Werner Klinner (Abb. 1) wurde am 28. November 1923 im heute polnischen Neudorf im katholischen Teil Schlesiens geboren; seine religiöse Erziehung prägte ihn lebenslang. In Breslau machte er sein Abitur, das er, wie er immer selbst betonte, nur den Umständen der Kriegszeit verdankte: Sein Jahrgang wurde sofort danach an der Front benötigt, und auch er wurde zum Wehrdienst eingezogen. Als Sanitäter beobachtete er im Februar 1945 das Dresdner Bombeninferno vom Hauptbahnhof her, also von der anderen Seite der Elbe. Die damals empfundene Todesangst hat er nie vergessen.

Abb. 1
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Prof. Klinner anlässlich seiner Emeritierung. (Foto privat mit freundlicher Genehmigung Familie Klinner)

Nach dem Krieg studierte Werner Klinner, im deutschen Westteil angekommen, Medizin an der Universität Marburg. Nach seinem Examen begann er seine ärztliche Tätigkeit in der Pathologie bei dem wegen seines Lehrbuchs bekannten Herwig Hamperl, damals für chirurgisch Ambitionierte ein beliebter Einstieg. Es folgte bis 1956 seine chirurgische Allgemeinausbildung bei dem berühmten Rudolf Zenker. Dieser repräsentierte in der damals üblichen Art die gesamte Chirurgie. Eingriffe an Lungenkranken interessierten ihn aber besonderes, wegen der damals immer noch evidenten chronischen Folgen einer Tuberkulose-Infektion. Er beherrschte auch alle zu dieser Zeit bekannten Operationen am geschlossenen Herzen: so die „Sprengung“ von Mitralklappenstenosen (eine Folge des akuten Rheumatismus während der Kriegszeit, Abb. 2) und über einem linksseitig antero-lateralen Zugang die Perikardektomie (auch eine Folge einer Tuberkulose-Infektion). Offene Operationen mit Hilfe der Herz-Lungen-Maschine wurden zu dieser Zeit regelmäßig nur an der Universität Minneapolis und in der Mayo-Klinik in Rochester (beide Minnesota, USA) durchgeführt.

Abb. 2
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„Sprengung“ einer verengten Mitralklappe mithilfe eines Tubbs-Dilatators. Der Zeigefinger im linken Vorhof unterstützt den Eingriff am geschlossenen Herzen. (Mit freundlicher Genehmigung B. Reichart)

Nach einem heftigen Dissens mit Zenker fühlte er sich als aufstrebender und ehrgeiziger chirurgischer Assistent in seiner Karriere übergangen, kündigte und wanderte kurzfristig nach Nordamerika aus. Als Pathologe schlug er sich durch, bis ihm Zenker während eines Chirurgenkongresses 1957 in Chicago ein Angebot machte, dem er nicht widerstehen konnte (Abb. 3):

  • die Aussicht auf ein halbjähriges Stipendium an der Herzchirurgie der Mayo-Klinik bei John Kirklin (i),

  • danach Leitung der Herzchirurgie (ii),

  • und die Habilitation (iii).

Abb. 3
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Das Treffen mit Zenker (rechts) 1957 in Chicago. (Foto privat, mit freundlicher Genehmigung B. Reichart)

Offene Herzchirurgie bedeutete in der damaligen Zeit die Korrektur von angeborenen Herzerkrankungen, und für deren Verstehen waren die Erfahrungen des Herzpathologen der Mayo-Klinik, Jesse Edwards, von großer Bedeutung. Dieser hatte eine umfangreiche Sammlung von fehlgebildeten Herzen angelegt, die er geordnet in seinen berühmten Formalinfässern aufbewahrte. Bei deren Studium kamen Klinner seine pathologischen Erfahrungen zugute. Die Korrektureingriffe selbst beobachtete Klinner täglich auf einer Galerie stehend und durch eine Glaskuppel blickend, die oberhalb des Operationstisches von John Kirklin angebracht war. Er erlernte auch die Besonderheiten der herzchirurgischen Nachsorge.

1958, das Europaparlament wurde gerade gegründet, kehrte Werner Klinner nach Deutschland zu Rudolf Zenker zurück, der zuvor im selben Jahr auf den Lehrstuhl für Chirurgie der Ludwig-Maximilians-Universität München berufen worden war, damals noch in der Innenstadt gelegen. Gepflegt wurden die Patienten vom Orden der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul mit ihrem Motto: „Gottes Dinge geschehen von selbst. Die wahre Weisheit besteht darin, der Vorsehung Schritt für Schritt zu folgen.“ Das passte zu Werner Klinner.

Bei Zenkers Ersteingriff mit der Herz-Lungen-Maschine, dem Direktverschluss eines Vorhofseptumdefekts am 26. November 1958, also zwei Tage vor seinem 35. Geburtstag, war Werner Klinner als dritter Assistent eingesetzt. Der erste war Georg Heberer, der später Nachfolger von Zenker in München wurde. Die Herz-Lungen-Maschine bedienten Hans Georg Borst, der spätere Ordinarius für Herz‑, Thorax- und Gefäßchirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover und (der spätere Urologe) Manfred Schmidt-Mende. Beide hatten noch in Marburg eine Herz-Lungen-Maschine, das „Marburger Modell“, mithilfe des dortigen Physikinstitutes entwickelt (Abb. 4). Die Patientin hat den Eingriff über 40 Jahre mit sehr guter Lebensqualität überlebt.

Abb. 4
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Das sog. Marburger Modell, die erste Herz-Lungen-Maschine, die noch mit einem Gitteroxygenator bestückt war. Egon Weißhaar entwickelte sie in München zur Serienreife weiter. (Foto privat, mit freundlicher Genehmigung B. Reichart)

Die End-1950er-Jahre bis etwa 1961 waren extrem hart und auch belastend, da die unmittelbaren operativen Verluste immer noch sehr hoch waren (Abb. 5). Eine geregelte Arbeitszeit gab es nicht. Es war eine Zeit, in der sich Werner Klinner Stärke im katholischen Glauben holte und vor Operationen Beistand in der Frühmesse der benachbarten Kirche suchte. Ab 1962 wurden die Ergebnisse dann vorhersehbarer, konstanter. Werner Klinner wurde bekannt für seine, auch im internationalen Vergleich, erstklassigen Ergebnisse nach Fallot-Korrekturen. Bald hatte er nahezu jeden Tag einen Fall zu operieren. Ein Geheimnis des Erfolgs war seine Geschwindigkeit, mit der er die Korrekturen in fast militärischer Präzision vollzog: In etwa 20 min war der Eingriff im Herzen vorbei, was in der Zeit vor einer Kardioplegie essenziell war. Und auch für den ersten Assistenten galt: Fehler waren nicht erlaubt, denn es herrschte Nulltoleranz. Es ist deshalb gut nachvollziehbar, dass Zenker ab dieser Zeit die Leitung für die Herzchirurgie in Klinners Hände übertrug.

Abb. 5
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Jährliche Fallzahlen und die operative Letalität. (Quelle: aus dem Dia-Fundus von Werner Klinner, mit freundlicher Genehmigung B. Reichart)

Es waren die „roaring sixties“, wie Klinner seine Anfangszeit als verantwortlicher Herzchirurg in München beschrieb – von Anforderungen an die Weiterentwicklung der Herzchirurgie und ihres Umfelds geprägt. In München betrug z. B. die Wartezeit auf einen Eingriff viele Monate. Das hatte auch mit einer Unterfinanzierung durch die Krankenkassen zu tun. Als Konsequenz setzte sich Werner Klinner zusammen mit Rudolf Zenker sehr frühzeitig für einen Ausbau der herzchirurgischen Kapazitäten ein: Das Herzzentrum München wurde geplant. Mithilfe der Gesundheitspolitik wurden die Vergütungen durch die Krankenkassen angehoben.

Apropos „roaring sixties“ und Werner Klinner hier eine Zusammenfassung:

  1. I.

    1961 habilitierte er sich mit dem Thema: „Klinische und experimentelle Untersuchungen zur operativen Korrektur der Fallot-Tetralogie“ – mit einem Hundeversuch, wie er gern betonte, bei dem er auf die Herzen Patches aus verschiedenem Material (Teflon, Dacron) aufnähte. Ihr gutes Einwachsen war erwünscht, um spätere Patch-Dehiszenzen möglichst zu vermeiden.

  2. II.

    Palliativmaßnahmen, wie Blalock-Taussig-Shunts, spielten in dieser Frühzeit der Herzchirurgie eine große Rolle, da Eingriffe mit der Herz-Lungen-Maschine im Neugeborenenalter noch mit einem hohen Risiko verbunden waren. Werner Klinner beschrieb 1961 als Erster den einfach durchzuführenden (rechtsseitig) modifizierten Blalock-Taussig-Shunt mithilfe einer dünnlumigen Dacron-Prothese (ohne Prolene, das es damals noch nicht gab – Abb. 6a) – eine Methode, die auch heute noch Bedeutung hat, wenn auch mit PTFE-Prothesen.

  3. III.

    1962 benutzte Klinner zum ersten Mal eine klappenlose Dacron-Prothese für den rechtsventrikulären Ausflusstrakt bei der Fallot-Korrektur (Abb. 6b). Dwight McGoon, ein weiterer Pionier der Kinderherzchirurgie an der Mayo-Klinik, hatte diese neue Technik ausdrücklich gewürdigt.

  4. IV.

    Im gleichen Jahr führte er als einer der Ersten einen Mitralklappenersatz mithilfe einer Starr-Edwards-Kugelklappenprothese durch.

  5. V.

    1969 führte er zusammen mit Fritz Sebening und Rudolf Zenker die ersten beiden deutschen Herztransplantationen durch. Ab 1981 – mittlerweile im Klinikum Großhadern – war er an der ersten Herztransplantationsserie beteiligt und ebenso an der ersten deutschen Herz-Lungen-Transplantation, die 1983 stattfand.

Abb. 6
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a Rechtsseitiger Dacronprothesen-Blalock-Taussig-Shunt, b rechtsventrikulärer Ausflusstrakt mit Dacronprothese. (Fotos privat, mit freundlicher Genehmigung B. Reichart)

Seine innovative und souveräne Arbeit würdigte Rudolf Zenker 1971, als er Werner Klinner zu einem der ersten Lehrstuhlinhaber (es war genau der zweite) für Herzchirurgie in Deutschland machte und mit der Leitung der zugehörigen Klinik betraute. In dieser Zeit habe ich (B.R.) ihn kennengelernt: Er war auf dem Gebiet der Kinderherzchirurgie ein Genie. Eine Anekdote möge das verdeutlichen: Er operierte an einem angeblich partiellen AV-Kanal, der aber, wie sich herausstellte, ein totaler war. Das konnte schon passieren, denn die Echokardiographie war noch nicht erfunden. Er sagte: „Das habe ich noch nie gesehen! Naht!“ Er zog die AV-Klappe mit Einzelstichen auf die Ränder des (flachen) VSD, den gemeinsamen Vorhof teilte er mit einem Patch – eine Methode, die man auch heute noch anwendet.

Zum guten Schluss: Wie seinem christlichen Glauben blieb er auch lebenslang Schlesien verbunden. Mit großem Engagement half er, die Herzchirurgie in Breslau zu gründen. Dort hatte er, wie schon erwähnt, seine Oberschulzeit verbracht. Zeitweise zurück in seiner alten Heimat, leistete er einen großen Beitrag zur Aussöhnung zwischen Polen und Deutschland. Die Universität Breslau dankte ihm sein Engagement mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde.

In Deutschland war er einer der Gründungsväter der Deutschen Gesellschaft für Thorax‑, Herz- und Gefäßchirurgie und gehört damit zweifelsfrei zu den Pionieren unseres Fachgebietes.