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Gesellschaftliche Aspekte narzisstischer Störungen

Social aspects of narcissistic disorders

  • Originalarbeit
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Forum der Psychoanalyse Aims and scope

Zusammenfassung

Seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts beschrieben Psychoanalytiker immer wieder, wie sich das Spektrum seelischer Störungen von der neurotischen Konfliktpathologie hin zu strukturellen Störungen der Persönlichkeit verschoben hat. Niemand wird aber mit einer narzisstischen oder antisozialen Haltung geboren. Ausgehend von den Arbeiten Laschs und Ottomeyers wird in der vorliegenden Arbeit versucht, solche gesellschaftlichen Aspekte in den hoch entwickelten kapitalistischen Ländern zu markieren, die mithelfen, die Menschen loyal gegenüber den sie prägenden oder konfigurierenden Verhältnissen bleiben zu lassen. In diesen Verhältnissen wird das narzisstische Größenselbst des Individuums mit einem idealen Entwurf der Selbst-Verwirklichung zum destruktiven Ideal. Im Fall des Scheiterns bleibt dann scheinbar nur noch folgende Wahl: Entweder das Scheitern wird als persönliche, selbst verursachte Katastrophe und als selbst verursachter schuldhafter Makel – das heißt als verdient – erlebt, oder das Subjekt greift zum „Opium des Kollektivstolzes“, zum Beispiel durch die Identifikation mit der Fußballnationalmannschaft, um die gekränkte Selbstachtung nicht „wahr haben“ zu müssen.

Abstract

Since the 1970s psychoanalysts have repeatedly described how the spectrum of mental disorders has shifted from neurotic conflict pathology to structural disorders of the personality. Nobody, however, is born with a narcissistic or antisocial attitude. Based on the works of Lasch and Ottomeyer, in this article an attempt is made to highlight such social aspects in highly developed capitalistic countries, which provide assistance to allow people to remain loyal to the circumstances that impregnate and configurate them. In these circumstances the narcissistic grandiose self of the individual with an ideal blueprint of self-realization becomes a destructive ideal. In the case of failure only the following choice then seems to remain: either the failure is experienced as a personal, self-induced catastrophe and as a self-induced culpable blemish (i.e. as deserved) or the subject resorts to the “opium of collective pride”, e.g. by identification with the national football team, in order not to have to “accept the truth” of the injured self-esteem.

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Notes

  1. Wie identitätsstiftende Eigenschaften und Qualifikationen z. B. von Flüchtlingen und Migranten einen Warencharakter gewinnen können, wird unter anderem durch die Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union (Richtlinie 2009/50/EG) deutlich, nach der hochqualifizierte Personen durch den Erhalt der so genannten Blauen EU-Karte erleichterte Aufenthaltsbedingungen bekommen können. Insbesondere handelt es sich um Naturwissenschaftler, Mathematiker, Ingenieure, Humanmediziner (ausgenommen Zahnärzte) und akademische Fachkräfte in der Informations- und Kommunikationstechnologie. Für eine ausführliche Darstellung: Homepage des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF 2015)

  2. Er hielt am 28.04.2014 einen Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Umkämpfte Psyche – Zur Rekontextualisierung psychischen Leids im Kapitalismus“ an der Goethe-Universität, Frankfurt, (in Zusammenarbeit mit dem Sigmund-Freud-Institut, Frankfurt, und medico international).

  3. Der Mangel an Selbstbestimmung ist hier als Zunahme von Entfremdung zu verstehen, die zum Beispiel bei selbstständigen Handwerkern in eigenen Betrieben früher geringer ausgeprägt war als unter heutigen, zunehmend industrialisierten und digitalisierten Produktionsbedingungen.

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Werner Köpp erklärt, dass er sich bei der Erstellung seines Beitrages von keinen wirtschaftlichen Interessen leiten ließ.Für diesen Beitrag hat er keinerlei Forschungsgelder in Anspruch genommen und ist auch in keinem Abhängigkeitsverhältnis von irgend einer kommerziellen Einrichtung.

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Erweiterte Fassung eines Vortrags vom 21.06.2015 im Institut für Psychotherapie Berlin in der Veranstaltung „Couchkultur“.

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Köpp, W. Gesellschaftliche Aspekte narzisstischer Störungen. Forum Psychoanal 32, 99–110 (2016). https://doi.org/10.1007/s00451-015-0220-9

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