Auf der Liste der bedeutenden Chirurgen, die einen unverzichtbaren Beitrag zur Entwicklung der Chirurgie oder eines ihrer zentralen Bereiche erbracht haben, findet sich auch ein Mann, der noch heute in den USA als einer der befähigtsten Lehrer und Visionäre angesehen wird. Ohne ihn, den renommierten Allgemeinchirurgen, der selbst wohl kaum an mehr als an einer Handvoll herzchirurgischer Eingriffe teilgenommen hat, befände sich die Herzchirurgie ohne seine visionäre Sicht für Menschen und deren spezielle Talente sowie seine hervorragenden strategischen Aktivitäten mutmaßlich kaum auf ihrer heutigen, unverzichtbaren Position.

Owen Harding Wangensteen wurde am 21. September 1898 in Lake Park, Minnesota, als zweites von vier Kindern einer norwegischen Immigrantenfamilie geboren (Abb. 1). Sein Vater, Ove Wangensteen, war 1881 mit 23 Jahren wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse in seiner Heimat in die Vereinigten Staaten von Amerika ausgewandert. Bereits auf dem Auswanderungsschiff lernte Ove seine zukünftige Ehefrau Hannah Hanson kennen. Die Gegend um den kleinen Ort Lake Park in Minnesota war der norwegischen Heimat so ähnlich, dass sie sich wie eine Enklave fest in norwegischer Hand befand. Ove, inzwischen amerikanisiert „Owen“, und seine Frau bearbeiteten dort zunächst eine kleine Farm, aus der durch geschickte Landkäufe innerhalb kurzer Zeit vier Höfe wurden. Die ließ der inzwischen angesehene und wohlhabend gewordene Owen nun fremd bearbeiten und widmete sich selbst zunehmend dem lukrativeren Geschäft des Handels mit Ländereien. Die Wangensteens hatten vier Kinder, die alle zu Hause geboren wurden, da es in Lake Park keine Klinik gab. Von den vier Geschwistern war Owen jr. der Zweitälteste und der Einzige, der sich schon seit seiner Kindheit für die Landwirtschaft interessierte. Letztendlich waren es jedoch zwei Erlebnisse, die ihn von der landwirtschaftlichen auf die medizinische Spur abwandern ließen. Dies entsprach auch sehr dem Wunsch des Vaters, der all seinen Kindern eine höhere Ausbildung zukommen lassen wollte, und dies am Ende auch erreichte.

Abb. 1
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Owen Harding Wangensteen, 21.09.1898–13.01.1981. (American College of Surgeons, mit freundlicher Genehmigung)

Noch während seiner High-School-Zeit lernte Owen jr. die unbefriedigende Qualität der wenigen Veterinärmediziner in Minnesota kennen. Dem Rat eines wegen Schwierigkeiten bei der Geburt einiger Ferkel herbeigerufenen Tierarztes, der zur Tötung der drei Tiere führte, und der Empfehlung, am besten auch die anderen 50 Schweine der Familie vom Schlachter töten zu lassen, wollte Owen jr. nicht nachkommen. Unter Aufbietung seiner ganzen Kräfte schaffte er es, bei den anderen schwangeren Schweinen innerhalb von drei Wochen etwa 300 Ferkel selbstständig und nur mithilfe seiner eigenen Hände zu entbinden. „I learned that my hands were a more precise instrument to effect deliveries.“ Danach wurde der Junge von den Bauern der Region lange wie ein Held und Lebensretter verehrt. Die zweite Erfahrung, die ihn nicht für die Landwirtschaft einnahm, waren die üblen Gerüche bei dem immer wieder notwendigen Düngen der Felder mit dem Mistwagen. Später pflegte Owen die Frage, wie er zur Medizin gekommen sei, immer mit der Bemerkung zu beantworten: „Through the portals of pigs and manure!“

Owens Mutter starb früh, 1905, im Alter von 39 Jahren an den Komplikationen einer Tuberkulose. Zuvor hatte sie es jedoch fertiggebracht, Owen noch vor seiner Einschulung lesen und schreiben beizubringen. Neben der Schule beteiligte er sich aber weiter an der Landwirtschaft: „I hate milking cows at 5 o’clock in the morning“. 1915 schrieb er sich am College of Science, Literature and Arts at the University of Minnesota ein, besuchte jedoch als Gasthörer auch gelegentlich noch die School of Agriculture. Nach dem vorzeitigen Abschluss des College mit einem A.B. (Art B.A.) begann er im Herbst 1918 die Medical School. Noch während der ersten Unterrichtsstunde in Chirurgie bei Prof. Arthur Strachauer, der später sein Mentor werden sollte, stand nach seinen eigenen Worten sein Entschluss, sich der Chirurgie zu widmen, unumstößlich fest: „Surgery was where the action was!“ 1922 beendete er die Medical School mit dem M.D. als Erster in seinem Jahrgang und nahm zwangsweise, da keine chirurgische Stelle frei war, eine internistische Fellowship an.

Während dieser Anfangszeit lernte er Helen Carol Griffin kennen, eine medizinisch-technische Assistentin, geb. 23. September 1899 in Utah, nun in Minneapolis tätig. Owen und Helen heirateten bereits nach kurzer Zeit, am 6. September 1923, Owen 24, Helen 23 Jahre alt. In ihrer Ehe hatten sie zusammen drei Kinder: Mary Helen (1925), Owen Griffin (1930) und Stephen (1933).

Durch eine enge Beziehung der University of Minnesota und der nur 100 Meilen entfernten Mayo Clinic, Rochester, konnte Owen von 1924 bis 1925 insgesamt 13 Monate seiner Fellowship in Rochester verbringen, wo er unter Henry Plummer und William Mayo klinisch arbeiten, dabei aber gleichzeitig seine Dissertation in Minneapolis fortsetzen konnte. Nach seiner Rückkehr 1925 schloss er diese dann mit einem Ph.D. erfolgreich ab. So hatte Owen alle seine Graduierungen (A.M., M.D. und Ph.D.) an der University of Minnesota absolviert. Wieder zurück in Minneapolis nahm er die Position eines Chief Resident des Departments of Surgery at the University School ein. Schon kurze Zeit später stand er vor einer grundlegenden Entscheidung. Er erhielt ein Angebot, sich für ein Honorar von 15.000 $ pro Jahr einer chirurgischen Privatpraxis in South Dakota anzuschließen oder für ein Jahresgehalt von 3600 $ an der Universität in der Forschung zu bleiben. Sein Entschluss, sich für die Forschung zu entscheiden, wurde zwar von der Universität mit der Ernennung zum Assistant Professor belohnt, aber von seiner Familie zunächst missbilligt. Eine weitere Anerkennung des Dekans der Universität, Elias P. Lyon, erhielt Owen Wangensteen in Form eines Sabbatical Year, das es ihm erlaubte, zusammen mit seiner Frau und der inzwischen einjährigen Tochter zur Erweiterung seiner wissenschaftlichen und akademischen Erfahrungen im Herbst 1927 nach Bern in der Schweiz und in andere europäische Medizinmetropolen zu reisen. Mit einer Empfehlung von William Mayo in der Tasche wurde er dort von etlichen renommierten Professoren für Chirurgie auch in Deutschland offenherzig empfangen. So z. B. von Ferdinand Sauerbruch und Rudolf Nissen in Berlin und Martin Kirschner in Tübingen. Wangensteens Favorit unter den „German giants“ war Rudolf Nissen („Rudi“), dem er lebenslang freundschaftlich verbunden blieb. In Bern arbeitete und publizierte er mit Prof. Fritz de Quervain über Operationen bei Schilddrüsenerkrankungen. Von dem Physiologen Leon Asher erhielt er eine Grundausbildung über die verschiedensten Forschungstechniken in den Grundlagenfächern. Die Zeit in Bern lehrte ihn zudem den Wert einer historischen und philosophischen Perspektive in der Chirurgie. Später fasste er seine Erfahrungen aus Europa im Jahre 1928 zusammen: „If one were to generalize of all, one might say, that the surgery in Germany, on the whole, has a tendency to be radical, that of England conservative, and of France brilliant but provinced.“

Nach seiner Rückkehr nach Minneapolis wurde Owen Wangensteen 1929 zum Associate Professor ernannt und 1939 zum ersten Chairman of the Department of Surgery at the University of Minnesota. Er nahm diese Position im Alter von 32 Jahren an und hielt sie 37 Jahre lang inne, bis er 1967 emeritiert wurde. Im Nachhinein brachte er in Erfahrung, dass er schon vor seiner Europatour beste Chancen für diese Position gehabt hätte, aber von der Kommission „als noch zu jung“ angesehen worden war. Nun begann Owen Wangensteen seine akademische Karriere an einem Wendepunkt der universitären Medizin in den USA, vor allem, was Forschung und Lehre betraf. Die Universität von Minnesota entwickelte sich von einer rein klinischen Einrichtung über „part time faculties“ hin zu „full time faculties“, vergleichbar dem europäischen Modell. Anfangs kamen von ehemaligen Kandidaten für diese Position, die Wangensteen jetzt einnahm, Kommentare wie: „… there is nothing worthwile here, and there never will be …“. Wangensteen selbst begann dagegen mit grundsätzlichen akademischen Umstrukturierungen. So mussten sich alle Residents im klinischen Bereich des Departments, unabhängig von ihrer Position und ihrer individuellen Ausbildung, an der University Graduate School für das Studium einer medizinischen Grundlagenwissenschaft einschreiben. In der Auswahl ihres wissenschaftlichen Arbeitsbereichs waren sie frei, mussten aber ihre erzielten Ergebnisse publizieren und einen akademischen Abschluss vorlegen, ohne den z. B. eine weitere Ausbildung in Chirurgie bei Owen Wangensteen nicht möglich war. Er selbst sah seine Aufgabe darin: „… first to recruit the most talented students and then take care for the finding to support their research interests – like a regimental water carrier“.

Entgegen den Erwartungen seiner namhaften Kollegen erwies sich Wangensteens Konzept bald als ein durchschlagender Erfolg. Er selbst, ein hervorragender Viszeralchirurg, zog durch sein attraktives Programm, seine außergewöhnliche Lehrbefähigung sowie durch den bis dahin offensichtlich stark unterschätzten Wunsch der Chirurgen zu wissenschaftlicher Tätigkeit neben der klinischen Arbeit technisch qualifizierte junge Chirurgen an sein Department an der Universität von Minnesota. Innerhalb weniger Jahre hatte sich z. B. die Zahl der Patienten mit komplexen Bauchproblemen mehr als verdoppelt. Die von den eigenen Leuten wissenschaftlich beforschten Grundlagen zu abdominellen Krebserkrankungen verstärkten den Ruf und den daraus resultierenden Zulauf zu Wangensteens Klinik noch mehr. Er selbst beschrieb seine Arbeit allerdings gewöhnlich eher mit bescheidener Zurückhaltung: „My work essentially has been that of a plumber of the alimentary canal on both ends, but largely in between!“ Die medizinische Vorrichtung und die Prozedur, die ihn in der Öffentlichkeit am meisten bekannt machte, wirkt auf den ersten Blick auch eher bescheiden: die „Wangensteen suction“. Die Todesrate eines akuten Dünndarmverschlusses lag anfangs der 1930er-Jahre bei mehr als 40 %. Forschungen aus den Wangensteen-Laboren hatten aber ergeben, dass die Mehrzahl der Okklusionen des Darms nicht durch Verschlingungen, Narben oder Tumoren verursacht war, sondern durch erhebliche Flüssigkeits- oder Gasansammlungen bei Distensionen des Magen-Darm-Kanals. Eine einfache Druckentlastung durch eine transnasal eingeführte Magen-Darm-Sonde, verbunden mit einer mechanischen Absaugvorrichtung, führte daher oft zu einer raschen Beseitigung der Störung. Dadurch blieb Tausenden von Patienten die zuvor übliche Laparotomie erspart, und die Sterblichkeit sank auf weniger als 4 %. Die Apparatur wurde nie patentiert, da Wangensteen es nicht für gerechtfertigt fand, Profit durch ein so einfaches Gerät zu machen, das dem Nutzen aller Betroffenen unentgeltlich zur Verfügung stehen sollte. 1935 erhielt er dann allerdings hierfür den Samuel-Gross-Preis der Philadelphia Academy of Surgery.

Die Veröffentlichung chirurgischer Forschungsergebnisse war in den 1930er-Jahren in den USA im Allgemeinen noch schwierig, da deren Standard von den meisten Publikationsorganen im Vergleich zu den internistischen Arbeiten oft nicht als ausreichend angesehen wurde. Daher etablierte Wangensteen auf dem Jahreskongress des American College of Surgeons 1939 das Surgical Forum, wo junge Chirurgen, oft noch in der Ausbildung, ihre wissenschaftlichen Ergebnisse präsentieren und zur Diskussion stellen konnten. Hieraus entstand 1947 die Zeitschrift The Surgical Forum, die in derselben Form noch heute besteht. Schon 1937 war Wangensteen zusammen mit Alton Ochsner aus New Orleans bei der Gründung der Zeitschrift Surgery von William Mayo als Editor eingesetzt worden, eine Aufgabe, die er bis 1970 wahrnahm.

Auf dem Weg zu ihrem bedeutendsten Stellenwert befand sich die University of Minnesota jedoch schon etwa ab dem Beginn der 1950er-Jahre durch einen völlig anderen Bereich der Chirurgie, nämlich der Entwicklung zu einem herausragenden Zentrum für die „offene Herzchirurgie“. Bis dahin wurde in Minneapolis, wie an einigen anderen wenigen Kliniken, und nur in begrenztem Umfang die „geschlossene Herzchirurgie“ durchgeführt, wie z. B. die Ligatur eines persistierenden Ductus arteriosus Botalli oder die Anlage einer aortopulmonalen Anastomose bei der Fallot-Tetralogie, die „blue baby operation“ nach Blalock-Taussig. Owen Wangensteen, damals schon einer der angesehensten Viszeralchirurgen der USA, erkannte früh die Begrenztheit dieser Verfahren, andererseits aber auch die Herausforderung, mit innovativen Techniken am offenen Herzen operieren zu können. Mit seiner bewundernswerten Fähigkeit, für bestimmte Aufgaben qualifizierbare Chirurgen zu finden, dann die unverzichtbare Atmosphäre für ein derart gewagtes Vorhaben zu schaffen, die notwendige finanzielle Förderung zu organisieren sowie vor allem die verständnisvolle Geduld dafür aufzubringen, einen langen Weg auch mit den zu erwartenden Rückschlägen durchzustehen, war Owen Wangensteen von seinen inneren Anlagen her schlichtweg der berufene Mentor. Nicht zuletzt deshalb wurde er von all seinen chirurgischen Mitarbeitern, vom seinem „staff“ bis zu den „fellows“, aus Bewunderung sein ganzes Leben lang, nicht, wie sonst in den USA allgemein üblich, mit seinem Vornamen Owen angesprochen, sondern immer nur als „the chief“.

Die Anzahl der jüngeren Chirurgen, die in den späten 1940er-Jahren aus dem II. Weltkrieg zurückkehrten und nach einer Möglichkeit suchten, ihre durch den Krieg unterbrochene Aus- und Weiterbildung fortzusetzen, war nicht gering. Dies traf insbesondere auch zu auf die University of Minnesota, deren chirurgisches Department sich erst unter Wangensteen in den letzten Jahren seinen Ruf erworben hatte.

Clarence Walton Lillehei (geb. 1918) war im Juli 1945 einer der ersten Bewerber. Er hatte in Minneapolis zuvor bereits die Medical School absolviert und war kurz nach seiner Internship für Chirurgie, wie sein Freund John Lewis in die Army eingezogen worden. Jetzt, 1945, stand seine Residency an. Lillehei hatte nur ein Ziel: Wangensteen! Nach einem kurzen Bewerbungsgespräch fragte ihn dieser: „When can you start?“, darauf Lillehei: „Today!“ – „OK, you’ll need a white coat.“ Dies war die nahezu schicksalhafte Begegnung zweier Männer, von Natur aus unterschiedlichster Art und Alters, aber mit tiefer menschlicher Verbundenheit, wie sich in späteren Jahren zeigen würde.

Floyd John Lewis (geb. 1916) zwei Jahre älter als Walt Lillehei, hatte seit kurz nach seiner Geburt in Kalifornien seine ganze Kindheit mit Walt zusammen in Minnesota verbracht. Sie besuchten auch zusammen die Medical School der University of Minnesota und beschlossen beide in derselben Vorlesungsstunde, Chirurgen zu werden. Beide verbrachten ihren Kriegsdienst in Europa, und beide bekamen nach ihrer Rückkehr einen Ausbildungsplatz bei Wangensteen in Minneapolis. Lewis wurde zunächst von Wangensteen, Lillehei von Richard Varco betreut, anschließend umgekehrt. Beide, Walt und John, erhielten ihren Ph.D. durch Aktivitäten im Labor, beide mit Arbeiten auf einem Gebiet der nichtkardiologischen Forschung. Lewis wandte sich dann Untersuchungen über die Auswirkung unterschiedlicher Körpertemperaturen bei einer Operation zu. Lillehei suchte von Anfang an nach Möglichkeiten, Operationen am offenen Herzen durchführen zu können. Klinisch waren beide letzten Endes „senior residents“ bei Wangensteen bzw. bei Varco. Keiner ahnte jedoch zu diesem Zeitpunkt, wie nahe das Schicksal sie alle noch bringen sollte.

Richard Lynn Varco (geb. 1912) war der älteste und bereits am längsten chirurgisch tätige Mitarbeiter Wangensteens. Auch er hatte seine medizinische Ausbildung ab 1930 vom College bis zum Facharzt in Minneapolis absolviert. Ab 1943 war er Mitglied der Surgical Faculty und blieb dies bis zu seinem Ruhestand. Sein Schwerpunkt war die Abdominalchirurgie. So hatte er 1953 zusammen mit Wangensteen die weltweit erste Operation gegen Übergewicht durchgeführt, bei der ein Bypass im Darm angelegt wurde. Über den Bereich Thoraxchirurgie war er zu reichlich Erfahrung mit der Ductus-Ligatur und der Fallot-Anastomose gelangt. Er war es daher auch, der Lillehei während der kommenden „goldenen Jahre der Herzchirurgie“ bei den verschiedenen Aufbaustufen der Chirurgie am offenen Herzen als Unterstützung zur Seite stand.

Richard Alison DeWall (geb. 1926) hatte wohl den bemerkenswertesten Weg zum Kern der Herzgruppe in Minneapolis. Seine Leistungen in College und Medical School in der University of Minnesota lagen meist am untersten Ende des Rankings. Daher entschloss er sich nach seiner Entlassung aus der Navy und dem Abschluss seines Studiums, zunächst eine Praxis als Hausarzt in einem Vorort von Minneapolis zu eröffnen. Der damals nicht geringen Zahl von Menschen, vor allem von Kindern, mit rheumatischem Fieber und dessen Folgen stand er dabei lediglich mit einem Stethoskop bewaffnet gegenüber, fand dies jedoch nur wenig befriedigend. Deshalb wandte er sich dann doch an seinen ehemaligen Lehrer Richard Varco mit der Bitte um eine Stelle in der Forschung in der Klinik. Varco sah jedoch angesichts der inzwischen bestehenden Situation keine Möglichkeit und schickte den hehren Träumer zu seinem damaligen „first resident“ Walton Lillehei. Dieser fand zumindest eine Möglichkeit, DeWall in Teilzeit als Tierpfleger in seinem Forschungslabor anzustellen. DeWall fand sich schnell zurecht, kümmerte sich um die Hunde und wischte den Boden. Sehr gut zurecht kam er aber auch mit den komplizierten mechanischen Geräten, und Lillehei entdeckte rasch, welchen Schatz er sich da eingefangen hatte. Bald stand DeWall mit am OP-Tisch, ohne selbst Chirurg zu sein. Besonderes Verständnis zeigte er für die Technik der gerade im Entstehen begriffenen, eigenen Herz-Lungen-Maschine der Minneapolis-Gruppe. DeWall konnte nun seine Praxis schließen, da Lillehei ihn umgehend in einen Fulltime-Job als versierten Pumpen-Manager im Labor einstellte. DeWall war zwar Arzt, wenngleich aber weiterhin noch kein ausgebildeter Chirurg. Deshalb konnte ihm Lillehei auch die Verantwortung für die Maschine im klinischen OP bei den geplanten Eingriffen am Menschen übertragen. In Erinnerung bleiben wird DeWall durch seine prinzipielle Veränderung des Oxygenatorteils der Herz-Lungen-Maschine. Er ersetzte den komplizierten und teuren „disc oxygenator“ der Gibbon-Kirklin-Maschine durch den einfacheren und preiswerteren Lillehei-DeWall „bubble oxygenator“, der in seiner von Vincent Gott 1956 noch einmal modifizierten Form über Jahrzehnte in der ganzen Welt zum Einsatz kam.

Bereits etwa Mitte der 1940er-Jahre hatte Wangensteen somit die Kerntruppe für die von ihm geplante Chirurgie am offenen Herzen zusammen: Walton Lillehei, John Lewis, Richard Varco, Clarence Dennis und nicht zuletzt Richard DeWall. Die operative Arbeit fand dabei noch überwiegend im Elliot Memorial Hospital of the University of Minnesota statt, während die chirurgische Forschung in Labors in den Kellerräumen der nahestehenden Millard Hall, einem Verwaltungsgebäude der Universität, eingerichtet waren. Nicht selten arbeiteten verschiedene klinische Teams an gemeinsamen Forschungsprojekten zusammen. Dieses später berühmte Wangensteens „education program“ führte in den folgenden Jahren mit zunehmenden wissenschaftlich anerkannten Ergebnissen zu erkennbaren Erfolgen der chirurgischen Forschung. Zudem förderte dieses System das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Mitarbeiter des chirurgischen Departments des University Hospitals. Lillehei arbeitete klinisch mit Varco und Wangensteen, im Labor mit dem kardiologisch orientierten Leiter des Departments für Physiologie Maurice N. Visscher (geb. 1901). 1949 wurde er von Wangensteen zu seinem persönlichen „chief resident“ bestellt.

Gegen Ende dieses Jahres entdeckte Lillehei zufällig morgens beim Rasieren einen kleinen Knoten vor seinem linken Ohr, den er Anfang 1950 von seinem Kollegen David State entfernen ließ. Dieser teilte den schwerwiegenden Befund eines Lymphosarkoms der Parotis vorerst nur Owen Wangensteen mit. Der behielt dieses Ergebnis zunächst kurzfristig für sich, da Lillehei im April seinen ersten großen Vortrag vor der American Surgical Association noch in Ruhe absolvieren sollte. Im Mai, unmittelbar nach dem erfolgreichen Erlebnis, rief Wangensteen Lillehei dann umgehend in sein Office und teilte ihm zunächst seine Ernennung zum Mitglied der Surgical Faculty at the University of Minnesota mit, gleichzeitig aber auch die maligne Diagnose des entfernten Knotens, die er mehrfach hatte überprüfen lassen. An der absoluten Indikation zur umgehenden Operation ließ er keinen Zweifel. Diese fand dann auch am 1. Juni 1950 in der eigenen Klinik statt. Am Morgen begannen David State und Richard Varco mit der Entfernung der Parotis und aller Lymphknoten bis hinab zur Schulter. Wangensteen bestand jedoch darauf, den Eingriff bis in das Mediastinum und bis zum Herzen hinunter fortzusetzen. Unter der Assistenz von Lilleheis bestem Freund John Lewis eröffnete er eigenhändig den Thorax und entfernte den Thymus und alle mediastinalen Lymphknoten. Bis zum Ende der zehnstündigen Operation waren sieben Chirurgen und vier Anästhesisten aus Wangensteens Gruppe beteiligt. Eine der notwendigen Bluttransfusionen wurde auch von Norman Shumway gespendet, der zu diesem Zeitpunkt gerade Resident an der Abteilung Wangensteens war. Später kommentierte Shumway dies gelegentlich so: „Whatever Walt accomplished later in his life was due to this part of my blood!“ Lillehei überlebte die Operation, die nachfolgende, von Varco behandelte Wundheilungsstörung und die obligaten Bestrahlungen. Ein eindrucksvolleres Beispiel für die von Wangensteen eingeführte „surgical education“, d. h., ein chirurgisches Ziel nie verloren zu geben, sondern dafür einen kollegialen Zusammenhalt in der Gruppe zu bilden, konnte kaum besser erbracht werden.

Lillehei kehrte vier Monate nach seiner Operation und einer schwierigen Rekonvaleszenz in das Hospital zurück. Er nahm seine Arbeit zunächst mit „soft operations“ wieder auf, wobei seine erste Operation die Entfernung einer entzündeten Parotisdrüse war. Gleichzeitig nahm er sein kleines Labor im Keller der Physiologie jetzt neben Clarence Dennis wieder in Betrieb, der sich mit der Entwicklung einer künstlichen Oxygenation beschäftigte. Wie sich später herausstellte, war das Ende des Jahres 1950 der Beginn einer langen Erfolgsgeschichte der offenen Herzchirurgie, die sich in nahezu all ihren Stufen in Minneapolis abspielen sollte.

Floyd John Lewis, Lilleheis langjähriger Freund und Kollege, hatte nach Experimenten des kanadischen Chirurgen Wilfried Bigelow aus Toronto dessen Vorstellung einer künstlich erzeugten Hypothermie durch Kühlung des Körpers auf tiefe Temperaturen nicht mehr aus dem Kopf gebracht. Dadurch sollte der Sauerstoffverbrauch des Körpers so weit gesenkt werden, dass das Gewebe etwa zehn Minuten ohne Zirkulation, d. h. ohne einen Herzschlag, auskommen konnte, ohne nach dem Wiederaufwärmen einen Schaden davongetragen zu haben. Auch Lewis konnte dies bei zahlreichen eigenen Tierversuchen in seinem Labor in der Millard Hall bestätigen. Im Sommer 1952 war er dann bereit, das Verfahren bei einem Menschen anzuwenden. Am 2. September 1952 führte Lewis, assistiert von seinem brasilianischen Assistenten Mansur Taufic, Richard Varco und Walt Lillehei die erste erfolgreiche Operation am offenen Herzen unter Sicht des Auges durch. Patientin war die fünfjährige Jacquie Johnson mit einem Vorhofseptumdefekt. Die Körpertemperatur wurde durch eine Kühldecke langsam auf 28 °C gesenkt, danach der venöse Zufluss zum Herzen blockiert („inflow occlusion“), und dann das noch langsam schlagende Herz auf Vorhofebene eröffnet. Der gut sichtbare Defekt konnte mit einer fortlaufenden Naht direkt verschlossen, die Klemmen wieder geöffnet und der Vorhof wieder verschlossen werden. Die operative Korrektur des Defekts hatte 5½ min gedauert. Jacquies Körper wurde in 45 °C warmen Badewasser wieder erwärmt. Das Mädchen hatte den Eingriff komplikationslos überlebt und konnte 11 Tage nach der Operation aus der Klinik entlassen werden. Direkt nach der Operation beglückwünschte Lillehei seinen Freund Lewis: „That is it. We’re into the heart to stay!“ Das Zeitalter der erfolgreichen offenen Herzchirurgie hatte mit dieser Operation begonnen. In der Folge operierten Lewis und Lillehei 59 weitere Patienten erfolgreich mit diesem Verfahren.

Trotz der Erfolge mit der Hypothermie-Technik war Lillehei nicht davon überzeugt, dass dies bereits das Ende der Straße sei. Längere Operationen, wie sie z. B. bei den viel häufigeren Ventrikelseptumdefekten oder komplexen Herzfehlern sicher erforderlich sein würden, waren mit der kurzen Dauer der zur Verfügung stehenden Hypothermie kaum denkbar. Andererseits wurde gerade in der Zeit zwischen 1951 und 1954 weltweit von mehr als zehn verschiedenen Gruppen berichtet, die für derartige Operationen experimentell Oxygenatorpumpen zu entwickeln versuchten, die aber, mit der Ausnahme von John Gibbons 1953 einmalig erfolgreich eingesetzter Maschine, alle erfolglos waren. Eines Abends bei einem Drink nach Feierabend kamen Lillehei und sein junger Resident Morley Cohen, dessen Frau gerade schwanger war, aus reiner Alberei darauf, dass doch Cohens Frau eigentlich der ideale Oxygenator für ihren Fetus sei. Immerhin führte dies dazu, dass die Gruppe nun wirklich versuchte, einmal einen großen Hund als Oxygenator für einen kleinen Hund zu benutzen. Hierzu wurde der venöse Blutfluss des kleinen an den des großen Hundes angeschlossen und das durch den „Sauerstoffspender“ arterialisierte Blut in den kleinen Hund zurückgeführt. Die Stärke des Flusses wurde dabei mithilfe einer einfachen kleinen Motorpumpe aus einer nahegelegenen Molkerei kontrolliert, die Schläuche stammten aus einer Brauerei. Dieses Vorgehen wurde als „controlled cross circulation“ bezeichnet. Hiermit konnte, wie sich in vielen Tierexperimenten zeigte, der Kreislauf des kleinen Tieres 30 min und länger stabil aufrechterhalten werden. Die naheliegende Vorstellung, die letzten Endes dahintersteckte, war es, ein blutgruppengleiches Elternteil während der Operation am offenen Herzen seines Kindes als Sauerstoffspender einzusetzen. Dennoch hielt Wangensteen Lillehei noch zurück und ließ zunächst Lewis versuchen, mit dem Hypothermie-Verfahren auch größere Operationen, wie z. B. einen VSD-Verschluss, durchzuführen. Keiner dieser Versuche endete jedoch erfolgreich, sodass Lewis dieses Verfahren hierfür einstellte. Nun war es an Lillehei, die kontrollierte Cross-Circulation-Technik auch beim Menschen einer Prüfung zu unterziehen. Nach einer längeren innerklinischen Kontroverse, ob es ethisch vertretbar sei, eine Operation durchzuführen, welche die Möglichkeit beinhaltete, dass dabei zwei Menschen zu Tode kommen könnten, bekam Lillehei von Wangensteen doch die Erlaubnis, sein neues Verfahren einzusetzen. Am Abend vor der von Lillehei geplanten Operation, als dieser bei Wangensteen noch einmal nachfragte, bekam er von ihm die eigenhändig geschriebene, später berühmt gewordene Antwort: „Dear Walt: By all means, go ahead! Good luck! O.H.W.“.

Am 26. März 1954 führte Walton Lillehei die erste Operation am offenen Herzen bei einem Menschen mit der Cross Circulation durch. Patient war Gregory Glidden, ein 13 Monate alter Junge mit einem symptomatischen Ventrikelseptumdefekt. Lillehei, assistiert von keinem Geringeren als Richard Varco, operierte; seine beiden Residents Morley Cohen und Herbert Warden, die durch das Training mit den Tierversuchen bestens mit der Pumpen- und Schlauchkonstruktion vertraut waren, nahmen sich des Vaters des Jungen, Lyman Glidden als Sauerstoffspender an. Nach der Eröffnung des Herzens von Gregory fand Lillehei den Defekt sofort und verschloss ihn mit 12 Einzelknopfnähten. 15 min nach seiner Eröffnung war das Herz wieder verschlossen und hatte spontan seinen Dienst wieder aufgenommen. Danach wurde Gregory erfolgreich vom Kreislauf seines Vaters getrennt. Auch der weitere Verlauf war zunächst ohne größere Probleme. Elf Tage später verstarb Gregory jedoch an einer nichtbeherrschbaren Lungenentzündung. Die wenngleich trauernden Eltern des Jungen äußerten sich aber Lillehei und der Presse gegenüber dahingehend, dass ihnen das Risiko des Eingriffs bewusst gewesen sei und sie Lillehei für die ihres Erachtens wichtige Fortsetzung des Programms viel Glück wünschten. Lillehei und seine Truppe führten die Operation mit der Cross Circulation insgesamt noch 46-mal durch, auch bei komplizierteren Herzfehlern, wie z. B. der Fallot-Tetralogie, und erreichten eine Überlebensrate von 63 %. Hierfür wurden Clarence Walton Lillehei, Morley Cohen, Herbert Warden und Richard Varco 1955 mit dem Albert Lasker Clinical Medical Research Award ausgezeichnet, einer Ehrung, die in den Vereinigten Staaten einer Art Nobelpreis gleichkommt. Dies war der zweite große Schritt in der Entwicklung der offenen Herzchirurgie, nach dem Hypothermie-Verfahren, der von der Klinik in Minneapolis ausging. In dieser aufregenden Zeit kamen Chirurgen aus aller Welt, nun nicht mehr, um Owen Wangensteen beim Operieren zu beobachten, sondern um von seinen Mitarbeitern John Lewis und Walton Lillehei zu lernen.

Im Zusammenhang mit dieser neuen Möglichkeit, angeborene Herzfehler nun operativ intrakardial korrigieren zu können, stieg die Zahl der in Minnesota vorgestellten Kinder in dieser Zeit stark an. Zusätzlich gab es aber bereits eine große Zahl herzkranker Kinder und Jugendlicher mit rheumatischem Fieber und dessen erworbenen Folgen am Herzen, die oftmals aufwendiger stationärer Behandlung bedurften. Durch diese wachsende strukturelle Herausforderung kam in Minneapolis nun eine weiteres herausragendes Talent Owen Wangensteens zum Tragen: für große organisatorische Probleme erforderliche Lösungen zu finden und die geeigneten Strukturen gestalten zu können. Der Gedanke entstand, ein Herzzentrum zu gründen, d. h., eine Einrichtung zu schaffen, bei der nach Möglichkeit alle unterschiedlichen Bereiche der Herzmedizin mit Diagnostik, internistischen und chirurgischen Behandlungsmöglichkeiten für Kinder und Erwachsene sowie die kardiologische Forschung unter einem Dach zusammengeführt waren – zwar unter Beibehaltung ihrer spezifischen organisatorischen Strukturen, aber in engstem Austausch ihrer Erfahrungen und in fruchtbarer Kooperation – ein Konzept, das heute als translationale Medizin bezeichnet wird.

Einen vergleichbaren Aufschwung wie die Medizin hatte zu dieser Zeit die amerikanische Filmindustrie erfahren. Deren Beteiligte, vom einfachen Schauspieler über Kinobesitzer bis zu den großen Produktionsfirmen, hatten sich zu einer Interessengemeinschaft unter dem Namen „Variety Club“ zusammengeschlossen. Im Jahr 1945 machte der Club der University of Minnesota das Angebot, ein öffentliches Fundraising durchzuführen, um mindestens 150.000 $ zur Errichtung eines Herzzentrums auf dem Campus der der Universität aufzubringen. Hierzu diente u. a. auch ein Werbefilm für die Herzenssache mit dem Hauptdarsteller Ronald Reagan und allen Herzchirurgen aus Minneapolis als Komparsen. Am Ende der Kampagne hatte der Variety Club eine Summe von 500.000 $ aufgebracht! Daraufhin erhielt Wangensteen vom Staat Minnesota zusätzlich eine Subvention in Höhe von 600.000 $ und von der Universität selbst noch einmal 400.000 $, sodass das „Variety Club Heart Hospital“ in Minneapolis gebaut und im März 1951 als das erste eigenständige Herzzentrum der Welt in Betrieb genommen werden konnte. Der Gesamtpreis hatte zum Schluss 1,5 Mio. Dollar betragen. Anfangs fanden die Operationen noch im University of Minnesota Hospital statt, die gesamte Diagnostik, die postoperative Versorgung und die ambulante Nachversorgung aber jetzt im Variety Club Hospital. Erst 1988 wurde aus Platzgründen die klinische Patientenversorgung in das neue, größere Heart Center of Minneapolis verlagert, und das Variety Hospital wird bis heute als „Variety Club Research Center“ fortgeführt.

So erfolgreich Lillehei auch die Cross Circulation einsetzte, umso deutlicher sah er deren natürliche Grenzen. Vor allem z. B. für größere Patienten als Kinder reichte die Menge des benötigten Blutflusses für zwei Menschen nicht aus. Daher kam nun wieder die Vorstellung einer Herz-Lungen-Maschine auf. Außer einzelnen Versuchen, z. B. von John Gibbon in Philadelphia und von John Kirklin in der Mayo Clinic, hatte es auf diesem Gebiet aber zwischenzeitlich keine Fortschritte gegeben. 1954, gerade als Lillehei seine erste Cross Circulation-Operation durchführte, war Richard DeWall, ein ehemaliger Student der Minneapolis Medical School, aus dem Krieg zurückgekehrt. Nach mehreren wenig befriedigenden Anläufen zum Wiedereinstieg in die Medizin war er letzten Endes in Lilleheis Labor gelandet. Vom Tierpfleger über den Operationshelfer war er, ohne eigentlich Chirurg zu sein, als unentbehrlicher Pumpenarzt bis in den OP für die Cross-Circulation-Operationen bei menschlichen Patienten aufgestiegen. Wissenschaftlich hatte ihn Lillehei aber von Anfang an auf die Entwicklung eines einfach zu bedienenden Oxygenators für eine Herz-Lungen-Maschine angesetzt. Er sollte sich jedoch nicht an den bisher bekannten Versuchen mit teuren und schweren Stahlkästen orientieren, sondern wie bei der Cross Circulation versuchen, mit den aus der Brauerei stammenden Schläuchen aus Polyvinyl weiterzumachen. Bereits das einfache Aufrichten des Schlauchsystems aus der horizontalen in die vertikale Ebene brachte die Gefahr durch eine Embolisation der gefürchteten Sauerstoffbläschen über das Blut fast vollständig zum Verschwinden, da diese nun nach oben aufsteigen konnten. Als Pumpe setzte er erfolgreich das ihm wohlbekannte System der einfachen Milchpumpe aus der Cross Circulation ein. Dieser Oxygenator war somit zu einem preiswerten Einmalprodukt für die Herz-Lungen-Maschine geworden, er kostete keine 100 $. Bereits nach zehn Tierversuchen im Experimentallabor, die alle ohne jegliche Komplikation verlaufen waren, wollte Lillehei dieses Gerät, erneut nach Rücksprache mit Wangensteen, erstmals beim Menschen einsetzen. Sein Patient war der dreijährige Jimmy Robichaud mit einem größeren Ventrikelseptumdefekt. Am 13. Mai 1955 lag der Junge auf Lilleheis OP-Tisch. Der VSD konnte innerhalb von 17½ min mit einem Kunststoffpatch problemlos verschlossen werden. Jimmy wurde wach und verlangte bereits kurze Zeit später nach seiner geliebten Schokoladenmilch. Aber noch in derselben Nacht wurde der Junge wieder herzinsuffizient und verstarb akut. Die Obduktion zeigte zwar ein einwandfreies OP-Ergebnis, aber zusätzlich eine myokardiale Fibroelastose, die zuvor nicht diagnostiziert worden war. Am 12. Juli 1955 setzten Lillehei und sein Team dann die 20 Monate alte Jessie Weddle mit einer Fallot-Tetralogie auf ihr OP-Programm – jetzt wieder mit dem Lillehei-DeWall-Oxygenator – und in kurzer Folge noch vier weitere Kinder. Sie alle überlebten ohne erkennbare Komplikationen. Nun hatten Lillehei, Wangensteen und Minneapolis ihre eigene Maschine!

Hatte bereits die Cross Circulation einen Strom namhafter Chirurgen zur Inansichtnahme bzw. zur Erlernung der Technik nach Minneapolis gebracht, dann war es bei der neuen Lillehei-DeWall-Maschine eine ganze Flut. Wangensteens Department für Chirurgie war zu einem Mekka der Herzchirurgie geworden. Denton Cooley, noch keine 35 Jahre alt, war in Houston, Texas, zusammen mit Michael DeBakey im Bereich der geschlossenen Herzchirurgie bereits zu einer Legende geworden. Aber er hatte keine Herz-Lungen-Maschine! Wegen der Cross Circulation und dem Gerücht um eine brauchbare und preiswerte Herz-Lungen-Maschine fuhr er im Juni 1955 nach Minneapolis – ein Schuss ins Schwarze! Auf eine gewisse Weise waren sich Cooley und Lillehei sehr ähnlich. Lillehei operierte mit ihm zusammen an seinem eigenen OP-Tisch ohne jeden Vorbehalt beide Verfahren. Cooley war begeistert. Später war von ihm öfter der Kommentar zu hören: „Walt Lillehei brought the can opener to the cardiac picnic!“ Nach einer kurzen Trainingszeit wurde der Oxygenator auch in Houston routinemäßig eingesetzt. Ende 1956 hatten Cooley und DeBakey bereits die 100. offene Herzoperation mit dem Oxygenator aus Minneapolis hinter sich. Als 1967 anlässlich Wangensteens Ruhestand die Ergebnisse der offenen Herzchirurgie in Minneapolis publiziert wurden, zeigte sich, dass über 2500 Patienten mit einem aortokoronaren Bypass und 727 Patienten mit angeborenen und erworbenen Herzfehlern operiert worden waren. Auch etliche ehemalige chirurgische Mitarbeiter des Departments, die ihre Ausbildung als Residents in Minneapolis unter Wangensteen oder Lillehei gemacht hatten und inzwischen selbst Leiter renommierter Herzkliniken waren, kamen vorübergehend nach Minneapolis zurück, um eine praktische Einführung in die neue Technik zu bekommen. Dabei handelte es sich z. B. um: Norman Shumway, Stanford; Aldo Castañeda, Boston; Vincent Gott, Baltimore; Christiaan Barnard, Kapstadt, Südafrika; und aus Europa Lord Russell Brock, London.

Auch nach dieser grundlegenden Innovation einer für alle gebrauchsfähigen Herz-Lungen-Maschine wurde in Minneapolis die Entwicklung der Herzchirurgie als eines neuen und immer Bedeutsameren Bereichs innerhalb der Chirurgie fortgesetzt. So produzierte Earl Bakken, damals noch lokaler Elektrotechniker, zusammen mit Vincent Gott, dem späteren chirurgischen Leiter des Johns Hopkins Hospitals in Baltimore, einen einsatzfähigen Herzschrittmacher. Nicht zuletzt damit wurde Bakken zu einem der Gründer der Weltfirma Medtronic. Des Weiteren war die Klinik in Minneapolis an der Entwicklung mehrerer Typen künstlicher Herzklappen beteiligt.

Wangensteen selbst blieb Chief of Surgery at the University of Minnesota für insgesamt 37 Jahre bis zu seinem Ruhestand im Jahr 1967. Seine eigenen chirurgischen Schwerpunkte lagen vor allem in der Theorie und Praxis der Erforschung entzündlicher und karzinomatöser Darmerkrankungen, später dann auch in der Transplantationschirurgie. Seine akademische Aufgabe sah und realisierte er in der kontinuierlichen Weiterentwicklung chirurgischer Lehr- und Weiterbildungsverfahren, die ihm neben zahlreichen anderen hochwertigen Ehrungen noch 1976 (!) den „Scientific Achievement Award“ der American Surgical Association und die Anerkennung als „… the greatest surgical educator of the 20th century …“ einbrachte.

So fruchtbar das Verhältnis Wangensteens zu seinem professionellen Team war, so schwierig waren die Umstände, mit denen er sich in seiner eigenen Familie auseinandersetzen musste. Seine erste Frau Helen, die er im Alter von 23 Jahren noch während seiner Residency geheiratet hatte, war ein umtriebiges Stadtmädchen aus St. Paul gewesen, Owen dagegen eher der zurückhaltende Junge vom Land. Helen war wohl der Überzeugung gewesen, dass ein Arzt als Ehemann ihr das privilegierte Leben ermöglichen würde, das sie sich vorstellte. Trotz der drei Kinder, die sie miteinander hatten, entwickelte sich die Ehe bereits früh zu einem Desaster. Alkohol und immer wiederkehrende Phasen einer Depression erschwerten das Zusammenleben mit Helen schon bald erheblich. Wangensteen sprach nie über sein privates Leben. Auch sein erster Sohn und Namensträger war für Owen eine große Enttäuschung. Seine autistisch erscheinende, hohe Intelligenz half ihm nicht, seine starke kriminelle Energie zu überwinden. Er fand sich im Leben nie zurecht und verschwand 1953 für immer in Spanien. Im selben Jahr beantragte Helen die Scheidung, und Owen zog nach St. Paul, der Zwillingsstadt von Minneapolis, in ein Hotel. Im August 1955 schied Helen Griffin aus dem Leben. Ein Jahr zuvor hatte Wangensteen eine Frau kennengelernt, die wieder Licht in sein Leben bringen sollte. Sarah Davidson (1908–1994), genannt „Sally“, war in St. Paul in eine angesehene Familie geboren worden. Nach ihrem Studium der Geschichte wurde sie Assistentin bei der Minnesota Historical Society und Managing Editorin bei der Zeitschrift Medical History, bis sie im Sommer 1954 Owen Wangensteen heiratete. Owen hatte nun mit 56 Jahren nicht nur die Frau seines Lebens gefunden, sondern mit deren Vorlieben und professionellen Fähigkeiten auch eine ebenbürtige Partnerin. Sally unterstützte ihn in all seinen sozialen und universitätspolitischen Aufgaben. Sie war, nicht zuletzt durch ihre Herkunft, besonders effektiv im Fundraising für die Medical School, sodass 1961 in der Biomedical Library of the University ein ganzes zusätzliches Stockwerk für eine spezielle medizinische Bibliothek gebaut werden konnte, die 1972 den Namen „Owen H. Wangensteen Historical Library of Biology and Medicine“ erhielt.

Schon bei seinem Aufenthalt in Europa hatte Wangensteen sein Interesse für die Geschichte der Chirurgie entdeckt und deren Bedeutung für die medizinische Ausbildung hoch eingeschätzt. Seine wegweisenden Artikel und Vorträge über diesen, seiner Auffassung nach unverzichtbaren Hintergrund waren sehr geschätzt und immer wieder nachgefragt. Später wurde diese Disziplin auch Teil der Familie, seit sich seine Frau Sally mit ihren spezifischen Kenntnissen und Fähigkeiten zusammen mit Owen nach dessen Emeritierung an die Abfassung eines zuletzt 785 Seiten starken und noch heute immer relevanten Werkes machte: The Rise of Surgery: From Empiric Craft to Scientific Discipline. Als zentrale Aussage formulierte Wangensteen darin das Anliegen: „May the spirit of inquiry, the love of learning, and appreciation of the History of Medicine create in our medical schools an intellectual atmosphere that will heighten greater medicine commitment and accountability in its service to mankind.“ Das Buch erschien 1978, drei Jahre vor dem Tod Owen Wangensteens am 13. Januar 1981 an den Folgen eines Herzinfarkts. Nach Owens Tod setzte Sarah ihre ehemals gemeinsame medizinische Arbeit fort. Sie betätigte sich auch weiter als effektive Fundraiserin und Betreuerin der Wangensteen Historical Library. Diese umfasst heute 73.000 Bände seltener medizinischer Werke aus mehr als 500 Jahren, von 1430 bis 1945 – ein Erbe des Chirurgen Wangensteen.