Eine wissenschaftliche Zeitschrift, die „Ethik in der Medizin“ heißt, muss auch die ethische Qualität ihre Publikationsprozesse reflektieren. Alles andere wäre ein performativer Selbstwiderspruch und untergrübe ihre Glaubwürdigkeit. Sie als ethisch sensibilisierte Leser:innenFootnote 1 erwarten das mit Recht von Ihrer Zeitschrift. Als federführender Schriftleiter möchte ich daher in diesem Editorial einige aktuelle Entwicklungen der wissenschaftlichen Publikationspraxis in den Blick nehmen, diese kursorisch reflektieren und dabei auch die Publikationsprozesse der vorliegenden Zeitschrift erläutern.

Akademisches Publizieren ist in den letzten Jahren zunehmend in Misskredit geraten. Kaum ein Tag vergeht, an dem ich nicht automatisierte E‑Mails von angeblich wissenschaftlichen Zeitschriften oder Verlagen vorfinde, die mich mit grotesken Lobhudeleien einladen, meine weltbewegenden Forschungsergebnisse bei ihnen zu veröffentlichen, in Themenheften erneut zu verwerten oder in Sammelbänden abzudrucken. Dies ist nur eine von etlichen Ausdrucksweisen eines Verhaltens, das als predatory publishing (räuberische Veröffentlichung) bezeichnet wird. Das internationale Committee on Publication Ethics (COPE) definiert dieses Praxis ganz allgemein als „die systematische, profitgetriebene Publikation von vorgeblich wissenschaftlichen Inhalten (…) in einer betrügerischen und arglistigen Weise und ohne jede Berücksichtigung wissenschaftlicher Qualität“ (Committee on Publication Ethics 2019).

Damit verwandt ist das jüngst stark zunehmende Phänomen der Paper Mills (dt. Papiermühlen). Hierbei handelt es sich um gewiefte Firmen, welche den wissenschaftlichen Zeitschriften oft mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) erstellte Fake-Artikel oder Themenhefte andrehen wollen bzw. Forschern den Kauf gefälschter Texte, basierend auf erfundenen wissenschaftlichen Daten, feilbieten (Else und Van Noorden 2021; COPE und STM 2022). In den letzten Monaten hat auch „Ethik in der Medizin“ wiederholt englischsprachige Einsendungen erhalten, welche Themenhefte offerierten, die eindeutig nicht auf das Profil der Zeitschrift zugeschnitten waren und sehr wahrscheinlich Paper Mills entstammten. Dank der Nutzung neuester KI-Algorithmen sind solche Texte nur schwer als gefälschte erkennbar. Schätzungen gehen davon aus, dass gegenwärtig 1–3 % aller wissenschaftlichen Zeitschriftenartikel Paper Mills entspringen (Van Noorden 2023).

Wie kommt es dazu, dass solche betrügerischen Praktiken immer mehr um sich greifen? Es hat wesentlich mit drei Entwicklungen zu tun: 1) Auf Wissenschaftlern, insbesondere in der Qualifizierungsphase, lastet ein enormer Publikationsdruck, der nach wie vor mehr an quantitativen bibliometrischen Kennzahlen (Zahl der Publikationen, Journal Impact Factor, Zitationshäufigkeit) statt an validen, bereichsspezifischen Qualitätsparametern ausgerichtet ist – trotz bekannter Initiativen von Wissenschaftlern, die Forschungsbewertung zu reformieren (DORA 2013). 2) Die Verbindung von immer mehr Online-Publikationen, globalem Open-Access-Zugang und Profitorientierung im Verlagswesen hat betrügerische Praktiken begünstigt. 3) KI-gesteuerte Schreib‑, Korrektur- und Übersetzungsprogramme sowie die Internationalisierung der scientific communities machen es zunehmend schwieriger, betrügerische Praktiken als solche zu identifizieren und entsprechend zu vermeiden.

Mittlerweile ist die wissenschaftliche Publikationspraxis in ihren Grundfesten erschüttert. Ist eine bestimmte Praxis aber durch eine relevante Zahl von schwer erkennbaren Betrügereien unterwandert, kann dies zu einem Vertrauensverlust in die Praxis als solche führen und sie in Frage stellen. Daher mag sich mancher die Frage stellen: Braucht es überhaupt noch wissenschaftliche Zeitschriften? Sind diese nicht obsolet in einer Zeit, in der jeder mit wenigen Mausklicks zugleich Autor, Herausgeber und Verleger sein kann, durch Preprint-Server, private Websites, Blogs, Social-Media-Posts und andere Formen der unkomplizierten, instantanen Veröffentlichung?

Wissenschaftliche Publikationen dienen nicht nur dem Zweck, Forschungserkenntnisse unter Praktikern bekannt zu machen und in die Anwendung zu bringen. Sie haben vor allem eine methodische Funktion im Forschungsprozess selbst, die sogar konstitutiv ist für gute Forschung: Indem wir Gedanken, Daten, Interpretationen und Erkenntnisse versprachlichen und ausdrücken, klären sie sich und reifen gleichsam (von Kleist 1999). Stellen wir sie dann mündlich oder schriftlich der scientific community zur Diskussion, ist hiermit erst die Grundlage für die Entwicklung und den Austausch von Argumenten, Thesen, Hypothesen und empirischen Daten gelegt, welche den wissenschaftlichen Diskurs und Fortschritt ausmachen. Seit dem 17. Jahrhundert ist die wissenschaftliche Zeitschrift der primäre Ort, wo dieser Diskurs sachlich, direkt, qualitätsbezogen und verantwortlich stattfinden kann und soll (National Research Council (US) Committee on Responsibilities of Authorship in the Biological Sciences 2003). Wollen wissenschaftliche Zeitschriften diese Funktion auch in Zukunft behalten, so müssen sie jeweils den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Erfordernissen der Zeit entsprechen und vor allem unaufhörlich Vertrauen schaffen. Der wahre Wert einer Zeitschrift liegt nämlich im Vertrauen, das die Lesenden und Schreibenden in sie setzen.

In diesem Sinne möchte ich drei aktuelle Entwicklungen herausgreifen, welche gegenwärtig vom Stand der wissenschaftlichen Publikationsethik aus relevant sind: (1) den Umgang mit den neuen KI-Sprachmodellen, welche Texte erstellen, (2) die Frage von Interessenkonflikten, wenn Editoren als Autoren fungieren, und (3) die Bedeutung des Peer-Review-Verfahrens im Vorfeld wissenschaftlicher Veröffentlichungen.

Die Großen Sprachmodelle (large language models, LLM) sind in aller Munde, spätestens, seit ChatGPT mit Hilfe neuerer Deep-Learning-Algorithmen so verblüffende Leistungen vorweist: Man kann knifflige Fragen stellen und bekommt erstaunlich oft korrekte Antworten, man kann hochkomplexe Prüfungsaufgaben damit beantworten, vor allem aber kann man Texte jeglicher Couleur korrigieren und generieren lassen. Ein paar Stichworte genügen und das System erstellt einen soliden Essay über ein beliebiges medizinethisches Thema. Ganz praktisch erhebt sich für eine Zeitschrift wie „Ethik in der Medizin“ die Frage, wie sie mit dieser Technologie umgehen soll. Sind LLM für das Schreiben bloß ein harmloses Werkzeug wie es der Taschenrechner für das Rechnen ist?

Der Verlag Springer Nature, zu dem „Ethik in der Medizin“ gehört, hat zwei Grundsätze festgehalten (Anonym 2023): Erstens können LLM nicht als Autoren firmieren, da sie nicht die mit einer Autorschaft verbundene Verantwortung über den Text tragen können. Auch wenn LLM zuweilen als Akteure bezeichnet werden und ihre Texte noch so sehr menschengemachten Texten ähneln mögen, sollte man sich nicht täuschen lassen: LLM sind keine moralischen Subjekte, ihnen fehlen zumal die Subjektivität, Volition und soziale Rationalität von Personen (Nida-Rümelin und Weidenfeld 2023). Die Verantwortung für den gesamten Text, auch für LLM-generierte Teile, verbleibt daher bei den Autoren.

Zweitens ist der Gebrauch von LLM durch die Verfasser transparent zu deklarieren (z. B. im Methodenteil oder in der Danksagung), wobei spezifiziert werden sollte, auf welche Weise LLM an der Textproduktion beteiligt waren. Obgleich LLM zahlreiche ethische Fragen aufwerfen – etwa die Missachtung intellektuellen Eigentums benutzter Input-Texte oder systematische Verzerrungen und Diskriminierungen – wäre ein komplettes Verbot von LLM angesichts ihrer Potenziale unverhältnismäßig. Vor allem aber ist es derzeit nicht immer möglich, LLM-generierte Texte mit hoher Treffsicherheit als solche zu entlarven, deshalb braucht es umso mehr die Tugenden der Ehrlichkeit, Offenheit und Integrität auf Seiten der Autoren.

Ein zweites Thema, das ich ansprechen möchte, betrifft ebenfalls die Autorschaft: Ist es legitim, wenn Schriftleiter, (Gast‑)Herausgeber oder Beiratsmitglieder einer Zeitschrift zugleich wissenschaftliche Originalartikel in derselben veröffentlichen? Eine Studie aus dem Jahr 2023 untersuchte mehr als 1000 Zeitschriften von Elsevier, einem der führenden Wissenschaftsverlage (Liu et al. 2023). Es zeigte sich, dass vergleichbare Wissenschaftler signifikant häufiger in einem Journal publizierten, wenn sie dort zugleich Editoren waren. Die Varianz zwischen diesen Editoren war zwar enorm, aber bei 12 % von ihnen fand sich im Ergebnis, dass sie ein Fünftel ihrer selbst (mit)verfassten Originalartikel in der Zeitschrift publizieren, für die sie zugleich editorisch tätig waren. Die Ergebnisse sind indessen mit Vorsicht zu interpretieren: Editoren sind nicht selten führende Wissenschaftler mit hohen Publikationsraten, deren wissenschaftlicher Fokus logischerweise dem Profil der Zeitschrift entspricht. Gleichwohl besteht die Gefahr, dass sich Wissenschaftler aus ihrer editorischen Funktion einen Vorteil verschaffen könnten, was eine ungerechtfertigte Ungerechtigkeit im Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen zur Folge hätte. Diese Gefahr ist vielleicht noch stärker bei Gastherausgebern, welche Themenhefte einwerben und verantworten. Manche fordern deshalb, dass Herausgeber sich jeglicher Publikation in den „eigenen“ Zeitschriften enthalten sollten (Golder 2023). Dies könnte aber eine umgekehrte Ungerechtigkeit zur Folge haben: eine Zugangsbarriere für Editoren, die vor allem dort problematisch wäre, wo es in kleinen Wissenschaftsgebieten nur weniger Zeitschriften gibt, zumal bei nicht-englischsprachigen Publikationen in Geistes- und Sozialwissenschaften.

Die Zeitschrift „Ethik in der Medizin“ folgt aus diesen Gründen den recht einhelligen publikationsethischen Empfehlungen (Hegelsson et al. 2022): Schriftleitern und Gastherausgebern wird es grundsätzlich nicht verwehrt, Originalarbeiten einzureichen. Doch der gesamte editorische Prozess wird dann sorgfältig so gestaltet, dass sie gänzlich ausgeschlossen sind. Eine solche Einsendung wird durch die Redaktion direkt anderen Schriftleitern überantwortet, die dann das doppelblinde Peer-Review-Verfahren initiieren. Zudem wird bei der Publikation solcher Artikel in der Sektion „Interessenkonflikte“ nunmehr transparent deklariert, wenn ein Autor zugleich eine editorische Funktion innehat. Im Jahr 2023 sind lediglich in zwei von 22 Originalarbeiten Schriftleiterinnen in Koautorschaft aufgeführt, wobei es sich hierbei um solche handelt, die nicht für die Rubrik „Originalarbeiten“ zuständig sind.

Das Stichwort „Peer Review“ kam schon zur Sprache: In einem dritten Schritt möchte ich hierauf noch etwas näher eingehen. Die Covid-19-Pandemie hat verständlicherweise dazu geführt, dass man versuchte, den gesamten Forschungs- und Entwicklungsprozess zu beschleunigen, um so früh wie möglich wirksame Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung verfügbar zu haben. Hierzu gehörten auch wissenschaftliche Publikationen ohne das langwierige Peer-Review-Verfahren auf sogenannten Preprint-Servern, die im Internet frei zugänglich sind. Die Erfahrungen zeigen aber auch die vielfältigen Risiken dieser Publikationsform auf, etwa die rasante Verbreitung und Nutzung ungeprüfter, falscher und womöglich schädlicher Informationen vermittels Medien, Politik und Industrie (Flanagin et al. 2020; Ravinetto et al. 2021).

Während die Preprint-Publikationen unter verschärften ethischen Bedingungen gewiss ihre Berechtigung und ihre Vorteile für bestimmte Forschungskontexte behalten, steht zugleich außer Frage, dass der Standard wissenschaftlichen Publizierens weiterhin das Peer Review bleibt (Ravinetto et al. 2021). Da Schriftleiter nicht die Expertise haben, alle Einsendungen inhaltlich kompetent zu prüfen, bleibt die Begutachtung durch erfahrene Wissenschaftler des jeweiligen Gebiets unabdingbar. Sie haben eine doppelte Funktion: Erstens dienen sie als Filter, um die Publikation schlechter, redundanter oder sonst problematischer Artikel zu verhindern. Zweitens tragen sie wesentlich zur Qualitätsverbesserung der Artikel bei, indem sie konstruktive Kritik üben und Vorschläge machen, welche die Autoren in Überarbeitungen berücksichtigen. Meine eigene Erfahrung ist sogar, dass es keine bessere Schulung wissenschaftlichen Schreibens gibt, als andere Manuskripte sorgfältig zu begutachten. Peer Review macht auch die Gutachter zu besseren Autoren und Forschern, es fördert die Qualität der gesamten Wissenschaftspraxis.

Es gibt verschiedene Formen des Peer-Review-Verfahrens, mit oder ohne gegenseitige Verblindung der Namen von Autoren bzw. Gutachtern. Jede Form hat Vor- und Nachteile, die sich zudem je nach Forschungsfeld und Zeitschrift unterschiedlich gestalten können (Shoham und Pitman 2021). Die „Ethik in der Medizin“ praktiziert ein rigoroses doppelblindes Peer Review, bei dem jedes Manuskript nach klar vorgegebenen Kriterien von mindestens zwei Experten unabhängig voneinander begutachtet wird, deren Identität den Autoren nicht offengelegt wird und vice versa. Dieses Verfahren ist zwar aufwändig, passt aber gerade zu einem kleinen Feld wie der Medizinethik, solange geeignete Gutachter ohne Interessenkonflikte akribisch ausgesucht werden. Doppelblindes Review ist insbesondere fairer, vermeidet diskriminierenden Bias und wird nach wie vor von der Mehrheit der Forscher befürwortet (Ross et al. 2006; Shoham und Pitman 2021).

Im beschleunigten, verdichteten Wissenschaftsbetrieb von heute wird es immer schwieriger, Wissenschaftler für die ehrenamtliche und zeitraubende Tätigkeit des Peer Review zu gewinnen. Zwar bieten Verlage, Zeitschriften und wissenschaftliche Plattformen diverse Formen ideeller Anerkennung an, doch wird die gutachterliche Tätigkeit bei harten wissenschaftspolitischen Entscheidungen, etwa Stellenbesetzungen oder finanziellen Förderungen, bisher leider noch stiefmütterlich vernachlässigt. Umso mehr schätzen wir es bei „Ethik in der Medizin“, dass wir auf eine außergewöhnlich hohe Bereitschaft auch renommierter Experten zählen können, sorgfältige, integre und kollegial-konstruktive Gutachten durchzuführen. Für das vergangene Jahr sind die Gutachter am Ende dieses Heftes aufgelistet. Ihr Engagement und ihre Treue verdeutlicht uns einmal mehr, welcher Wert für eine Zeitschrift wie „Ethik in der Medizin“ zentral ist: das Vertrauen.