Eine kurze Geschichte der (Un‑)Behandelbarkeit schwerer Persönlichkeitsstörungen

Zu Freuds Zeiten wurde krankheitswertiger Narzissmus noch in der Nachbarschaft zu Paranoia und Dementia praecox gesehen. Es war jene Epoche in der Psychoanalyse, in der die Übertragung gerade neu als zentrales psychisches Geschehen entdeckt worden war. Freud schloss sich der Vorstellung von Abraham (1908) an, dass solchen Patientinnen und Patienten die Fähigkeit verloren gegangen sei, Objekte überhaupt libidinös zu besetzen. Er ging davon aus, dass die Libido sich auf das Ich zurückgezogen habe und dann auch zu einer Quelle des Größenwahns werden könne (Freud 1916–17, S. 430). Dieser Einschätzung haben spätere Autoren (zum Beispiel Angel 1971) mit dem Hinweis darauf widersprochen, dass bei solchen (präödipalen) Störungen sehr wohl Übertragungen stattfänden, diese jedoch auf sehr frühen Objektbeziehungen basierten. Heute würden wir in diesem Kontext wahrscheinlich von Teilobjektbeziehungen sprechen.

Psychoanalytikerinnen und PsychoanalytikerFootnote 1 hatten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwar die Vorstellung einer patientenseitigen Übertragung entwickelt; die Vorstellung von einer Übertragungsszene, die auch Gegenübertragungsreaktionen einschloss, entstand allerdings erst nach den Veröffentlichungen von Heimann (1957) und Racker (1968). Psychoanalytische Autorinnen und Autoren – vor allem objektbeziehungspsychologischer Provenienz – verstanden in der weiteren Entwicklung die Übertragungsszene als jenen zentralen Ort in der psychoanalytischen Kur, an dem sich durch affektgetragene Einsicht Reifung bzw. Heilung abspielten.

Im Verlauf von über vier Jahrzehnten hat Otto F. Kernberg zusammen mit seiner New Yorker Arbeitsgruppe die Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFPFootnote 2) als ein psychoanalytisches Psychotherapieverfahren zur Behandlung schwerer Persönlichkeitsstörungen bei Erwachsenen entwickelt. Kernberg und seine Arbeitsgruppe publizierten hochrangig auch Belege für die Wirksamkeit der Behandlungsmethode (zum Beispiel Clarkin et al. 2007). Die Wirksamkeit der TFP gilt gemäß der Cochrane-Datenbank als erwiesen (Stoffers et al. 2012).

Setting und die Anwendung psychoanalytischer Techniken in der analytischen Psychotherapie

In einer von Thobaben und Soldt (2007) publizierten Arbeit ist Kernbergs strukturdiagnostisches Modell zur Charakterpathologie und zur Persönlichkeitsorganisation hervorragend zusammengefasst. Die darin festgehaltenen Unterschiede zwischen (einfacher) neurotischer Pathologie und struktureller Persönlichkeitspathologie stellen die Grundlage für die Modifikation psychoanalytischer Behandlungstechnik dar.

Die TFP basiert auf denselben Grundtechniken wie die Standardanalyse, auch wenn sie teilweise mit signifikanten Modifikationen angewendet werden (Tab. 1): Deutung, Übertragungsanalyse, technische Neutralität und Nutzung der Gegenübertragung.

Tab. 1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen psychoanalytischen/psychodynamischen Psychotherapieverfahren. (Nach Kernberg 2012)

Patienten müssen auf die bevorstehende Therapie vorbereitet werden und wissen, dass nicht nur der Therapeut, sondern auch der Patient Verantwortung dafür trägt. Für die geplante Behandlung ist die Arbeitshaltung in den Sitzungen – basierend auf freier Assoziation und gleichschwebender Aufmerksamkeit – bei TFP und Standardpsychoanalyse gleich. Während aber die TFP im Gegenübersitzen mit einer Frequenz von zwei Sitzungen pro Woche arbeitet, findet das Setting in der Standardanalyse drei- bis fünfmal pro Woche als Liegekur statt. Auch nimmt in der Standardanalyse die freie Assoziation einen viel größeren Raum als der nonverbale Kommunikationskanal ein; dagegen wird für die Behandlung strukturell schwer gestörter Patienten angenommen, dass die unbewussten Konflikte auch vor allem durch nonverbale Kommunikation gestisch und mimisch zum Ausdruck gebracht werden.

Je schwerer die Psychopathologie, desto früher und mächtiger verzerren die Übertragungsverstrickungen die therapeutische Interaktion. In dieser Situation ermöglicht das Face-to-Face-Setting die frühe und genaue Diagnostik der Übertragungsentwicklung auch auf der Grundlage averbaler Interaktion.

Diagnostik

Die probatorischen Sitzungen, die die Therapie vorbereiten, sollten bei höher als auch niedriger strukturierten Patienten hinsichtlich Differenzialdiagnose, Indikation und Prognose in gleicher Weise erfolgen. Zur Erfassung des Strukturniveaus eignet sich das von Kernberg entwickelte Strukturelle Interview (Kernberg 1981 und Yeomans et al. 2017, S. 78–83). Dabei werden die aktuelle Situation des Patienten, sein Konzept von sich selbst (Selbstbild) und den inneren Objekten (Objektrepräsentanzen) sowie seine Erwartungen an eine eventuelle Psychotherapie evaluiert.

Die Einschätzung des strukturellen Niveaus der Persönlichkeit macht sich vor allem an folgenden drei Aspekten fest:

  1. 1.

    Identitätsintegration versus -diffusion,

  2. 2.

    Vorliegen reifer oder unreifer Abwehrmechanismen und

  3. 3.

    Ausmaß der Fähigkeit zur Realitätsprüfung.

Die Deutung in der Behandlung

Transference-Focused Psychotherapy und Psychoanalyse folgen im Hinblick auf den Deutungsprozess demselben Prinzip, nämlich, von der Oberfläche in die Tiefe zu gehen. Die Deutung sollte dem optimalen Niveau der Tiefe und dem affektiv-dominanten Thema folgen. Allerdings erfordern Deutungen bei schweren Persönlichkeitsstörungen zeitlich teilweise aufwendige Vorbereitungen: So müssen verbale, aber vor allem auch nonverbale Informationen und Kommunikationsformen der Patienten zunächst sorgfältig geklärt werden. Im Anschluss folgt die vorsichtige Konfrontation, bevor tief (im Hier und Jetzt) gedeutet werden kann. Gedeutet werden dann jeweils die in der Übertragung auftauchenden und im Rahmen der Gegenübertragung wahrnehmbaren Subjekt-Objekt-Konstellationen (Dyaden) mit dem wahrnehmbaren Affekt.

Kernberg und seine Arbeitsgruppe heben in vielen Veröffentlichungen hervor, dass die Betonung der affektiven Dominanz als präziserer Ausdruck des Bion’schen Focus des „selected fact“ (Bion 1962; Busch 2019) einen entscheidenden Beitrag zur allgemeinen Methode der Deutung geleistet habe. Die Nutzung der affektiven Dominanz wird therapeutisch unter Beachtung des verbalen und nonverbalen Kommunikationskanals adressiert; dabei dient die Gegenübertragung als Indikator für die Priorisierung der Intervention. Im Gegensatz zu neurotischen Patienten, bei denen die Deutung der Verdrängungsabwehr im Zentrum therapeutischer Arbeit steht, liegt der Deutungsfokus bei Borderline-Fällen auf den abgespaltenen oder dissoziierten und verleugneten Affektanteilen. Dabei kommt es oft zu Rollenwechseln, bei denen patientenseitig unaushaltbare Affekte projiziert und im anderen bekämpft werden. So kann eine gefühlte Situation, selbst gedemütigtes Opfer zu sein, so umgewandelt werden, dass dann plötzlich der Therapeut Opfer sein soll und man selbst als Patient eine beherrschende Rolle einnehmen kann. Es geht also nicht um einen grundsätzlichen Unterschied, sondern vielmehr um einen erweiterten Fokus in Bezug darauf, was die Oberfläche beziehungsweise den tiefergehenden Aspekt des zu erforschenden Materials betrifft.

Die Übertragungsanalyse in der Behandlung

Die Übertragungsanalyse wird bereichert durch die zeitgenössische, weiterentwickelte Objektbeziehungstheorie, der sowohl die Standardpsychoanalyse als auch die TFP unterliegen. Allerdings hebt die TFP hervor, dass in der Übertragung die Dyade einer internalisierten Objektbeziehung beziehungsweise häufig nur einer Teilobjektbeziehung zum Ausdruck kommt, die dann gedeutet wird. Praktisch wird die Projektion einer internalisierten Objekt- oder Teilobjektbeziehung durch die Inszenierung ihrer Teilselbstrepräsentanz patientenseitig ergänzt. Somit muss die Deutung sowohl die Analyse der Projektion des internalisierten Objektanteils als auch das parallel laufende Enactment der zugehörigen Selbstrepräsentanz umfassen. Das heißt: Wenn in bestimmten Momenten eine Teilselbstrepräsentanz projiziert wird, inszeniert der Patient die Repräsentanz des zugehörigen Objekts. Die Deutung muss dann die abgespaltenen positiven und negativen Affekte der inszenierten Objektbeziehung oder Teilobjektbeziehung zum Inhalt haben. Dieser Ansatz korrespondiert mit der Entwicklung des allgemeinen psychoanalytischen Konzepts der Analyse der „totalen Übertragung“, wie von Joseph (1985) erläutert. Hier zwei einfache Beispiele für eine solche Dyadendeutung: „Mir ist aufgefallen, dass Sie auf mich reagieren, als sei ich ein Gegner mit absoluter Macht über sie – als sei ich Ihr Kerkermeister und Sie nichts weiter als ein wehrloses, zusammengekauertes Etwas“ oder: „Alles wäre für Sie womöglich in Ordnung, wenn ich Ihnen gehorchen würde … und aus diesem Grund wirke ich wie ein störrisches Kind, dass sich gegen eine dominante, unnachgiebige Mutter auflehnt“ (Clarkin et al. 2008, S. 40).

Eine solche Deutung sollte aber nicht als unumstößliche Wahrheit an den Patienten herangetragen werden; vielmehr gewinnt der Patient dadurch eine neue Einsicht, wenn er gemeinsam mit dem Therapeuten erörtern kann, was daran zutreffend oder unzutreffend ist. Das bedeutet, dass der Patient an der Evaluation dieser Deutung mitarbeitet. Daher ist es enorm wichtig, dass aufseiten des Therapeuten beachtet wird, wie der Patient auf die Intervention reagiert.

Kernberg betont allerdings auch, dass in der TFP die fortlaufende Auseinandersetzung mit der äußeren Realität eine große Rolle spielt: Bei schweren Persönlichkeitsstörungen bestimmt das Agieren das Leben der Patienten. In der therapeutischen Beziehung hingegen können selbstdestruktive Verhaltensweisen erfolgreich ausgeklammert werden, sodass sie nicht zeitig genug diagnostiziert werden können, um die Betroffenen vor schweren, selbstverletzenden Auswirkungen auf ihr Leben zu schützen, wie zum Beispiel den nachlässigen Umgang mit Geld, was zu einer katastrophalen Konsequenz führen könnte. Manchmal sind es beiläufige Bemerkungen der Patienten über diverse, scheinbar banal klingende Vorkommnisse außerhalb der therapeutischen Situation, die im Kontext der strukturellen Pathologie verstanden werden müssen. So kann das fortlaufende Monitoring der äußeren Realität der Patienten als potenzielle Anwendung der Übertragungsszene auf das soziale Feld als Bereicherung erlebt und verstanden werden. In bestimmten Situationen kann die Leugnung der äußeren Realität therapeutenseitig große Sorge auslösen, was dann affektiv dominant ist und gedeutet werden muss. Kernberg bezieht sich auf Tuckett (2005) der diese zwei wesentlichen Phasen der Übertragungsdeutung folgendermaßen zusammengefasst hat: Die erste Phase besteht demnach im gegenwärtigen Ausdruck der vorherrschenden Übertragungsverzerrung und wird in ihrer gegenwärtigen unbewussten Bedeutung verstanden und gedeutet; ihr folgt die zweite Phase, in der die Inszenierung einer bedeutsamen internalisierten Objektbeziehung aus der Vergangenheit untersucht wird. Dieses Vorgehen entspricht auch dem Ansatz der TFP.

Menschen mit schweren Persönlichkeitsstörungen können massive Regressionsprozesse erleben, bei denen die Fähigkeit zur Realitätsprüfung vorübergehend verloren geht und die gegenwärtige therapeutische Beziehung eine Parallele zur Vergangenheit des Patienten darstellt. Dabei ist es für die Betroffenen dann nicht mehr möglich, zwischen der aktivierten unbewussten Fantasie und der aktuellen Realität in der Interaktion in der Therapie zu unterscheiden. So kann die Aktivierung psychotischer Übertragungsentwicklungen oder Übertragungspsychosen zu einem signifikanten Problem in der TFP von schweren Persönlichkeitsstörungen werden (Kernberg 2019).

An dieser Stelle haben Kernberg und seine Arbeitsgruppe die Technik der inkompatiblen Realitäten entwickelt. Das heißt: Der Therapeut teilt dem Patienten seine Überzeugung mit, dass das Erleben der Beziehung des Patienten zwischen ihm und dem Therapeuten im Hinblick auf einen bestimmten Aspekt unrealistisch ist. Damit würde der Therapeut die Überzeugung des Patienten anerkennen und gleichzeitig seine radikal abweichende Überzeugung mit dem Patienten teilen, ohne eine Lösung anzustreben. Stattdessen würde er den Patienten dazu einladen, gemeinsam zu untersuchen, warum sie so divergente Sichtweisen haben, um damit die Bedeutung dieses Aspekts als einen Ausdruck eines tiefen Konfliktes des Patienten zu würdigen. Mit anderen Worten ist es in einer solchen Situation notwendig, den psychotischen Nucleus, der in der Übertragung aktiviert wurde, als Voraussetzung für eine gemeinsame Untersuchung zu definieren, ohne die Fragestellung bezüglich des realen Hintergrundes aufzuwerfen. Dieses Vorgehen erlaubt die Entfaltung psychotischer Überzeugungen als fundierte Reaktivierung der unbewussten Vergangenheit. Die Auflösung des korrespondierenden Konflikts stellt die Fähigkeit zur Realitätsüberprüfung wieder her und darüber hinaus die Fähigkeit, den korrespondierenden Konflikt auf einem bewussten, nunmehr realitätstüchtigen Niveau zu tolerieren. Auch dieses Vorgehen erscheint Kernberg als bedeutender Beitrag zur psychoanalytischen Technik sowohl in der TFP als auch in der standardanalytischen Arbeit. Allerdings muss der Therapeut in solchen Situationen dazu bereit sein, die technische Neutralität vorübergehend zu verlassen, was im Weiteren noch erläutert werden soll.

Hier eine TFP-Behandlungssituation, in der der Therapeut die technische Neutralität verlässt, um eine vom Patienten nicht angemessen beachtete, medizinisch bedrohliche Komplikation abzuwenden:

Bei seinem 53-jährigen narzisstischen Patienten fiel dem Therapeuten auf, dass sein linkes Auge deutlich geschwollen war und dem Patienten Eiter die Wange hinunterlief. Da der Patient diesen auffälligen Befund mit keinem Wort erwähnte, sprach der Therapeut ihn daraufhin an und empfahl, sich möglichst noch am selben Tag augenärztlich untersuchen zu lassen. Der Patient reagierte in diesem Moment auffällig gleichgültig auf die sorgenvolle Empfehlung seines Therapeuten. Als er am nächsten Tag erneut zur Therapiesitzung kam, hatte sich der Befund verschlimmert. Auf die Nachfrage des Therapeuten, ob er es gestern nicht mehr geschafft habe, sich augenärztlich untersuchen zu lassen, reagierte der Patient empört.

Patient (P): Was fällt Ihnen überhaupt ein?! Sie maßen sich hier eine Besserwisserei an, wo ich schon selbst weiß, was für mich gut oder nicht gut ist. In Wirklichkeit wollen Sie mich doch nur manipulieren. Das geht mir entschieden zu weit!

Therapeut (T, ganz ruhig): Im Prinzip haben Sie natürlich recht, dass ich mir nicht anmaßen sollte, Dinge, die Sie tun oder lassen, besser beurteilen zu können als Sie selbst. Tatsächlich habe ich Sie auf eine Bedrohung Ihrer körperlichen Gesundheit hingewiesen, die Sie offenbar gar nicht als Bedrohung wahrnahmen. Natürlich ist die Sorge für die eigene Gesundheit in Ihrer Verantwortung, die ich für Sie in dieser Situation vorübergehend übernommen habe. Jetzt sind Sie aber über mich empört, weil Sie völlig gefühlsunsicher sind, ob ich mich um Sie sorge oder ob ich Sie manipuliere.

Damit setzte sich nun der Patient auseinander, und im Stundenverlauf sank auch seine „Affekttemperatur“. In der folgenden Woche erfuhr der Therapeut dann von ihm, dass er noch am selben Nachmittag einen Augenarzt aufgesucht und dieser sofort die Behandlung des Patienten eingeleitet hatte.

Die technische Neutralität in der Behandlung

Der Begriff „technische Neutralität“ bezieht sich auf die Haltung des Analytikers, Parteilichkeit bei inneren oder interpersonellen Konflikten der Patienten zu vermeiden, die in der dominanten Übertragung aktiviert werden. Eine solche Haltung verkörpert – wie bereits Anna Freud (1936) herausgestellt hat – eine bewertungsfreie, äquidistante Einstellung zum Es, zum Über-Ich und zum agierendem Ich des Patienten. Diese Position impliziert eine Arbeitsbeziehung mit dem gegenwärtig konfliktfreien Ich-Anteil des Patienten im Arbeitsbündnis. Technische Neutralität bedeutet aber keine Gleichgültigkeit. Sie verfolgt das Ziel einer vollständigen – also ambivalenzgetönten kohärenten – Übertragung des Patienten anstelle der Übertragung von Teilobjektbeziehungen im Spaltungs- beziehungsweise „Entweder-oder-Modus“.

In diesem Zusammenhang hat die TFP eine technische Modifikation entwickelt, die sich signifikant vom Ansatz der Standardpsychoanalyse unterscheidet: In bestimmten Situationen kann, soll oder muss die technische Neutralität verlassen werden. Das dient dann der Aufrechterhaltung des Therapierahmens (zum Beispiel als Selbst- oder Fremdgefährdung) oder der Bearbeitung psychotischer Übertragungssituationen. Eine solche situative Begrenzung der technischen Neutralität zielt darauf ab, dass der Therapeut Maßnahmen ergreift, die dafür Sorge tragen, dass der Patient auch soziale Verhaltensweisen aufrechterhält, die mit dem Therapievertrag übereinstimmen. Das passagere Verlassen der technischen Neutralität dient auf diese Weise ihrer Wiederherstellung. Das ist auch dann der Fall, wenn sich der Patient ins Leben des Therapeuten außerhalb der Sitzungen einmischt, was meistens nicht mehr nur durch Deutungen kontrolliert werden kann, oder wenn der Patient innerhalb der Sitzungen Gegenstände in der Praxis des Therapeuten zerstört.

In der TFP ist es zunächst das Bestreben, mithilfe von Deutungen das therapiegefährdende Verhalten zu kontrollieren; sollte das jedoch nicht gelingen, wird die Begrenzung der Verhaltensweisen des Patienten zur Voraussetzung für die Fortsetzung der Behandlung gemacht. Das wäre eine Maßnahme, die ganz klar ein Verlassen der technischen Neutralität bedeutet. Sobald eine solche Intervention nötig erscheint – und das ist bei schwer strukturell gestörten Patienten häufiger der Fall als bei (nur) neurotischen Patienten –, markiert und deutet der Therapeut sein Verlassen der technischen Neutralität. Das könnte folgendermaßen geschehen: „Ich glaube, Sie haben gemerkt, dass ich Ihnen gegenüber eine Grenze gesetzt habe, damit Sie merken können, dass ich nicht alle ihre Wünsche und Forderungen erfüllen kann und erfüllen will. Dass ich das getan habe, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass Sie selbst in dieser Situation nicht sicher waren, wie weit Sie mit Ihren Forderungen gehen können und was für mich zu viel ist.“ Auf diese Weise wird das Verlassen der technischen Neutralität selbst gedeutet, um jenen Prozess wiederherzustellen, der vor dieser Intervention unterbrochen wurde.

Diese Modifikation ist für Kernberg in bestimmten Behandlungssituationen mit strukturell schwer gestörten Patienten erforderlich.

Die Nutzung der Gegenübertragung in der Behandlung

In der Behandlung von schweren Persönlichkeitsstörungen hat der besonders schnelle Wechsel der Affekte der Patienten einen großen Einfluss auf die Intensität der Gegenübertragungsreaktionen. Die schnelle Entwicklung intensiver Übertragungsregression und der plötzliche Wechsel in der Übertragung können zu einer starken Irritation der Denkfähigkeit des Therapeuten und zu seiner Verunsicherung führen. Solche Situationen auszuhalten (Containment), stellt regelmäßig große Herausforderungen für den Therapeuten dar. Er nimmt in solchen Situationen zwangsläufig mit der eigenen Seele am chaotischen Innenleben seines Patienten teil, der per projektiver Identifizierung eigene verwirrende Seelenzustände im Therapeuten untergebracht hat. Für das tiefere Verständnis solcher schwierigen dyadischen Szenen spielt in der Arbeit des TFP-Therapeuten die konstante Aufmerksamkeit für Gegenübertragungsreaktionen eine große Rolle. Das Verständnis des dominanten Affektes, der die Übertragungsszene bestimmt, fällt dadurch auch leichter.

In dem folgenden Beispiel aus einer TFP-Behandlung verwendet der Analytiker das in ihm vom Patienten ausgelöste Gefühl (Ratlosigkeit, Hilflosigkeit), um die Übertragungsszene zu deuten. Dabei wird die Deutung teilweise analytikerzentriert formuliert, ohne die Gegenübertragung gegenüber dem Patienten zu eröffnen.

T: Sie schweigen!

P: Ja!

– Kurze Pause –

T: Ich frage mich natürlich trotzdem, was Ihnen wohl gerade durch den Kopf geht beziehungsweise in welcher Stimmung Sie sind.

P: Ich möchte heute nichts sagen, ich bin müde! (P gähnt demonstrativ.)

T: Sie fühlen sich heute besser, wenn ich ein bisschen auf Distanz bleibe und Sie in Ruhe lasse?!

P: Nein, das hat alles nichts zu bedeuten, ich bin einfach nur müde. – Es ärgert mich aber, wenn Sie mich nicht in Ruhe lassen und immer nur herumbohren.

T: Ich verstehe gut, dass Ihre Müdigkeit es Ihnen schwer macht, mit mir zu sprechen. Auf der anderen Seite bringen Sie mich auf die Idee, dass es außer der Müdigkeit zusätzliche Gründe geben könnte, weswegen Sie sich zurückziehen.

P (zunehmend ärgerlich und lauter): Jetzt bohren Sie schon wieder, offenbar wollen Sie mich provozieren! Ich kann das auf den Tod nicht ab –

T: Sie möchten in Ruhe gelassen werden und fühlen sich von mir verfolgt! Das macht Sie total wütend.

– Kurze Pause –

T: Ja, was meinen Sie denn, warum es Ihnen so schwerfällt, mir Ihre Gedanken mitzuteilen?

P: Es sind zu viele Gedanken! Es wäre mir am liebsten, wenn ich wüsste, was Sie hören wollen, was heute dran ist. Und außerdem habe ich gar nicht das starke Bedürfnis, Ihnen überhaupt irgendetwas zu erzählen. Es ist mir lieber, wenn Sie anfangen zu reden, mir irgendeine Hilfsschnur geben, damit ein Thema zustande kommt. – Wenn Sie dann aber reden, sagen Sie eigentlich auch nicht das Richtige.

T: Würden Sie denn lieber schweigend dasitzen und abwarten?

P (spricht zackig, abgehackt und aggressiv): Nein, nein, keinesfalls, dann würde ich Reißaus nehmen. Fünf Minuten abwarten, das sind für mich schon Stunden!

– Circa eine Minute Pause –

T: Ich glaube, dass ich jetzt etwas Wichtiges von Ihnen verstanden habe: Sie sprechen im Augenblick in einem sehr zackigen, militärischen Befehlston zu mir. Ich glaube, ich kann jetzt nachvollziehen, wie es Ihnen ergangen ist, als Ihr Vater – er ist ja Offizier – streng zu Ihnen gesprochen hat und Sie gar nicht wussten, wie Sie es ihm recht machen können. Und jetzt bin ich in die Rolle gekommen, in der Sie damals waren.

– Kurze Pause –

P (klingt plötzlich ganz weich und freundlich): Oh, das tut mir leid.

Sowohl in der klassischen Psychoanalyse als auch in der TFP spielt die Tolerierung der Gegenübertragungsentwicklung eine zentrale Rolle für das szenische Verstehen. Dabei ist es sehr wichtig herauszufinden, ob die Gegenübertragungsreaktion entweder durch einen Beitrag des Patienten oder durch die Aktivierung eines korrespondierenden Konfliktes des Therapeuten hervorgerufen wird. Ergebnis dieses vielschichtigen und oft schnellen intrapsychischen Prozesses ist die bereichernde Deutung der szenischen Inhalte in der Übertragung. Folglich wird die eigene Gegenübertragung dem Patienten nicht mitgeteilt, sondern stellt vielmehr ein wichtiges Element beim Aufbau der Übertragungsdeutung dar. Sollte es zum Agieren des Therapeuten kommen und die Gegenübertragung mitgeteilt werden, so sollte das gegenüber dem Patienten angesprochen werden. Diese allgemeinen Grundsätze gelten sowohl für die Standardpsychoanalyse als auch für die TFP. Andererseits könnte der Therapeut im Falle eigener primitiver, regressiver Fantasien in der Gegenübertragung zu einer freieren Deutungsarbeit in Bezug auf die korrespondierenden Übertragungen gelangen, wenn er es wagt, solche Fantasien bei sich selbst zuzulassen und mithilfe des eigenen Arbeits-Ich zu analysieren.

Technische Unterschiede zwischen TFP und Standardtechnik zeigen sich auch beim Umgang mit Träumen strukturell schwer gestörter Patienten. Freies Assoziieren zum manifesten Trauminhalt ist besonders im frühen Behandlungsabschnitt der TFP problematisch. Statt dem Patienten die freie Assoziation über den manifesten Inhalt seines Traumes vorzuschlagen, sollte der Therapeut stattdessen den vorherrschenden Affekt des Traumes von sich aus aufgreifen und mit dem Patienten erörtern.

Die Bedeutung der Diagnostik und die Vermittlung der psychoanalytischen Techniken in der Aus- und Weiterbildung

Kernberg problematisiert eine nach seiner Ansicht schlechte Tradition in der psychoanalytischen Weiterbildung: die Vernachlässigung genauer differenzialdiagnostischer Untersuchung im Gegensatz zum überbewerteten Vertrauen in die Entwicklung diagnostischer Funktionen als Teil der eigentlichen Behandlung. Andererseits herrsche in der zeitgenössischen Psychiatrie gleichzeitig ein vereinfachender psychopharmakologischer Trend vor. Außerdem fokussiere die psychiatrische Facharztweiterbildung vor allem auf die Beachtung vorherrschender Symptome und vernachlässige dabei gleichzeitig die Analyse der Persönlichkeitsstruktur.

Er betont für werdende Analytiker den enormen Wert der Erstdiagnostik im Sinne der Bestimmung der Persönlichkeitsstruktur, bei der auch entschieden werden müsse, ob Psychoanalyse im Standardverfahren, eine psychodynamische Psychotherapie im Allgemeinen oder TFP im Besonderen die geeignete Therapieform sein könnte.

Kernberg benennt folgende Fragen, die im Rahmen der Probatorik von Kandidaten abgeklärt werden sollten:

  • Was sind die Hauptbeweggründe, die den Patienten zu einer Behandlung veranlassen?

  • Was sind seine Therapieziele?

  • Und im Vergleich dazu: Welche Perspektive ergibt sich therapeutischerseits hinsichtlich möglicher Veränderungen oder Therapieziele?

Falls Therapeut und Patient unterschiedliche Vorstellungen über Möglichkeiten und Ziele der Behandlung haben, kann eine Therapie nur dann erfolgversprechend sein, wenn beide wenigstens in einem Kernthema übereinstimmen. Das mag zwar belanglos erscheinen, gewinnt aber besonders bei extrem negativer Übertragung oder bei Abbruchtendenzen an Bedeutung. Das wichtigste Ergebnis einer profunden differenzialdiagnostischen Abklärung ist allerdings die Differenzialindikation für eine eventuelle Modifikation des psychoanalytischen Behandlungsansatzes, wobei die prognostische Einschätzung inbegriffen ist. Dieses diagnostische Vorgehen trägt dem Umstand Rechnung, dass es einen ständig wachsenden Bedarf für psychodynamische Behandlungen bei multiplen psychischen Erkrankungen und deren Schweregrade gibt und damit auch die Notwendigkeit besteht, es in der Aus- und Weiterbildung zu verankern.

Die Vermittlung des Verständnisses von freier Assoziation in Aus- und Weiterbildung

Während der psychoanalytischen Aus- und Weiterbildung müssen wichtige therapeutische Skills vermittelt werden: Das betrifft unter anderem die gleichschwebende Aufmerksamkeit, die Toleranz gegenüber anhaltendem Schweigen und die Aufmerksamkeit gegenüber den wahrnehmbaren Abwehrvorgängen. Psychotherapeuten ohne psychoanalytische Aus- oder Weiterbildung neigen eher dazu, die Bedeutung der freien Assoziation als Beitrag des Patienten zur Arbeit in den Sitzungen zu vernachlässigen. Sie erliegen häufig der Versuchung zu dialogisieren, was dann zu einer Verstärkung der Abwehr führen kann. In der Regel fällt es schwer, solche Entwicklungen zu analysieren. Ein weiteres Problem betrifft die systematische Verzerrung der Sprache, wenn zum Beispiel Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen in unzusammenhängender Weise sprechen, sodass kein Thema vertieft werden kann. Häufig kommt es auch zu raschen Wechseln beziehungsweise Sprüngen in den geäußerten Gedanken, die dann den Therapeuten verwirrt zurücklassen. Hier sollten auch nonverbale Ausdrucksweisen beachtet und vermittelt werden, die die verbalen Verzerrungen begleiten.

Die zukünftigen Psychoanalytiker sollten – auch und vor allem im Gegenübersitzen! – wahrnehmen können, wenn Patienten die verbale Kommunikation narzisstisch ausgestalten, um den Therapeuten zu idealisieren oder zu entwerten. Es kann sich dann manchmal so anfühlen, als geriere sich der Patient als Supervisor seines Therapeuten. Therapeuten mit TFP-Erfahrungen sind in der Regel in der Lage, den agierenden Gebrauch der freien Assoziation im Dienst der narzisstischen Pathologie zu diagnostizieren, besonders, wenn konkrete Deutungen des Therapeuten ignoriert werden und der Patient seine „freie Assoziation“ dessen ungeachtet fortsetzt.

Die Psychoanalytiker in Aus- oder Weiterbildung sollten in der Supervision erleben können, dass in der TFP die entwertende Haltung und Ablehnung dessen, was der Therapeut sagt, schneller evident erlebbar wird als im Couch-Setting. Das ist deswegen so, weil Therapeut und Patient sich „face to face“ gegenübersitzen. Durch diesen Umstand lässt sich therapeutisch auch leichter die Aggressivität des Patienten erkennen und ansprechen. Der Gesprächsstil vieler Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen wirkt manchmal fragmentiert, und dadurch entstehen Verwirrung und Denkhemmung im Therapeuten. Diese Erfahrung muss während der Ausbildung erlebt und supervisorisch aushaltbar gemacht werden, sodass die Kollegen in Ausbildung die Erfahrung machen können, dass dies zur Behandlung dazugehört und sie deswegen nicht schlechte Behandler sind. In diesen Zusammenhang gehört ebenfalls die Erfahrung mit der projektiven Identifizierung, die auch über den gestischen und mimischen Kommunikationskanal spürbarer wird.

In der Aus- und Weiterbildung sollte vermittelt werden, dass die niedrigere Stundenfrequenz aus therapeutischer Sicht nicht willkürlich oder aus Kostengründen erfolgt; der Grund liegt vielmehr darin, dass Patienten mit schwerer struktureller Pathologie die große Nähe einer hohen Stundenfrequenz pro Woche meistens nicht – oder erst bei fortgeschrittener Therapie – aushalten.

Die Vermittlung der Deutungskompetenz in Aus- und Weiterbildung

Während Psychoanalytiker oftmals ängstlich im Umgang mit heftiger, archaischer Aggression in der Übertragung sind, fürchtet ein gut in der TFP-weitergebildeter Analytiker sich nicht davor, negative Übertragung direkt und rasch klar darzulegen, ohne Angst vor aggressiven Reaktionen zu haben. Aufgrund der inneren Nähe des Therapeuten zu den affektiven Entwicklungen bei schwerer Psychopathologie ist er darauf vorbereitet, solche Konflikte in der Tiefe früher als in der klassischen Standardtechnik zu interpretieren.

Eine weitere Schwierigkeit müssen unsere zukünftigen psychoanalytischen Kollegen kennenlernen: Sowohl in der Psychoanalyse als auch in der TFP werden bestimmte Übertragungsentwicklungen überwiegend mit Dritten – also im sozialen Feld – agiert. Hier kommt also erneut die Beachtung der äußeren Wirklichkeit des Patienten ins Spiel. Das wirft die Frage auf, in welchem Umfang solche Entwicklungen direkt in der Übertragung gedeutet werden können. Dieses Phänomen stellt in der Standardpsychoanalyse ein spezifisches Problem dar, in der der Therapeut vornehmlich auf das fokussieren sollte, was im Hier und Jetzt zwischen dem Patienten und dem Therapeuten vor sich geht, während der Patient hauptsächlich seine Aufmerksamkeit auf das richtet, was er gerade mit einem Menschen außerhalb der therapeutischen Beziehung erlebt. Nimmt der Therapeut den dominanten Affekt seines Patienten auch in den Außenbeziehungen ernst, so gelingt es in der Regel auch, das affektive Geschehen in der Übertragungsbeziehung adäquat zu adressieren.

Die Struktur der Deutung entsteht in der klassischen Analyse durch die folgende Reihenfolge: Deutung der Abwehr, Deutung des Motivs und Deutung des zugehörigen Affekts.

Folgender Unterschied muss von den Kollegen in Ausbildung neu verstanden werden: Die TFP zeichnet sich im Vergleich zur klassischen Technik stärker durch die Analyse der in der Übertragung aktivierten Objektbeziehungsdyaden aus. Genauer gesagt geht es um Teilobjektbeziehungsdyaden, die durch frühe, gespalten gebliebene Objekt- und Subjektrepräsentanzen entstanden sind. Dabei passiert es regelmäßig, dass eine Teilobjektbeziehungsdyade durch eine andere darunter liegende Teilobjektbeziehungsdyade abgewehrt wird. Zum Beispiel kann die anlehnungsbedürftige Seite, die vom Patienten als erniedrigend erlebt würde und deswegen schwer ausgehalten werden kann, gegenüber dem Therapeuten durch ein betont herrisch-dominantes und abweisendes Verhalten unsichtbar gemacht – also abgewehrt – werden.

So gesehen betont die TFP anders als die Standardanalyse nicht in erster Linie die oben genannte Deutungsreihenfolge, die im Rahmen der bestehenden psychoanalytischen Weiterbildung im Zentrum steht. Im Face-to-face-Setting kann – wie schon mehrfach betont – anders als in der klassischen Liegekur der nonverbale Kommunikationskanal für den Deutungsprozess besonders bei nonverbal kommunizierenden schwer gestörten Patienten zusätzlich genutzt werden.

Wie bereits erwähnt, ist Kernberg der Meinung, dass die Weiterbildung in der Standardanalyse generell mit der Weiterbildung in der TFP kombiniert werden sollte. Dieser Vorteil habe sich in den wenigen psychoanalytischen Instituten, an denen auch die TFP-Weiterbildung Teil des Lehrplanes sei, erwiesen. Die weit verbreitete Furcht, dass eine solche Weiterbildung in psychodynamischer Psychotherapie zu einer Verwässerung der psychoanalytischen Technik führen könnte, ist – so Kernberg – nicht eingetreten. Seine Erfahrung ist es hingegen, dass die klare Benennung des zugrunde liegenden theoretischen Ansatzes von Psychoanalyse und TFP eine wichtige theoretische Basis für die unterschiedliche Handhabung dieser beiden Therapieverfahren je nach differenzialindikatorischer Einschätzung des jeweiligen Falles befördern kann. Die klare Benennung einer Theorie psychoanalytischer Technik – wie sie in der Standardpsychoanalyse angewandt wird, im Gegensatz zur modifizierten psychoanalytischen Psychotherapie – unterstützt den Therapeuten beim Wechsel zwischen diesen einerseits verwandten und andererseits unterscheidbaren Anwendungsweisen. Nach Kernbergs Meinung besteht dabei kein Risiko, die Ausbildungskandidaten der Psychoanalyse zu verwirren; vielmehr könnte durch diese Kombination sowohl deren technische Kompetenz als auch ihre Freiheitsräume bereichert werden.

Das Erlernen der Übertragungsanalyse in der Aus- und Weiterbildung

Das Mentalisieren unserer Patienten und das Verständnis für die in uns selbst ausgelösten Reaktionen auf sie, ist ein Kernstück psychoanalytischer Theorie und Praxis. Für die Aus- und Weiterbildung ist es jenes Feld, das am weitesten von alltäglicher Verständnisstiftung im sozialen und im psychosozialen Feld abweicht. Es war auch jener tiefenpsychologische Bereich, den sich Freud selbst zögerlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht gerade mit Leichtigkeit aneignen musste. Nach den Arbeiten von Heimann (1957) und Racker (1968) zur Übertragung und Gegenübertragung haben auch andere Autoren diese Thematik zusätzlich bereichert. Diese Entwicklungen in der Aus- und Weiterbildung nachzuvollziehen, ist für viele Kollegen in der Weiterbildung nicht immer ganz einfach.

Das bereits oben genannte komplexe Verständnis der projektiven Identifikation spielt für die Aus- und Weiterbildung zukünftiger Psychoanalytiker eine besonders wichtige Rolle: Die Analyse der projektiven Identifizierung, die den Therapeuten in die Rolle der projizierten Objektrepräsentanz bringt, geht Hand in Hand mit dem Enactment des Patienten seiner korrespondierenden Selbstrepräsentanz. Im Gegensatz dazu steht die Projektion seiner Selbstrepräsentanz auf den Therapeuten, während sich der Patient mit der korrespondierenden Objektrepräsentanz identifiziert.

Transference-focused psychotherapy fokussiert spezifisch auf die Aktivierung solcher dyadischen Einheiten und ihrer ultimativen Entwicklungen hin zu triadischen Einheiten. Das Durcharbeiten solcher Situationen zeigt sich in der abnehmenden pathologischen Intensität der genannten Abwehrvorgänge sowie der sich entwickelnden Fähigkeit des Patienten, die gespaltene idealisierende und verfolgende Beziehung zum selben Objekt zu integrieren. Findet diese Entwicklung nicht statt, so ist es ein Hinweis darauf, dass die abgewehrte darunterliegende Dyade analysiert werden muss.

Kollegen in Ausbildung fragen oft, wie schnell sich die Übertragungsarbeit sowohl auf die äußere Realität des Patienten als auch auf die Entwicklung in den Sitzungen auswirkt. Beides findet in der Standardanalyse langsamer statt. In dieser Hinsicht sollte die TFP die standardpsychoanalytische Arbeit beeinflussen, indem potenziell der Fokus auf das Durcharbeiten der Übertragung gelegt werden sollte.

Während die klassische psychoanalytische Arbeit den Patienten schrittweise Einsicht in konfliktreiche Themen ermöglicht, fokussiert die TFP auf eine relativ schnelle diagnostische Einschätzung von Konflikten und ihrer damit zusammenhängenden therapeutischen Interventionen. Das gilt vor allem im Falle von drohendem selbst- und fremdschädigendem Verhalten. Green (2012) hat herausgestellt, dass wegen der Spaltungsmechanismen bei schweren Persönlichkeitsstörungen und der schnellen Wechsel von einer dominanten Übertragungssituation zur nächsten die Patienten vermeiden, in die Tiefe eines bestimmten Erlebnisses zu gehen. Deshalb seien schnelle Interventionen notwendig, die zwei Aspekte berücksichtigen: Einerseits muss der schnelle Wechsel von Übertragungsdispositionen adressiert und andererseits das vermeidende Verhalten des Patienten, in die Tiefe zu gehen, fokussiert werden.

Die TFP-Weiterbildung beinhaltet auch, dass erlernt wird, „Ungeduld“ auszuhalten. Das steht nur scheinbar im Widerspruch zur oben erwähnten höheren Deutungsgeschwindigkeit: In der Stunde soll die Zeit möglichst intensiv genutzt werden, während Geduld für das Durcharbeiten der tiefsitzenden Probleme im Langzeitverlauf gefordert ist.

Kernberg geht davon aus, dass in der psychoanalytischen Community eine Angst existiert, die Patienten mit ihrer negativen Übertragung zu konfrontieren. Auch in der Aus- und Weiterbildung der werdenden Analytiker kann diese Angst vor der negativen Übertragung beobachtet werden. In der TFP wurde dagegen die Erfahrung gemacht, dass die Deutung der negativen Übertragung für die Patienten sogar erleichternd sein und dazu führen kann, sich mit den Problemen der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das vermindert in der Regel auch die Angst vor der negativen Übertragung.

Die Nutzung der Gegenübertragung in Aus- und Weiterbildung für die Standardanalyse und die TFP

Hierbei erscheinen die psychoanalytische Weiterbildung im Allgemeinen und die Selbsterfahrung in einer persönlichen Analyse im Besonderen als wichtigste Voraussetzung für optimales TFP-Training. Die Intensität der Gegenübertragungsreaktionen, verursacht durch regressive Übertragungen bei schweren Persönlichkeitsstörungen, ist von zentraler Bedeutung in der TFP-Weiterbildung. Die Herausforderung, bestimmte Aspekte der Gegenübertragung zu entwirren, wird wesentlich durch die erlebte eigene Analyse des Therapeuten unterstützt. Das betrifft zum Beispiel die Aktivierung eigener innerer Konflikte, die zwar patientenseitig evoziert sein können, die aber dennoch nicht leichtfertig und ausschließlich den inneren Konflikten des Patienten zugeordnet werden dürfen. Therapeuten ohne eigene psychoanalytische Selbsterfahrung sind ernsthaft ihrem Gegenübertragungsagieren und dem korrespondierenden Verlust der technischen Neutralität ausgeliefert. Es ist genau diese Intensität und Primitivität der Übertragungsregression der Patientenmit niedrigem Strukturniveau, die dem Therapeuten den direkten Kontakt mit primitiven, aggressiven, sadomasochistischen und selbstdestruktiven Impulsen ermöglicht und damit sein psychoanalytisches Verständnis vertieft. So gesehen ist die Nutzung der Gegenübertragung sowohl in der Ausbildung für die Standardanalyse als auch für die TFP-Ausbildung identisch. In dieser Hinsicht stimmt die TFP mit dem zeitgenössischen Ansatz der kleinianischen und der französischen Schule sowie dem ichpsychologischen Denkansatz überein.

Das Erlernen der technischen Neutralität in der Aus- und Weiterbildung

Das Verinnerlichen der technischen Neutralität in der Ausbildung ist ein wesentlicher Teil zum Erwerb einer psychoanalytischen Haltung. Es hilft den Auszubildenden, die Patienten mit deren eigenen Erlebnis- und Verhaltensweisen zu konfrontieren, ohne vorwurfsvoll oder verwöhnend zu werden. Das neu zu Verstehende ist nun, dass – wie gesagt – an manchen Stellen diese technische Neutralität in der TFP relativiert werden muss, um den Fortgang der Therapie zu gewährleisten. Das betrifft vor allem patientenseitige Regelbrüche und Missachtung von Verabredungen, die den Rahmen der Behandlung sichern sollen. Solche Rahmenverletzungen finden bei neurotischen viel seltener als bei strukturell schwer gestörten Patienten statt.

Die Tatsache, dass die technische Neutralität wiederhergestellt wird, nachdem das Problem, das zum Verlassen der technischen Neutralität geführt hat, gelöst ist, schützt die Therapie vor dem Wechsel in einen supportiven Therapiemodus. Hierbei taucht die Frage auf, inwieweit die Gefahr besteht, dass das Wertesystem des Analytikers seinen Umgang mit der Lebenswirklichkeit des Patienten unangemessen beeinflusst. In diesem Zusammenhang nennt Kernberg drei grundlegende Lebensbereiche:

  • Arbeit und Beruf,

  • Liebe und Sexualität,

  • soziales Leben und Kreativität.

Es sei andererseits vernünftig zu erwarten, dass der Patient in diesen drei wesentlichen Lebensbereichen eine Form befriedigender Funktionstüchtigkeit erreichen kann. In diesem Zusammenhang ist es in erster Linie interessant, was für den Patienten vor dem Hintergrund seiner Bildung, seiner sozialen Umgebung, seines Leistungsvermögens sowie seiner gesamten Lebenssituation erreichbar wäre, wenn er nicht in seiner psychischen Erkrankung gefangen wäre. Bei der Erforschung dieser Thematik mit dem Patienten sei es oftmals unvermeidbar, dass sich der Therapeut notgedrungen auch von seinem eigenen Wertesystem leiten ließe. Darauf hatte schon Sigmund Freud (1918) in seinen technischen Schriften hingewiesenFootnote 3.

Abschließender Gedanke

Der viel zu früh verstorbene Gerhard Dammann traf in der Würdigung des Lebenswerks von Otto F. Kernberg für die Zeit dessen Präsidentschaft der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV; 1997–2001) folgende Feststellung:

„In dieser Zeit versuchte Kernberg, die IPV für die Forschung zu öffnen, formulierte seine psychoanalytische Behandlungstechnik in der übertragungsfokussierten Psychotherapie als – horribile dictu – Manual um und kritisierte pointiert und mit dem ihm eigenen Schalk in zwei weithin gelesenen Aufsätzen (im International Journal of Psychoanalysis) „Thirty methods to destroy the creativity of psychoanalytic candidates“ und „A concerned critique of psychoanalytic education“ (Kernberg 1996, 2000) die Aspekte von Sterilität, Abhängigkeit und Autoritarismus in der psychoanalytischen Institutsausbildung.“ (Dammann 2019, S. 247)

In diesem Sinne verstehen wir unseren Artikel auch als Plädoyer für die Integration analytischer Psychotherapie in die psychoanalytische Aus- und Weiterbildung und deren Belebung. Die psychoanalytischen Fachgesellschaften sollten die Aus- und Weiterbildung in analytischer Psychotherapie nicht nur dulden, sondern sie vielmehr als eigene Methoden lehren und vertreten. Dies sollte nicht nur unter dem Aspekt neuer gesetzlicher Anforderungen geschehen, sondern auch deswegen, weil mittlerweile in den psychoanalytischen Institutsambulanzen immer öfter strukturelle Störungen diagnostiziert werden und viel häufiger als früher die Indikation für eine modifizierte analytische Psychotherapie gestellt wird. Dass das nicht die Ausbildung im Standardverfahren beeinträchtigen muss, sondern als Kompetenzerweiterung gesehen werden kann, hat Kernberg plausibel klarmachen können.