Einleitung

Der Beitrag richtet den Blick auf die Ethikbildung und Ethikkompetenzentwicklung zukünftiger Pflegefachpersonen. Hierbei wird deutlich, dass es im Ausbildungsverlauf aufgrund der variierenden Lernorte strukturelle Besonderheiten gibt, die angesichts der damit einhergehenden Einflüsse und Anforderungen die Ethikbildung auf unterschiedliche Weise beeinflussen. Zugleich ist beachtlich, dass die grundständige pflegeberufliche Ausbildung gegenwärtig auf unterschiedlichen Qualifikationsstufen stattfindet: akademisch oder fachschulisch. Beide Ausbildungswege – akademisch oder fachschulisch – erfolgen an mindestens zwei (Lernort Theorie und Lernort Praxis) und zunehmend an einem dritten Lernort. In Deutschland versteht man unter dem dritten Lernort einen geschützten, simulationsbasierten, fertigkeitsorientierten Lernort: Das Skillslab (Kerres et al. 2021; Schröppel 2021; Schwermann 2021). Der dritte Lernort unterscheidet sich hinsichtlich seiner Verortung, seiner Rolle und Begrifflichkeit im jeweiligen Ausbildungssystem der Pflege.Footnote 1 Vor diesem Hintergrund erfolgt im weiteren Verlauf eine definitorische Grundlegung des dritten Lernortes (Skillslab), so wie er aktuell im Kontext der Pflegeausbildung in Deutschland gerahmt wird. Wenngleich nachfolgend exemplarisch auf die Pflegeausbildung in Deutschland Bezug genommen wird, so sind die Besonderheiten der Ethikbildung – angesichts unterschiedlicher Lernorte im Rahmen pflegeberuflicher Bildung – auch für andere Bildungssysteme anschlussfähig.

Bedeutsam im Rahmen des Beitrages ist: An allen drei Lernorten zeigt sich der Stellenwert einer integralen, d. h. alle Dimensionen pflegerischen Handelns umfassenden, professionellen Ethikbildung und Ethikkompetenzentwicklung. Dieser Auftrag erschließt sich aus dem jeweiligen Ausbildungsziel wie auch aus der Verortung spezifischer Ethikteilkompetenzen in den jeweiligen curricularen Vorgaben (z. B. den Rahmenlehrplänen). An allen drei Lernorten ist demgemäß die Grundlegung, Entwicklung, Förderung und Vertiefung von Ethikkompetenzen für den Bildungsverlauf gefordert. Ethikbildung muss im Ausbildungskontext der Pflege folglich lernortbezogen pädagogisch-didaktisch orchestriert, methodisch begleitet und realisiert werden. Ethik ist zugleich als ein immanenter Teilbereich der Pflegepädagogik zu betrachten. Dies begründet sich bereits durch die dem pädagogischen Handeln immanente Strukturlogik einschließlich ihrer unaufhebbaren Paradoxien und Antinomien (Helsper 2021, 2016). Ebenso ist die Gestaltung von Bildungsprozessen in ihrer Gesamtheit wie in den unterschiedlichen Lernorten grundsätzlich als moralische Praxis zu verstehen (Lehmeyer und Riedel 2022). Moralische Entscheidungen sind im alltäglichen Lehrendenhandeln im Bereich der Pflegepädagogik allgegenwertig. In der Folge umfasst der Beitrag sowohl die Perspektive auf die Lernenden und deren Ethikkompetenzentwicklung und ethischen Erfahrungen im Bildungsprozess wie auch die Perspektive auf die Lehrenden und auf deren Ethikkompetenz, ethische Expertise, ethische Sensibilität und „moralische Intelligenz“ (Tanner und Christen 2014; Christen et al. 2016) im Kontext der Ethikbildung.

Ziel des Beitrages ist es, für die Relevanz einer systematischen, methodisch reflektierten und lernortabgestimmten Ethikbildung in der Pflegeausbildung – über die formalen Forderungen in den Berufsgesetzen hinausgehend und die beiden Ausbildungswege (fachschulisch und akademisch) betreffend – zu sensibilisieren. Hierbei ist die folgende Frage leitend: Welche spezifischen pädagogischen und didaktischen Anforderungen, aber auch welche bildungsrelevanten Rahmungen ergeben sich angesichts der unterschiedlichen Lernorte für die Ethikbildung und die Ethikkompetenzentwicklung zukünftiger Pflegefachpersonen?

Die Besonderheiten der Ethikbildung erschließen sich einerseits aus den pflegeberuflichen Anforderungen an professionelles Pflegehandeln und andererseits aus den Erfahrungen der Lernenden an den unterschiedlichen Lernorten im Verlauf der Pflegeausbildung. Aus diesen Erfahrungen heraus ergeben sich bereits im Lehr- und Lernprozess moralische Verunsicherungen, ethische Irritationen und ethische Konfliktfelder, welche die Ethikbildung einerseits situativ initiieren und andererseits die curricular verortete und pädagogisch-didaktisch realisierte Ethikbildung untermauern. Ethikbildung in der Pflegeausbildung weist hierbei drei zentrale Anliegen auf (Riedel und Lehmeyer 2022; Lehmeyer und Riedel 2021, 2022):

  1. 1.

    Ethikkompetenzen für das pflegeberufliche Handeln zu entwickeln und zu vertiefen, um als zukünftig professionell Pflegende ethisch kompetent argumentieren, (inter-)agieren und reagieren zu können.

  2. 2.

    Spezifische Ethikkompetenzen zur Prävention und zum Umgang mit moralischem Belastungserleben (z. B. moralischem Stress) angesichts der Erfahrungen im Bildungsprozess anzubahnen, einzuordnen, zu verdichten, auch um die moralische Integrität langfristig zu schützen und zu stabilisieren (Riedel et al. 2022; Riedel und Lehmeyer 2021a; Rushton 2018; Sastrawan et al. 2018; Eby et al. 2017, 2013).

  3. 3.

    Die Ausbildung eines ethisch fundierten pflegeberuflichen Selbstverständnisses bzw. die Entwicklung eines pflegespezifischen beruflichen Ethos und eines professionellen moralischen Kompasses (Riedel et al. 2022; Christen et al. 2016; Lee et al. 2020) welcher Orientierung im pflegeberuflichen Handeln eröffnet und professionellen Entscheidungen grundgelegt wird.

Der Beitrag verbindet die Ethikkompetenzentwicklung mit den Erfahrungen im Ausbildungsprozess unter konsequenter Perspektive auf die zukünftige Handlungskompetenz wie auch eines ethisch fundierten pflegeberuflichen Selbstverständnisses nach Ausbildungsende. Hierdurch ist die spezifische Anforderung an die Lehrenden an den verschiedenen Lernorten im Rahmen der Ethikbildung bereits antizipierbar. Der Beitrag konturiert diese spezifischen Herausforderungen, um vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse sodann mit methodisch angemessenen Bildungsmaßnahmen und einer reflektierten curricularen Ausgestaltung die Entwicklung der unverzichtbaren Ethikkompetenzen im Verlauf der Pflegeausbildung absichern zu können.

Eingangs beschreiben die Ausführungen die Spezifika der Pflegeausbildung, um auf dieser Basis die Besonderheiten für die Ethikbildung klarzulegen. In einem zweiten Schritt werden die drei Lernorte vorgestellt, denn – so wird deutlich werden – die Besonderheiten des Lehrens und Lernens an unterschiedlichen Lernorten hat Auswirkungen auf die ethischen Erfahrungen der Lernenden, provoziert Vulnerabilitäten und fordert Konsequenzen für die Ausgestaltung der Prozesse der Ethikbildung seitens der Lehrenden, die wiederum lernortübergreifende Elemente berücksichtigen und potenzielle Irritationen und Verletzbarkeiten antizipieren. Den Besonderheiten wahrgenommener ethischer Belastung – insbesondere in Form von moralischem Stress – gilt hierbei ein weiteres Augenmerk. Im Zusammenhang des moralischen Belastungserlebens geht es um die Erfahrung der Lernenden im Verlauf der Pflegeausbildung sowie um das besondere Augenmerk dahingehend, dass es sich hierbei um ein die Pflegefachperson begleitendes Erlebensphänomen handelt (Andersson et al. 2022; Caram et al. 2022; Palese et al. 2019). In der Folge sollte das Phänomen damit zum genuinen Lerngegenstand im Bereich der Ethikkompetenzentwicklung werden, um den Lernenden langfristig einen kompetenten, entlastenden Umgang damit zu ermöglichen. Grundlegend für die Ethikkompetenzentwicklung ist einerseits die notwendige Sensibilität der Lehrenden für das Phänomen der moralischen Belastung und seine Ausdrucksformen sowie andererseits die notwendige pädagogisch-didaktische Kompetenz einschließlich der methodischen Fähigkeiten im Kontext der Ethikbildung, an allen drei Lernorten das Phänomen als Bildungsanlass aufzugreifen und für die Lernenden situativ moralische Entlastung zu eröffnen. Der Beitrag endet mit zusammenfassenden Thesen zu relevanten Implikationen einer systematisierten Ethikbildung in der Pflege. Nachfolgendes Kapitel führt in die strukturellen Besonderheiten der Pflegeausbildung ein, da diese Spezifika pflegeberuflicher Bildung die Ethikbildung erheblich beeinflussen, rahmen und herausfordern.

Spezifika der Pflegeausbildung und der Ethikbildung in der Pflege

Die Pflegeausbildung in Deutschland wurde mit dem seit 01. Januar 2020 gültigen Pflegeberufegesetz (PflBG)Footnote 2 zu einer grundständig generalistischen (berufsfach- oder hochschulischen) Ausbildung reformiert. Im Zuge dieser gesetzlichen Veränderungen, weg von den drei unterschiedlichen Berufsbildern der Pflege – der Gesundheits- und Krankenpflege, der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege und der Altenpflege – wurden neben formalen Veränderungen maßgebliche inhaltliche Anpassungen vorgenommen. Unter anderem wurde der Ethikbildung erstmals explizit eine fundamentale Bedeutung für die pflegeberufliche Primärqualifizierung zuerkannt. So heißt es in § 5 PflBG, welcher das Ausbildungsziel definiert, dass Pflege auf „Grundlage einer professionellen Ethik“ (§ 5 Abs. 2) zu erfolgen hat und im Rahmen der Ausbildung ein „professionelles, ethisch fundiertes Pflegeverständnis“ entwickelt und gestärkt werden soll (§ 5 Abs. 4). Die dem PflBG beigestellte Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (PflAPrV) greift diese Grundlegungen auf und integriert pflegeethische Teilkompetenzen auf der Ebene der – im Rahmen von Zwischen- und Abschlussprüfungen – nachzuweisenden Performanzprüfungen, dies sowohl für den fach- wie den hochschulischen Ausbildungsbereich. Die Rahmenlehr- und Rahmenausbildungspläne für die Pflegeausbildung, erstellt durch eine Fachkommission nach § 53 PflBG – einer beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) angesiedelten Expert*innengruppe – operationalisieren die ethischen Teilkompetenzen im Kontext der übergeordnet anzustrebenden beruflichen Handlungskompetenz und verorten diese im Sinne der gestuften Kompetenzentwicklung in einem spiralig strukturierten Ausbildungsplan (Fachkommission nach § 53 PflBG 2020). Zudem werden in den weiterführenden Materialien der Fachkommission nach § 53 PflBG methodische Ansätze zur ausbildungsbezogenen Kompetenzentwicklung unter dem Primat der Subjektorientierung und zur Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung benannt (Saul und Jürgensen 2021; Jürgensen und Dauer 2021).

Sowohl die fach- wie hochschulische Ausbildung in der Pflege ist mit entsprechenden Zeitkontingenten an den Lernorten [Hoch]schule, Pflegepraxis und ggf. Skillslab (Fertigkeitslabor) angesiedelt (Hofrath und Zöller 2020). Die formalen Qualifikationsanforderungen des Lehrpersonals an den unterschiedlichen Lernorten ist dabei divergierend: Wird am Lernort [Hoch]schule für den theoretischen wie praktischen Unterricht das Master- oder ein vergleichbares Niveau bei den Lehrenden gefordert (§ 9 PflBG), so ist im Bereich des Lernorts Praxis nur für den Bereich der hochschulischen Ausbildung (in der Regel) auch hochschulisch qualifiziertes Bildungspersonal vorzuhalten (§ 31 PflBG). Für die Praxisanleitung am Lernort Praxis wird im Bereich der fachschulischen Ausbildung hingegen auf Pflegefachpersonen mit einer spezifisch definierten Expertise und einer mindestens 300-stündigen berufspädagogischen Zusatzqualifikation (§ 4 PflBG) verwiesen (Bensch 2020). Übergeordnet charakteristisch ist und bleibt derweilen der Sonderweg der pflegeberuflichen Bildung und ihres pädagogischen Personals im Vergleich zu den im Berufsbildungsgesetz (BBiG) geregelten Ausbildungsberufen und einer damit verbundenen Limitation hinsichtlich der Professionalisierung, Standardisierung und Qualitätssicherung sowie den damit einhergehenden Konsequenzen auch für den Bereich der Ethikbildung (Weyland 2020; Dielmann et al. 2020; Friese 2018).

Auf Basis dieser pointierten Darlegung der wesentlichen aktuell gültigen ausbildungsbezogenen Rahmungen der Pflegeausbildung in Deutschland können für den Bereich der Ethikbildung folgende Spezifika benannt werden:

  • Die Pflegeausbildung in Deutschland durchläuft aktuell eine tiefgreifende Umstrukturierung (insbesondere hinsichtlich der Kompetenzprofile, der Curricula an den unterschiedlichen Lernorten, der Ausbildungskooperationsgestaltung u. v. m.).

  • Die Ausprägung eines professionellen Berufsethos wird im Ausbildungsgesetz zur Grundlage einer professionellen Berufsausübung definiert, der Erwerb genuiner berufsspezifischer Ethikkompetenzen wird zum prüfungsrelevanten Kernbestandteil der Ausbildung deklariert.

  • Die lernortspezifischen, aufeinander abgestimmten Curricula, welche die ethikspezifische Kompetenzentwicklung und Performanzprüfung strukturieren, sind aktuell in der Konzeption bzw. in einer ersten Erprobung. Für die curriculare Verankerung des Lerngegenstandes [Pflege]ethik einschließlich seiner methodischen Realisierung, bestehen aktuell somit enorme Entwicklungsbedarfe und erhebliche Potenziale. Dieser per se chancenreiche Prozess ist folglich auch von pädagogisch-didaktischen Herausforderungen begleitet.

  • Die Lehrenden an den unterschiedlichen Lernorten sind bislang nicht verbindlich und umfassend auf die Integration des Lehrgegenstandes [Pflege]ethik vorbereitet. Dies betrifft insbesondere Fragen der curricularen Einbindung, die Auswahl und zeitliche Phasierung exemplarischer Lerninhalte in gestuften, lernortübergreifenden Curricula, die Auswahl ethikkompetenzförderlicher lernortspezifischer Methoden, die Gestaltung und Evaluation von lernortübergreifenden Lehr-Lern-Arrangements zur Unterstützung der Ethikkompetenzentwicklung sowie die Realisierung und Evaluation von ethikkompetenzbezogenen Performanzprüfungen.

  • Zudem sind organisationsethische Entwicklungsprozesse wie z. B. die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses einer professionellen Ethik in der Pflege und der Pflegeausbildung, oder Strukturen der Ethikberatung, welche die Ausprägung einer professionellen Ethik im Rahmen von Ausbildungsprozessen grundlegend ermöglichen, unterstützen und rahmen, sowohl in den jeweiligen Ausbildungsorganisationen als auch in den ausbildungsbezogenen Kooperationsverbünden noch weitgehend zu vollziehen.

Übergreifend ist somit zu attestieren, dass die aktuellen Veränderungsprozesse in der Pflegeausbildung in Deutschland eine noch nie dagewesene Chance der strukturellen Verankerung der Ethikbildung und der Ethiklehre in der Ausbildung offerieren, die damit verbundenen Anforderungen für die beteiligten (Lehr‑/Leitungs‑)Personen, Organisationen und Kooperationsverbünde jedoch beachtlich sind (Lehmeyer und Riedel 2022). Daran anknüpfend konkretisiert der Beitrag nachfolgend zentrale Besonderheiten der jeweiligen Lernorte mit ihren immanenten spezifischen Praxen und greift exemplarisch eine lernortspezifisch wie lernortübergreifend beachtliche Methode der Ethikbildung auf.

Bezugspunkte, Herausforderungen und potenzielle Verletzbarkeit durch variierende und wechselnde Lernorte

Nachfolgend liegt das Augenmerk auf den verschiedenen Lernorten und deren jeweiligen Besonderheiten in Bezug auf die Ethikbildung, dies aus der Perspektive der Lernenden und der Lehrenden. Vor diesem Hintergrund werden die spezifischen Herausforderungen der Ethikbildung in der Pflege deutlich und die Anforderungen an die methodisch-didaktische Ausgestaltung der Ethikkompetenzentwicklung erfassbar.

Lernort Theorie

Übergeordnet beachtlich ist, dass die ethische Bildung im Rahmen der Pflegeausbildung an individuelle, unterschiedlich ausgeprägte und sozialisierte Werteorientierungen und ggf. Moralsysteme der Lernenden anknüpft, welche in zunehmend heterogenen Lerngruppen gemeinsam am Lernort Theorie unterrichtet und begleitet werden (Erpenbeck und Sauter 2020; Robichaux 2017; Rabe 2017). Ethikbildung in der Pflegeausbildung kommt damit die Aufgabe zu – eingebettet in eine Weiterführung der Persönlichkeitsbildung – ethisches Wissen als eine spezifische Wissensform pflegerischen Handlungswissens (Chinn und Kramer 2018) anzulegen, eine pflegeberufliche Werteorientierung und professionelle Ethikkompetenz in Ausrichtung an pflegespezifische ethische Orientierungsdirektiven (zentral sind hierbei der ICN-Ethikkodex für Pflegefachpersonen, die UN-BRK, UN-KRK sowie weiterführende zielgruppenspezifische Chartas und settingspezifische Kodizes) herauszubilden, zu verdichten und zu vertiefen (Avci 2017; Riedel 2019; Riedel et al. 2017; Riedel und Giese 2018, 2019; Lehmeyer und Riedel 2019, 2021, 2022).

Bestehende persönliche Wertvorstellungen müssen nicht widerspruchsfrei und anschlussfähig an professionelle Werteorientierungen sein. Ethikbildungsprozesse knüpfen dabei unmittelbar an der Person und Persönlichkeit der*des individuellen Lernenden sowie ihrer*seiner moralischen Entwicklung an und erfordern dadurch Wahrnehmungs‑, Reflexions- und Entwicklungsarbeit an Haltungen, Einstellungen und Werteorientierungen durch die Lernenden selbst (Heffels und Storms 2021). Die Entwicklung ethischer Kompetenzen und eines pflegeprofessionellen Ethos im Kontext der Persönlichkeitsentwicklung kann in der Folge – insbesondere bei größeren Diskrepanzen zwischen bestehenden Werteorientierungen der Person und geforderten Werteausrichtungen der professionellen Pflege – die Person als solche in ihrem bestehenden Selbstverständnis irritieren, herausfordern und ggf. (moralisch) belasten, stärker als dies in Bezug auf andere Inhalte und Themenfelder der Ausbildung zu antizipieren ist. Ethikbildungsprozesse, die Auseinandersetzungen mit berufsbezogenen moralischen Orientierungen und Forderungen sowie mit ethischen Entscheidungs- und Dilemmasituationen des beruflichen Handelns und des Handlungsfeldes, können deshalb auf eine sehr spezifische Weise eine erhöhte moralische Unsicherheit/moralische Verunsicherung und damit einhergehend eine erhöhte moralische Vulnerabilität (Riedel und Lehmeyer 2021a; Lehmeyer und Riedel 2022) der Lernenden evozieren, zumal diese individuellen Bildungs- und Entwicklungsprozesse immer im sozialen Kontext der Ausbildungsgruppe und der Organisation [Hoch]schule eingebunden sind. Dies gilt es übergeordnet im Kontext didaktischer Entscheidungen und des pädagogischen Handelns der Lehrenden und Begleitenden auf allen Ebenen und Strukturen des Lernorts Theorie zu reflektieren, zu orchestrieren und zu rahmen.

Weiterhin sind für [Hoch]schulen aufgrund ihrer „Gesamtverantwortung für die Koordination des Unterrichts und der praktischen Ausbildung“ (§ 10 PflBG) aus didaktischer Perspektive in Bezug auf die Ethikbildung folgende Aspekte von herausgehobener Relevanz (Heffels und Storms 2021; Rabe 2020; Riedel und Giese 2019; Riedel et al. 2017):

  1. 1.

    Die Integration von Ethik im Sinne einer Fachwissenschaft mit ihren für die Pflege zentral bedeutsamen und anschlussfähigen ethischen Perspektiven wie etwa die der Sozial- und Individualethik, den wesentlichen Theoriekonzepten der Angewandten Ethik und den darauf aufbauenden deontologischen, teleologischen, diskursethischen wie care-ethischen Argumentations- und Begründungslogiken.

  2. 2.

    Die curricular verankerte und gestufte Entwicklung ethisch ausgerichteter Kompetenzen im Gesamtgefüge einer professionellen pflegerischen Handlungskompetenz, dies unter Anerkennung des übergeordneten [Aus]bildungsziels der Persönlichkeitsbildung sowie der Entwicklung eines professionellen, ethisch fundierten pflegerischen Selbstverständnisses.

  3. 3.

    Die inhaltliche wie handlungsfeldbezogene Spezifikation und exemplarische Verankerung ethischer Wissensbestände unter der Perspektive der Pflegeethik im Sinne einer Bereichsethik insbesondere unter Einbezug der didaktischen Prinzipien der Exemplarität und des handlungsbezogenen situations- wie erfahrungsbezogenen Lernens und der hierfür erforderlichen methodischen Gestaltung der Lehr-Lern-Arrangements.

Deutlich wird an dieser Stelle, dass zur Realisierung dieser Forderungen einerseits umfassend (explizit auch ethisch) kompetentes und professionelles Bildungspersonal (im Sinne aller Lehrenden in der Pflegeausbildung) an den jeweiligen Lernorten der Theorie unabdingbar ist, um die fach- und bezugswissenschaftlichen Entscheidungen, Einordnungen und deren unterrichtspraktische Umsetzung zu orchestrieren und zu gestalten (Koskinen et al. 2019; Bijani et al. 2019; Dehghani 2020; Brandt und Popejoy 2020). Gleichsam zentral sind organisierte Strukturen und Prozesse der Unterrichts- wie Schulentwicklung, welche einen Rahmen und Bezugspunkt des Entscheidens und Handelns dieses kompetenten Bildungspersonals abbilden und im Sinne eines stetigen Entwicklungs‑, Reflexions- und Qualitätsprüfungsprozesses fungieren (DeSimone 2016; Marenco 2018). Um Erstes zu gewährleisten, sind [pflege]ethische sowie die ihr immanenten ethikdidaktischen Wissensbestände und Entscheidungsgrundlagen verbindlich und systematisch in die Studien- und Fortbildungsprogramme (angehender) Lehrender für den theoretischen und praktischen Unterricht zu integrieren und im Rahmen der Kompetenz- und Performanzprüfungen des angehenden Bildungspersonals zum Gegenstand zu machen. Organisationsethische und -pädagogische (Göhlich 2018; Krobath 2018) Entwicklungsprozesse und Strukturen wiederum bieten Ansatzpunkte dafür, ethische Dimensionen für die Unterrichts- und Schulentwicklung zu etablieren und zugleich umfassende und vielschichtig wirkende Strukturen und Methoden der Ethikbildung am Lernort Theorie zu realisieren.

Lernort Praxis

Der Lernort Praxis mit seinem berufspädagogischen Bildungspersonal und den ihm eigenen beruflichen Sozialisationsprozessen ist von herausgehobener Relevanz für die Entwicklung pflegeberuflicher Handlungskompetenz und somit für den systematischen Aufbau einer professionellen Ethikkompetenz, ethisch-praktischer Performanz und eines handlungswirksamen beruflichen Ethos seitens der Lernenden (Koskinen et al. 2019; Kelly 2020; Poikkeus et al. 2018, 2020; Koharchik et al. 2017). Obwohl der Einfluss des Lernorts Praxis, einschließlich all seiner arbeits- wie bildungsbezogenen Strukturen, Prozesse und Programme für die Ausbildungsqualität in all ihren Facetten von überragender Bedeutung ist, kommt ihm daran gemessen nach wie vor – trotz des im PflBG verankerten zeitlichen Ausbaus der berufspädagogischen Zusatzqualifikation von Praxisanleitenden auf 300 h und der Definition verbindlicher zeitlicher Anleitungsbudgets – zu wenig Aufmerksamkeit zu (Lehmeyer und Riedel 2019, 2021, 2022; Dielmann et al. 2020; DBR 2017; Bahl und Brünner 2018; Leibig und Sahmel 2019). Insbesondere dem beruflichen Bildungspersonal – den Praxisanleitenden und -begleitenden – sowie den curricularen Grundlagen und Instrumenten des Lernorts Praxis (praktische Ausbildungspläne, organisationsethische Strukturen der Ethikberatung u. a.) sind in Bezug auf die Ethikbildung zentrale Schlüsselrollen und -funktionen zuzuschreiben (Riedel und Lehmeyer 2021b; Lehmeyer und Riedel 2021; Key und Monteverde 2020; Kaufhold 2017; Koskinen et al. 2019). Gilt es doch, den vielfältigen Formen der Verletzbarkeit unterschiedlichst involvierter Personen(-gruppen) – Lernende, Menschen mit Pflegebedarf einschließlich ihrer Angehörigen sowie Kolleg*innen des intra- wie interdisziplinären Behandlungsteams – Rechnung zu tragen und im Kontext praktischer Lehr-Lern- und Prüfungsarrangements einen angemessenen und verlässlichen strukturellen Rahmen sowie individuelle Begleitung und Reflexion bei gleichzeitig hoher situativer Flexibilität und Adaptierbarkeit zu realisieren. Denn: Ausbildungsbezogene Anforderungen und Interessen der Lernenden einerseits und die individuellen situativen Bedürfnisse, Bedarfe und Ansprüche der in die Ausbildung eingebundenen Menschen mit Pflegebedarf anderseits konfligieren oftmals in der Ausbildungsrealität des Lernorts Praxis. Sie bedürfen der professionellen, ethisch sensiblen und reflektierten Moderation, Einordnung und methodischen Bearbeitung seitens kompetenter Praxislehrender, welche zum überwiegenden Teil in der für betriebliches Ausbildungspersonal typischen „Doppelfunktion“ als Pflegefachperson einerseits und berufspädagogisch qualifizierte Ausbilder*innen anderseits zeitgleich tätig sind (Lehmeyer und Riedel 2021; Grollmann und Ulmer 2020; Weyland und Kaufhold 2017; Hanisch 2017).

Ethikbildung am Lernort Praxis ist – anders als am Lernort Theorie – nicht handlungsentlastet. Ausbildungssituationen sind zumeist reale Pflegesituationen, welche in den strukturellen Rahmen, den Versorgungsauftrag und die Organisationslogik des Ausbildungsbetriebes eingebunden sind. Dies impliziert, dass Ethikbildung im praktischen Handlungsfeld real erlebte moralische Irritationen und moralische Unsicherheit hervorrufen kann. Aufgrund des beruflichen Erfahrungsfeldes sowie tatsächlich bestehender ethischer Probleme und Dilemmata können sich diese Anlässe zum Gegenstand des Lehr-Lerngeschehens und zum Ausgangs- wie Bezugspunkt der Ethikkompetenzentwicklung herauskristallisieren, mit all den damit verbundenen Chancen und Herausforderungen für das Anleitungs- und Lerngeschehen. Hieraus erwächst eine für den Lernort Praxis spezifische Verletzbarkeit der Lernenden, welche aufgrund ihrer je individuellen und ausbildungsstandbezogenen Wissensstände, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie ihrer persönlichen ethisch-moralischen Konstitution tendenziell schneller und stärker durch ethische Konfliktsituationen in ihrem Handlungsvermögen limitiert und in ihrer (moralischen) Integrität bedroht sein können. Zudem wirken bestehende Abhängigkeitsstrukturen sowie die ausbildungsstandgebundene Limitation der beruflichen Handlungssouveränität situativ als potenzielle Vulnerabilitätsrisiken, welche entsprechend sorgsam und achtsam seitens des verantwortlichen Ausbildungsumfeldes, seiner Mitarbeitenden und ausbildungsverantwortlichen Personen zu reflektieren, vorzubeugen und ggf. zu reduzieren sind (Lehmeyer und Riedel 2021). Gleichzeitig bietet die unmittelbare persönliche Betroffenheit und Involviertheit große Chancen des erfahrungsbasierten situierten Lernens im Sinne kasuistisch angelegter ethischer Reflexion, Argumentation und Handlungsentscheidung (Andersson et al. 2022; Brandt et al. 2021; Rabe 2020; Salah et al. 2018).

Die seitens des anleitenden Bildungspersonals erforderlichen Ethikkompetenzen aus dem Bereich der Pflegeethik wie dem der pädagogischen Ethik – einschließlich der damit verbundenen ethisch fokussierten Methodenkompetenz – sind folglich als erheblich einzuschätzen und in den seltensten Fällen im entsprechenden Maße im Rahmen der berufspädagogischen Zusatzqualifizierung adressiert. Gleichzeitig wird deutlich: Ethikbildung im Praxisfeld Pflege ist darauf angewiesen, verankerte Strukturen, Prozesse und Methoden der Organisationsethik – insbesondere Elemente der Ethikberatung – einbeziehen, nutzen und praktizieren zu können (Koharchik et al. 2017; Poikkeus et al. 2018; Lehmeyer und Riedel 2019). Dabei ist es aus pädagogischer Perspektive beispielsweise angezeigt, Lernende in die organisierten Strukturen der Ethikberatung (wie beispielsweise Ethische Fallbesprechungen, Ethikleitlinienentwicklung, offene Methoden der Ethikberatung wie das Ethik-Café) einzubinden (Fachkommission nach § 53 PflBG 2020; Riedel und Lehmeyer 2021b, 2022). Gleichsam ist zu beachten, dass die Teilnahme und Mitwirkung der Lernenden an den institutionalisierten Angeboten der Ethikberatung zwar notwendige, aus pädagogischer Sicht allein aber nicht hinreichende Ausbildungsmaßnahmen repräsentieren, um den intendierten Ethikkompetenzerwerb mit seinen umfassend notwendigen, metaperspektivischen Einordnungen und Verknüpfungen an theoretische Wissens- und Methodenbestände der Lernenden abzusichern. Es bedarf also – erweiternd zu den etablierten Formaten der Ethikberatung in der Ausbildungsorganisation – die ethikdidaktische Kompetenz der Praxisanleitenden und -begleitenden, diese Methoden ausbildungsstandangemessen aufzubereiten und im Rahmen der Ethikkompetenzentwicklung einzubeziehen. Hierbei gilt es beispielsweise, im Sinne der nachbereitenden Reflexion mit den Lernenden die Methoden an sich als auch die durch sie erzielten Ergebnisse konsequent einzuordnen und ggf. für Performanzprüfungen (bspw. in Form von handlungs- und kompetenzorientierten Zwischen- und Abschlussprüfungen) der Ausbildung heranzuziehen (Heffels und Storms 2021; Riedel 2019; Lehmeyer und Riedel 2019). Diese als komplex zu beschreibenden curricularen Entwicklungen stehen in Bezug auf die praktischen Ausbildungspläne für den Lernort Praxis derzeit noch weitgehend aus (Jürgensen und Dauer 2021; Lehmeyer und Riedel 2021, 2022).

Dritter Lernort (Skillslab)

Nachfolgend wird hier auf das Skillslab (Skills Laboratory/Fertigkeitslabor) eingegangen, den dritten Lernort in der Pflegeausbildung. Dies angesichts dessen, dass das Skillslab zunehmend an Bedeutung und an praktischer Relevanz gewinnt. Dieser dritte Lernort fungiert als pädagogisch gestaltete Lernumgebung, an welcher „zentrale räumlich-materielle, physische und/oder psychosoziale Aspekte, beeinflussbare Prozesse und wechselseitige Zusammenhänge von Aufgaben und Problemen einer realen Lebens- und Handlungswelt nachgebildet“ (Schröppel 2021, S. 14) werden, um den Lernenden im Rahmen einer modellhaften, möglichst natürlich wirkenden Pflege- und Interaktionssituation das selbstverantwortliche Handeln in einem geschützten Übungs‑, Erfahrungs- und Reflexionsraum zu ermöglichen. Das Skillslab übernimmt somit eine spezifische Funktion zwischen dem Lernort Theorie und Praxis. Es bedarf, wie an allen Lernorten, einer dezidierten didaktischen Konzeption und Ausgestaltung sowie einer entsprechenden pflegepädagogischen Kompetenz (Kerres et al. 2021; Schwermann 2021) und ethischen Verantwortung seitens der im Skillslab eingebundenen Lehrenden, wie es der „Healthcare Simulationist Code of Ethics“ der Society for Simulation in Healthcare (SSH) deutlich macht (SSH 2018).

Das Skillslab kann in seiner spezifischen didaktischen Auslegung ein beachtlicher Lern- und Reflexionsraum für die Ethikbildung in der Pflegeausbildung sein, da sich die für das Skillslab konstitutive Vorgehensweise der Handlungsplanung mit den Schritten des Prebriefing, der Simulation, des Debriefing und der anschließenden Evaluation (INACSL 2013) grundsätzlich eignet, um ethisch sensible und reflexionsbedürftige Momente des pflegerischen Entscheidens und Handelns situativ und modellhaft aufzugreifen (bspw. Simulation von Beratungssituationen in der Pflege, Begleitung von Menschen in existenziellen Krisensituationen u.v.a.m.), nachzubilden und zu bearbeiten, also eine simulierte Handlungslast auf Seiten der Lernenden zu erzeugen, ohne die damit verbundenen, ggf. negativen Handlungskonsequenzen für real existierende Menschen mit Pflegebedarf zu evozieren. Das Skillslab kann somit als ein Lernort betrachtet werden, an welchem die Lernenden simulationsbasiert praktische Handlungskompetenzen erlernen und zeigen können, ohne dass der per se vulnerable Mensch mit Pflegebedarf als Bezugspunkt dieses Lernens direkt einbezogen ist. Gleichsam ist zu attestieren, dass die Verletzbarkeit der Lernenden innerhalb von skillslab-basierten Simulations- und Lernprozessen eine spezifische Konfiguration erhält. Da das Skillslab der Lernort ist, an welchem theoretische Wissensbestände in Handlung überführt sowie der Reflexion und strukturierten Evaluation zugeführt werden, müssen damit verbundene Verletzungspotentiale – insbesondere im Kontext der Ethikbildung, in welchem ggf. Wertehaltungen sichtbar, ethische Positionen argumentiert und zur Disposition gestellt und persönliche Werteorientierung und daran gebundene Haltungen erkenntlich werden – sensibel und verantwortungsbewusst seitens der Lehrenden antizipiert und verhütet werden. Eine entsprechende Verantwortung kommt dabei auch der*dem individuellen Lernenden selbst sowie der Lerngruppe insgesamt zu, um einen vertrauensvollen Lern‑, Erfahrungs- und Reflexionsraum zu schaffen, in welchem möglichst verletzungsfrei, konstruktiv und integritätswahrend – allein und im sozialen Kontext – die berufliche Handlungskompetenz reflexiv verdichtet, verbreitert und vertieft werden kann.

Deutlich ist: Jeder Lernort fordert im Rahmen der Ethikbildung eine spezifische (moralische) Sensibilität seitens der dort Lehrenden für die situationsbezogenen inhärenten Bildungschancen, für die Potenziale der Ethikkompetenzentwicklung aber auch für die Potenziale der (moralischen) Verunsicherung und der Verletzbarkeit von Lernenden und pflegebedürftigen Menschen ein. Die Anforderungen an die ethische Expertise und die ethische Kompetenz der Lehrenden wird auch nachfolgend nochmals deutlich.

Anforderungen und Effekte lernortübergreifender Ethikbildung

Ethikbildung in der Pflegeausbildung ist, wie deutlich wurde, an unterschiedliche Lernorte gebunden, welche sich jeweils durch spezifische Praxen und Rahmungen konfigurieren und die potenzielle Verletzbarkeit seitens der Lernenden tangieren können. Alle Lernorte nehmen eine je individuelle Funktion hinsichtlich der lernortbezogenen Chancen und Herausforderungen für die Entwicklung der Ethikkompetenz und eines pflegeberuflichen Ethos ein (Riedel und Giese 2018). Die Qualität der Abstimmung und des Zusammenspiels der einzelnen involvierten Lernorte, ihrer konzeptionellen curricularen Grundlagen, ihrer methodischen Abstimmung und ihrer jeweils organisationsimmanenten Strukturen, Prozesse und Programme – auch im Sinne eines lernortübergreifenden (Aus‑)Bildungsverbundes – sind darüber hinaus maßgeblich dafür entscheidend, wie der Transfer zwischen den jeweiligen Praxen und Schwerpunkten der (ethischen) Wissensvermittlung und [Ethik]kompetenzentwicklung gelingt, ohne dass die immanenten Spannungen als solche aufzulösen sind. Antinomien zwischen Theorie und Praxis sind dem professionellen Handeln auch in Bezug auf ethische Fragestellungen immanent, der produktive und verantwortungsvolle Umgang mit ihnen ist als Teil professioneller Kompetenz auch im Handlungsfeld Pflege anzusehen und als solcher zum Gegenstand des Bildungs- und Persönlichkeitsentwicklungsprozesses zu machen (Helsper 2021). Im Kontext der Ethikbildung ist eine Schnittstellenoptimierung und die Bearbeitung bestehender Dysfunktionalitäten im Zusammenspiel der unterschiedlichen Lernorte, ihrer immanenten Praxen und des jeweiligen Bildungspersonals anzustreben, so dass ethische Fragen von Pflege und Ausbildung professionell, in einem auf Verständigung ausgerichteten, ethisch reflektierten und vertrauensvollen Kooperationsklima thematisiert und bearbeitet werden können (Andersson et al. 2022; Poikkeus et al. 2020; Twenhöfel et al. 2020; Numminen et al. 2015; Kappauf und Kolleck 2018). Gleiches ist angezeigt, um die beschriebenen ausbildungsbezogenen sowie lernortspezifischen Vulnerabilitätspotentiale seitens der Lernenden bestmöglich zu verhüten bzw. zu reduzieren. Hierzu rücken organisationsethische Entwicklungsprozesse in den Fokus der Betrachtung. Es gilt, organisationsspezifisch wie organisationsübergreifend, aufeinander bezogene und ethisch abgestimmte Ausbildungsstrukturen sowie Ethikstrukturen zu verankern. Dies betrifft exemplarisch Leitbilder, welche das gemeinsame Pflege- und [Aus]bildungsverständnis der kooperierenden Organisationen an den jeweiligen Lernorten thematisieren sowie organisationsübergreifende Abstimmungen hinsichtlich ethischer wie berufspädagogischer Prämissen und Leitlinien, die in dilemmatischen Pflege- und Ausbildungssituationen von den involvierten und tangierten Personen(-gruppen) getragen und realisiert werden können (Riedel und Lehmeyer 2021b; Lehmeyer und Riedel 2019, 2022).

Der grundsätzliche Effekt einer umfassenden, lernortübergreifenden Ethikbildung kann letztlich in der Professionalisierung der Pflegefachpersonen im Sinne einer „individuellen Professionalisierung“ (Helsper 2021, S. 57) im Kontext individueller Bildungswege gesehen werden, welche maßgeblich dazu beiträgt, pflegespezifische Wissensbestände, Orientierungen, Motivationen und Praxen (berufs-)biographisch herauszubilden. Derartige Bildungswege sind somit als „individuelle Voraussetzungen für die Ermöglichung von Professionalität“ (Helsper 2021, S. 57) anzusehen und nehmen übergeordnet Einfluss auf die pflegefachliche, ethisch reflektierte und menschenrechtssensible Versorgung der Bevölkerung sowie auf den je individuellen Menschen mit Pflegebedarf und seine An- und Zugehörigen (ICN 2021).

Die Entwicklung ethischer Kompetenzen im Rahmen von pflegeberuflichen Bildungsprozessen an den drei Lernorten Theorie, Praxis und betrieblicher Berufsbildung/bzw. Skillslab setzt die Exposition, Reflexion, Einordnung und normative Beurteilung unterschiedlicher Belastungssituationen voraus. Wie wirksam solche Prozesse ablaufen können, ist entscheidend von der Reflexionsfähigkeit der Lernenden, aber auch vom Lernklima an den drei Lernorten abhängig. Von größter Wichtigkeit ist der Umstand, dass das Empfinden ethischer Belastungen, resp. die Fähigkeit, diese normativ einordnen zu können, immer auch entwicklungs-, wissens- und erfahrungsbezogen ist. Belastungssituationen können sowohl die Gestalt ethischer Dilemmas, ethischer Ungewissheit oder aber die klare Verletzung ethischer Standards annehmen, in deren Folge moralischer Stress erfahren wird (Monteverde 2019). Obwohl diesen Erfahrungen ethische Unerwünschtheit gemeinsam ist, gelingt ihre normative Einordnung nicht immer, insbesondere dann, wenn der klinische Wissensstand, Erfahrung (z. B. mit Ambivalenz von Patient*innen oder Unsicherheit von Angehörigen) oder unvorhergesehene Ereignisse (z. B. fehlende Informationsübergabe bei Schichtwechsel) die Situation prägen (Monteverde 2020). Hier wird gerade von Lehrpersonen, Praxisausbildern und Bildungsverantwortlichen an den jeweiligen Lernorten nebst der Festigung ethischen Wissens, das curricular vermittelt wird, eine hohe Sensibilität verlangt, die Vulnerabilität der Lernenden zu erkennen und in Interaktionen mit diesen diejenigen schützenden Räume herzustellen, in denen ethisches Lernen möglich wird.

Um Ethikbildung zu realisieren und Professionalität anzubahnen, ist in den konzeptionellen Ausbildungsrahmungen in der Pflege die Frage zu beantworten, welche Methoden im Sinne eines an den pädagogisch-didaktischen Grundsätzen, den pädagogischen Wertmaßstäben und hinsichtlich des Gegenstands und der Zielintention des Ethikkompetenzerwerbs auszuwählen sind. Gleiches gilt bezüglich der jeweils adressat*innen-, gegenstands-, lernort- wie lernstandangemessenen pädagogisch-didaktischen Methoden. Hier sind insbesondere Formate bedeutsam, welche (Lehmeyer und Riedel 2021; Riedel et al. 2017; SAMW 2019)

  • ethische Wissensbestände thematisieren und in die Handlungspraxis der Pflege überführen,

  • den gezielten Perspektivenwechsel, empathische Annäherungsprozesse und die Situationsdeutungskompetenz unterstützen,

  • die moralische Sensibilität und professionelle Offenheit für das situative Befinden und die Vulnerabilität von Menschen mit Pflegebedarf herausbilden und kanalisieren,

  • dazu beitragen, ethische Konfliktsituationen sowie ethisch reflexionsbedürftige moralische Fragen institutioneller wie gesellschaftlicher Entwicklungen im Kontext professioneller Pflege zu identifizieren und in Dialog- und Diskussionsprozesse einzubinden,

  • die Diskurs- und Konsensfähigkeit adressieren und dabei die Ambiguitätstoleranz erhöhen,

  • die Kompetenz zur [Selbst]reflexion unterstützen und die Explikation des professionellen moralischen Standpunktes erlauben,

  • die professionelle Bezugnahme und Einordnung moralisch herausfordernder und als belastend erlebter Situationen im Kontext eines professionellen Selbstverständnisses ermöglichen.

Zur Anbahnung und Vertiefung der Ethikteilkompetenzen werden in der Ethikbildung unterschiedliche Methoden eingesetzt. Beispiele hierfür stellen das Ethik-Café, Ethik-Visiten, das Mitwirken an der Entwicklung von Ethikleitlinien, die ethisch reflektierte Fallarbeit unterschiedlichster Verankerung (erfahrungsbezogen, bild-, film-, textvermittelt usw.), das sokratische Praxisgespräch, das szenische Lernen, reflektierende, narrative Schreib- und Selbsterkundungsarbeit (etwa im Rahmen der Portfolioarbeit), Methoden des ästhetischen Lernens und Formate der ethischen Fallanalyse wie etwa eine didaktisch begleitete und eingeordnete ethische Fallbesprechung dar (Lehmeyer und Riedel 2021; Riedel und Lehmeyer 2021b, 2022; Riedel 2019; Heffels 2019; Heffels und Storms 2021; Brandt und Popejoy 2020; Marenco 2018; Carter et al. 2020). Nicht alle Methoden dienen in gleicher Weise der umfassenden Ethikkompetenzentwicklung, gleichsam sind nicht alle Teilkompetenzen der professionellen Ethikkompetenz mit einer Methode zu vermitteln. Indes besteht Einigkeit darüber, dass Ethikbildung methodisch begleitet und pädagogisch-didaktisch geplant erfolgen muss (Lehmeyer und Riedel 2021, 2022; Riedel und Lehmeyer 2022; Rabe 2020, 2017; SAMW 2019; Henke 2017; Key und Monteverde 2020; Nichols 2019; Chinn und Kramer 2018; Rohbeck 2016; Gallagher 2006). Bedeutsam sind hierbei die Methoden, die Themen aus allen und an allen drei Lernorten aufgreifen können, die lernortübergreifende Ethikbildung wie auch den lernortübergreifenden Perspektivenwechsel der Lernenden und der Lehrenden fördern und spezifische Ethikkompetenzen im Bildungsverlauf entwickeln und verdichten. Hierfür eignen sich sowohl Formate der ethischen Fallanalyse – wie etwa eine didaktisch begleitete und eingeordnete ethische Fallbesprechung – aber auch die Durchführung eines Ethik-Cafés erscheint uns in Bezug auf die lernortübergreifenden Bildungsprozesse als besonders geeignet (Riedel und Lehmeyer 2022; vgl. Manninen et al. 2020).

Ergänzend und komplettierend ist darauf hinzuweisen, dass die curriculare Verortung, die dezidierte Planung des eigentlichen Lehr-Lern-Arrangements – ausgerichtet auf die jeweiligen Lernorte, den jeweiligen Ausbildungsstand und auf die jeweilige Zielgruppe – sowie der jeweils intendierte exemplarische Situationsbezug durch die Lehrenden zu konzeptualisieren sind. Hierbei wird deutlich: Bei allen curricularen Entwicklungsprozessen gilt es aus der Perspektive der Ethikkompetenzentwicklung eine zentrale Leitdirektive explizit zu berücksichtigen und zu realisieren: „Die praktische und theoretische Wissensvermittlung [und Kompetenzentwicklung] muss auf der Grundlage einer professionellen Ethik als Querschnittsthema erarbeitet und von ihr durchdrungen werden. Ethik als Bezugswissenschaft ist Grundlage aller pflegewissenschaftlichen und praxisbezogenen Fächer/Module und konsequent zu verfolgender Gegenstand [der Lehre], der Praxisbegleitung und -anleitung“ (Riedel et al. 2017, S. 162). Die seitens der Lehrenden erforderlichen Ethikkompetenzen aus dem Bereich der Pflegeethik wie dem Bereich der pädagogischen Ethik – einschließlich der damit verbundenen ethisch fokussierten Methodenkompetenz – sind folglich als erheblich einzuschätzen.

Relevante und beachtliche Aspekte für die Ethikbildung

Abschließend werden die zentralen Aspekte nochmals zusammenfassend dargelegt.

  • Alle an der Pflegeausbildung beteiligten Lernorte sind angesichts ihrer Spezifika im Rahmen der Ethikbildung und für die Ethikkompetenzentwicklung zukünftiger Pflegefachpersonen bedeutsam (Andersson et al. 2022; Riedel und Lehmeyer 2022; Lehmeyer und Riedel 2022).

  • In der Ethikbildung an allen drei Lernorten geht es „um mehr als um Wissensaneignung“ (Rabe 2020, S. 149; vgl. Andersson et al. 2022). Indessen steht die Entwicklung einer (professionellen) ethischen Haltung, die ethische Reflexion, die ethische Urteilsbildung und die ethische Argumentation im Mittelpunkt. Es geht ferner um Persönlichkeitsentwicklung, weil das „Ethische“ im pflegerischen Selbstverständnis nicht vom „Professionellen“ separiert werden kann.

  • Ethikbildung muss methodisch begleitet und pädagogisch-didaktisch geplant erfolgen (Riedel und Lehmeyer 2022).

  • Der Theorie-Praxis-Transfer in der Ethikbildung ist zentral. Und: „Pflegerische Berufsbildung hat (…) einen ethischen Auftrag. Dieser besteht darin, die kritische Reflexion erlebter Praxis zu fördern und ethisches Lernen zu ermöglichen“ (Key und Monteverde 2020, S. 163).

  • Bereits von Beginn der pflegeberuflichen Qualifizierung an und im gesamten Ausbildungsverlauf ist die Notwendigkeit von Ethikbildung und folglich die Entwicklung von Ethik[teil]kompetenzen evident, dies an allen Lernorten (Martins et al. 2020, 2021).

  • Organisationen und Organisationsverbünde, welche Ausbildungsprozesse und somit Ethikbildung verantworten, bieten für ethische Bildung einen Rahmen, eine Struktur und eine Kultur und sind immer selbst als „Wertfiguren“ (Krobath 2018, S. 468) zu betrachten. Das heißt, sie unterliegen selbst ethischen Forderungen, sie sind Orte, an welchen Menschen lernen und sich weiterentwickeln.

  • Organisationspädagogische Strukturen (verstanden als diejenigen Strukturen, die das Lernen in und von Organisationen systematisieren) sind ebenso wie die Ziele dieses organisationalen Lernens (Dehnbostel 2018) auf ihre ethische Angemessenheit, Qualität und Legitimität aus Perspektive der Organisationsethik heraus zu definieren, zu realisieren und zu reflektieren (Göhlich et al. 2014; Schröer et al. 2018; Krobath 2018; Poikkeus et al. 2020; Hakimi et al. 2020). Um Ethikbildung an den unterschiedlichen Lernorten und über die einzelnen Lernorte hinweg inhaltlich wie methodisch verantworten und organisational ausgestalten und verankern zu können, sollten die Reflexion und Etablierung organisationsethischer Prämissen, Strukturen und Verfahren bei deren gleichzeitiger Bezugnahme aus organisationspädagogischer Perspektive initiiert und etabliert werden (Göhlich 2018; Schröer et al. 2018).