Diese Ausgabe hat als Schwerpunkt die Auseinandersetzung mit dem Thema „Trauma“. Das Konzept des Traumas hat in der Psychoanalyse eine wenig konsistente und ambivalente Verwendung erfahren. Die verheerenden Katastrophen im Kontext von Terror, Krieg, Shoah, rassischer und ethnischer Verfolgung, sozialer Gewalt, Gewalt in Familien, Misshandlung und sexuellem Missbrauch von Kindern bilden jedoch eine schreckliche intrusive Realität, die auch die Psychoanalyse in ihrer Theorie und Praxis herausfordert. Dieses Editorial ist nicht der geeignete Ort, um die komplexe Geschichte der psychoanalytischen Traumakonzeptionen zu rekapitulieren. Verwiesen sei hier auf die ausgezeichnete Darstellung in Bohleber (2017). Einige jüngere Entwicklungen sollen dennoch kurz gestreift werden, da sie von großer Relevanz sind. So weisen Coates (2018; Coates und Moore 1997) und Gaensbauer (1995, 2014; Gaensbauer und Jordan 2009) darauf hin, dass Kleinkinder und Säuglinge auch im präverbalen Stadium sehr wohl in der Lage sind, traumatische Ereignisse in Erinnerung zu behalten, symbolisch zu repräsentieren und in Enactments zu inszenieren, sodass liebgewonnene Auffassungen der Gedächtnistheorie infrage zu stellen sind. Von gleichfalls großer Relevanz sind die sogenannten nichtrepäsentierten Zustände, die zunehmend in den Focus rücken. So wirft Nissen (2021) die Frage auf: „Wie kann das, was nicht ist, da sein?“ Dass das, was verdrängt, abgespalten oder dissoziiert werden könnte, möglicherweise noch gar nicht entstanden ist? Dieser Frage geht u. a. auch Levine (2021, 2023) nach. Die Beiträge dieses Heftes sollen einen Diskussionsbeitrag zu diesen Fragestellungen leisten.

Capozzi und Craparo untersuchen das Thema Trauma und Dissoziation anhand eines literarischen Textes, Austerlitz von W.G. Sebald. Das Thema Trauma und dissoziativer Zustand stellt eine erneute Rückbesinnung des psychoanalytischen Denkens dar: Seit etwa 20 Jahren weckt das Problem der traumatischen Gedächtnisinhalte erneut unsere Aufmerksamkeit. Das Trauma ruft eine Desorganisation der psychischen Funktionen hervor, die je nach Kompromittierung der Fähigkeiten, zu mentalisieren und Affekte zu regulieren, unterschiedlich schwerwiegend ausfallen kann. Infolgedessen verbleiben traumatische Erinnerungen als nichtassimilierte Inhalte im Körper und in der Psyche des Patienten, losgelöst von anderen mentalen Funktionen. Was die Dissoziation betrifft, erkennen die Autoren das Verdienst von Pierre Janet an, eine komplexe und wissenschaftlich gültige Theorie dessen formuliert zu haben, was dieser als Désagrégation bezeichnete, d. h. eine Störung der Integrationsfähigkeit, die eine mentale Fragmentierung auf mehreren Ebenen beinhaltet: vom Defizit des Bewusstseinsfeldes bis zur Beeinträchtigung der Einheit der Persönlichkeit des Individuums selbst. Janet gelangte nur über Umwege in den deutschen Sprachraum: „Die einzige deutsche Übersetzung eines Buches von Janet war und blieb nur der erste Teil seines Hysteriebuches mit dem Titel Der Geisteszustand der Hysterischen (Die psychischen Stigmata) (Janet, 1894), angefertigt von Max Kahane (1866–1923), einem frühen Sympathisanten und allgemeinärztlichen Kollegen Freuds und ab 1902 Teilnehmer seiner ‚Mittwochsgesellschaft‘, der sich aber einige Jahre später von Freud zurückzog“ (Heim 2022, S. 368). Einen wesentlichen Beitrag zur Rezeption Pierre Janets leisten Craparo, Ortu und van der Hart (2022) mit ihrem Buch Pierre Janet wiederentdecken. „Janets Vergessensgeschichte ist längst unterbrochen, aber noch nicht abgebrochen – auch wenn seine Rückholung in vollem Gang ist“ (Assmann 2021, S. 19).

Franco De Masi wurde im deutschen Sprachraum breit rezipiert und zählt zu den italienischen Psychoanalytikern, die wesentlich zu einer Entprovinzialisierung der italienischen Psychoanalyse beigetragen haben, indem sie bedeutende britische Analytiker wie beispielsweise Herbert Rosenfeld (De Masi 2015) und Eric Brenman (Basile et al. 2002) nach Mailand einluden. In seinem Beitrag resümiert De Masi seine psychoanalytische Sicht auf das Trauma und betont hierbei insbesondere das frühe emotionale Beziehungstrauma sowie die Bedeutung der analytischen Beziehung in der Behandlungspraxis.

Bernd Nissen beschäftigt sich seit Langem mit der Frage, „Wie kann das, was nicht ist, da sein?“ In der vorliegenden Arbeit versucht er, seine früheren Überlegungen zur Hypochondrie zu vertiefen. Die Hypochondrie wird als autistoide Aktualneurose begriffen, deren Kern ein früher Objektverlust darstellt, der mit Aufgabe objektaler Hoffnungen einhergeht. In der Folge breiten sich unpsychisierte Zustände aus. Doch wie lässt sich dieser Kern begreifen? Als namenloser Zustand der Nicht-Existenz oder als unrepräsentierter Zustand? Die behandlungstechnischen Veränderungen der letzten zwei Jahrzehnte haben neue Möglichkeiten eröffnet, über unpsychisierte, unrepräsentierte Zustände nachzudenken.

Auf Anregung Paul ParinsFootnote 1 veröffentlichte Silvia Amati SasFootnote 2 mehrere Aufsätze in der Psyche (1977, 1990), in denen sie ihre komplexe Traumakonzeption vorstellte, die sie seitdem kontinuierlich weiterentwickelt hat. Unter anderem ist sie Mitbegründerin der Forschungsgruppe der Società Psicoanalitica Italiana (SPI) zu Antisemitismus, Vorurteilen und sozialen Tragödien. Ihre gesammelten Aufsätze wurden 2019 unter dem Titel (2019) „Ambiguità, conformismo e adattamento alla violenza sociale [Ambiguität, Konformismus und Anpassung an soziale Gewalt]“ veröffentlicht. Leider scheint Silvia Amati Sas im deutschen Sprachraum in Vergessenheit geraten zu sein, sodass ihre Rezeption einen Stillstand erfuhr. Mit der Veröffentlichung der vorliegenden Arbeit soll eine Brücke geschlagen und der verlorengegangene Faden wiederaufgegriffen werden. Silvia Amati Sas bezieht sich in ihren Arbeiten insbesondere auf die Theorien José BlegersFootnote 3, der hierzulande relativ unbekannt geblieben ist. So bleibt eine deutsche Übersetzung dessen Hauptwerks (1967) „Simbiosis y ambiguedad [Symbiose und Ambiguität]“ weiterhin ein Desiderat. Silvia Amati Sas misst den Lebensumständen, den Kontexten, also der äußeren Realität, einen hohen Stellenwert bei. Im Zentrum ihres Denkens stehen die Regression auf Ambiguität und die problematische Fähigkeit des Menschen, sich jeglicher Umgebung, und sei sie noch so fragwürdig, anpassen zu können.

Andreas Bachhofen untersucht in seinem Beitrag transgenerationale Folgen von Traumatisierungen und weist darauf hin, wie eng Psychotherapie, insbesondere die Psychoanalyse und die Geschichtsforschung, miteinander verzahnt sind. Dabei wird der Bedeutungsgehalt des Wortes „Trauma“ bei Weitem unterschätzt. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass die historische Dimension eines Traumas zugunsten einer aktualgenetischen Sicht stark vernachlässigt wird.


Harald Kamm (Bamberg)