Wir gehen der Frage nach, ob in dem Fall die Voraussetzungen für eine Therapiezieländerung erfüllt waren. Darauf aufbauend nehmen wir dazu Stellung, ob die palliative Sedierung legitim war.

Voraussetzungen für eine Therapiezieländerung

Zwei zentrale Voraussetzungen für die Legitimität einer medizinischen Behandlung sind, dass mit der Maßnahme ein Nutzen verbunden ist und, dass die Patientin in die Maßnahme einwilligt. Zunächst prüfen wir den Nutzen der fraglichen Operation und dann, ob es ethisch gerechtfertigt war, die Ablehnung der Operation zu respektieren.

Kein Nutzen der Operation für die Patientin

Bei Frau B. wurde eine Perforation des Dickdarms festgestellt, die mit starken Schmerzen einherging. Offenbar war eine vergleichbare Symptomatik schon einmal operativ versorgt worden. Es ist wahrscheinlich, dass die Krankheitsursache dabei nicht beseitigt werden konnte.

Es besteht der Verdacht, dass die Patientin die Darmperforationen durch Unterdrückung des Stuhldranges selbst verursacht hatte. Darmentleerungen verursachten Ekel, gingen mit einem Waschzwang einher, und es scheint so, als habe sie versucht, Darmausscheidungen zu verhindern.

Eine schwere, chronifizierte Zwangsstörung (F42.–, ICD-10) könnte für das Verhalten verantwortlich sein, das zur Darmperforation geführt hat (DGPPN 2022). Zwangsstörungen treten meistens schon vor dem 30. Lebensjahr auf. Sie bleiben oft jahrelang unentdeckt, teilweise bedingt dadurch, dass Patientinnen die Symptomatik verleugnen oder versuchen, sie zu verbergen. Nur 20 % der Betroffenen erleben eine vollständige, dauerhafte Remission der Erkrankung. Es gibt aber Behandlungsansätze, u. a. Kognitive Verhaltenstherapie mit Exposition und medikamentöse Therapie. Behandlungsziele sind neben der Remission eine Reduktion der belastenden Symptome sowie eine Verbesserung der subjektiven Lebensqualität, die durch die Störung stark eingeschränkt sein kann.

Symptome einer Zwangsstörung wurden von Frau B. nicht geschildert, und sie lehnte es situativ ab, ausführlich mit einer Psychiaterin zu sprechen. Eine Fremdanamnese scheint nicht erfolgt zu sein. Wir haben keine Anhaltspunkte, wie lange die Störung schon bestanden hatte, sie hätte auch beim vorherigen Krankenhausaufenthalt auffallen können. Die Konsequenz der Unterdiagnostik einer solchen psychischen Störung ist, dass die Patientin nicht über ihr Vorliegen aufgeklärt worden war und ihr kein Behandlungsangebot gemacht wurde. Forschungsergebnisse sprechen für einen möglichen Erfolg eines psychiatrischen Behandlungsansatzes (DGPPN 2022). Was gegen einen Erfolg in dem vorliegenden Fall spricht, wäre ein später Behandlungsbeginn bei chronisch fortschreitendem Verlauf mit gravierender Beeinträchtigung und eine zu diesem Zeitpunkt sehr geringe Motivation der Patientin.

Ohne Behandlung der psychischen Störung handelt es sich bei der Operation um eine lebenserhaltende Maßnahme, die zwar die Risiken, an der Grunderkrankung zu versterben, senken, aber die Ursache der Symptome nicht wirksam beseitigen kann. Ein Fortschreiten der Erkrankung wäre deshalb zu erwarten gewesen. Die Operation hätte zwar wirksam mit Blick auf das Behandlungsziel des Lebenserhalts sein können. Ob dies für die Patientin aber einen Nutzen darstellt, hängt von ihrer Bewertung der zukünftigen Lebensperspektiven ab. Hierfür muss der Patientenwille maßgeblich sein.

Die Patientin lehnte die Operation nach Aufklärung ab, weil zu dem Zeitpunkt ihr Leben mit einer sehr geringen Lebensqualität einhergegangen war. Ihr Wunsch nach Behandlung beschränkte sich daher auf Symptomkontrolle (Schmerzlinderung) und Sterbebegleitung bei Sterbewunsch („in Würde sterben zu dürfen“). Für eine spezialisierte Palliativversorgung sprechen die belastenden somatischen Symptome (Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen von stuhligem Sekret). Mit Blick auf die Operation alleine ist es nachvollziehbar, dass sie aus subjektiver Sicht für die Patientin keinen Nutzen hat. Eine Kombination der Operation mit einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung hätte jedoch einen Nutzen haben können, worüber die Patientin aber offenbar nicht aufgeklärt worden war.

Ablehnung der Operation durch die Patientin

Es stellt sich darüber hinaus die Frage, ob es ethisch gerechtfertigt war, Frau B.s Ablehnung der Operation zu respektieren. Das Kriterium, das zunächst geprüft werden soll, ist in dem Zusammenhang nicht die „Freiverantwortlichkeit“ ihres Sterbewunsches, sondern die Einwilligungsfähigkeit in Bezug auf die Entscheidung über die Operation. Es war zu prüfen, ob die Patientin Art, Bedeutung und Tragweite ihrer Entscheidung ermessen konnte (BÄK 2019). Menschen mit psychischen Störungen können durchaus einwilligungsfähig sein. Ein ärztliches Urteil über ihre Einwilligungsfähigkeit erfordert eine dichotome Entscheidung (ja, nein) über das Mindestmaß an Entscheidungsfähigkeit, das von einer Patientin für die rechtskräftige Zustimmung/Ablehnung in eine konkrete Maßnahme gefordert werden kann.

Im Fall von Frau B. wurde die Einwilligungsfähigkeit durch zwei Ärzte bestätigt. Der Palliativmediziner hat offenbar die Orientierung der Patientin untersucht, nach Hinweisen auf bestimmte psychische Störungen gesucht und ermittelt, ob die Patientin die Folgen der Entscheidung verstanden hat. Der Psychiater hat zunächst das Vorliegen einer psychischen Störung, die mit einer verminderten „freien Willensbildung“ einhergehen könnte, ausgeschlossen. Bei seinem zweiten Konsil hielt er das Vorliegen einer Zwangsstörung für möglich, was allerdings nichts an seinem Urteil änderte.

Mit einschlägigen Konzepten für die Bestimmung der Einwilligungsfähigkeit kann festgestellt werden, ob eine krankheitsbedingte Einschränkung der mentalen Fähigkeiten vorliegt (SAMW 2019). Wenn Zwangsgedanken sich stark aufdrängen oder mit neurokognitiven Störungen einhergehen, die das Denken einengen, könnte das zum Beispiel dazu führen, dass Handlungsoptionen nicht gegeneinander abgewogen werden können, was eine Voraussetzung für Einwilligungsfähigkeit darstellt. Aber selbst wenn Frau B. durch einen weiteren Arzt als einwilligungsunfähig erklärt worden wäre, hätte ihr Willen in der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden müssen. Zunächst hätte man den mutmaßlichen Willen durch einen Stellvertreter (etwa den Ehegatten) ermitteln sollen. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass sich dieser nicht mit dem natürlichen Willen gedeckt hätte. Zuletzt hätte auch der natürliche Wille der Patientin zur Geltung gebracht werden können. Man hätte zum Beispiel argumentieren können, dass eine Zwangsoperation mit großem Schadenspotential bei geringer Erfolgsaussicht, die zugrundeliegende Problematik zu ändern, einhergegangen wäre. Dies führt uns zu dem Schluss, dass es sich um eine ethisch gerechtfertigte Ablehnung der Operation handelte. Hätte man die Einwilligungsfähigkeit allerdings in Bezug auf eine kombinierte Behandlung (Operation und psychiatrische Behandlung) prüfen müssen, hätte man womöglich zu einem anderen Schluss kommen können.

Palliative Sedierung auf der Palliativstation

Später äußerte die Patientin den Wunsch nach einer kontinuierlichen, tiefen Sedierung. Wir haben keine Anhaltspunkte, ob Frau B. gleichzeitig auf Essen und Trinken verzichtet hat. Sie schien mit dem Wunsch nach Sedierung den Sterbeprozess beschleunigen zu wollen. Zunächst wurde dem Wunsch nicht nachgekommen. Dann verschlechterte sich offenbar in Folge eines Ileus die Situation von Frau B. durch belastende Symptome (Erbrechen von stuhligem Sekret und starker Übelkeit), und es kam zu einer Anordnung der Sedierung.

Zieht man die Handlungsempfehlungen zum Einsatz sedierender Medikamente in der spezialisierten Palliativversorgung heran, sind zwei Leitsätze besonders relevant (Ostgathe et al. 2021):

  • „Ein Wunsch zu Sterben ist keine Indikation für den Einsatz potenziell sedierender Medikamente und somit auch nicht für eine gezielte Sedierung“ (Ostgathe et al. 2021, S. 21).

  • „Existenzielles Leiden ist keine Indikation für eine tiefe kontinuierliche Sedierung bis zum Tod, ohne dass zuvor eine vorübergehende Sedierung durchgeführt wurde“ (Ostgathe et al. 2021, S. 21).

Die tiefe Sedierung war diesen fachlichen Standards zufolge nur vorübergehend gerechtfertigt, um existenzielles Leiden zu lindern, aber sie war keine geeignete Maßnahme, um dem Sterbewunsch der Patientin nachzukommen. In Bezug auf den Wunsch, das Sterben zu beschleunigen, hätte man vielmehr einen assistierten Suizid erwägen können. Dabei hätte man dann aber u. a. die Freiverantwortlichkeit einer solchen Entscheidung prüfen müssen, an die andere Anforderungen zu stellen sind, als an die Prüfung der Einwilligungsfähigkeit hinsichtlich der operativen Therapie.

Fazit

Die Patientin hat in dem Therapieziel, das mit der Operation verfolgt wurde, keinen Nutzen mehr gesehen, da sie ihr Leben als nicht mehr lebenswert ansah. Ein kuratives Therapieziel hätte mit der Operation alleine nicht erreicht werden können. Klammert man die psychiatrische Unterdiagnostik und -versorgung aus, hat sich Frau B. in einer irreversiblen gesundheitlichen Situation mit geringer Lebensqualität befunden, in der eine spezialisierte palliative Behandlung mit dem Ziel der Symptomlinderung gerechtfertigt erscheint. Es steht aber ein Versäumnis im Raum, da die psychische Störung offenbar nicht nach den anerkannten fachlichen Standards untersucht und der Patientin kein Behandlungsangebot gemacht worden ist.

Der Fall trägt zu einer Sensibilisierung für einen palliativen Versorgungsbedarf bei psychischen Störungen bei. Während eine Therapiezieländerung bei einer therapierefraktären Anorexie bereits diskutiert wird, sind andere psychische Störungen bislang weniger repräsentiert (Carter und Mizelle 2023; Hayashi et al. 2023).