Der beschriebene Fall verdeutlicht eindrücklich die Tragik so mancher pränataldiagnostischer Prozesse: Begonnen in der Intention, mehr Sicherheit durch mehr Wissen über den Gesundheitszustand eines zukünftigen Kindes zu schaffen, hat eine Aneinanderreihung von Untersuchungen, Befunden und Wahrscheinlichkeiten über einen Zeitraum von acht Wochen bei einer Schwangeren zu so großer Verunsicherung geführt, dass sogar ursprüngliche Gewissheiten nicht mehr gelten. Nachdem sich eine Verdachtsdiagnose in der 29. SSW beim Feten bestätigt hat und zwei weitere geringe Erkrankungsrisiken nicht sicher geklärt werden können, kommt die Schwangere in der 30. SSW zu dem Schluss, dass nur noch der eigentlich immer ausgeschlossene Abbruch der Schwangerschaft, der in diesem Schwangerschaftsalter in Verbindung mit einem Fetozid, also der Abtötung des Feten im Mutterleib, durchgeführt werden würde, einen für sie gangbaren Ausweg darstellt. Sie möchte ihrem zukünftigen Kind das nach ihrem Verständnis prognostizierte Leid „um jeden Preis“ ersparen. Wie groß die zu einem solchen Entschluss führende seelische Not sein muss, lässt sich erahnen.

Viel schwieriger zu beantworten ist jedoch die Frage, ob eine derartige akute seelische Notlage die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren mit sich bringt und diese Gefahr nur durch einen Schwangerschaftsabbruch (und nicht durch eine andere für sie zumutbare Weise) abgewendet werden kann. So jedenfalls stellte sich das Problem aus der Perspektive des deutschen Rechts dar. Läge eine solche Situation nach ärztlicher Erkenntnis und unter Berücksichtigung der aktuellen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren vor, dann wäre ein Abbruch der Schwangerschaft entsprechend § 218a, Absatz 2 Strafgesetzbuch StGB angezeigt und nicht rechtswidrig, – es gäbe also zumindest juristisch mit dieser sogenannten medizinischen Indikation ein hinreichendes Kriterium und die Deutungshoheit liegt hier klar auf der ärztlichen Seite.

Zum seelischen oder körperlichen Gesundheitszustand der Schwangeren gibt es in der Fallbeschreibung keine Informationen. Stattdessen wird die Entscheidung der Schwangeren zum Schwangerschaftsabbruch beschrieben. Während aber der Gesetzgeber zwei Entscheidungsspielräume ärztlicher Akteure festschreibt (neben der medizinischen Indikation in § 218a (2) StGB auch das Weigerungsrecht in § 12 (1) Schwangerschaftskonfliktgesetz SchKG), wird die Bedeutung der Entscheidung der Schwangeren im Kontext von Abbrüchen nach vorgeburtlicher Diagnostik (also in der Regel nach der 14. SSW p.m.) nicht thematisiert. Die klinische Realität ist eine andere: Die reproduktive Autonomie ist ein erklärtes Ziel, die informierte Entscheidung der Schwangeren bzw. des Paares für oder gegen die Fortsetzung einer Schwangerschaft ein möglicher Endpunkt des pränataldiagnostischen Prozesses, – insbesondere dann, wenn therapeutische Optionen für die diagnostizierten Auffälligkeiten nicht zur Verfügung stehen (Bundesärztekammer 1998). Hat sich also eine Schwangere, optimalerweise unterstützt durch umfassende, multidisziplinäre ärztliche sowie psychosoziale Beratungsangebote (und häufig in großer seelischer Not) gegen die Fortsetzung der Schwangerschaft entschieden, muss sie erfahren, dass aus dieser Entscheidung erst einmal gar nichts unmittelbar folgt.

Es muss sich nicht nur ein Behandlungsteam finden, das bereit ist, den Schwangerschaftsabbruch zu diesem späten Zeitpunkt durchzuführen. Hier gibt es oft wenige Optionen und Schwangere und Paare müssen teils lange Wege zurücklegen, um zu diesen zu gelangen (Böhm 2022). Darüber hinaus muss eine weitere Ärztin oder ein weiterer Arzt bereit sein, die oben beschriebene medizinische Indikation zu bescheinigen. Dies geschieht offensichtlich immer wieder nicht auf der Basis der erwarteten Gefährdung der seelischen Gesundheit der Schwangeren, sondern abhängig von der beim Feten diagnostizierten Auffälligkeit (Böhm 2022). Die Datenlage in dem Bereich ist spärlich, über die Gründe dieser Verschiebung in der Bewertungsgrundlage lässt sich nur mutmaßen. Mehr als fraglich erscheint jedenfalls, ob die in der medizinischen Indikation geforderte Feststellung überhaupt im Bereich des ärztlichen Erkenntnisvermögens liegt. Ist man als Arzt oder Ärztin wirklich in der Lage einzuschätzen, inwiefern eine „Schwangere den zu erwartenden Belastungen gewachsen ist oder diese für sie eine Lebens- bzw. Gesundheitsgefahr darstellen?“ (BMFSFJ 2019). Oder muss diese Einschätzung nicht vielmehr ausschließlich der Schwangeren selbst vorbehalten bleiben?

In den Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche nach vorgeburtlichen Untersuchungen durchführen, haben sich dementsprechend eine Vielzahl von Prozessen und Gremien etabliert, um die ärztlichen Entscheidungsspielräume trotz aller Unwägbarkeiten so verantwortungsvoll wie möglich auszufüllen (Grahe und Schild 2018; Muggli et al. 2019; Wernstedt et al. 2005; Meyer-Wittkopf et al. 2006). Eine fundierte Analyse dieser Strukturen aus philosophisch-theoretischer wie empirischer Perspektive ist bisher nicht erfolgt (Schmitz und Clarke 2021). Immer wieder jedoch wird aus der Praxis berichtet, dass Schwangere und Paare die Teilnahme an einer Ethikberatung oder Fallkonferenz im Kontext eines gewünschten Schwangerschaftsabbruches weniger als Unterstützung, sondern vielmehr als Zumutung empfinden (Wernstedt et al. 2005). Und auch auf der ärztlichen Seite scheint weiter ein großer (politischer) Handlungsbedarf in Richtung einer transparenten, tragfähigen und einheitlichen Regulierung der Entscheidungsprozesse gesehen zu werden (Böhm 2022). Diese müsste notwendigerweise nicht nur den ärztlichen Entscheidungsspielraum, sondern auch denjenigen der Schwangeren (und dessen Grenzen) adressieren. Solange jedoch eine solche Regulierung fehlt, wäre es in der Verantwortung vor allem der ärztlichen Akteure, auf die Unerfüllbarkeit der an sie gestellten Forderungen deutlich hinzuweisen und eine Veränderung herbeizuführen.