Zusammenfassung
Mit der Liebe tut sich die Psychoanalyse schwer. Sie wird als Gefahr für den analytischen Prozess begriffen, die – so die Angst – hinterlistig camoufliert den therapeutischen Prozess bedroht. In dieser Angst wird zu häufig übersehen, dass nicht die Liebe die Gefahr darstellt, sondern wie der Widerstand sich ihrer bedient, wie eine pathologische Organisation sie für ihre Zwecke missbraucht. Das Zulassen von Übertragungsliebe ist zweifellos mit Risiken behaftet – doch die Gleichsetzung der Übertragungsliebe mit Widerstand/pathologischer Organisation verunmöglicht die Entfaltung der Liebesfähigkeit; in der Verwicklung droht Verführung, damit Zerstörung des analytischen Raums; zu große Distanzierung führt über Kränkung und Beschämung in Stillstand. Der Liebe muss der Raum gegeben werden, damit sie sich zeigen und entfalten kann; sie muss im analytische Prozess werden. In dieses Werden ist der Analytiker involviert: In einer interpsychischen Dynamik wird Liebe momenthaft wie eine eigene Bildung erscheinen, in der sich eine historische, biografische Wirklichkeit und individuelle Wahrheit des Patienten zeigen, obwohl es sich um eine Schöpfung des Paares handelt. Die Komplexität dieser Dynamik wird mit einem ausführlichen Fallbeispiel illustriert, das den Prozess von der initialen Szene bis zur Aufhebung ins Ödipale beschreibt.
Abstract
Psychoanalysis finds it hard to deal with love. Love is understood as a danger for the analytical process, which just as fear threatens the therapeutic process by deceitful camouflage. In this fear it is too often overlooked that love is not the danger but how resistance uses it, how a pathological organization misuses it for its purposes. The acceptance of transference love is undoubtedly fraught with risks but the equating of transference love with resistance/pathological organization makes it impossible for the ability to love to unfold; in the entanglement there is the threat of seduction and thus destruction of the analytical space; too great a distancing leads to a stalemate through wounding and shame. Love must be given space so that it can show itself and unfold; it must become into the analytical process. The analyst is involved in this becoming: in an interpsychic dynamic love will appear momentarily like a formation of its own, in which a historical, biographical reality and individual truth of the patient is revealed, although it is a creation of the pair. The complexity of this dynamic is illustrated with a detailed case study describing the process from the initial scene to the Oedipal dissolution.
Notes
Für Hinz unterschätzt der die Macht des Unbewussten, wer meint, Liebe von Übertragungsliebe unterschieden zu können (2008, S. 95).
Hinsichtlich manifester Grenzverletzungen haben Gabbard, Celenza, Peltz und andere darauf hingewiesen, dass neben Analytikern mit psychotischen und schweren Persönlichkeitsstörungen diejenigen gefährdet sind, Abstinenzverletzungen zu begehen, die in sadomasochistische Dynamiken involviert sind und die in hoher eigener Bedürftigkeit gefangen sind (s. z. B. Celenza 1998; Celenza und Gabbard 2003; Peltz und Gabbard 2001).
Rollwagen (2008) hat mit einer Arbeit den mutigen Versuch unternommen, in die klinische Komplexität und Verwirrung solch verwickelter Dynamiken einzuführen.
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Nissen, B. Liebe in der analytischen Behandlung. Forum Psychoanal 35, 243–257 (2019). https://doi.org/10.1007/s00451-019-00352-x
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