Doch staune, mein Kind, nicht länger
Ob meiner Göttlichkeit,
Und, ich bitte dich, koche mir Tee mit Rum,
Denn draußen wars kalt,
Und bei solcher Nachtluft
Frierenauch wir, wir ewigen Götter,
Und kriegen wir leicht den göttlichsten Schnupfen,
Und einen unsterblichen Husten
(Heinrich Heine, Nordsee – Die Nacht am Strande).
Zusammenfassung
In dem vorliegenden Beitrag beschäftigt sich die Autorin mit zwei Aspekten der Psychoanalyse, die, entgegen sonstigen Feldern, im fachwissenschaftlichen Diskurs wenig berücksichtigt werden: (a) dem Ende der Analyse und (b) der postanalytischen Beziehung zwischen Analysand und Analytiker. Die Tatsache dieses fachlichen „lag“ sieht sie unter anderem in nichtaufgelösten, noch im Unbewussten steckenden Ängsten und Ansprüchen auf je beiden Seiten des analytischen Paares begründet.
Indem sich die Autorin gegen die Metapher des Todes als das Ende einer Analyse wendet, wird dieses als Trennungsprozess apostrophiert und in Aspekten wie Objektivität, Trauerprozess, Verlust erleben, Erleichterung gewinnen, Rückkehr und Aufbruch sowie dialektisch entfalteter Autonomiegewinn entwickelt. So sind Trennung und Bindung zugleich als Wesensmerkmale jeder Psychotherapie verstanden.
Die postanalytischen Beziehungsmuster werden nach den verschiedenen Ausgangssituationen – therapeutische oder lehranalytische Beziehung, jeweils innere und äußere Realität – wiederum für beide Seiten des analytischen Paares beleuchtet. Die Autorin beschäftigt sich insbesondere auch mit den praktischen Konsequenzen im Wiederbegegnen von Lehranalysand und Lehranalytiker. Gefordert ist die gemeinsame Arbeit an der Auflösung des ursprünglichen Zaubers der Psychoanalyse und ihrer Magie. Beider bedarf sie, um erfolgreich zu sein, aber beide müssen auch in die (neue) Realität überführt werden, wobei der Analytiker – auch entgegen eigenem innerem Widerstand – Hilfe leisten muss, denn erst nach und nach wird sich der Analysand von Zauber und Magie lösen und diesen Verlust sowohl betrauern als auch – mit der Zeit – begrüßen können.
Abstract
In this article the author discusses two aspects of psychoanalysis which in contrast to other fields have received little attention in the specialist literature: (a) the end of the analysis and (b) the postanalytical relationship between analysand and analyst. The circumstances of this specialist lag are seen among others as being due to unresolved fears and demands still remaining in the unconscious mind for both sides of the analytical pair.
In that the author turns against the metaphor of death as the end of an analysis it is apostrophied as a separation process and developed into aspects, such as objectivity, process of sorrow, loss suffering, gain of relief, return and departure as well as dialectically folded gain of autonomy. In this way separation and binding can be simultaneously understood as essential features of every psychotherapy.
The postanalytical relationship patterns will be illustrated according to the various starting positions, therapeutic or training analysis relationship, in each case internal and external reality and again for both sides of the analytical pair. The author is also especially concerned with the practical consequences in the reacquaintance of trainee and trainer. The cooperation on the dissolution of the original fascination of psychoanalysis and its allure is promoted. Both are required to be successful but both must be transferred into the (new) reality, whereby the analyst, even against internal self-resistance, must offer help because the analysand will only gradually be freed from the fascination and allure and be able to mourn and also in time welcome this loss.
Notes
So setzt zum Beispiel die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Annegret Wittenberger das Ende der Analyse mit dem Tod der Analytikerin gleich: „Es ist vom Sterben der Analyse (Ferenczi 1928) die Rede, vom Sterben des Kindes (Hüttl und Felicetti 1999), aber eigentlich stirbt doch der Analytiker … Mir scheint, wir neigen dazu, das Sterben des Analytikers auszublenden und schnell darauf hinzuweisen, dass das Ende der Analyse immer auch ein Neubeginn ist … Wir betonen: Das Ende ist der Anfang vom Leben ohne Analyse. Dennoch: Wir schreiben über den Tod, unseren Tod“ (Wittenberger 2002, S. 27 f.). Zum einen sehe ich eine Gefahr darin, wenn eine gewisse Vermischung der Verwendung von Begriffen als Metapher und ihrer konkreten Bedeutung stattfindet. Der Tod wird von Wittenberger hier offenbar als Metapher benutzt, aber selbst dann ist aus meiner Sicht die Trennung nicht mit einem Tod gleichzusetzen. Man müsste mehr darüber ins Gespräch kommen, was hier unter Tod verstanden wird, was – in diesem Beispiel – aus Sicht der Autorin stirbt.
Whitebook verweist in diesem Zusammenhang auf ein Interview, das Robert Coles mit Erik Erikson geführt habe und in dem Erikson geäußert habe, dass wir „die Opfer unseres Erfolges“ seien, dessentwegen „sich alle mit allem an uns wenden“ würden. Aus Sicht Eriksons würde die Leichtgläubigkeit der Hilfesuchenden zu einer „unziemlichen Arroganz mehr als verführen“ (zit.n. Whitebook 2009, S. 218).
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Abdruck eines Kapitels aus Pflichthofer D (2012) Spielregeln der Psychoanalyse. Psychosozial‐Verlag, Gießen. Wir danken dem Psychosozial‐Verlag für die freundliche Abdruckgenehmigung.
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Pflichthofer, D. Das Ende der Analyse und die postanalytische Beziehung. Forum Psychoanal 29, 201–222 (2013). https://doi.org/10.1007/s00451-013-0140-5
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