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Autismus und das infantil Sexuelle in der analytischen Begegnung

Koreferat zu T. Beier

Autism and infantile sexuality in the analytical encounter

Copresentation to T. Beier

  • Originalarbeit
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Forum der Psychoanalyse Aims and scope

Zusammenfassung

Sehr frühe traumatische Erfahrungen, die im rudimentär ausgebildeten Selbst überwältigende Angst vor Auflösung hervorrufen, sind Eindrücke, die weder assimiliert noch symbolisiert werden können. Um sich vor diesen elementaren Ängsten zu schützen, kommt es zum Rückzug in autogenerierte Schutzkapseln. Vor allem autosensuelle Aktivitäten dienen der Angstlinderung. Die Autorin versucht einerseits, die von Beier in der Fallvignette beschriebenen autistischen Mechanismen zu erklären, andererseits die auf ein containendes Objekt hoffenden Anteile in der Persönlichkeit aufzuspüren. Diese zeigen sich im beschriebenen Fall unter anderem in infantil-sexuellen polymorph-perversen Szenarien und können als brüchige Stellen der autistischen Schutzkapsel betrachtet werden. Autistoide Organisationen beschreiben eine besondere Form pathologischer Rückzüge bei Erwachsenen. Die autistische Abwehr schließt den Analytiker aus. Eines der wichtigsten Merkmale in der Behandlung ist das Fehlen von Prozessen der projektiven Identifizierung. Die emotionale Erfahrung im Analytiker besteht in Leere und Abwesenheit von Gefühlen und stellt sich streckenweise sehr belastend dar, da er mit den frühesten existenziellen Ängsten der Patienten konfrontiert ist. In Situationen, in denen der Analytiker sehr starkem Druck ausgesetzt ist, kann es zum Rückgriff auf eigene, wenig entwickelte, autistische Persönlichkeitsanteile kommen. Darüber hinaus evoziert die analytische Situation infantile polymorph-perverse Szenarien beim Patienten und über Resonanzphänomene auch jene des Analytikers. Die Konfrontation des Analytikers mit seinem eigenen Unbewußten, dessen Kern das infantil Sexuelle in Form von verdrängten Wünschen, Begehren und Fantasien bildet, kann zu gravierenden Ängsten, Wünschen, und belastenden Schuld- und Schamgefühlen führen. Die Gegenübertragungsgefühle der Autorin halfen ihr im Verständnis der von Beier vorgestellten Vignette und werden daher in der Einleitung skizziert.

Abstract

Very early traumatic experiences which, in the rudimentarily trained self evoke an overwhelming fear of annihilation, are impressions that can neither be assimilated nor symbolized. In order to protect against these elementary fears, one retreats into autogenerated protective capsules. Especially autosensational activities serve to alleviate anxiety. The author tries on the one hand to explain the autistic mechanisms described by Beier in the case vignette and on the other hand to track down the parts of the personality hoping for a containing object. In the case described, these are manifested among others in infantile sexual polymorph perverse scenarios and can be considered as permeable areas of the autistic protective capsule. Autistoid organizations describe a particular form of pathological withdrawal in adults. The autistic defense excludes the analyst. One of the most important features in treatment is the lack of projective identification. The emotional experience in the analyst consists of the emptiness and absence of feelings and at times is very distressing because the analyst is confronted with the earliest existential fears of the patient. In situations where the analyst is exposed to intense pressure, one can resort to one’s own less developed autistic personality. In addition, the analytic situation evokes infantile polymorphous-perverse scenarios in the patient and, via resonance phenomena, also those of the analyst. The analyst’s confrontation with his own unconscious, whose core is the infantile sexual in the form of repressed wishes, desires and fantasies, can lead to serious fears, desires, and burdensome feelings of guilt and shame. The countertransference feelings of the author helped her to understand the vignette introduced by Beier and are therefore outlined in the introduction.

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Notes

  1. Exempli gratia (e.g.) steht in Der Hexenhammer (Institoris und Sprenger 1923 [1486], S 74) zur Sexualmagie der Hexen: Alles geschieht aus fleischlicher Begierde, die bei ihnen unersättlich ist. … „Dreierlei ist unersättlich … und das vierte, das niemals spricht: es ist genug, nämlich die Öffnung der Gebärmutter.“

    In Knaurs Lexikon der Symbole (1989, S. 189) heißt es: „Hexen sind … im Hinblick auf ihre Symbolgestalt zunächst nicht mit der schauerlichen Realität der mitteleuropäischen Hexenverfolgung zu verbinden. Bei zahllosen exotischen Völkern existieren Hexenglaube und die Überzeugung von der Dämonie mancher Frauen, die als Kannibalinnen, Zauberinnen, Mörderinnen und Vernichterinnen männlicher Potenz (zum Beispiel mittels ihrer mit Zähnen versehenen Scheide, lat. vagina dentata) angesehen werden.“ Der Artikel sieht in den verschiedensten Hexenbildern weltweit einen Ausdruck der Furcht vor dem weiblichen Geschlecht.

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Beier T (2019) Der Analytiker als autistisches Objekt. Zur Differenzierung der Dimensionalität von Gegenübertragungsgefühlen. Forum Psychoanal 35. https://doi.org/10.1007/s00451-019-00360-x

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Grassberger, S. Autismus und das infantil Sexuelle in der analytischen Begegnung. Forum Psychoanal 35, 363–371 (2019). https://doi.org/10.1007/s00451-019-00362-9

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