Emotionstheorien und Emotionsforschung

Teile des Textes gehen auf stark überarbeitete Passagen der Bücher Psychotherapie der Emotionen (Plassmann 2019) und Das gefühlte Selbst (Plassmann 2021) zurück; mit freundlicher Genehmigung des Psychosozial Verlags Gießen.

Freud ging anfänglich, also Ende des 19. Jahrhunderts, davon aus, dass seine Patientinnen (es waren überwiegend Frauen) „unverträgliche Vorstellungen“ (Freud 1894) hatten, die sie verdrängen konnten, indem sie die mit den Vorstellungen verbundene Erregung abtrennten und auf irgendeinem Wege abzubauen versuchten. Die Erregung, also der Affekt, wurde vom frühen Freud als etwas Abzuführendes, zu Eliminierendes, gesehen.

Diese Vorstellung, dass Emotionen etwas nach „Abfuhr“ Verlangendes seien, wie der Überdruck in einem Dampfkessel, zieht sich durch alle frühen Emotionstheorien. Emotionen galten nicht als etwas von eigener Art und eigenem Wert, sondern als etwas Sekundäres, eine Begleiterscheinung.

In seinem ersten Entwurf einer Affekttheorie bestimmt Freud (12,13,a, b), dass Triebe das Ursprüngliche und Energievolle seien, die Affekte seien etwas Sekundäres, Abkömmlinge hiervon. Nachdem Freud (1923) dann seine Strukturtheorie von Es, Ich und Über-Ich ausgearbeitet hatte, sah er in seiner zweiten Affekttheorie Affekte nicht mehr nur als Triebabkömmlinge, sondern auch als Signale, mit denen das Ich auf eine unverträgliche Vorstellung, also auf eine psychische Gefahr, hinweise.

Diese Sichtweise hätte viel bewirken können, weil darin zum ersten Mal Affekte als etwas Sinnvolles verstanden wurden, ein Beitrag des Ich zu Wahrnehmung und Verarbeitung. Freud ist diesem Ansatz aber nicht weiter gefolgt, sodass die zweite Affekttheorie von der Signalfunktion ihr volles Entwicklungspotenzial nicht entfaltet hat. Freuds Schüler und Nachfolger sind aber gleichwohl und sicherlich unter dem Eindruck ihrer Behandlungserfahrungen aktiv geblieben, die frühen Affekttheorien weiterzuentwickeln (Döll-Hentschker 2008).

Brierley (1951) beschrieb, dass aus den emotionalen Erfahrungen des Kleinkinds die Kerne der kindlichen Persönlichkeit entstünden. In dieser Sichtweise werden Emotionen als etwas Eigenständiges, als etwas Notwendiges und Wichtiges erkannt, was deshalb nicht „abgeführt“ werden muss, sondern zu seelischem Wachstum gebraucht wird. Diese Sicht setzt sich in der Arbeit von Schmale (1964) fort: Er sieht AffekteFootnote 2 als Ausdruck der Fähigkeit des Organismus, wahrzunehmen, abzubilden, was sich seelisch ereignet – und zwar lange, bevor dem Kind Sprache zur Verfügung steht. Hier taucht erstmals die Idee auf, dass Emotionen so etwas wie ein psychisches Wahrnehmungsorgan seien, etwas Eigenständiges, Notwendiges und Unverzichtbares, von eigenem Charakter und von eigener Intelligenz. Es wurde immer deutlicher, warum der Mensch nicht nur Emotionen hat, sondern sie auch braucht. Basch (1976) vertrat die Auffassung, Affekte seien eine Kommunikationsform, die als Basis für die Entwicklung aller höheren sprachlichen Kommunikation gebraucht werde, und sah Affekte erstmals als Kraft, als Energieform, als Motor von psychischer Entwicklung und von Beziehung. Der Embodiment-Ansatz greift die Erkenntnis auf, dass Emotionen, anders als früher angenommen wurde, sehr wohl unbewusst sein können – und zwar dann, wenn sie aus frühen vorsprachlichen Erfahrungen stammen, die nie bewusst gewesen sind, sondern dem sogenannten impliziten, primär unbewussten Bereich angehören (Leuzinger-Bohleber und Pfeifer 1998). Bions Modell der Emotionen ist sehr differenziert und nimmt viele Ergebnisse moderner Emotionsforschung vorweg (Wiedemann 2007). In seinem Modell nennt er die noch unverdaulichen, unregulierbaren Emotionen Beta-Emotionen, aus denen, wenn es gut geht, durch die Alpha-Funktion Alpha-Emotionen werden; diese sind handhabbar, verknüpfbar, regulierbar, benennbar, und jeder Mensch braucht sie zum Gesundsein. Fühlen, Denken und Bewusstsein sind nach seiner Auffassung Bestandteile des Transformationsprozesses, in dem sich Primitives, Unverbundenes, zu kohärenten Inhalten des Psychischen weiterentwickeln kann (Bion 1990 [1962b], S. 104, zit. n. Haas 1997). Diese Vorstellungen finden sich später in den Ergebnissen der modernen Emotionsforschung wieder, insbesondere im Mentalisierungsmodell von Fonagy et al. (2006; Übersichtsarbeit von Schore 2009).

Was als moderne Emotionsforschung zusammengefasst werden kann, sind interdisziplinäre Ergebnisse, von denen ein starker modelltheoretischer und klinischer Entwicklungsschub ausgegangen ist. Die Psychoanalyse hat hieran großen Anteil. Das Wesen der Emotionen und ihre Funktion für das Wachstum des Selbst wurden neu konzipiert. Die stärksten Impulse für die moderne Emotionsforschung sind von der Säuglingsforschung (Stern 2016), der Mentalisierungsforschung (Fonagy et al. 2006), der Gehirnforschung (Damasio 2011), von der Bindungsforschung (Bowlby 1975) und klinisch von der Traumatherapie (Plassmann 2016b, 2019, 2021) ausgegangen.

Emotionen, so lassen sich die Befunde zusammenfassen, werden als jene Kräfte, von denen das seelische Geschehen bewegt und organisiert wird, verstanden; von der Regulierbarkeit der Emotionen hängt ab, ob Gesundheit oder Krankheit entstehen. Auch der Entstehung des Selbst liegen emotionale Prozesse zugrunde (Plassmann 2021).

Die frühesten wahrnehmbaren Formen von Gefühlen, die ursprünglichen Gefühle (Edelman 2007), sind hintergründig, aber allpräsent. Sie bilden grundlegende Zustände und Verfassungen des Organismus ab: positive Gefühle von Wohlbefinden, Lust oder negative Gefühle von unorganisierten, unharmonischen Zuständen, Vorboten von Krankheit und Systemversagen (Damasio 2011, S. 67). Ursprüngliche Gefühle bilden nur den Binnenbereich des Organismus ab, also die Interozeption und sie bilden auch den basalen Kern eines Selbstgefühls, das Protoselbst. Die scheinbar banale Frage an einen Mitmenschen oder einen Patienten, eine Patientin: Wie geht es Ihnen? ist alles andere als banal. Sie richtet sich genau darauf, wie sich das Selbst an seiner Basis fühlt. Wenn die Frage nicht als Formel verstanden wird, dann wird sie einen Moment des Innehaltens und In-sich-Hineinspürens nach sich ziehen, bevor sie beantwortet wird.

Auf der nächsthöheren Systemebene der Sinnesorgane wird nicht nur der Binnenbereich des Organismus, sondern auch die Interaktion zwischen Organismus und Umwelt abgebildet und auch emotional bewertet. Dabei entstehen völlig andere Repräsentanzen als auf der Ebene des Protoselbst, und es entsteht auch ein neuer Typ von Emotionen, die eigentlichen Emotionen oder Kernemotionen, manchmal als sekundäre Emotionen bezeichnet (Damasio 2011). Die Kernemotionen sind gefühlte Emotionen und, indem sie fühlbar werden, werden sie auch bewusst. Sie entstehen in einem Prozess, den man als Resonanz mit dem Körper beschreiben kann. Während irgendetwas erlebt wird, irgendetwas geschieht, irgendetwas mit den Sinnen wahrgenommen wird, fungiert der Körper als Resonanzorgan und wirkt entscheidend daran mit, dieses Geschehen emotional zu bewerten, in Gestalt einer Empfindung fühlbar zu machen und in das Kernselbst zu integrieren. Die dem Kernselbst zugehörigen Empfindungen, manchmal hintergründig unbewusst oder vorbewusst, aber potenziell bewusstseinsfähig, werden dann wieder zum Motor weiteren Handelns, sodass ein ständiger, nie endender Strom von emotional bewerteten und dadurch kategorisierten und geordneten Repräsentanzen äußerer Ereignisse entsteht, verknüpft mit dem Echo im Körper (Damasio 2011).

Auch in der Systemebene des symbolischen, expliziten Selbst entstehen spezifische neue Formen von Emotionen. Die schon sehr vielfältigen kategorialen Emotionen des Kernbereichs, also Angst, Wut, Trauer, Glück, Abscheu, Überraschung, differenzieren sich im symbolischen Bereich sehr stark, weil auch die Gegenstände des Erlebens sehr viel komplexer und differenzierter werden. So wie sich die Zahl möglicher Worte, möglicher Sätze, möglicher komplexer sozialer Bezogenheiten vermehrt, so entstehen differenziertere Formen von Emotionen durch Kombinationen von kategorialen Kernemotionen. Die Emotionen verhalten sich wie eine Sprache, die aus Wörtern Sätze bildet. So entsteht aus einfacheren Emotionen wie zum Beispiel Trauer, Schmerz, Sehnsucht vielleicht ein Gefühl der Wehmut als Verbindung der Einzelempfindungen. Insbesondere die sozialen Emotionen nehmen im symbolischen Bereich stark zu: Mitgefühl, Peinlichkeit, Scham, Schuldgefühle, Verachtung, Neid, Eifersucht, Stolz, Bewunderung, Großzügigkeit und Kombinationen aus alledem (Damasio 2011, S. 138). Immer gilt, dass diese höher differenzierten Emotionen in jedem Moment ihrer Entstehung in Verbindung mit den Repräsentanzen und Emotionen des Kernselbst und des Protoselbst sind und diese Verbindung auch brauchen. Das Ganzheitliche, das Herstellen von Verbindungen zwischen den Elementen des seelischen Gefüges und das Herstellen von Verbindungen zu den äußeren Objekten, zählt, um mit Freud zu sprechen, zum Wesen der Lebenstriebe.

Alle Vorgänge im Selbst, das Wachstum neuer Schichten, die Entwicklung und Organisation der einzelnen Schichten, die Verknüpfung der einzelnen Schichten miteinander und die Bildung neuer Formen von psychischen Objekten aus der Integration der Schichten des Selbst werden wiederum sämtlich emotional wahrgenommen und geordnet, mit einer eigenen Klasse von Emotionen, für die ich die Bezeichnung Selbst-Emotionen vorschlage (Plassmann 2021). Sie haben enorme Bedeutung für die Organisation und das Wachstum des Selbst; sie sind gleichsam das Wahrnehmungsorgan, das Auge und Ohr für den Kern der Person. Selbst-Emotionen ermöglichen, steuern und kommunizieren den Selbstprozess. Ein bedeutsamer Moment in der Stunde kann deshalb darauf befragt werden, inwiefern sich in diesem Moment ein kategorialer Affekt von Angst, Wut, Trauer et cetera mitteilt oder eine Wahrnehmung, die das eigene Selbst betrifft, eine Selbst-Emotion.

Die Unterscheidung zwischen Inhalt und Prozess

Gerade die Erfahrungen in Traumatherapien haben klargemacht, dass Traumafolgestörungen durch eine unverarbeitbare Menge desintegrierter negativer Emotionen entstehen. In der Behandlung, in der einzelnen Therapiestunde, ist deshalb sorgfältigste Beachtung der emotionalen Regulationsvorgänge notwendig, damit in der Stunde jene Vorgänge der Emotionsverarbeitung, der Transformation, an denen der Patient, die Patientin, gescheitert ist und krank wurde, wieder in Gang kommen. Ohne Beachten der emotionalen Regulationsprozesse würden unweigerlich erneut Momente traumatischer emotionaler Überflutung entstehen. Unter anderem diese klinischen Erfahrungen haben den Blick auch für die Bedeutung der Emotionen in der Entstehung von psychosomatischen Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen geschärft.

Sorgfältiges Beachten der Transformationsprozesse und die daraus abgeleitete Behandlungstechnik haben sich deshalb nicht nur aus einem Bedürfnis nach weiterer Differenzierung der analytischen Arbeit entwickelt, sondern aus klinischer Notwendigkeit.

Der Begriff Transformationsprozess (Plassmann 2016b) fasst also alle Vorgänge zusammen, die der Organisation, Regulation, Integration, Verarbeitung seelischer Inhalte dienen. Inhalte wären all das, was der Verarbeitung bedarf, also die gesamte innere Welt der Repräsentanzen und der damit verknüpften Emotionen. Zwischen Inhalt und Prozess kann infolgedessen logisch, systematisch und behandlungstechnisch unterschieden werden; der Inhalt ist der Bereich des Was, der Prozess ist der Bereich des Wie. Störungen der Transformationsprozesse werden Störungen in der Organisation des Selbst zur Folge haben, aus denen sich wiederum Krankheiten entwickeln können. Die Analysestunde ist dann der Ort, in dem der Transformationsprozess eine zweite Chance bekommt. Wie der Transformationsprozess dann das Seelische neu organisiert, beeinflussen wir jedoch nicht. Wir können nur günstige Bedingungen für Wachstum schaffen. Was dann an seelischen Strukturen wachsen wird, können wir weder wissen noch steuern.

Emotionale Resonanz und die Dynamik des Gegenwartsmoments

Wenn also Emotionen Organisatoren des seelischen Wachstums sind und dabei auch selbst der Regulation und Organisation bedürfen, wie kommen Sie in die Stunde, wie arbeiten wir mit ihnen?

Die eigene emotionale Resonanz, mit der ein Therapeut, eine Therapeutin aufnimmt, welche emotionalen Themen in der Therapiestunde aktiv und präsent sind, wird hier zum grundlegenden Instrument von Wahrnehmen und Erkennen. Am Beginn einer therapeutischen Sequenz in der Stunde steht also nicht der distanziert beobachtende Verstand, sondern die Affektresonanz. Der Therapeut, die Therapeutin nimmt während der Stunde unter Nutzung der eigenen emotionalen Systeme kontinuierlich die bewussten und unbewussten in der Stunde aktiven emotionalen Themen wahr. Resonanz für in der Stunde präsente emotionale Themen herzustellen, ist in dieser Arbeitsweise der Ausgangspunkt. Affektresonanz ist dabei ein natürliches Geschehen, was in der Psychotherapie lediglich methodisch systematisiert wird. Alle sichere Bindung, die der Mensch in der Kindheit für seelisches Wachstum benötigt, beruht auf emotionaler Resonanz der wichtigen Bindungspersonen.

Fundamental ist dabei die Erkenntnis, dass emotionale Resonanz zwischen Kind und Eltern, ebenso zwischen Patientin und Therapeut, ein Geschehen ist, was in kleinen, kurzen Sequenzen emotionaler Verbindung stattfindet. Ein im Moment der Stunde aktives emotionales Thema, sei es bewusst oder unbewusst, erzeugt nicht nur im Patienten, der Patientin, selbst ein Gefühl, verbunden mit körperlichen Reaktionen, Gedanken und Impulsen, sondern erzeugt zwischen Patient und Therapeutin Momente geteilter emotionaler Wahrnehmung. Für solche Momente hat Stern (2005) die Bezeichnung Gegenwartsmoment vorgeschlagen. Das Gewebe der Gegenwartsmomente ist wie eine Kunstform, jede Therapiestunde gleichsam ein Spontankunstwerk aus den Gestaltungen, die der Patient, die Patientin seinen, ihren bewussten und unbewussten emotionalen Themen gibt und aus der Resonanz des Therapeuten, der Therapeutin, an die sie adressiert sind. Gegenwartsmomente können deshalb auch als spontane Heilungsaktivitäten verstanden werden, geschaffen, um Resonanz auszulösen, damit Transformationsprozesse, seelisches Wachstum, möglich werden. Indem wir solche Momente und ihre Gestalt erkennen, auf sie reagieren und sie mit geeigneten Deutungsformen benennen, können wir uns und dem Patienten, der Patientin die Gegenwartsmomente bewusst machen. Durch dieses Reflektieren und Spiegeln der Resonanzprozesse wird spürbar und benannt, dass die emotionalen Themen in der Stunde und beim Therapeuten, der Therapeutin angekommen sind und die Arbeit mit ihnen weitergehen kann.

Der erste Schritt muss nun die Frage sein, wie unbewusste Emotionen in den Fluss der Stunde eingewoben sind und Gegenwartsmomente erzeugen. Gerade in der Resonanz auf solche Phänomene liegt die besondere Kompetenz der Psychoanalyse. Sie hört resonant auf das emotionale Unbewusste.

Das Phänomen der Markierungen ist praktisch in jeder Therapiestunde zu beobachten, weil sie zum Grundrepertoire emotionaler Kommunikation gehören. Der Begriff der Markierung wurde von der Mentalisierungsforschung eingeführt (Fonagy et al. 2006) und bezeichnete ursprünglich ein Verhalten von Müttern ihren kleinen Kindern gegenüber. Im Kontakt mit ihren Kindern übertreiben erwachsene Personen bei der Darstellung eines bestimmten Gefühlszustandes gewollt ein wenig. Angenommen, ein zweijähriges Kind ist über einen Stein gestolpert, gefallen und weint nun. Die Mutter: „Oh je, oh je, der böse, böse Stein war dir im Weg, wie gemein! Zeig mir doch mal, wo das Aua genau ist.“ Ein solcher Satz enthält die Spiegelung der emotionalen Situation des Kindes und noch mehr: Die stimmliche und gestische Übertreibung zeigt dem Kind an, dass die Mutter die Affekte des Kindes, seinen Zorn, seine Kränkung, nicht fürchtet, sondern kennt; sie kann mitfühlen, benennen, regulieren und trösten. Natürlich ist auch das Gegenteil möglich, wenn die Mutter weder den eigenen Affekt noch den des Kindes erträgt und infolgedessen das Kind ausschimpft, straft oder abweist.

Der Begriff der Markierung eignet sich gut, um zu bezeichnen, wie in der Sprache des Patienten bestimmte bedeutungsvolle Begriffe markiert, also leicht hervorgehoben werden, durch diskrete Veränderungen in Stimmfarbe, Lautstärke, Betonung und kleine Besonderheiten der Körpersprache, also Gestik und Mimik. Die Markierungen sind dann Aufforderung an den Therapeuten, bestimmte von den markierten Worten berührte emotionale Themen zu bemerken und bei der Verarbeitung mitzuwirken.

Eine weitere in jeder Stunde zu beobachtende Ausdrucksform unbewusster Emotionen sind die von Stern beschriebenen Vitalitätsaffekte, an anderer Stelle nennt er sie auch Gefühlskonturen oder Flugbahnen der Emotionen (Jaffe und Feldstein 1970; Stern 2005; Leikert 2016; Knoblauch 2000). Ein Affekt, der durch die Stunde geht, hat eine zeitliche Kontur, vergleichbar einem Ton, einer Welle oder einer Melodie. Die Zeitkonturen in Erscheinen, Ansteigen und Abklingen eines Affektes sind so variantenreich wie das Leben selbst. Vitalitätsaffekte gehören untrennbar zur emotionalen Botschaft hinzu, die uns ein Patient gibt. Sie sagen uns unter anderem, wie dieser Affekt in das psychische Gewebe des Patienten und der Stunde eingefügt ist: integriert, gleichsam wie ein Helfer, oder einbrechend, überwältigend wie ein Angreifer. Vitalitätsaffekte sind deshalb auch Erzählung. Die Art und Weise, wie der Affekt durch die Stunde geht, wiederholt vielleicht den Ablauf einer traumatischen Situation, in der sich dieses emotionale Material erstmals gebildet hat und niemals auflösen konnte.

Auf die Sukzession der Einfälle haben Morgenthaler (1989) und in jüngerer Zeit Bollas (2011) hingewiesen. Was Patienten in die Stunde bringen, hat bei erster Betrachtung meist nicht den Charakter von spontanen Einfällen, sondern den Charakter von kohärenten Erzählungen, die von bestimmten Ereignissen berichten oder eine Sachfrage betreffen. Das Geordnete der Erzählungen und der Bezug auf äußere Ereignisse könnten nun Patienten und Therapeuten veranlassen, die Erzählungen als Berichte über Faktisches und Bewusstes zu betrachten. Jede Geschichte, die in die Therapiestunde kommt, womit auch immer sie sich beschäftigt, ist aber auch eine Darstellungsform unbewusster, impliziter Emotionen, und die Reihenfolge der einzelnen Erzählungen in der Stunde hat Bedeutung, nicht anders als die einzelnen Szenen eines Traums oder die Kapitel eines Romans. Die Zahl erzählbarer Geschichten ist praktisch unendlich groß, und was zum Erzählen ausgewählt wird, unterliegt unbewusster Determinierung. Auch bei einer vor oder zu Beginn der Stunde bewusst geplanten Anfangsthematik wird die Abfolge der Erzählungen in der Stunde dann intuitiv, assoziativ geschehen, weitere Aspekte des emotionalen Themas werden sich hinzufügen und in ihrer Abfolge das noch unbewusste Thema darstellen und berichten.

Das Erzählen eines Traumes ist nicht nur ein Bericht über etwas, was sich bereits ereignet hat, sondern die Erzählung selbst ist ebenfalls ein Ereignis. Die Traumerzählung enthält unmittelbar wahrnehmbare emotionale Themen; sie müssen nicht rekonstruiert werden, sondern sind präsent. Das beginnt schon mit der Ankündigung eines Patienten, von einem Traum sprechen zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt ist der Traum noch nicht erzählt, sein emotionaler Gehalt aber schon in Gestalt der Erzählstimmung spürbar. Allein schon diese klinische Beobachtung verdeutlicht, dass es keinen wesentlichen Unterschied macht, ob die Erzählung eines Ereignisses aus der Gegenwart, einer Episode der Vergangenheit oder die Erzählung eines Traumes angekündigt wird. Der emotionale Gehalt all dieser Erzählformen macht sich bereits bei der Ankündigung in der Erzählstimmung bemerkbar und wird Resonanz auslösen.

Schon bei der Antizipation einer Traumerzählung können auch die Traumstimmung und die Aufwachstimmung überprüft werden. Eine Traumstimmung voll Panik, Entsetzen, Grauen, Ohnmacht von extremer Stärke in einem Albtraum kann sich auch in die Aufwachstimmung und bis in die Erzählstimmung hinein fortsetzen und entsprechende Sorgfalt im Umgang mit diesen traumatisch starken emotionalen Energien nötig machen.

Jeder Traum ist allerdings auch ein kreativer Akt, in dem Bilder und Narrative geschaffen werden, für etwas, was innerlich beschäftigt (Moser 2008). Dieser kreative Aspekt wird leicht übersehen, auch vom Träumer selbst. Die Bilder können sehr negativ wirken, Negatives erzählen, und dennoch schwingt dann in der Erzählstimmung ein feiner Stolz mit, diesem Negativen erzählbare Bilder geben zu können, verbunden mit Mut und Fähigkeit zur Mitteilung. Auch diese positiven Elemente der Erzählstimmung lösen Resonanz aus und wollen bemerkt werden.

Auch der Bereich des Leiblichen enthält Emotionales und schafft Gegenwartsmomente. Gerade körperlicher Missbrauch und körperliche Misshandlung schaffen traumatische Situationen, in denen das emotionale Geschehen die Verarbeitungsmöglichkeiten weit überschreitet und dabei schon in der traumatischen Situation direkt mit Körperlichem verknüpft ist. Bleiben diese Affekte unverarbeitet, unreguliert, dann bleibt der traumatische Komplex körperlich repräsentiert. Der Körper bekommt gleichsam als Notmaßnahme die Aufgabe der Affektregulation übertragen, was aber von den körperlichen Funktionssystemen nicht erfolgreich geleistet werden kann und im Körper zu schweren Störungen führt (Plassmann 2019). Der mentale Bereich ist aber durch diese Notsomatisierung nicht entlastet: Das eigene Gefühlsleben ist nicht völlig von den traumatisch starken Affekten befreit und bereinigt. Diese dringen vielmehr häufig mit all ihrer Wucht auch ins Fühlen und Denken ein und führen dort gerade wegen ihrer Heftigkeit wiederum zu weiteren Notmanövern der psychischen Abwehr. Dies hat auch Auswirkungen auf den Selbstprozess; er wird gestört. Die unverarbeiteten Affekte ebenso wie die von der traumatischen Situation betroffenen körperlichen Regionen und Funktionen können kein normaler integrierter Bestandteil des Körperselbst und des Gesamtselbst werden. Positiv betrachtet ist aber jede Beschäftigung mit diesen leiblichen Vorgängen – damit ist nicht die körperliche Berührung, sondern die gedankliche und verbale Thematisierung gemeint – eine Berührung des emotionalen Gehalts und damit ein Zugangsweg. Das psychosomatische Symptom, das Körperempfinden, wird zur Mitteilungsform unbewusster Emotionalität und erzeugt Gegenwartsmomente, mit denen gearbeitet werden kann.

Die lange Zeit geringe Aufmerksamkeit für Körperrepräsentanzen und Körperempfindungen in der Stunde lässt einige Autoren als Gegenbewegung das Körperliche als neue Via Regia zum Unbewussten auffassen, auf die sie sich stark fokussieren (Goetzmann 2022). Geht man jedoch davon aus, dass auch Leibliches ein basaler, notwendiger und natürlicher Bestandteil des Selbst ist, der wie alle Elemente des Selbst in der Stunde Raum bekommen und gehört werden möchte (Leikert 2022), dann wird das Leibliche zum integrierten Bestandteil der Stunde, so wie es auch integrierter Bestandteil des Selbst ist. Weder die Ausgrenzung noch die Überbetonung wären dem angemessen.

Was sich über Körperempfindungen in der Stunde mitteilt, sind nicht nur kategoriale Emotionen wie Angst, Wut, Ohnmacht, sondern auch Selbst-Emotionen, die den Zustand des Körperselbst, seine Kohärenz, seine Integriertheit wahrnehmen und kommunizieren. Der Kontakt zum Leiblichen kann deshalb auch im Körper repräsentierte Störungen und Schäden des Selbst fühlbar machen und sich in Gegenwartsmomenten mitteilen. Annäherung an einen solchen traumatischen emotionalen Kern eines Körpersymptoms kann mit heftigsten Erschütterungen ebenso wie mit lebhafter Progressivität, also mit Transformationsprozessen, verbunden sein (Volz-Boers 2022). Die Integration des Leiblichen als natürliche Kategorie seelischer Repräsentanz verlangt deshalb, in der Stunde die Grenzen der Regulations- und Verarbeitungsfähigkeit besonders sorgfältig zu beachten, damit progressive Verarbeitungsvorgänge möglich werden (Plassmann 2021).

Emotionale Themen, die sich auf einem dieser Wege mitteilen, werden regelmäßig auch einen mehr oder weniger großen Anteil von Übertragung enthalten, also eine überwiegend unbewusste Gleichsetzung bedeutungsvoller infantil verinnerlichter Objekte mit der Person des Analytikers, der Analytikerin. Der Übertragungsgehalt kann sowohl subtil eingewoben sein, kaum hörbar, oder bei voll entwickelter Übertragungsneurose dominant sein und laut. Auch Übertragung kann deshalb als Mitteilungsform verstanden werden, als spezifische seelische Leistung, mit der sich unbewusste, unverarbeitet und desintegriert gebliebene infantile emotionale Erfahrungen ausdrücken. Gegenübertragung wäre zu verstehen als ebenfalls spezifische resonante Antwort der Analytikerin, des Analytikers auf Übertragung. Übertragung und Gegenübertragung könnten so zu Begriffen für sehr spezifische intersubjektive Kommunikationsvorgänge für infantile traumatische Ereignisse werden, während der Begriff der Resonanz nach meinem Verständnis als zusammenfassender Oberbegriff für die ganze hier geschilderte Gruppe intersubjektiver Prozesse geeignet ist, auch dort, wo sie sich nicht der Übertragung bedienen.

Die emotionalen Regulationsprozesse

Wenn in der Stunde das Stattfinden eines Gegenwartsmoments wahrgenommen wird, dann gibt es zunächst noch kein genaueres inhaltliches Verständnis, was der Gegenwartsmoment enthält, und zunächst wird auch noch unklar sein, ob und wann der emotionale Gehalt des Gegenwartsmoments überhaupt einem inhaltlichen Verständnis zugänglich werden wird. Inwieweit eine solche Beschäftigung mit den Inhalten, ein Interpretieren, überhaupt möglich sein wird, hängt von der Regulierbarkeit des emotionalen Materials ab, von den Kernprozessen (Plassmann 2019). Sie wurden zunächst klinisch beobachtet, besonders deutlich in Traumatherapien, lassen sich mittlerweile aber gut modelltheoretisch konzeptualisieren (ausführlich: Plassmann 2021).

Der schon mehrfach erwähnte und klinisch wichtigste dieser Regulationsprozesse ist die Regulation der Emotionsstärke.

Von traumatisch starkem emotionalem Material kann eine solche Überflutungsgefahr ausgehen, dass dem Material dann eine Art Klebrigkeit, ein Sog eigen ist, der den Patienten, die Patientin, bei Berührung dieses Materials nicht mehr frei gibt, sondern festhält, blockiert oder sogar in das Material gleichsam hineinstürzen, also die denkende Distanz verlieren, lässt. Dies ist dann der Fall, wenn die Fähigkeit zur Regulation der Stärke dieses emotionalen Materials noch nicht vorhanden ist. Traumafolgestörungen mit Symptomen von Dissoziation, Depression, Albträumen, psychosomatischen Störungen können deshalb als dysfunktionaler Ersatz primär gescheiterter Emotionsregulation verstanden werden.

Die bipolare Emotionsregulation ist die Fähigkeit, sowohl zu emotional negativen und auch zu emotional positiven Bereichen des eigenen Selbst innerlich Kontakt zu halten und zwischen beiden emotionalen Polen in der Dynamik der Stunde eine Balance herzustellen. Störungen dieser Fähigkeit sind klinisch extrem häufig. Gerade bei depressiven Patienten ist der Verlust des Kontaktes zum inneren Bereich der positiven Emotionen, zum gesunden Selbst, ein geradezu typischer Bestandteil des Krankheitsgeschehens. Negative Selbstaspekte haben hingegen eine imperative Anziehungskraft; sie beherrschen zu Behandlungsbeginn das Selbstbild und das Geschehen in der Stunde. Es wird dann zur Aufgabe des Therapeuten, der Therapeutin sich diesem imperativen Sog ins Negative zu widersetzen, nicht mit dem Ziel der Verharmlosung oder Verleugnung des Negativen, sondern weil Transformationsprozesse den kontinuierlichen Kontakt zum gesunden Selbst brauchen.

Ein weiterer emotionaler Regulationsvorgang betrifft die Mentalisierung. Die genauere Untersuchung der Entstehung des Selbst und seiner Schichten hat verdeutlicht, dass emotionales Material die Integration in alle Schichten des Selbst braucht, also ins Leibliche, ins Sensorische und ins explizit Sprachliche (Stern 2016; Damasio 2011). Dieser Integrationsprozess kann Mentalisierung genannt werden (Fonagy et al. 2006). Er ist kein Abstraktum, sondern zeigt sich sehr klar in der Dynamik der Stunde, ebenso seine Störungen. Das Material kann im gesunden Fall in allen Schichten des Selbst repräsentiert sein, oder es kommt nur teilrepräsentiert, reduziert auf eine Schicht des Selbst in die Stunde; es kann beispielsweise nur leiblich-körperlich als psychosomatische Störung präsent sein, vom bewussten Fühlen und von der Sprache ausgeschlossen, insofern im Leiblichen wie eingekapselt (Leikert et al. 2022). Umgekehrt kann das Material reduziert auf sprachlich-intellektuelle Repräsentanz erscheinen, ausgeschlossen von den sinnlichen, emotionalen und leiblichen Schichten des Selbst. Der Mentalisierungsprozess kann dann zum Gegenstand von Deutungen auf Prozessebene werden; sie haben die Funktion, den desintegrierten Emotionen den Zugang zu den versperrten Schichten des Selbst zu erleichtern.

Ein vierter emotionaler Regulationsprozess betrifft die kommunikative Regulation. Insbesondere die Säuglingsforschung hat untersucht, dass auch kommunikative Regulation für die seelischen Wachstumsprozesse erforderlich ist. Dazu gehören die intuitiven Abstimmungsvorgänge von wechselseitigem Hören und Sprechen, die zwischen den Dialogpartnern abgestimmte Wendung der Aufmerksamkeit nach außen und nach innen, dies nicht nur beim Säugling in der Situation der frühen Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch in den intersubjektiven Regulationsprozessen der Analysestunde des Erwachsenen (Beebe und Lachmann 2004). In der Stunde kann beispielsweise der Dialog durch erdrückende Sprechaktivität eines Patienten, einer Patientin eventuell auch eines Therapeuten zum Monolog verarmen. Es ist wahrscheinlich der abgestimmte, koordinierte Perspektivenwechsel zwischen der eigenen Perspektive und der des Gegenübers, der für die intersubjektive emotionale Regulation und Integration notwendig ist (Stern 2016).

Konsequenzen für die Behandlungstechnik

Aus der systematischen Unterscheidung zwischen Inhalt und Prozess ergibt sich auch eine systematische Differenzierung in unserem therapeutischen Tun, insbesondere in Bezug auf unsere Deutungstechnik.

Deutungen können sich entweder interpretativ auf einen Inhalt richten und beispielsweise beschreiben, was der emotionale Gehalt eines Symptoms, einer Erzählung, eines Traums, eines Einfalls sein könnte, das wäre dann eine Inhaltsdeutung, oder darauf, wie es in einem bestimmten Moment der Stunde um die Fähigkeiten zu Regulation und Verarbeitung bestellt ist. Das wäre der Deutungstyp, den man sinnvollerweise Prozessdeutung nennen kann (Plassmann 2016, 2019).

Mit diesem Begriff der Prozessdeutung wurden ursprünglich nur die emotionalen Regulationsprozesse beschrieben, die gerade in der Traumatherapie für Stagnation oder Progression von entscheidender Bedeutung sind. Genauere Betrachtung zeigt nun, dass die Prozessdeutungen eher eine Gruppe oder vielleicht besser eine Kategorie bilden. Jede Deutung kann zur Prozessdeutung werden, wenn sie sich mehr auf Regulations- und Transformationsprozesse als auf deren Inhalte fokussiert. Auch eine klassische Deutungsform wie beispielsweise eine Übertragungsdeutung kann auf den Aspekt der Verarbeitbarkeit von emotionalem Material fokussiert sein, also auf die vorhandene oder begrenzte Fähigkeit, mit dem emotionalen Gehalt eines Übertragungsmusters umzugehen. Dennoch entwickeln und bewähren sich in der systematischen Arbeit mit Prozessen bestimmte charakteristische Deutungsformen und zugehörige Sprachformen, die Gruppe der Prozessdeutungen.

Die Gruppe der Prozessdeutungen

Die Gruppe der Prozessdeutungen lässt sich als drei Gegensatzpaare von Deutungsformen darstellen (ausführlich in Plassmann 2021).

Das erste dieser Begriffspaare ist die Prozessdeutung im engeren Sinne, die sich auf die emotionalen Regulationsprozesse richtet; der Gegenpol ist die Inhaltsdeutung.

Eine Prozessdeutung kann beispielsweise einen scharfen Spannungs- und Belastungsanstieg in einem bestimmten Moment der Stunde benennen oder aber Distanzverlust und Hineinstürzen in traumatisches Material oder bei Depressiven die völlig fehlende Wahrnehmung für tatsächlich vorhandene progressive Vorgänge im eigenen Selbst. Im Positiven kann eine Prozessdeutung benennen, wenn sich in der Begegnung mit ehemals unregulierbarem, traumatischem Material nunmehr eine Fähigkeit zu ruhiger Nachdenklichkeit gebildet hat, oder wenn Depressive beginnen, kleine Inseln der eigenen Vitalität in der Stunde zu erkennen und ihnen Raum zu geben. Auf diese emotionalen Regulationsprozesse zu fokussieren und sie zum Gegenstand von Prozessdeutungen zu machen, dient dabei dem Ziel, die Regulation des in die Stunde kommenden emotionalen Materials zu unterstützen. Dadurch können die Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Patientinnen und Patienten sich dieses emotionale Material auch inhaltlich erschließen und ins Gefüge ihres Selbst aufnehmen können. Inhaltsdeutungen hingegen haben das Ziel, den emotionalen Gehalt einer in die Stunde gekommenen Thematik zu verdeutlichen, zu fokussieren, zu interpretieren. Die Inhaltsdeutung detailliert, benennt, vertieft, sie intensiviert den Kontakt mit dem emotionalen Material und kann den Selbstprozess fördern, indem auf alle Elemente, alle Repräsentanzen, die zu einem bedeutsamen Ereignis gehören, geachtet wird, also Körperrepräsentanzen, Sinneseindrücke, Gedankliches. All diese Vorgänge sind aber nur im Rahmen der aktuellen Verarbeitungskapazität möglich. Wenn starker Widerstand gegen die Beschäftigung mit bestimmten Inhalten zu spüren ist, oder starke Abwehrvorgänge, die den Zugang zu den Inhalten versperren, dann muss das nicht als Störung verstanden werden, sondern eher als sinnvoller und notwendiger Selbstschutz.

Das zweite dieser Begriffspaare ist die resonante Deutung und ihr Gegenstück, die Beobachterdeutung (Plassmann 2021; Moser 2008). Resonante Deutungen beruhen auf den Wahrnehmungen des eigenen analytischen Subjekts des Therapeuten, der Therapeutin und verwenden deshalb auch sprachlich häufig die erste Person, die Deutung beginnt oft mit einem IchFootnote 3. Das private Selbst bleibt abstinent. Die resonante Deutung bestätigt nur das Stattfinden und die Wahrnehmung eines emotional bedeutsamen Moments und vielleicht des Wegs, den er in die Stunde genommen hat, noch nicht seiner Inhalte. Dadurch wird dem Patienten, der Patientin zunächst bestätigt, dass die emotionale Botschaft angekommen ist. Die Patientinnen und Patienten wissen sich gehört und damit begleitet.

Die Beobachterdeutung hingegen nimmt die Position eines unbeteiligten Beobachters ein, der sich zu Vorgängen im Patienten, in der Patientin, äußert; das Subjekt des Analytikers taucht in den Sätzen der Beobachterdeutung nicht auf. Die Beobachterdeutung stellt häufig durch Verwendung der sprachlich zweiten Person eine Beobachterposition her, sodass diese Deutungen meist mit einem Sie beginnen. Dieser Deutungstyp hat lange Zeit den Standard in der Psychoanalyse gebildet. Bedenkt man allerdings, dass Kommunikations- und Transformationsprozesse nach heutigem Verständnis intersubjektiv stattfinden, dann gibt es den unbeteiligten Beobachter in der Psychoanalyse nicht; er ist eine Fiktion, manchmal auch ein eigenes Bedürfnis, um sich aus der Turbulenz des dynamischen Geschehens zu distanzieren. Dennoch kann eine Beobachterdeutung dort angebracht sein, wo Faktisches thematisiert wird, nicht Subjektives: „Sie haben die Stelle, um die Sie sich beworben haben, also bekommen?“ Die Beobachterdeutung psychologisiert dieses Faktum zunächst nicht; die Beschäftigung mit einem subjektiven Bedeutungsteil wird sich gegebenenfalls anschließen.

Ein drittes Gegensatzpaar in der Gruppe der Prozessdeutungen sind die offene Deutung und ihr Gegenstück, die geschlossene Deutung. Die offene Deutung bedient sich der Sprachformen des Konstruierens, Entwerfens, Überlegens, verwendet also insbesondere Konjunktiv und Frageform und verwendet auch noch Unfertiges, Vorläufiges, immer mit dem Ziel, den denkenden Suchprozess offen zu halten. Die offene Deutung, der Begriff stammt von Ferro (2012), könnte deshalb auch als sokratische Deutung bezeichnet werden, weil sie, wie die sokratische Frage, kein gesichertes Wissen beansprucht, sondern den transformativen Fluss offen hält, den eigenen ebenso wie den des Patienten (Plassmann 2021).

Ihr logisches Gegenstück ist die geschlossene Deutung; sie verwendet die Sprachformen und Denkfiguren des Feststellens, Konstatierens, spricht also eher im Indikativ, verwendet mehr Substantive als Verben und Metaphern des Statischen, Fertigen. Sie ist immer dort angebracht, wo sich Verstehensvorgänge gebildet haben, die zumindest vorläufig auf einem Plateau angekommen sind und nun, zusammengefasst, auf den Punkt und aufs Wort gebracht werden können.

Die Akzeptanz des Nichtwissens und die Arbeit mit dem eigenen analytischen Subjekt bei der Verwendung resonanter und offener Deutungen schaden weder dem kreativen Voranschreiten der Stunde noch der Reputation des Analytikers, der Analytikerin, noch beeinträchtigt sie die nötige Abstinenz, eher im Gegenteil. Wir gehen im Erkunden des Unbekannten voran und behaupten nicht, dieses unbekannte Land der Inhalte und Bedeutungen und ihrer Geschichte schon zu kennen. Beide Deutungsformen, die resonante und die offene Deutung, begleiten und ermöglichen die transformativen Prozesse von Verstehen und Verarbeiten, die Beschäftigung mit den Regulationsprozessen wird jedoch stets der Beschäftigung mit den Inhalten vorausgehen. Prozessdeutungen stellen die Voraussetzungen für die Transformationsprozesse her, die das Ziel unserer Arbeit sind, sie bereiten ihnen den Weg.

Die ganze Gruppe der Prozessdeutungen, die sich aus der Notwendigkeit ergibt, Transformationsprozesse zu fördern, ersetzt deshalb nicht das bekannte psychoanalytische Deutungsrepertoire, wie beispielsweise Übertragungsdeutung, Abwehrdeutung, Widerstandsdeutung, sondern ergänzt es. Prozessdeutungen schaffen die Voraussetzungen für klassisches Arbeiten. In der Praxis werden sich die verschiedenen Deutungsformen vielfältig miteinander verbinden. Auch eine Widerstandsdeutung kann als resonante Deutung gegeben werden, wenn beispielsweise ein Zuviel an interpretativen Inhaltsdeutungen den Patienten spürbar überfordert hat und dies Spürbarwerden auch benannt wird. Sie kann aber auch in klassischer Weise als Beobachterdeutung gegeben werden und den Widerstand als etwas zu Überwindendes auffassen, und zwar dann, wenn das Überwinden möglich scheint, der Widerstand hingegen unzeitgemäß.

Wenn wir die emotionale Regulationsfähigkeit unserer Patientinnen und Patienten durch die Arbeit mit Prozessdeutungen fördern, dann sind stets auch die eigenen emotionalen Regulations- und Integrationsvorgänge aktiv. Durch Resonanz auf den Gegenwartsmoment und durch die Regulation von desintegriertem emotionalem Material im Analytiker, in der Analytikerin entsteht in der Stunde der Container, den die Transformationsprozesse brauchen. Anders ausgedrückt: Wir können mit emotionalem Material nur dort arbeiten, wo wir selbst über die nötige Regulationsfähigkeit verfügen.

Kasuistik

Das folgende Fallbeispiel kann illustrieren, wie unbewusste Emotionen in die Stunde kommen, wie ihr weiteres Schicksal in der Stunde ist, wann Stagnation oder Transformation entsteht, und wie mit Prozessdeutungen gearbeitet werden kann.

Herr M., 39 Jahre, ist, was bei ihm noch nie vorkam, eine halbe Stunde zu früh und ist vor mir in der Wartezone der Praxis, und ich sage zu Stundenbeginn beiläufig, dann hätte ihm wohl jemand die Tür geöffnet. Er daraufhin: Er sei mit einer Kollegin von mir zusammen hereingekommen, nein [lachend], er sei nicht eingebrochen.

Das Wort eingebrochen schien mir leicht hervorgehoben, markiert, wie wenn ihm eine besondere Bedeutung zukäme, die ich allerdings noch nicht kannte.

Am Stundenbeginn also ein markiertes Wort und eine spontan entstandene bedeutungsvolle Szene. War in dieser Szene möglicherweise ein Thema enthalten, vielleicht: äußerlich eine Grenze überschreiten, innerlich einbrechen?

Dann die erste Erzählung: Er habe ein Buch gelesen, in dem für ihn sehr einleuchtend beschrieben worden sei, wie Menschen Energie verlieren, indem sie in unabgeschlossenen Aufgaben verhaftet seien; der Autor des Buchs nenne das Ringe. Das beschreibe irgendwie seine eigene Situation ziemlich gut.

Ich hatte beim Hören allerdings den Eindruck, diese Geschichte erzähle nicht nur die Wahrnehmung eines Problems, sondern enthalte auch etwas Positives, ein keimendes Gefühl von Befreiung: sich lösen, etwas beenden. Dieser Gedanke, auch wenn er unausgesprochen blieb, war eine Wahrnehmung auf Prozessebene: Es ist Problematisches präsent, aber auch Progressives.

Zweite Erzählung: In der Firma, die er leitet, so fuhr er fort, sei bislang alle Verantwortung für praktische Aufgaben nur in seiner Hand gelegen, und ständig habe er an den Versäumnissen der Mitarbeiter zu leiden. Das sei er gerade dabei zu ändern, er werde diese Aufgaben delegieren. Eine entschlossene Energie, eine Art Befreiungszorn, war auch hier deutlich spürbar, nicht nur ein Problem. Der Zusammenhang mit der Geschichte über die Ringe war plausibel, ihm und mir: genug des ewigen Sich-verantwortlich-Fühlens, es war Zeit, etwas daran zu ändern.

Die Gefühlskontur, der Vitalitätseffekt, mit der diese Energie, dieser Befreiungszorn, in die Stunde gekommen war, hatte nicht das Überwältigende eines traumatischen Ereignisses, sondern fühlte sich gut an, gleichsam wie ein Muskel, der sich spannt und wieder löst, eine Kraft, mit der er umzugehen weiß und die ihm hilft. Auch diese Wahrnehmung betraf die Prozessebene; es war ein Prozessgedanke, der ebenfalls noch unausgesprochen blieb.

Dritte Erzählung: Nun fiel ihm eine Verwandte ein, mit der eine Erbschaftsangelegenheit zu regeln war. Sie habe zugesagt, sich zu kümmern, kümmere sich jedoch nicht, sondern versuche, ihn mit Hinhalten und Verzögern zu übervorteilen. Auch hier war wieder ein zorniger Befreiungswille spürbar. Eine alte Hemmung in ihm, so mein Eindruck, hatte bislang die Verwandte in Schutz genommen, dagegen entstand jetzt ein energisches Bedürfnis nach Selbstbehauptung. Er werde sich nicht übervorteilen lassen und er werde diese Sache zum Abschluss bringen.

In Bezug auf emotionale Regulationsprozesse war in dieser Aneinanderreihung von Gegenwartsmomenten zwar ein jetzt sehr deutlicher Belastungsanstieg zu bemerken, aber noch keine Überflutung, und es war nicht nur emotional Negatives, sondern sehr deutlich auch emotional Positives, Progressives spürbar.

Bis dahin hatte ich aufmerksam hingehört, schon einiges gedacht, gesprochen noch wenig.

Wieder fast übergangslos die nächste Erzählung: Er habe ein Gespräch gehabt, mit einer Bekannten, die sehr an ihm interessiert sei. Nach einiger Zeit des Gesprächs mit dieser Frau habe er bemerkt, wie alle Energiespeicher in ihm aufgebraucht waren; ein Gefühl wie ein Nebel habe sich ausgebreitet. Er habe, bildlich gesprochen, auf Reserveenergie umschalten müssen, er habe sich von ihr gerade noch halbwegs unauffällig verabschieden können, sei aber in einem Zustand gewesen, den er kaum beschreiben könne: wie wenn er seinen eigenen Namen nicht mehr wüsste. Sich hinlegen sei das Einzige, was ihm zu Hause langsam wieder zu einem Gefühl für sich selbst verholfen habe.

In mir tauchten Bilder auf, von einem Kind, was alles zu tun versucht, damit es der Mutter besser geht und sich dabei selbst verliert. Erst später habe ich hierzu reale Ereignisse erfahren, die er vergessen hatte, die aber anscheinend dennoch in die Alltagserzählung eingewoben waren.

Im Erzählen werde ihm klar, so fuhr er fort, dass es in dem Gespräch mit jener Frau einen Punkt gegeben hatte, an dem irgendetwas genug war und gleich darauf zu viel, er habe dann die Verbindung zu sich selbst verloren und sei eher neben als in sich gewesen. Dann sehr ernst: Dieser Zustand sei nach seinem Gefühl der innerste Kern seines Leidens, unerträglich quälend.

Diese letzten Worte sprach er langsamer, deutlich artikuliert, sie waren gleichsam unterstrichen, sie markierten den Punkt, auf den die Kette der Erzählungen zugeflossen war. Hatte er mir gerade, so überlegte ich, von seiner Angst erzählt, auch im Gespräch mit mir in solche Zustände zu geraten, war also auch Übertragung ein Medium, in dem er sich mir gerade mitteilte?

Seine Erzählung war offenbar an einem vorläufigen Endpunkt angekommen.

Ich war berührt davon, wie diese Geschichte vom Verlust seiner Selbst über eine Kette von Gegenwartsmomenten in die Stunde gekommen war, und habe zunächst einige Gedanken über diese Erzählkette ausgedrückt: Auf den ersten Blick erschienen die verschiedenen Geschichten vielleicht als getrennte Ereignisse, ich hielte es aber für wahrscheinlicher, dass diese Geschichten einen inneren Zusammenhang hätten, ein von einer Geschichte zur nächsten fortschreitendes Thema. Methodisch war dies eine Prozessdeutung, mit der die Sukzession der Einfälle beschrieben worden war. Er folgte diesem Gedankengang sehr aufmerksam, ich vermute, weil er selbst in seinen Erzählungen ebenfalls eine Art gemeinsamen Grundton wahrgenommen hatte, der sich mitteilen wollte. Es war offenbar, dass er wissen wollte, was dieser Grundton sein könnte, was ich gehört hatte. Also habe ich auch hierzu einige Gedanken, Eindrücke, geäußert, ungefähr so: „Unaufgelöste, unauflösbare Verantwortlichkeiten haben lange Zeit die Energie genommen, jetzt entsteht nach meiner Wahrnehmung ein energischer, kreativer Befreiungswille, sehr notwendig und sehr gut. In der Geschichte von der Bekannten scheint mir sehr deutlich: Im Sich-verantwortlich-Fühlen für die Erwartungen dieser Frau wurde eine innere Grenze überschritten und dadurch der Kontakt zum eigenen Selbst brüchig.“ Dies waren resonante Deutungen über emotionale Botschaften, die bei mir angekommen waren, Prozessdeutungen über die Vorgänge der Mitteilung und Inhaltsdeutungen über Mitgeteiltes.

Was mich beeindrucke, so fügte ich hinzu, sei die Klarheit, mit der all das aus den Geschichten hervortrete, auch die Klarheit der Bilder und der Sprache für dieses schwer Fassbare. Dieser letzte Teil meiner Überlegungen beschrieb einen in der Erzählkette enthaltenen Mentalisierungsprozess und zwar die Fähigkeit, Bilder zu finden, zu versprachlichen und sich so mitzuteilen. Diese letzte Äußerung hatte also wiederum den Charakter einer Prozessdeutung. Sie beschrieb seine Fähigkeiten zur Symbolisierung in der Gegenwart der Stunde.

Die mehrgliedrige Erzählkette in diesem Fallbeispiel wurde nach meinem Eindruck von der am Anfang noch ganz unbewussten Absicht gestaltet, den innersten Kern seines Leidens begreiflich zu machen, aber nicht nur den Leidenskern, sondern auch die progressiven, positiven inneren Gegenbewegungen. Diese Hinbewegung auf sehr schwieriges seelisches Belastungsmaterial hatte, wie mir schien, nicht den Charakter eines Hineinstürzens in etwas Problematisches ohne Kontrolle, sondern war Bestandteil einer aktiven inneren Hinbewegung, in der für Unbegreifliches Bilder und Worte gefunden wurden. Der Zustand des Selbstverlustes, am Ende dieser Erzählkette spürbar und bewusst geworden, war in der Stunde nicht etwas Erlittenes, sondern Ergebnis einer aktiven Bewegung darauf zu, ein Aufsuchen, Spüren, Bewusstwerden, Mitteilen, verbunden mit einem auch in der Stunde deutlichen Erstarken des Selbst.

Meine eigene Deutungssprache benennt zunächst meine Resonanz auf starke Gegenwartsmomente, dann gelingende Regulationsprozesse und inhaltliche Überlegungen über den Selbstverlust, und abschließend spreche ich aus, wie beeindruckend diese Dinge in Sprache gefasst worden sind.

Schluss

Transformation, also die Regulation und Integration von emotionalem Material, wird dort möglich, wo Emotionen im Gegenwartsmoment der Stunde präsent sind, deshalb brauchen die Resonanzprozesse Aufmerksamkeit. Zu seelischem Wachstum kommt es nur, wenn dieses emotionale Material dann auch handhabbar, das heißt regulierbar ist, deshalb brauchen wir die Aufmerksamkeit für die emotionalen Regulationsprozesse, damit in der Dynamik der Stunde neue Möglichkeiten entstehen. Unregulierbare, überflutende Emotionen würden auch in der Stunde nur psychische Notmaßnahmen der Abwehr bewirken.

Aufgabe von prozessbezogenen Deutungen ist es, mit jenen Momenten zu arbeiten, in denen das emotionale Material über die hier beschriebenen Wege in die Stunde kommt, mit Momenten hoher Belastung ebenso wie mit den Momenten seelischen Wachstums, die stets in Gefahr sind, überhört und übersehen zu werden.