Einführung

Die ärztliche Ausbildung befindet sich nicht nur in Deutschland seit einigen Jahren im Umbruch. Die teilweise bereits umgesetzten, in Erprobung oder auch noch in der Diskussion befindlichen Reformen werden das Medizinstudium vermutlich stärker verändern als jede andere Erneuerung seit dem Beginn der modernen universitären ärztlichen Ausbildung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der rote Faden der Reformen ist die Kompetenzorientierung, d. h. die Ausrichtung der medizinischen Curricula auf die Befähigung der angehenden Ärztinnen und Ärzte, typische Anforderungen in ihrem späteren Berufsfeld bewältigen zu können und diese Befähigung über den gesamten Verlauf ihres Berufslebens zu aktualisieren und weiterzuentwickeln. Die wichtigste Grundlage der Reformen in Deutschland ist der Nationale Kompetenzbasierte Lernzielkatalog Medizin (NKLM), der – nach jeweils jahrelangen Vorarbeiten durch eine große, interdisziplinär zusammengesetzte Expertengruppe – in einer ersten Version 2015 und zuletzt in einer überarbeiteten Version (2.0) im Frühjahr 2021 vom Medizinischen Fakultätentag verabschiedet wurdeFootnote 1. Gegenwärtig wird das Dokument erneut überarbeitet. Die nächste Version (2.1) soll 2024 veröffentlicht werden, um den Fakultäten auf dieser Grundlage die Möglichkeit zu geben, ihre Curricula in Antizipation der voraussichtlich 2026 in Kraft tretenden Approbationsordnung umzugestalten, mit der dann der NKLM (in einer abermals überarbeiteten Version 3.0) verbindlich werden wird. Insofern ist es für alle an der ärztlichen Ausbildung Beteiligten von zentraler Bedeutung, sich nicht nur mit den Inhalten des NKLM vertraut zu machen, sondern auch mit dem zugrundeliegenden Konzept der Kompetenzorientierung und seinen Auswirkungen auf das Lehren und Lernen. Das soll in diesem Beitrag am Beispiel der Kompetenzdomäne „Professionelles Handeln, Ethik, Geschichte und Recht der Medizin“ geschehen.

Kompetenzorientierung: Was heißt das?

Der der Kompetenzorientierung zugrundeliegende Gedanke ist sehr einfach zu verstehen: Das Studium soll die Absolventen auf genau die Anforderungen vorbereiten, die sie in ihrem zukünftigen Berufsfeld erwarten. Insofern lassen sich Kompetenzen verstehen als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert 2002, S. 27).

Zentral für das Verständnis dieser Definition ist, dass Kompetenzen immer auf „bestimmte“ Probleme oder Aufgaben gerichtet sind. Das bedeutet, dass sie in hohem Maße inhalts- und kontextspezifisch sind. Das lässt sich gerade für die Medizin leicht verdeutlichen: Eine Kardiologin verfügt zwar über umfassende Expertise etwa für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, kann aber nicht als gleichermaßen kompetent für neurologische oder gynäkologische Fragestellungen gelten. Das gilt auch für alle damit zusammenhängenden Aufgaben, z. B. Aufklärungsgespräche mit Patienten zu führen, ein Team auf einer Station zu koordinieren oder mit typischen ethischen Konflikten in diesen Bereichen umzugehen. Ohne die jeweiligen fachlichen Kenntnisse sind Kompetenzen also nicht denkbar. Dieser Sachverhalt wird auch als Kompetenz-Paradox bezeichnet und bedeutet, dass „je allgemeiner eine Kompetenz oder Strategie ist (das heißt, je größer die Bandbreite der verschiedenen Arten von Situationen ist, in denen sie angewendet werden kann), umso geringer … [ist] der Beitrag, den diese Kompetenz oder Strategie zur Lösung anspruchsvoller Probleme beiträgt“ (Weinert 2001, S. 53). Der Vorstellung, in einem Studium ließen sich unabhängig vom jeweiligen Fach sogenannte „Schlüsselkompetenzen“ vermitteln, etwa „Problemlösefähigkeit“ sind damit von vornherein enge Grenzen gesetzt. Das Kompetenz-Paradox stellt das universitäre Lehren und Lernen vor eine schwer zu lösende Herausforderung: Es kann in einem Universitätsstudium gerade nicht darum gehen, in erster Linie berufliche Fertigkeiten für typische, bereits bekannte Anforderungen und Fragestellungen zu vermitteln. Auch wenn solche Fertigkeiten, die zunehmend auch Bestandteil der ärztlichen Ausbildung sind, den Absolventinnen und Absolventen den Start ins Berufsleben deutlich erleichtern mögen, muss das Medizinstudium weit darüber hinausgehen. Die akademische Ausbildung muss sicherstellen, dass die erworbenen Kompetenzen erfolgreich auch in neuen und unbekannten Situationen eingesetzt werden können, für die noch keine Handlungsroutinen zur Verfügung stehen. Das können allerdings – gemäß dem Kompetenz-Paradoxon – keine trainierbaren Fertigkeiten sein, die „immer“ passen, sondern vielmehr grundlegende Maximen und Prinzipien, auf deren Grundlage Lösungswege für neuartige, unbekannte Situationen erst noch spezifiziert werden müssen.

Akademisch geprägte Kompetenzen müssen also einerseits konkret genug sein, damit sie die Bewältigung „bestimmter“ Anforderungen überhaupt erst ermöglichen, andererseits müssen sie offen und flexibel genug sein, damit sie auch zur Bewältigung neuartiger Problemstellungen eingesetzt werden können. Damit diese Balance zwischen hinreichender Spezifität und notwendiger Offenheit gelingen kann, müssen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein (Wick 2011): Das fachspezifisch kompetente Handeln muss der Reflexion und der wissenschaftlichen Begründung zumindest prinzipiell zugänglich sein. Das ist gerade in der Medizin wichtig, weil es in der Logik einer praktischen Wissenschaft liegt, dass eine (Be‑)Handlung nicht rückgängig gemacht werden kann und deren Folgen für die Patienten von existentieller Bedeutung sein können (Wieland 1986). Zudem wird insbesondere in der Medizin immer wieder um Geltungsansprüche gerungen, z. B. wenn es darum geht, sogenannte alternativmedizinische Behandlungen denjenigen der „Schulmedizin“ gegenüberzustellen (Gethmann 1996). Vor diesem Hintergrund bedarf ärztliches Handeln einer wissenschaftlich begründeten Rechtfertigung, d. h. es muss dargelegt werden können, woran man kompetentes Handeln erkennt, worin also die Kompetenz besteht, bzw. auf welchen Grundlagen sie beruht. Zwar wird auch in der Medizin vieles implizit gelernt, z. B. durch das Beobachten von Rollenmodellen. Kompetenz wird daraus aber erst dann, wenn Verhalten nicht bloß unreflektiert übernommen oder imitiert wird, sondern wenn auch erklärt werden kann, warum bestimmte Handlungsmöglichkeiten in einer bestimmten, auch neuartigen Situation aus bestimmten Gründen angemessen sind (oder auch nicht) (Epstein et al. 1998). Gerade hier liegt ein wichtiger Grund dafür, dass es neben der praxisorientierten Ausbildung im Medizinstudium auch der wissenschaftlichen Bildung bedarf, weil die Erkenntnisse der Grundlagenwissenschaften eine wichtige Quelle zur Explikation ärztlichen Handelns sind (Finnerty et al. 2010). Damit eng verbunden ist ein weiteres Charakteristikum akademisch verstandener Kompetenz, nämlich die Erkenntnisorientierung. Diese beinhaltet die Fähigkeit, sich mit theoretischen und praktischen Problemen systematisch, methodenkritisch und theoriegeleitet auseinanderzusetzen, sowie das Bewusstsein, dass alle wissenschaftliche Erkenntnis nur vorläufigen Charakter hat (Wick 2011). Kompetentes Handeln erschöpft sich daher nicht in der bloßen Anwendung vorbestehender Lösungen, sondern beinhaltet auch eine wissenschaftlich-forschende Haltung (und die dazu notwendigen Fähigkeiten), die auf die Weiterentwicklung der eigenen Kompetenz und des gesamten Wissenschaftsbereichs gerichtet ist. Dabei sind Kompetenzen, wie oben bereits angeklungen ist, inhaltsspezifisch, d. h. sie sind disziplinär verankert. Sie beziehen sich also zunächst auf die Fragestellungen der jeweiligen Disziplin. Da die Medizin keine theoretische Wissenschaft wie etwa die Physik, die Biologie oder die Soziologie ist, sondern eine praktische, ergibt sich daraus eine besondere Herausforderung. Während etwa in einem naturwissenschaftlichen Studium die praktische Anwendung des Wissens gegenüber dem Erkenntnisgewinn einen nachgeordneten Stellenwert hat, ist die Medizin als eine praktische Wissenschaft a priori auf die Wissensanwendung ausgerichtet. Dabei stehen typischerweise normative Fragen („Soll etwas getan werden?“, „Was soll getan werden?“) im Vordergrund (Wieland 1986). Dementsprechend muss sich die Kompetenzentwicklung insbesondere an solchen Fragen orientieren. Der Aspekt der beruflichen Praxis spielt in der Medizin eine besonders große Rolle, da das Medizinstudium wie kaum ein zweites Hochschulstudium auf ein in seinem Kernbereich einheitliches Berufsfeld vorbereitet. Dieser starke und im Vergleich zu vielen anderen Studiengängen eindeutige Berufsbezug darf allerdings nicht zu der Annahme verleiten, das Medizinstudium sei in erster Linie eine berufliche Ausbildung. Es bleibt ein Hochschulstudium, in dem nicht in erster Linie Berufspraxis vermittelt wird, sondern Kompetenzen bzw. die dazu notwendigen Dispositionen und Ressourcen, die die Absolventen befähigen sollen, sich die für die berufliche Praxis notwendigen Fertigkeiten und Handlungsroutinen aneignen zu können. Dabei müssen Kompetenzen zukunftsfähig sein, d. h. sie müssen die Absolventen in die Lage versetzen, erfolgreich auch solche Situationen und Aufgaben zu bewältigen, die zum Zeitpunkt ihrer Ausbildung noch nicht absehbar waren (Rohr et al. 2021).

Kompetenzen umfassen allerdings noch mehr als die hier beschriebenen und oben bereits als deren Bestandteil identifizierten „verfügbaren oder […] erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten“ (Weinert 2002, S. 27). Benötigt werden nach der Definition von Weinert auch noch „die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“. Es reicht also nicht aus zu wissen, wie und warum etwas getan werden könnte oder sollte, eine Person muss in einer gegebenen Situation auch bereit und in der Lage sein, dieses Wissen „richtig“, das heißt erfolgreich und verantwortungsvoll zur Anwendung zu bringen, wofür u. a. dementsprechende Einstellungen und Haltungen notwendig sind.

Insgesamt wird also deutlich, dass Kompetenzen hochkomplexe Konstrukte sind, die dadurch charakterisiert sind, dass sie die anforderungsspezifische Integration unterschiedlicher kognitiver, motivationaler, volitionaler, affektiver und psychomotorischer Leistungen erfordern.

Professionelles Handeln als Kompetenz

Alle gängigen Kompetenzmodelle, die derzeit für das Medizinstudium international diskutiert werden, haben gemeinsam, dass sie mehrere, inhaltlich unterschiedlich definierte Kompetenzdomänen für die ärztliche Tätigkeit als notwendig ansehen. Der NKLM, der sich stark am kanadischen CanMEDS-Modell – dem weltweit am häufigsten verwendeten Kompetenzmodell für die ärztliche Aus- und Weiterbildung – orientiert, beschreibt sieben solcher Domänen („Rollen“), in denen Ärztinnen und Ärzte kompetent sein müssen: Medizinische Expertise, Kommunikation, Teamarbeit, Wissenschaftlichkeit, Gesundheitsfürsorge, Management und professionelles Handeln. Die Kompetenzdomänen werden in Form einer mehrstufigen Taxonomie inhaltlich weiter konkretisiert: Sie sind in (Teil‑) Kompetenzen unterteilt, für die dann jeweils konkrete Lernziele definiert sind, an denen sich die Fakultäten bei der curricularen Umsetzung orientieren können.

Für die Kompetenzdomäne „professionelles Handeln und Ethik, Geschichte und Recht der Medizin“ wurden vier Kompetenzen definiert, die durch jeweils zwei bis vier Teilkompetenzen näher bestimmt sind. Für diese werden wiederum jeweils zehn bis 32 Lernziele formuliert, so dass sich für die Kompetenzdomäne insgesamt 77 Lernziele ergeben. Die vier Kompetenzen beziehen sich auf Werte und Normen („Die Absolventin und der Absolvent richten ihr Handeln an den für die Profession grundlegenden Werten und Normen aus.“), die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des ärztlichen Handelns („… berücksichtigen bei ihrem Handeln gesellschaftlich relevante Rahmenbedingungen.“), die eigene Person („… kennen und berücksichtigen persönliche Bedürfnisse und Voraussetzungen im Rahmen des professionellen Handelns.“) sowie ethische und rechtliche Fragen im Kontakt mit Patienten („… sind mit ethischen und rechtlichen Fragen der Patientenversorgung vertraut.“).

Im Detail finden sich hier viele der oben angeführten Spezifika von akademisch geprägten Kompetenzen, z. B. die Reflexions- und die Explikationsfähigkeit. So wird von den Studierenden etwa verlangt, dass sie „ethische Konflikte erkennen, diese analysieren und damit in der Praxis professionell umgehen“ können (Lernziel VIII.6-01.2.9). Und auch der praxisbezogene Aspekt der Umsetzung, d. h. die Bereitschaft und Fähigkeit, ihr Handeln daran zu orientieren, wird hier eingefordert.

Wie werden professionelle Kompetenzen vermittelt bzw. erlernt?

Aus den geschilderten Charakteristika von Kompetenzen lässt sich leicht erkennen, dass die zentrale Herausforderung für kompetenzorientiertes Lehren und Lernen darin besteht, verschiedene individuelle Ressourcen als Voraussetzung für Kompetenz aufzubauen (Wissen, Einstellungen, Fertigkeiten …), vor allem aber ihre Integration so zu fördern, dass daraus die beabsichtigte Befähigung zur flexiblen und erfolgreichen Bewältigung bestimmter Anforderungen resultiert. Wie können die Medizinischen Fakultäten auf diese Herausforderungen reagieren? Reicht es aus, die notwendigen Voraussetzungen, also etwa Fakten- bzw. Handlungs- und Begründungswissen, in dazu spezialisierten Fächern wie Ethik, Geschichte und Recht der Medizin, Medizinischer Psychologie und Medizinischer Soziologie zu vermitteln? Oder müssen bereits die Bausteine für professionelle Kompetenz interdisziplinär und integriert sein, das heißt in (klinischen) Fächern im Kontext der jeweils typischen Anforderungssituationen gelernt werden, damit tatsächlich Kompetenzen entstehen können, die zur Lösung „bestimmter“ d. h. konkreter und spezifischer Probleme befähigen? Und wie kann dem Entwicklungsaspekt am besten Rechnung getragen werden, der Notwendigkeit also, Kompetenzen eigenverantwortlich und lebenslang weiterzuentwickeln?

Was bedeutet integriertes Lehren und Lernen?

Die Vorgabe des NKLM und – soweit sich das zum jetzigen Zeitpunkt absehen lässt – auch der neuen Approbationsordnung ist klar: Die Vermittlung von theoretischem Wissen und seiner praktischen Anwendung in der Klinik soll stärker als bisher integriert erfolgen. Konkret geht es vor allem darum, die an vielen Fakultäten noch übliche, durch die M1-Prüfung deutlich erkennbare Teilung des Curriculums (ein sogenanntes „H“-Curriculum) in einen ersten Abschnitt, der hauptsächlich dem Grundlagenwissen gewidmet ist, und einen zweiten, klinischen Abschnitt zugunsten einer longitudinalen „Z“-förmigen Integration zu überwinden. Das würde bedeuten, dass bereits vom ersten Semester an – zunächst wenige, dann immer mehr – klinische Inhalte vorzusehen sind und umgekehrt, auch in hohen Semestern – dementsprechend in abnehmenden Anteilen – immer wieder auch auf Grundlagenwissen rekurriert wird.

Die Idee einer stärkeren inhaltlichen Integration wird bereits seit vielen Jahrzehnten diskutiert und eingefordert, gerade weil man sich davon positive Effekte für das Wissen und die Kompetenzen der Studierenden verspricht. So geht etwa die Einführung des problemorientierten Lernens in den 1960er-Jahren als Alternative zu traditionellen universitären Lehr- und Lernformen hauptsächlich auf diese Annahme zurück. Trotz dieser langen Tradition wird allerdings bis heute kontrovers darüber diskutiert, was diese Integration genau bedeutet, wie sie am besten bewerkstelligt wird und welche Konsequenzen sie hat.

Interne und externe Integration

Die meisten Erkenntnisse zur Integration von Grundlagenwissen und klinischer Anwendung liegen bislang im Hinblick auf die naturwissenschaftlichen Grundlagen vor. So konnte z. B. gezeigt werden, dass Kliniker bei Entscheidungen oder Begründungen selten auf naturwissenschaftliches Grundlagenwissen zurückgreifen. Das bedeutet aber nicht, dass es unwichtig oder ihnen nicht (mehr) zugänglich wäre. Vielmehr ist dieses Wissen in klinischen Begrifflichkeiten wie „Sepsis“ oder „Herzinsuffizienz“ gespeichert („enkapsuliert“), wird aber zur Lösung von Routineproblemen kaum benötigt, weil dort eher erfahrungsbasierte Mustererkennung eingesetzt wird, die dementsprechende Krankheitsskripte aktiviert (Eva 2005). Wichtig ist die Kenntnis der naturwissenschaftlichen Grundlagen dagegen für den Erwerb klinischen Wissens und klinischer Kompetenz, wenn auch weiterhin unklar und umstritten ist, in welchem Umfang und in welcher Form (Castillo et al. 2018). So ergaben Studien, dass Studierende, die gelernt hatten, welche (patho-) physiologischen Mechanismen bestimmte Krankheitssymptome kausal hervorbringen, in einem späteren Test bessere diagnostische Leistungen zeigten als Studierende, die lediglich gelernt hatten, welche Symptome typischerweise bei einer bestimmten Erkrankung vorkommen (Mylopoulos und Woods 2014). Hier führte das integrierte Lernen also tatsächlich zu einer verbesserten klinischen Kompetenz (für die Behaltensleistung allein zeigte sich dagegen kein Unterschied). Wichtig ist, dass dieser kompetenzförderliche Effekt von Integration allerdings nur dann auftritt, wenn die Integration verschiedener Inhalte Teil desselben Lernvorgangs ist. Werden dagegen die Grundlagen zeitlich getrennt von den klinischen Inhalten vermittelt, zeigt sich der Effekt nicht in der gleichen Weise (Schmidt et al. 1996).

Die hier kursorisch dargestellte Form der Integration ist also vor allem eine interne, die sich im Kopf der Studierenden ereignet und daher einen wesentlichen Aspekt von studierendenzentrierter Lehre darstellt (Kulasegaram et al. 2013). Allerdings wird ausgerechnet diese interne Form von Integration weit weniger prominent diskutiert als die externe Integration auf curricularer Ebene (Brauer und Ferguson 2015). Hier werden vor allem zwei Formen von Integration angesprochen, die vertikale und die horizontale. Vertikale Integration, die wie bereits angesprochen idealerweise in einem Z‑Curriculum münden soll, meint die Verschränkung von Grundlagenwissen und klinischer Anwendung. Die horizontale Integration bezieht sich demgegenüber auf Verknüpfung von Inhalten, die zeitgleich in einem Studienabschnitt, z. B. in einem organzentrierten Modul vermittelt werden, z. B. anatomische, biochemische und physiologische Inhalte oder psychologische, soziologische und medizinethische Inhalte.

Allerdings dürfen weder von einer vertikalen noch von einer horizontalen Integration allein schon positive Effekte für das Lernen und die Kompetenzentwicklung erwartet werden. Es wird nicht ausreichen, Inhalte statt nach Fächern nach inhaltlichen Ordnungsprinzipien, z. B. nach Organsystemen horizontal zu integrieren. Selbst wenn dabei zusätzlich auch noch klinische Fälle vertikal integriert werden, z. B. um die Anschaulichkeit und Praxisnähe der Inhalte zu erhöhen, ist das noch keine Garantie für den Erwerb wirklich integrierten Wissens als Grundlage von Kompetenz. Erst wenn auf der Mikroebene sichergestellt ist, dass beide Wissensformen tatsächlich beim Lernen durch die Studierenden – wie oben dargestellt – unmittelbar und sinnhaft aufeinander bezogen werden, um daraus ein kohärentes Wissensnetzwerk zu konstruieren, in dem sich Grundlagen und deren Anwendung zu kausalen Erklärungen verbinden lassen, sind nachhaltige Effekte zu erwarten. Das gilt offensichtlich auch dann, wenn eine Lehrveranstaltung tatsächlich interdisziplinär, z. B. von einer Lehrperson aus den Grundlagenwissenschaften gemeinsam mit einer Person aus einer klinischen Disziplin durchgeführt wird. Auch hier sind positive Effekte sowohl im Hinblick auf den Lernerfolg als auch auf die Akzeptanz durch die Studierenden vor allem für die tatsächlich gemeinsam unterrichteten Teile zu erwarten, nicht aber für die, die in derselben interdisziplinären Veranstaltungen von nur einer der beiden Personen verantwortet und durchgeführt werden (Willey et al. 2018).

Einschränkend muss nochmals betont werden, dass sich diese Erkenntnisse auf die Integration von naturwissenschaftlichem Wissen und klinischer Anwendung beziehen. Das ist im Hinblick auf die Kompetenzorientierung unbefriedigend. Denn mit Ausnahme der Rolle des medizinischen Experten spielen für alle anderen Rollen bzw. Kompetenzdomänen, die im NKLM bzw. in seinem Vorbild CanMEDS benannt sind – so auch für die Domäne des professionellen Handelns – nicht-naturwissenschaftliche Inhalte eine sehr viel größere Rolle (Bandiera et al. 2018; Kuper et al. 2017). Dass dennoch die Naturwissenschaften häufig unter Missachtung aller anderen grundlegenden Inhaltsbereiche als „basic sciences“ für das Medizinstudium bezeichnet werden, zeigt, wie sehr bislang die Sichtweise dominiert, die ärztliche Ausbildung müsse vor allem (bio-)medizinisches Expertentum befördern.

Eine wichtige Aufgabe im Hinblick auf die nicht-naturwissenschaftlichen Grundlagenfächer wäre zu klären, wie und in welchem Umfang Grundlagenwissen, z. B. ethische, rechtliche, psychologische und soziologische Inhalte gelernt werden müssen, um die Entwicklung entsprechender Kompetenzen zu befördern. Erste Befunde deuten darauf hin, dass sich die an naturwissenschaftlichen Inhalten gewonnenen Erkenntnisse zur internen Integration auf andere Inhaltsbereiche übertragen lassen (Chaudhary et al. 2019).

Integration jenseits von Wissen

Einige Erkenntnisse liegen auch für die motivationalen Komponenten von Kompetenzen bzw. für Einstellungen und Haltungen vor. Wie Studien vor allem aus dem Bereich der Sozialpsychologie bereits vor Jahrzehnten gezeigt haben, ist abstraktes Wissen über das prinzipiell „richtige“ Verhalten bzw. selbst eine entsprechende moralische Haltung oder Einstellung noch kein Garant dafür, dass dieses Verhalten auch gezeigt wird (Darley und Batson 1967). Denn bei der Abwägung möglicher Handlungsalternativen spielen kaum jemals nur rationale Überlegungen eine Rolle. Vielmehr wirken insbesondere während der ärztlichen Aus- und Weiterbildung, vermutlich aber auch während der gesamten Berufstätigkeit emotionale und motivationale Faktoren auf diesen Prozess ein, die man dem Eindrucks- bzw. Erwartungsmanagement zuordnen kann (McGaghie 2018). Damit ist gemeint, dass für die Frage, welches Verhalten in einer bestimmten Situation gezeigt wird, auch die Erwartung eine Rolle spielt, wie dieses Verhalten auf andere, z. B. die Vorgesetzten oder Peers wirkt und welche möglichen Konsequenzen sich daraus für das Bild ergeben, das sich die anderen von einem selbst machen, z. B. im Hinblick auf die Zuschreibung von Kompetenz oder anderen Eigenschaften. Befürchtet z. B. eine Studierende, dass sie durch zu häufiges Nachfragen von ihren Vorgesetzten als inkompetent wahrgenommen wird und aufgrund dessen zukünftig kaum mehr anspruchsvolle Aufgaben übertragen bekommt, wird sie möglicherweise darauf verzichten, bei Unklarheiten nachzufragen. Tatsächlich zeigen Studien aus der medizinischen Ausbildungsforschung, dass Annahmen darüber, wie das eigene Verhalten auf andere wirkt, z. B. die Bereitschaft beeinflussen, andere um Hilfe zu fragen (Kennedy et al. 2009).

Daher ist für den Erwerb von Kompetenzen das soziale, situierte Lernen in Handlungsgemeinschaften, wie es für die Medizin z. B. während der Famulaturen oder des PJs, aber auch während klinischer Blockpraktika typisch ist, von besonderer Bedeutung (O’Brien und Battista 2020). Hier wird vor allem informell gelernt, d. h. die Lernenden erproben sich in ihrer zukünftigen Berufsrolle, indem sie ärztliche Aufgaben übernehmen (z. B. Anamnese und körperliche Untersuchung), zu denen sie mehr oder weniger systematische Rückmeldungen erhalten. Darüber hinaus erleben sie aber auch, wie ihre zukünftigen Kolleginnen und Kollegen ihrer Arbeit nachgehen, wie diese den Patientenkontakt gestalten, mit anderen Berufsgruppen zusammenarbeiten, mit ethischen Herausforderungen und mit Unsicherheit umgehen, wie sie berufliche Belastungen bewältigen usw. Die Bedeutung dieses informellen Lernens kann vermutlich kaum überschätzt werden. Dennoch wurde es lange Zeit kaum systematisch zur Kompetenzentwicklung genutzt. Es blieb in erster Linie der Eigeninitiative der Studierenden überlassen, was und wie sie während ihrer Famulaturen oder Praktika lernen. Die zentrale Herausforderung dieses Lernens besteht darin, nicht einfach nur Erfahrungen zu sammeln, die – entgegen einer oft gehörten Alltagsweisheit – alleine eben nicht „den Meister“ machen. Um etwas zu lernen, müssen diese Erfahrungen vielmehr mit den an der Universität formal erworbenen Kenntnissen verbunden und dabei wahrgenommene Diskrepanzen oder Widersprüche reflektiert werden, gerade auch im Austausch mit den Lehrenden (Yardley et al. 2012; Boyd und Fales 1983). Erst ein solches integriertes und reflektiertes Lernen aus Erfahrung ermöglicht es, die zentralen Anforderungen der medizinischen Praxis besser zu verstehen und mögliche Lösungsstrategien für „bestimmte“ Probleme entwickeln zu können. Für die Lehrenden sind damit hohe Anforderungen verbunden. Sie müssen nämlich ihrerseits bereit und in der Lage sein, die Maximen ihres Handelns transparent zu machen und auch im Sinne der oben dargestellten Kriterien akademisch geprägter Kompetenzen begründen und reflektieren zu können.

Die zentrale Bedeutung von Reflexion

Eine weitere Herausforderung für das Lehren und Lernen liegt vor allem in der Kompetenz, die sich auf die eigene Person bezieht, bzw. darauf, beim professionellen ärztlichen Handeln die eigenen persönlichen Bedürfnisse und Voraussetzungen zu kennen und zu berücksichtigen. Hier sind vor allen Dingen Fähigkeiten wie Selbsterkenntnis, Selbstreflexion, Selbstkritik, Selbstentwicklung sowie Selbstfürsorge in Bezug auf die eigene Gesundheit und das eigene Wohlempfinden angesprochen, so z. B. im NKLM-Lernziel VIII.6-03.1.5: „… eigene Stärken und Schwächen analysieren und dementsprechend die eigene Persönlichkeit und die eigenen Kompetenzen reflektieren“. Auch wenn solche Fähigkeiten vielleicht „schon immer“ als wichtige Voraussetzungen für den ärztlichen Beruf angesehen wurden, waren sie bislang kaum explizit als Lernziele für das Medizinstudium definiert und wurde daher auch nicht systematisch überprüft. Es war vielmehr der individuellen Verantwortung des oder der Studierenden überlassen, solche Fähigkeiten auszubilden, um „reif“ für den ärztlichen Beruf zu werden (Fabry 2017).

Die Tatsache, dass diese Fähigkeiten jetzt zu einem expliziten Ziel des Medizinstudiums werden, ist nicht unproblematisch, wie sich am Beispiel des Konstrukts der Reflexion zeigen lässt. Die Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Denkens, Erlebens und Handelns bzw. der diesen Vorgängen zugrundeliegenden Beweggründe, Annahmen oder Auslöser ist nicht nur für die Domäne des professionellen Handelns, sondern für die Kompetenzorientierung insgesamt von zentraler Bedeutung. Umso wichtiger wäre es, ein gemeinsames Verständnis darüber zu haben, was unter Reflexion genau verstanden werden soll, damit überprüft werden kann, ob die Studierenden in ausreichendem Maß über Reflexionsfähigkeit verfügen (Koole et al. 2011). Beide Aspekte sind derzeit nur unzureichend entwickelt. So gibt es in der medizinischen Ausbildungsforschung bislang keinen Konsens darüber, was unter Reflexion verstanden werden soll (Fragkos 2016). Übersichtsarbeiten zeigen zwar, dass sich Reflexion durch gezielte Lehrinterventionen fördern lässt, allerdings wird gleichzeitig kritisiert, dass diesen Interventionen kein gemeinsames Verständnis von Reflexion zugrunde liegt und damit letztendlich auch nicht entschieden werden kann, ob die in der Literatur beschriebenen Lehrinterventionen tatsächlich auch auf die Entwicklung derselben Fähigkeiten zielen (Uygur et al. 2019). Vor diesem Hintergrund ist der Versuch interessant, aus den am häufigsten zitierten Arbeiten, die sich mit der Definition von Reflexion befassen, typische Kernelemente des Konstrukts herauszuarbeiten, um einem gemeinsamen Verständnis von Reflexion näher zu kommen (Nguyen et al. 2014). Allerdings gibt es auch Kritik an solchen pragmatisch orientierten Versuchen, Reflexion eindeutiger zu fassen (Ng et al. 2015). Befürchtet wird vor allem, dass eine zu enge Definition und Operationalisierung von Reflexion deren eigentlichen Kern verfehlt und gerade nicht zu einem (selbst-) kritischen Nachdenken über die dem eigenen Erleben und Verhalten zugrundeliegenden Annahmen, Motive und Beweggründe führen würde, sondern eher zu prüfungsstrategischem Als-ob-Verhalten, das lediglich darauf gerichtet ist, den definierten Leistungsanforderungen Genüge zu tun (de la Croix und Veen 2018). Hier klingt ein wichtiger Konflikt an, der Prüfungen im Rahmen kompetenzorientierter Bildungskonzepte insgesamt betrifft: Bislang dominierte bei Prüfungen im Medizinstudium deren summativer Aspekt, d. h. die Frage, ob eine Person zum Zeitpunkt X eine bestimmte Leistungsanforderung erfüllt hat (Assessment of Learning). Für kompetenzorientierte Curricula wird allerdings aus verschiedenen Gründen (grundsätzliche Offenheit von Kompetenzen, Entwicklungsaspekt, Veränderungsdynamik medizinischen Wissens, etc.) die formative Funktion als wesentlich wichtiger angesehen, d. h. eine möglichst differenzierte Rückmeldung an den oder die Studierende, die vor allem als Orientierung für das weitere Lernen genutzt werden kann (Assessment for Learning). Ein schwer zu lösendes Problem besteht allerdings darin, dass diese Rückmeldung nicht valide ist, wenn die in der Prüfung gezeigte Leistung nicht die tatsächliche Kompetenz einer Person erfasst, sondern lediglich das Resultat einer gezielten Prüfungsvorbereitung. Studienergebnisse zeigen, dass es schwer ist, diese formative Funktion von Prüfungen überhaupt zu etablieren. Das hängt zum einen damit zusammen, dass Studierende ihr Lernverhalten ab dem Moment, in dem sie realisieren, dass sie geprüft werden, strategisch auf das Bestehen der Prüfung ausrichten und nicht etwa darauf, was sie selbst oder ihre Lehrpersonen vielleicht für die persönliche Entwicklung aus inhaltlichen Gründen am sinnvollsten halten würden (Watling und Ginsburg 2019). Besonders betroffen sind davon klinische Situationen, in denen die Studierenden direkt beobachtet werden. Gerade solche Situationen wären besonders geeignet für ein spezifisches Feedback an die Studierenden – auch und gerade im Hinblick auf ihr professionelles Handeln –, das sie zur weiteren Entwicklung ihrer Kompetenz nutzen können. Offensichtlich interpretieren die Studierenden aber allein die Tatsache, dass sie von einer Lehrperson beobachtet werden, als Hinweis auf eine eher summative Prüfungssituation, die es ihnen erschwert, sich authentisch zu verhalten, was dann wiederum Wert und Nutzen der daraufhin erfolgenden Rückmeldung schmälert (LaDonna et al. 2017). Will man die formative Funktion von Prüfungen bzw. von Feedback stärken, kommt es offensichtlich entscheidend darauf an, dass eine Lehr- und Lernkultur etabliert wird, in der für alle Beteiligten nicht die Kontrollfunktion von Prüfungen dominiert, sondern deren Potenzial, das Lernen und die individuelle Entwicklung der Studierenden zu unterstützen (Heeneman et al. 2015).

Fazit

Die Forderung, im Medizinstudium nicht nur medizinische Expertise auszubilden, sondern die Studierenden auch zu befähigen, den besonderen Erwartungen gerecht werden zu können, die ihnen in ihrer Rolle als Ärztin bzw. Arzt entgegengebracht werden, stellt die medizinischen Fakultäten vor große Herausforderungen. Das hat weniger damit zu tun, dass die Notwendigkeit, die Studierenden auch zu professionell Handelnden auszubilden erst jetzt erkannt worden wäre, als damit, dass das, was bisher weitgehend ihrer Eigenverantwortung überlassen war, jetzt das plan- und kalkulierbare Ergebnis eines universitären Studiums werden soll. Damit muss aber auch möglichst konkret und nachvollziehbar definiert werden, was professionelle Kompetenzen sind und wie sie ausgebildet und geprüft werden können. Nicht nur ärztliche, auch didaktische Entscheidungen bedürfen einer Rechtfertigung, die insbesondere an einer Universität nur auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgen kann. Die hier nur in Ansätzen dargestellten Befunde lassen – trotz vieler noch offener Fragen – einige wichtige Prinzipien erkennen: 1. Grundlagenwissen und klinische Anwendung müssen bereits während des Lernens sinnvoll miteinander verbunden werden; 2. Soziale und kulturelle Faktoren der Lernumgebung sowie das Lernen am Modell sind von zentraler Bedeutung für den Lernprozess; 3. Die kritische Reflexion des eigenen Denkens und Handelns wie auch des eigenen Lernens ist für die Kompetenzentwicklung besonders wichtig und muss durch dazu geeignete Prüfungsformen gefördert werden.