Aus medizinischer Sicht ergeben sich aus der Falldarstellung folgende Handlungsoptionen:

  1. 1.

    Extubation in Narkose und Sterbebegleitung.

  2. 2.

    Intensivbehandlung bis zur Besserung und Entwöhnung von der Beatmung.

    2.1. Keine Erweiterung der Therapie, z. B. um medikamentöse Kreislaufunterstützung oder weitere Organersatzverfahren.

  3. 3.

    Beendigung der Intensivtherapie und Extubation nach Absetzen der Medikamente, die Atemantrieb und Bewusstsein dämpfen, und Abklingen der Medikamentenwirkung.

Wie sind diese medizinethisch zu bewerten?

Die Patientin hat die aktuelle Behandlung abgelehnt. Die Verfügung ist dokumentiert und wird vom vorsorgebevollmächtigten Lebensgefährten vertreten; sie ist rechtlich bindend.

Nach ärztlicher Prognose ist als Folge jeder Handlung absehbar, dass die Patientin verstirbt. Bei Option 1 stirbt sie sofort nach der ärztlichen Intervention. Option 3 bedingt wahrscheinlich Versterben noch auf der Intensivstation nach erwartbar auftretenden behandlungsbedürftigen Unruhe‑, Schmerz- und Luftnotphasen; es besteht eine geringe Chance, dass die Patientin die Prozedur so überlebt. Option 2 bedeutet entweder Versterben auf der Intensivstation im Verlauf, eventuell unter fortgesetzter Bewusstseins- und Atemantrieb dämpfender Therapie oder im „besten Fall“ Entlassung in verschlechtertem Allgemeinzustand, bedingt durch die stattgehabte Intensivbehandlung und den Krankheitsprogress.

Es handelt sich hier um einen Behandlungsabbruch (Vgl. Bundesgerichtshof 2 StR 454/09 – Urteil vom 25. Juni 2010 (LG Fulda)) in Übereinstimmung mit dem vorausverfügten und von dem Angehörigen vertretenen Willen. Dies ist nach aktueller Rechtslage zulässig und geboten (§ 1901a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). Die Festlegungen der Patientenverfügung treffen auf die aktuelle Behandlungssituation zu. Obwohl die Patientin aufgrund der Maßnahme stirbt, ist eine Genehmigung durch das Betreuungsgericht nicht erforderlich, weil der Arzt im Einvernehmen mit dem Vorsorgebevollmächtigten handelt (§ 1904 BGB, Absatz 4 u. 5).

Die Aspiration ist bei einer Speiseröhrenblutung eine mögliche Komplikation – mit oder ohne Magenspiegelung. Im Totenschein ist die Todesursache richtig benannt; wichtig ist, die medizinischen Handlungen im Feld Epikrise zu dokumentieren.

Zu dem die Wertvorstellungen und Leitlinien betreffenden Argument ist anzumerken: Medizinische Mitarbeiter*innen und Institutionen müssen den ihr berufliches Umfeld betreffenden Wertewandel wahrnehmen und sich angemessen positionieren. Wenn gesellschaftliche Entwicklungen wie in diesem Beispiel vom Gesetzgeber zu geltendem Recht gemacht wurden, ist dem Folge zu leisten. Die zentrale Forderung des Berufsethos ist, zuallererst nicht zu schaden. In einer pluralistischen Gesellschaft, die die Selbstgesetzlichkeit ihrer Mitglieder achtet, ist die häufig geäußerte Sichtweise, dass der Tod der größte anzunehmende Schaden ist, nicht auf die Mehrheit übertragbar.

Die Vorstellung, dass Patient*innen allen möglicherweise eintretenden Folgen invasiver Therapien zustimmen müssen, entspricht eher geläufigem medizinischen Handeln und widerspricht bisweilen vorausverfügtem oder mutmaßlichem Patientenwillen. Sehr anerkannt würde meines Erachtens eine Funktionsabteilung, die in Kenntnis der Verfügung die Behandlung anbietet und den Verlauf verantwortlich trägt.

Warum hat sich der Oberarzt nicht auf diesen medizinethischen Diskurs eingelassen? Er war sich wahrscheinlich seiner rechtlichen und moralischen Einschätzung des Sachverhaltes sicher und sah es in seiner Verantwortung, die nicht legitimierte Intensivbehandlung zu beenden. Die Handlung klärt jedoch nicht den kritisierten Sachverhalt. Auch die vielleicht bestehende Sorge, als Verantwortlicher alle Beteiligten vor „moral distress“ schützen zu müssen, ist in Anbetracht der eingetretenen Folgen nicht plausibel.

Mehrere Mitglieder des Behandlungsteams empfinden es als problematisch, dass der Tod der Patientin unmittelbar nach der ärztlichen Intervention eintritt. Die Handlung wird somit formal logisch als Tötung benannt. Die Extubation der Patientin in tiefer Narkose führt nicht zuletzt für den Oberarzt selbst direkt zu der von dem Philosophen Quante formulierten Fragestellung, ob „die absichtliche Tötung eines Menschen durch medizinisches Handeln unter bestimmten Umständen ethisch erlaubt oder sogar ethisch geboten sein kann“ (Quante und Schweikard 2011, S. 38). Erforderlich ist eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Wertesystem. Die geläufigen handlungstheoretischen Unterscheidungen aktiv/passiv oder tun/unterlassen helfen nicht weiter. Der Jurist Merkel spricht von „profunder Unehrlichkeit unserer Sterbehilfeverlautbarungen“. Er wertetet „jedes ärztliche Verhalten mit absehbar lebensverkürzender Wirkung“ als „generell verbotenes Tötungsverhalten“, für das es jedoch rechtfertigende Gründe geben kann. Die glaubhafte universelle Gültigkeit der Grundrechte diene „dem Schutz der Normgeltung selbst“ (Merkel 2006, S. 260, 257). Ich schließe mich dieser Bewertung an. Die Wahrnehmung des zum Tod führenden Behandlungsabbruches als Tötung kann durch die Umbenennung nicht entkräftet werden. Wichtig ist, dass transparent diskutiert wird, welche Aspekte für die Beurteilung der Handlungsoptionen entscheidend sind und als Rechtfertigung angesehen werden. Transparenz und moralische Auseinandersetzung schützen darüber hinaus vor Überforderung und Missbrauch.

Reflexionsprozesse über Werte und Ziele in der Patientenversorgung, ein interprofessioneller Diskurs und Fortbildungen zu medizinethischen und juristischen Themen gehören zur guten Praxis in der Palliativversorgung. Psychologische oder seelsorgerische Unterstützung kann bei Bedarf eingeholt werden. Andere Bereiche der medizinischen Versorgung würden von diesem Vorgehen sicherlich gleichfalls profitieren. Es ist essenziell, die Motive medizinischer Handlungen transparent zu machen. Dissense sind möglich und erfordern z. B. moderierte Fallbesprechungen, eventuell mit ethischer oder juristischer Expertise.

Zusammenfassend ist die ärztliche Indikation für die Intensivtherapie nicht gegeben, da die Frau dem wirksam in ihrer Patientenverfügung widersprochen hat. Der Oberarzt berücksichtigt die Patientinnenperspektive und wählt die Handlung, die ihr aus seiner ärztlichen Sicht am besten gerecht wird. Für die Tötung durch den Behandlungsabbruch gibt es rechtfertigende Gründe. Es wäre gut gewesen, wenn er alle Betroffenen transparent informiert und ihrem Wunsch entsprechend hätte teilhaben lassen. Außerdem sollte er als Verantwortlicher für die Abteilung die Entwicklung von Handlungsorientierungen durch o. a. Prozesse initiieren.