Technik ist, wie man mit Gernot Böhme (2008) festhalten kann, ein invasives Unterfangen. Durch ihren Einsatz verändert der Mensch nicht nur seine Mitwelt, sondern wirkt rekursiv auch auf sich selbst ein. Ereignen sich solch technische Rückwirkungen auf den Menschen überall dort, wo sich Technologie findet, wird sie in der Strömung des Transhumanismus (TH) und seiner Zielsetzung, den Menschen durch Technik fortzuentwickeln, bewusst eingesetzt und auf die Spitze getrieben. Nimmt man beides – die Invasivität der Technik sowie die Bestrebungen des TH – ernst, tun sich zwei Fragen auf. Erstens: Wie ist Menschsein in einer durchtechnologisierten Gesellschaft zu verstehen? Zweitens: Kann der TH zur Entwicklung einer solchen Anthropologie beitragen? Beiden Fragen widmet sich die Philosophin, Theologin und Germanistin Anna Puzio in ihrer im Mai 2022 bei transcript erschienenen Dissertation Über-Menschen.

Die Untersuchung gliedert sich in drei Teile. Teil 1 führt in die Frage- und Themenstellung ihrer Arbeit ein (Kap. 1) und stellt – orientiert an der Transhumanist FAQ sowie der Transhumanist Declaration – die zentralen Begriffe, Themen und Agenden des TH vor (Kap. 2).

Im zweiten Teil der Studie (Kap. 3–7) macht sich die Autorin daran, in einem deskriptiv-normativen Wechselschritt das Menschenbild des TH zu erörtern. Dazu fördert sie mittels analytischer Tiefenbohrungen die im TH vorhandenen anthropologischen Annahmen zu Tage und misst diese anschließend in einem Verfahren immanenter Kritik an den transhumanismuseigenen Kriterien und Anforderungen.

In den Kap. 3 und 4 präsentiert Puzio, nach einigen methodischen wie inhaltlichen Grundlegungen, entlang von fünf Diskursen verschiedene Aspekte des transhumanistischen Menschen- und Körperverständnisses. Im Zuge dessen zeigt sie, dass und wie die transhumanistischen Vorstellungen der menschlichen Natur (Diskurs 1), des Menschen als Maschine (Diskurs 2) und des genetisch-codierten Menschen (Diskurs 3), des Menschen als Gehirn (Diskurs 4) sowie des Verhältnisses von Menschenkörper und Menschengeist (Diskurs 5) hinter die selbstgestellten Ansprüche des TH zurückfallen. So seien bspw. dessen Annahmen zum menschlichen Genom unterkomplex und blieben weit hinter dem gegenwartsgenetischen Kenntnisstand der Lebenswissenschaften zurück und auch die neurowissenschaftlichen Annahmen des TH entsprechen nicht mehr dem disziplinären Status Quo.

In den Kap. 5 und 6 setzt sich Puzio mit den transhumanistischen Zielvorstellungen sowie dessen Vorstellungen zur Bestimmung des Menschen auseinander. Sie zeigt auf, dass der TH eine Perfektionierung des Menschen sowie eine Ausweitung der menschlichen Freiheit und Kontrolle anvisiert. In seinem Streben, so kritisiert die Autorin, reduziere der TH den Menschen und seine körperlichen wie mentalen Erfahrungen jedoch Schritt für Schritt auf bloße Informationsverarbeitungsprozesse. Damit werden Informationen zur „heimliche[n] Hauptakteurin“ (S. 264) des TH und verdrängen den „wirklichen“ Menschen zunehmend aus dessen Blickfeld – ein Ergebnis, das fundamental im Widerspruch zu dem stehe, was die Bewegung eigentlich zu erreichen sucht.

Die kritischen Beobachtungen der vorherigen Kapitel bündelnd, identifiziert Puzio in Kap. 7 ideologische Momente innerhalb des TH. Dieser räume seinen technohumanen Zukunftsvisionen einen prinzipiellen Vorrang gegenüber realmenschlichem Empfinden ein und suche, sämtliche Wirklichkeitsaspekte aus dem kontrollzentrierten Informationsparadigma heraus zu erklären. Damit erfülle der TH jedoch alle Ideologiekriterien nach Hannah Arendt und stehe im Verdacht, pluralitätseinengend und freiheitsbedrohlich zu sein. In Summe veranlassen diese Beobachtungen Puzio zu dem Urteil, dass der TH „keine menschenbejahende Grundhaltung“ (S. 227) an den Tag lege und deshalb nicht zu einem „veränderungs- und zukunftsoffenen, dynamischen Entwurf des Menschen beitragen kann“ (S. 348).

Nach diesem, den zweiten Teil der Untersuchung abschließenden Negativurteil über den TH und dessen anthropologische Potenziale, stellt sich Puzio im dritten Studienteil die Frage, woran sich ein Menschenbild der technologisierten Gegenwartsgesellschaft alternativ orientieren könne. Dazu skizziert die Autorin in Kap. 8, wie das Verhältnis von Körper und Technik gegenwärtig durch Technik verändert werde. Sie arbeitet heraus, dass die Technologisierung bisherige Körperoptimierungsbestreben vorantreibe, es zu umfassenden Modifikationen wie Erweiterungen des menschlichen Körpererleben komme – was insgesamt zu einer paradox-zeitgleichen „Körperdistanzierung und -aufwertung“ (S. 293) führe. Im Anschluss hieran zeigt die Autorin in Kap. 9, welche produktiven Potenziale dem kritischen Posthumanismus innewohnen, diese Trends zu erfassen und zu einer technik- wie zeitgemäßen „Reformulierung der Anthropologie“ (S. 325) beizutragen. Mit seiner vielfältigen Kritik an den Anthropozentrismen und Essentialismen des Humanismus sowie seiner technikinvolvierten Subversion klassischer Menschenbilder erweise sich der kritische Posthumanismus als idealer Ausgangspunkt, bestehende Festsetzungen des Menschseins infrage zu stellen, die anthropologischen Grenzen neu auszuhandeln und dabei der technikinduzierten Fluidität, Relationalität und Verkörperung des Menschen in einer zu entwickelnden „Anthropologie 2.0“ (S. 289) gerecht zu werden.

Kap. 10 führt die Ergebnisse der Studie in einem abschließenden Fazit zusammen und stellt in einem Ausblick die Bedeutung der Ergebnisse für die weitere Transhumanismusforschung sowie für die Entwicklung einer Anthropologie für die technologisierte Gesellschaft dar.

Mit ihrer Untersuchung der Anthropologie des TH liefert Puzio eine Studie, die ohne großes Vorwissen verständlich ist und einen guten Einblick in die zentralen Anliegen und Gedankengänge der transhumanistischen Strömung verleiht – ohne dabei an der inhaltlichen Oberfläche zu verweilen oder bloße Trivialitäten mitzuteilen. Ganz im Gegenteil. Mit ihren geschickt-mehrperspektivischen Re- und Dekonstruktionen der anthropologischen Annahmen des TH hält die Studie auch für Transhumanismuskenner*innen neue Wissensschätze bereit. Und mit ihren Erkundungen eines zu entwickelnden Menschenbilds für die technisierte Welt birgt sie wertvolle Impulse für anthropologisch Interessierte. Für beides lohnt sich das Werk zu lesen – weswegen ich Puzios Über-Menschen zur Lektüre empfehle.