Ziel des vorliegenden Berichts war es, exemplarisch zu zeigen, mit welchen Überlegungen die Konzeption und Implementierung eines mehrgliedrigen Ethikmanagement-Modells in dezentral organisierten Einrichtungen des Gesundheitswesens verbunden ist. Dass im Zuge dieses Unterfangens bisweilen über die Grenzen eines Standardmodells hinausgedacht werden muss, ist eine schlichte Konsequenz aus der von Neitzke treffend pointierten Tatsache: „Jede Einrichtung im Gesundheitswesen muss die ihr angemessene und zu ihr passende Institutionalisierungsform von Ethik finden und wählen“ (Neitzke 2008, S. 58).
Die Schlüsse aus der Zusammenarbeit zwischen BruderhausDiakonie und IZEW können vorerst nur auf einen ersten Abgleich mit der ideellen Wirkweise aus dem Konzeptpapier und ersten Praxiserfahrungen mit dem noch jungen Modell zurückgreifen.
Problematische Präferenzen bei der Moderatorensuche
In einem ersten Zwischenfazit lässt sich die anfangs vermutete Tendenz bestätigen, bei Bedarf nach ethischer Beratung oder Fallbesprechung die räumlich nächstgelegenen oder dem eigenen Geschäftsbereich zugehörigen Moderator*innen zu Rate zu ziehen. Die dafür angegebenen Gründe sind vielfältig und greifen doch ineinander. Zum einen gilt es im Sinne der Ressourcensparsamkeit als gute Praxis, die kürzesten Anfahrtswege und den geringsten Kommunikationsaufwand zu priorisieren.
Zum anderen scheint vielfach eine Fehleinschätzung der Moderationsrolle und der für sie erforderlichen Kompetenzen zu bestehen. Sehr hartnäckig hält sich der Eindruck, dass die moderierende Person im vorliegenden Fall auch substanziell berät und dass Fachkompetenz hierfür einen entscheidenden Vorteil darstellt. So ist bspw. Mitarbeitenden aus der Altenpflege nicht ersichtlich, warum ihnen bei Überlegungen zu angemessenen Pflegeinterventionen am Lebensende ein*e Ethikmoderator*in aus dem Bereich Kinder- und Jugendhilfe hilfreich sein könnte. Dass es bei der Moderation ethischer Fallbesprechungen um ethische und Gesprächsführungskompetenz geht (vgl. Vollmann 2017, S. 198) und Moderator*innen nicht die Rolle fachlicher Supervisor*innen, sondern die „des ausgleichenden Leiters des Gruppenprozesses“ (vgl. Vollmann 2017, S. 200) zukommt, kann darum in Informationsgesprächen nicht stark genug betont werden.
Eine weitere Rolle bei dem Wunsch, ethische Konflikte in der eigenen Einrichtung oder Geschäftsstelle „nicht nach außen zu tragen“, spielt die Sorge, auf mangelndes Verständnis und moralische Verurteilung zu treffen. Innerhalb des eigenen Fachbereichs ist die grundsätzliche Haltung hingegen eher von Solidarität geprägt (vgl. auch Sauer 2015, S. 117). Diese Vorbehalte sind ernst zu nehmen und lassen sich nicht allein durch Vertraulichkeitsvorschriften entkräften, sondern langfristig nur durch die Entmystifizierung von Ethik als „moralischem Tribunal“ durch gezielte Aufklärung und erfolgreiche Fallbesprechungen.
Festzuhalten bleibt, dass sich der Kollegen- oder Mitarbeiterstatus nicht mit der erforderlichen Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Moderationsrolle verträgt, deren zentrale Aufgabe es ist, verfahrensethische Rahmenbedingungen des (hierarchie-)freien und gleichberechtigten Diskurses zu gewährleisten (vgl. Baumann-Hölzle 2009, S. 222). Dabei ist auch zu bedenken, dass eine starke professionelle Nähe zum vorliegenden Handlungsfeld dazu verleiten kann, in der Berufsrolle zu verbleiben, sich für die fachliche Qualität der Entscheidung mitverantwortlich zu fühlen, fachliche mit ethischen Fragen zu verwechseln (vgl. auch Vollmann 2017, S. 200) oder sich an kleinteiligen Nebendiskursen zu beteiligen, anstatt diese in das ethisch-moralische Gesamtbild zurückzuführen. Aus diesem Grund bleibt der Einsatz von Moderator*innen vorzugswürdig, die nicht aus der betreffenden Einrichtung stammen und nicht primär im vorliegenden Themengebiet tätig sind.
Es sind solche organisations- bzw. verfahrensethischen Zusammenhänge, für die es neben der materialethischen Grundkenntnis ein allgemeines Bewusstsein zu schaffen gilt. Damit dies gelingen kann, ist abermals die Rolle und Sichtbarkeit der*des Ethikbeauftragten hervorzuheben, welche sich nicht mit einer Telefonnummer im internen Adressbuch erschöpft, sondern vor allem durch regelhafte Vor-Ort-Besuche, Inhouse-Workshops, aktive und individualisierte Gesprächsangebote in Einrichtungen aller Regionen gewonnen werden kann.
Hierarchie und Partizipation
Unabhängig von der Präferierung „hauseigener“ Moderator*innen ist zu konstatieren, dass die meisten, eventuell sogar alleFootnote 2 Anträge von Führungskräften initiiert wurden. Dieser Umstand deutet darauf hin, dass für die Mitarbeiterschaft, die Patient*innen und Angehörigen entweder ein geringer Bekanntheitsgrad des Angebots oder hierarchiebedingte Hemmnisse bei seiner Inanspruchnahme bestehen. Vereinzelte Gespräche mit Mitarbeitenden und Führungskräften deuten darauf hin, dass eine untergeordnete Stellung im organisationalen Weisungsgefüge mit einer geringen Wahrnehmung der aktiven Partizipationsmöglichkeiten an Angeboten der Ethikberatung einhergeht. Im Hintergrund stehen Vorbehalte, das eigene Gefühl der moralischen Verunsicherung auf die Ebene eines offiziellen Gesprächs bzw. Termins mit Beteiligung Dritter zu heben und dadurch Konflikte mit Vorgesetzten zu riskieren. Vieles spricht dafür, dass Hemmnisse dieser Art auch für Patient*innen und Angehörige zum Tragen kommen, die sich in Abhängigkeitsverhältnissen mit versorgenden Personen bzw. Teams befinden (vgl. Gacki-Smith und Gordon 2005). Nicht zuletzt sind auch jene Dynamiken zu beachten, die unter dem Stichwort der „epistemischen Ungerechtigkeit“ (Fricker 2005) verhandelt werden: das Zurückbleiben relevanter Stakeholder hinter einem für Mitgestaltungsmacht entscheidenden Wissens- oder Kenntnisstand (vgl. Ho und Unger 2015).
Auf Barrieren wie diese lässt sich nicht immer unmittelbar zugreifen. Gute Zugänglichkeit von Informationsmaterial für alle Zielgruppen (hierzu gehören bspw. Flyer in Leichter Sprache und gute Auffindbarkeit der Ethikarbeit auf der Homepage) ist zwar eine notwendige aber nicht zwingend hinreichende Voraussetzung für Partizipationsgerechtigkeit. Entscheidende Hindernisse können auch im Verfahren der Antragstellung liegen. Dieses kann zu kompliziert gestaltet sein oder selbst eine hierarchische Hürde enthalten. Seit kurzem ist bspw. festzustellen, dass anstelle der offiziellen Antragsroutine der BruderhausDiakonie, die eine schriftliche Antragstellung mit Entscheid durch eine Führungskraft vorsieht, vermehrt die Ethikbeauftragte angerufen und um Abwicklung der Formalia einschließlich Moderator*innensuche gebeten wird. Darum ist zu prüfen, ob die ursprüngliche Praxis flexibler gestaltet werden kann, ohne die Entscheidungsfunktion der Führungskräfte zu schwächen.
Ein weiterer, ungleich aufwändigerer Weg ist der aktive Einbezug der Mitarbeitenden, Patient*innen und Angehörigen in Gesprächskreise und Fachtage sowie die Entwicklung kleinerer, zielgruppengerechter Diskursformate. So zeigte sich bspw. bei der Gründung des Frankfurter Netzwerks „Ethik in der Altenpflege“, dass der ursprünglich nur als ergänzende Maßnahme geplante „Gesprächskreis Ethik“ von der Mitarbeiterschaft so gut angenommen wurde, dass er „ein wesentliches Element der Netwerkstruktur des Projekts“ (Sauer 2015, S. 118) wurde. Für die aktive Kontaktaufnahme erscheint es zudem sinnvoll, die bestehenden Kommunikationsstrukturen, bspw. Beiräte, zu nutzen. Denkbar wäre darüber hinaus die regelmäßige Einladung von Mitarbeitenden, Patient*innen und Angehörigen oder deren Vertreter*innen zu einem offenen Teil einer Ethikausschusssitzung.
Eine systematische Evaluation des Ethikmanagement-Modells steht indessen noch aus. Sie kann sowohl für die wissenschaftliche Ethik als auch für die interne Organisationsentwicklung fruchtbare Erkenntnisse hervorbringen, etwa über die Fragen, in welchen Geschäftsfeldern welche Instrumente besser oder schlechter Fuß fassen, ob das Ethikmodell alle benötigten Formen ethischer Reflexion abdeckt oder ob sich die Arbeit von Ausschuss und EFB tatsächlich zentral verknüpfen lässt.
Es ist nun, zwei Jahre nach Abschluss der Implementierungsphase, klar zu erkennen, dass die Anzahl an EFB mit der regionalen Dichte an Ethikmoderator*innen sowie dem regionalen Bekanntheitsgrad der*des Ethikbeauftragten korreliert. Vermeintliche Details wie die Freistellung der Ethikmoderator*innen für ihre Arbeit oder der Stellenumfang der Ethikbeauftragten sind darum keine „Kleinigkeiten“, sondern Faktoren, die entscheidend zum Gelingen eines Ethikberatungsmodells beitragen können und bereits in der Konzeption mitgedacht werden müssen.
Ein für alle Seiten wünschenswertes Fernziel eines solchen Unterfangens wäre die gezielte Entwicklung von Qualitätsmerkmalen. Auch diese ist aber in jedem Fall auf die Kapazitäten einer zentralen Person wie der Ethikbeauftragten (‑koordinator*in, -referent*in) angewiesen, mit wissenschaftlichen Kooperationspartnern zusammenzuarbeiten und mit gebotener Sorgfalt Daten zu erheben und aufzubereiten.