurch sind dauerhafte und umfassende Unterstützungsleistungen erforderlich.

  4. Im fortgeschrittenen Lebensalter auftretende neurokognitive und intelligenzmindernde Erkrankungen, wie bspw. die Demenz, werden demzufolge nicht den geistigen Behinderungen zugerechnet.

  5. Evangelisches Krankenhaus Mara: Ambulante und stationäre Behandlung von Menschen mit Behinderungen. Inklusive Abteilungen: Innere Medizin, Chirurgie, Psychiatrie, HIV- und AIDS- sowie Suchtbehandlung. Das Krankenhaus Mara verfolgt einen interdisziplinären und interprofessionellen Ansatz. Im Jahre 2022 wurde die deutschlandweit erste Universitätsprofessorin für Behindertenmedizin für Mara berufen. Die Klinikaufenthalte sind teils länger als die üblichen fallpauschalorientierten Aufenthalte dies vorsehen würden (z. B. im Falle einer verordneten Teilbelastung nach einer Frakturversorgung). Pflegefachpersonen arbeiten im Primary Nursing-System und sind feste Bezugspersonen für die Patient*innen. Im Einzelfall bereiten Pflegeexpert*innen den stationären Aufenthalt durch Hausbesuche vor. Mara bietet ihren Patient*innen außerdem Informationen in einfacher Sprache an (Informationen basierend auf Klinik-Homepage: https://www.mara.de/. Zugegriffen: 26. Feb. 2024).

  6. Evangelisches Krankenhaus Alsterdorf: Die Klinik bietet ambulante und stationäre Behandlungen und zusätzlich Videosprechstunden an. Inklusive Abteilungen: Innere Chirurgie/Orthopädie, Neurologie, Psychiatrie, Geriatrie und Radiologie. Das Krankenhaus verfügt über sogenannte „Inklusions-Lots*innen“, die ein prästationäres Aufnahmegespräch mit Hausbesuch anbieten und eine Brückenfunktion zwischen häuslicher und stationärer Versorgung darstellen. Sie begleiten die Patient*innen während des Klinikaufenthaltes bspw. auch zu Untersuchungen und sie unterstützen eine gelingende Entlassung. Patient*innen erhalten Informationen in leichter Sprache und Formulare, die die Patient*innen für ihre Vorbereitung („Kofferpacken“) oder zur Vorstellung ihrer Person nutzen können (Informationen basierend auf der Klinik-Hompage: https://evangelisches-krankenhaus-alsterdorf.de/. Zugegriffen: 26. Feb. 2024).

  7. Diakonie-Klinikum Stuttgart: Ambulante und stationäre Behandlung von Menschen mit Behinderung. Inklusive Abteilungen: keine Angabe. Mitarbeitende aus dem Medizinischen Versorgungszentrum übernehmen hier ebenfalls eine Lotsenfunktion für die Patient*innen ein. Diese übernehmen bspw. die Organisation von Hilfsmitteln. Physiotherapeuten und Pflegende sind speziell für die Zielgruppe geschult. Besondere Angebote: i.v.-Zugänge können sicher mithilfe von Ultraschall gelegt werden, vor bestimmten Untersuchungen können auf Wunsch Medikamente zur Stressreduktion verabreicht werden (Informationen basierend auf Klinik-Homepage: https://www.diakonie-klinik.de/klinikaufenthalt/mit-behinderung-im-krankenhaus.html. Zugegriffen: 26. Feb. 2024).

Literatur

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Danksagung

Die Autorinnen danken den Gastherausgeberinnen Dr. Anna-Henrikje Seidlein und Prof. Dr. Helen Kohlen, den beiden Reviewer*innen für ihre wertvollen und konstruktiven Hinweise sowie Stephanie Feinauer für die Korrektur des Artikels.

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Correspondence to Claudia Eckstein M.A..

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Interessenkonflikt

C. Eckstein gibt an, dass kein Interessenskonflikt besteht. A. Riedel ist Mitglied des Beirats der Zeitschrift „Ethik in der Medizin“ und Gastherausgeberin des Themenheftes: „Ethische Fragen in der Pflege älterer und hochaltriger Menschen“ der Zeitschrift Ethik in der Medizin. Sie war am Begutachtungsverfahren dieses Artikels nicht beteiligt.

Ethische Standards

Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.

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Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Dieser Artikel erscheint im Rahmen des Themenheftes: „Ethische Fragen in der Pflege älterer und hochaltriger Menschen“.

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Eckstein, C., Riedel, A. Alte Menschen mit lebensbegleitender geistiger Behinderung im Akutkrankenhaus. Ethik Med (2024). https://doi.org/10.1007/s00481-024-00818-5

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