Zusammenfassung
Freud war mit dem aufklärerischen Anspruch angetreten, dem Menschen das Unbewusste verfügbar zu machen und ihm aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant) herauszuhelfen. Seine frühe Fallgeschichte der „Katharina“ illustriert diesen anfänglichen Fortschrittsglauben. Aber Freuds nachfolgende therapeutische Erfahrungen nahmen ihm zunehmend die Selbstgewissheit des optimistischen Aufklärers. Die ängstigenden Erfahrungen, welche die Analytiker der ersten Generation mit entfesselten Übertragungen machen mussten, lassen sich im Rückblick so verstehen, dass der Versuch, das Unbewusste unter die Kontrolle der Vernunft zu bringen, das Irrationale dieses Unbewussten erst recht zum Vorschein bringt. Auch darin erscheint eine Dialektik der Aufklärung. Wir lernen aus der Geschichte, dass die Analytiker immer wieder versuchten, beunruhigende Erfahrungen durch Begriffe (wie „Übertragung“) einzuhegen, aber es waren immer neue Generationen von Patienten, die ihre Analytiker aufforderten, ihnen jetzt zuzuhören und endlich zu verstehen, was sie ihnen zu sagen haben. Es bleibt die Frage, wann wir verstanden haben werden, was uns unsere Patienten heute zu sagen haben.
Abstract
Freud started out with the claim of the Enlightenment to make the unconscious available to man and to help him out of his “self-imposed nonage” (Kant). His early case history of “Katharina” still illustrates this belief that progress is possible, but Freudʼs subsequent therapeutic experiences robbed him of the self-assurance of the optimistic Enlightenment philosopher. The frightening experiences that the first generation analysts around Freud had to make with unleashed transferences, can be understood in retrospect in such a way that the attempt to bring the unconscious under the control of reason revealed the irrationality of this unconscious all the more. Even in this, a dialectic of enlightenment appears. We learn from history that analysts tried again and again to contain the disturbing experiences through concepts (such as “transference”) but it was always the new generations of patients who now demanded that the analysts listen to them and finally understand what they had to tell them. The question remains, when will we have understood what our patients have to tell us today.
Notes
Freud hatte zunächst angenommen, es könne prinzipiell gelingen, wirklich ganz frei zu assoziieren. Er hatte in seiner Jugend die damals recht bekannte Schrift von Börne (1911 [1823]) „Die Kunst, in drei Tagen ein Originalschriftsteller zu werden“ gelesen und war angeregt von dessen Vorschlag: Man müsse nur ohne Falsch und Heuchelei alles niederschreiben, was einem durch den Kopf gehe. Die Blockaden, die den Zugang zu den Assoziationen verhindern, wurden dann später der Gegenstand der Psychoanalyse.
In einem „Zusatz“ aus dem Jahre 1924 enthüllte Freud (1895d, S. 195) dann, dass es nicht der Onkel gewesen war, der mit der Franziska koitierte, sondern der eigene Vater. Und war der es auch gewesen, der die damals Vierzehnjährige bedrängte?
Unabhängig vom grammatikalischen Geschlecht sind hier und im Weiteren immer alle Geschlechter gemeint.
Und manche Analytiker haben sich nur allzu gern von diesen Klauen packen lassen (Krutzenbichler und Essers 2010).
Der Bezug zu einer der großen technischen Erfindungen des 19. Jahrhunderts, dem Telefon, wurde von Freud selbst hergestellt: Der Analytiker möge „dem gebenden Unbewußten des Kranken sein eigenes Unbewußtes als empfangendes Organ zuwenden, sich auf den Analysierten einstellen wie der Receiver des Telephons zum Teller eingestellt ist“, so eine der behandlungstechnischen Regeln von Freud (1912e, S. 381).
Es waren Paula Heimann, Alice Balint, Helene Deutsch, Therese Benedek, Margret Little, Annie Reich und Clara Thompson.
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Körner, J., Rugenstein, K. Psychoanalytische Aufklärung heute. Forum Psychoanal 39, 57–66 (2023). https://doi.org/10.1007/s00451-022-00491-8
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