Palliative (oder therapeutische) Sedierung wurde von der Europäischen Fachgesellschaft für Palliativmedizin (EAPC) definiert als der „überwachte Einsatz von Medikamenten mit dem Ziel einer verminderten oder aufgehobenen Bewusstseinslage (Bewusstlosigkeit), um die Symptomlast in anderweitig therapierefraktären Situationen in einer für Patienten, Angehörige und Mitarbeiter ethisch akzeptablen Weise zu reduzieren“ (Cherny und Radbruch 2009, S. 581). Das Besondere ist demnach, eine refraktäre Symptomatik nicht durch eine zielgerichtete Maßnahme zu behandeln (mit Schmerzmedikation gegen Schmerzen, zum Beispiel), sondern durch eine ungerichtete Ausschaltung des Bewusstseins. In diesem Sinne entspricht zum Beispiel die zielgerichtete Behandlung von Unruhe durch beruhigende (sedierende) Medikamente streng genommen nicht dem Konzept der Palliativen Sedierung. Bemerkenswert an dieser Definition ist sicherlich auch das Voraussetzen einer „ethisch akzeptablen“ Vorgehensweise, was die Schlussfolgerung zulässt, dass es auch ethisch inakzeptable Vorgehensweisen geben muss.

Gerade in den Kontexten von therapierefraktärer Symptomatik, von Todeswünschen in der Palliativsituation, von assistiertem Suizid und (international) von Tötung auf Verlangen wird die Palliative Sedierung immer wieder im positiven Sinne als alternative Handlungsweise benannt. Dabei zeigt sich jedoch ein sehr breites Spektrum an Erkrankungsszenarien, in denen sedierende Medikation eingesetzt wird, so dass es bei Verwendung des Begriffs „Palliative Sedierung“ eine Klarstellung braucht, ob es sich zum Beispiel um eine leidvolle Situation in der unmittelbaren Sterbephase oder um eine zwar unheilbare, aber nicht sterbenahe Erkrankungssituation eines autonomen und mobilen Menschen handelt. Ebenso zeigt sich ein breites Spektrum an unterschiedlich tief eingreifenden medizinischen Handlungsoptionen, so dass es jeweils eine Klarstellung braucht, ob es zum Beispiel lediglich um Ruhe vermittelnde Medikamente, um einen zeitweiligen (intermittierenden) dämmer- oder schlafartigen Zustand oder um eine tiefe, kontinuierliche Sedierung bis zum Versterben handelt. Dies resultiert in entsprechend divergenten ethischen Bewertungen: Einerseits wird es aus ethischer Perspektive kaum Diskussionsbedarf über eine beherzte Symptomlinderung in einer hochbelasteten unmittelbaren Sterbephase geben, die auch sedierende Medikamente einbezieht. Andererseits löst es jedoch in palliativmedizinischen Behandlerteams regelhaft ein hohes Maß an „ethischem Unbehagen“ und auch Widerspruch aus, wenn einem zuvor selbständig agierenden (voll mobilen, essenden, trinkenden …) Patienten eine Dauermedikation mit dem Ziel der vollständigen Bewusstlosigkeit verabreicht wird, bis der Patient ultimativ (daran?) verstirbt, so dass eine solche Vorgehensweise, falls sie wirklich mit einem hohen Maß an refraktärem Leid begründet sein könnte, das Leben deutlich schneller enden lässt als es die Grunderkrankung je vermocht hätte. Dabei wird das Ausmaß an Lebenszeitverkürzung auch von der Ausgestaltung der Begleitmaßnahmen (vor allem das Monitoring von Sedierungstiefe, Atmung und Kreislauf), aber auch von der Intensität pflegerischer Maßnahmen und der Gabe oder dem Verzicht künstlicher Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr abhängen (Alt-Epping et al. 2015). Dieser differenzierten ethischen Bewertung im Spektrum der verschiedenen klinischen Szenarien und der verschiedenen Handlungsstränge versuchen unter anderem die Handlungsempfehlungen des Forschungsverbunds SedPall in Kooperation mit der Dt. Gesellschaft für Palliativmedizin (2021), das EU Horizon 2020 Project Palliative Sedation sowie das „Framework“ der EAPC gerecht zu werden.

Das beiliegende Fallbeispiel beschreibt eine sehr leidvolle, auch über Tage dynamisch progrediente und durchaus im weiteren Sinne sterbenahe Erkrankungssituation, mit den führenden Symptomen von Dyspnoe und Unruhe. Die Dyspnoe konnte zielgerichtet mit einem Opioid behandelt werden, für die Unruhe wurde eine Medikation mit Midazolam und Levomepromazin eingeleitet. Unabhängig von dem oben genannten definitorischen Aspekt (dass es sich hier im engeren Sinne um eine zielgerichtete Behandlung der Unruhe mit dafür indizierten Medikamenten gehandelt hat und im strengen Sinne nicht dem Begriffskonzept der „Palliativen Sedierung“ entspricht) kann konstatiert werden, dass hier dringend indizierte Maßnahmen der Symptomlinderung in reflektierter Weise eingesetzt wurden. Auch das Argument, dass bei einer neuromuskulären Erkrankung der Einsatz eines muskelrelaxierend wirkenden Benzodiazepins die muskuläre Schwäche verstärken könnte (und damit das Versterben akzelerieren könnte), wird man mit Blick auf die Handlungsnotwendigkeit in Kauf nehmen wollen (als „indirekte Sterbehilfe“).

Es wäre vielleicht noch hilfreich (im Sinne der ethischen Diskussion) gewesen, mehr darüber zu erfahren, wie die Phase der Sedierung medizinisch und pflegerisch ausgestaltet wurde (Monitoring? Kreislaufüberwachung? Flüssigkeitsgabe? Lagerung?), in Abhängigkeit vom Zeitverlauf bis zum Versterben des Patienten, um die Sorge vor einer herbei geführten Lebenszeitverkürzung (im Vergleich zum unbehandelten Erkrankungsverlauf) besser einschätzen zu können (auch im Sinne der AEM-Arbeitsgruppenempfehlung, dass Lebensverkürzung kein zulässiges Therapieziel ist (Neitzke et al. 2010)).

Die Palliative Sedierung ist eine hochwirksame, unentbehrliche, aber auch (situationsabhängig) extrem in die körperliche Integrität und Autonomie eingreifende Therapiemaßnahme. Sie zwingt zur Differenzierung zwischen sehr unterschiedlichen klinischen Szenarien und unterschiedlichen Handlungs- und Ausgestaltungsweisen und zieht in Abhängigkeit davon divergente ethische Bewertungen nach sich. Ob der Einsatz sedierender Medikamente bei refraktären Belastungen und Symptomen als ethisch gerechtfertigt eingeschätzt werden kann, hängt auch davon ab, inwieweit dieser Notwendigkeit zur Differenzierung Rechnung getragen wurde – so wie im vorliegenden Fall.